56 – Rockwood Castle

Blubber schien sie schon erwartet zu haben, denn als sie im Empfangssaal des Manors apparierten, stand er wie aus dem Boden gewachsen vor ihnen, verneigte sich bis zum Boden und begrüßte sie in seiner geschwollenen Art:

„Dem Hause Malfoy ist es eine besondere Ehre, Sie als seine Gäste willkommen zu heißen. Die Gnädigen Herrschaften haben sich schon große Sorgen gemacht…“

„Sorgen?“, wunderte sich Albus. „Wie können sie denn schon wissen, was passiert ist?“

Blubber setzte schon zu einer Antwort an, aber ein Jubelschrei ließ ihn verstummen:

„Al!“ James kam aus einem der angrenzenden Räume gestürmt, und die Brüder fielen einander um den Hals.

Victoire lief freudestrahlend hinterher und umarmte zuerst Rose, dann ebenfalls Albus. „Gott sei Dank hat mein Patronus euch noch rechtzeitig erreicht!“, rief sie. Dann jedoch stutzte sie. „Wo sind die Anderen?“

„In Askaban“, erwiderte Roy, dem dabei fast die Stimme versagte.

„Dein Patronus kam leider doch zu spät“, erläuterte Scorpius. „Die Auroren waren schon vor dem Slytherin-Raum. Als unsere Freunde fliehen wollten, liefen sie ihnen direkt in die Arme. Sie versuchten einen Schockzauber, aber die Auroren trugen Schutzwesten. Dann wurden sie selbst mit Schockzaubern überwältigt.“

„Wie seid ihr denn hierhergekommen?“, wollte Roy wissen.

„Wir waren bei Hagrid, als der Überfall begann“, antwortete James. „Wir sind in den Verbotenen Wald geflohen, haben die Dementoren mit unseren Patroni verjagt – nochmal danke, dass du uns das beigebracht hast. Victoire hatte dann die Idee, hierher zu disapparieren.“

„Was eine hervorragende Idee war“, hörte man jemanden aus dem Hintergrund rufen. Draco trat zu ihnen, gefolgt von seiner Frau und seinen Eltern. „Scorpius, würdest du uns deine Freunde bitte vorstellen?“

„Selbstverständlich, Vater“, erwiderte Scorpius in dem förmlichen Ton, der im Hause Malfoy üblich war.

„Roy MacAllister, Vertrauensschüler von Slytherin.“ Roy war überhaupt nicht nach Förmlichkeiten zumute, aber selbstverständlich gab er den Gastgebern, die ihn mit einer gewissen Neugier betrachteten, höflich die Hand.

Rose Weasley von den Gryffindors. Ihre Mutter ist die Zaubereiministerin. – Bernard Wildfellow, Slytherin. Der Sohn des Premierministers“, fügte er hinzu, als wolle er speziell seinem Großvater versichern, dass er nicht etwa irgendeinen dahergelaufenen Muggel, sondern durchaus standesgemäßen Besuch mitgebracht hatte. „Albus kennt ihr ja schon, und ich nehme an, Victoire und James haben sich schon vorgestellt?“

„In der Tat“, erwiderte Lucius Malfoy. „Gleich drei Gryffindors auf einmal im Manor – das hatten wir, glaube ich, noch nie, was?“

„Doch, hatten Sie schon einmal“, antwortete James vorwitzig. „Mein Vater war schon einmal hier, aber wir sind nicht nachtragend.“

Lucius‘ Miene verfinsterte sich. „Ich glaube auch nicht“, zischte er, „dass Sie in der Position sind, nachtragend zu sein!“

„Vater, bitte“, raunte Draco ihm zu.

„Mister Malfoy“, schaltete Victoire, an Lucius gewandt, sich ein. „Seien Sie versichert, dass wir Ihrer Familie sehr dankbar sind und Ihre Gastfreundschaft zu schätzen wissen.“

Mit ihrer Schönheit und ihrem Charme war es ihr ein Leichtes, den alten Herrn einzuwickeln. „Es ist uns eine Ehre, sie zu gewähren“, antwortete Lucius artig. „Trotzdem fürchte ich, dass wir Sie anderswo beherbergen müssen…“

„Einen Moment bitte“, warf Roy ein. „Bevor wir weiterreden, müssen wir Walden Macnair informieren, dass sein Sohn verhaftet wurde! Er selbst muss sofort untertauchen, wir brauchen ihn und seine alten Kameraden. Bitte erlauben Sie ihm, hier zu apparieren!“

Walden Macnair?“ Lucius Malfoy sah drein, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Fragend sah er auf seinen Sohn, und Draco nickte.

„Danke“, sagte Roy, dem ein Stein vom Herzen fiel. „Expecto Patronum!“ Sogleich war sein Bär zur Stelle. „Geh zu Walden Macnair“, befahl Roy seinem Patronus. „Sag ihm, dass Ares verhaftet und nach Askaban gebracht worden ist. Falls kein Unbefugter zuhört, sagst du ihm außerdem, er soll sofort im Malfoy Manor apparieren. Ach ja, noch etwas“, fügte er hastig hinzu, als der Bär schon Anstalten machte zu enteilen. Meine Güte, wo hast du heute nur deinen Kopf? schnauzte er sich in Gedanken an. „Begib dich dann zu William Malagan und Rodolphus Lestrange, auch sie müssen kommen. Beeil dich!“ Der Bär machte einen gewaltigen Satz und war fort.

Erst jetzt wurde Roy sich bewusst, dass die Malfoys ihn konsterniert anstarrten.

„Sagten Sie Rodolphus Lestrange?“, fragte Narzissa, als fürchtete sie, unter Halluzinationen zu leiden.

„Ja, Ma’am, Ihr Schwager lebt, Julian hat ihn ausfindig gemacht. Entschuldigen Sie bitte, ich hätte Sie um Erlaubnis bitten sollen.“

„Keineswegs, Rodolphus gehört schließlich zur Familie und Mister Malagan ist ein bedeutender Künstler, der hier willkommen ist“, beruhigte ihn Draco. „Mich soll’s freuen. Trotzdem werden wir Sie alle, auch Rodolphus, anderswo unterbringen müssen. Für das Amasi sind wir ohnehin hochgradig verdächtig, allein schon, weil wir Harry einen Anwalt besorgt haben. Ich schätze, wir bekommen morgen, vielleicht auch schon heute Abend, unerwünschten Besuch, zumal jetzt auch noch Scorpius aus Hogwarts verschwunden ist – was spätestens morgen früh auffallen wird.“

Scorpius wird natürlich zurückkehren“, mischte Astoria sich ein, „und Miss Weasley – Sie nickte Rose zu – und Mister Wildfellow ebenfalls. Sie werden nicht gesucht und sollten sich nicht in Gefahr begeben.“

„Mutter“, sagte Scorpius ernst, „ich bleibe bei Albus. Ich kehre erst wieder nach Hogwarts zurück, wenn er und seine Eltern außer Gefahr sind!“

„Junge“, schimpfte seine Mutter, „du weißt ja nicht, was du redest!“

Scorpius sah zu Draco. „Vater?“

Da sie ihren Mann zögern sah, baute die energische Astoria sich dicht vor ihm auf.

„Unser Sohn ist erst elf!“, zischte sie ihm zu, wenn auch so leise, dass niemand sonst es hören konnte. „Du kannst nicht dulden, dass er sein Leben riskiert!“

Draco blickte über sie hinweg nachdenklich zu seinem Sohn. Dann sah er wieder seine Frau an.

„Er ist erst elf“, bestätigte er, „aber er steht im Begriff, etwas zu tun, worauf er sein Leben lang stolz sein wird…“

„…wenn er es überlebt!“

„…und ich werde ihm das nicht verbauen“, beendete Draco seinen Satz, ohne auf Astorias Einwand einzugehen. Zu Scorpius sagte er laut: „Einverstanden! Aber du hörst auf Mister MacAllister, wenn ich nicht da bin, verstanden?“

„Ja.“

„Von dem Versteck aus, in das Blubber euch bringen wird, schickst du mir eine Eule, in der du schreibst, dass du Albus aus Freundschaft in den Untergrund begleitest. Dann habe ich etwas, was ich den Auroren zeigen kann, und kann so tun, als hätte ich nichts damit zu tun. Ihr aber“, wandte er sich an Rose und Bernie, „kehrt umgehend nach Hogwarts zurück, damit niemand behaupten kann, ihr wärt entführt worden.“

„Das werde ich nicht tun“, sagte Rose entschieden. „Meine Mutter hat die ganze Familie verhaften lassen, und ich werde alles tun, um sie freizubekommen! Ich werde meiner Mutter schreiben, dass ich Albus freiwillig begleite, und dass sie mich erst wiedersieht, wenn sie Alle, auch Harry und die Unbestechlichen, freigelassen und ihre verdammten Notverordnungen zurückgenommen hat!“

Diese schneidige Ansage nötigte Draco Respekt ab. „Donnerwetter“, sagte er nach einem Moment verblüfften Schweigens. „Du ähnelst deiner Mutter, wie sie früher war.“

„Ist das denn aus Ihrem Mund wirklich ein Kompliment?“

In Roses Stimme klangen Zweifel mit, schließlich waren Draco und Hermine sich ihre ganze Schulzeit über spinnefeind gewesen.

Draco lachte. „Heute kann ich es ja sagen – ich habe sie damals nur deshalb ständig beleidigt, weil ich mir unmöglich eingestehen und schon gar nicht zugeben konnte, dass ich… nun ja, eine gewisse Schwäche für sie hatte. Also ja, es war ein Kompliment.“

„Was mich betrifft“, ließ sich nun Bernie vernehmen, „so schreibe ich meinem Vater praktisch dasselbe. Meine Bitte, Druck auf die Ministerin auszuüben, hat er abgelehnt, nun versuche ich es eben so!“

In diesem Moment knallte es. Rodolphus Lestrange war appariert.

„Guten Abend, Narzissa“, begrüßte er zuerst seine Schwägerin. „Lucius, Draco. Äh…“ Er sah Draco fragend an.

„Onkel Rodolphus, darf ich dir meine Frau Astoria und meinen Sohn Scorpius vorstellen?“

Rodolphus reichte beiden die Hand.

„Warum“, wollte Draco wissen, „hast du nie von dir hören lassen? Bis eben dachten wir, du seist tot.“

„Ich war untergetaucht und hielt es für nützlich, für tot gehalten zu werden. Außerdem wusste ich, dass ich nicht euer Lieblingsverwandter war.“

An Lucius‘ Miene konnte man ablesen, dass sich dies tatsächlich so verhielt.

Nun apparierte auch Walden Macnair.

„Hallo Malfoy, hallo Draco, ach, hallo Rodolphus“, sagte er lässig. „Lange nicht gesehen, was?“

„Allerdings“, murmelte Lucius, und man merkte, dass er es gerne dabei belassen hätte. Nachdem Alle einander begrüßt hatten, trat peinliches Schweigen ein, während die drei alten Todesser einander musterten. Die Erinnerung an die gemeinsame Vergangenheit war etwas, was Lucius, Rodolphus und Walden offensichtlich mehr trennte als verband.

Das Schweigen wurde durch das Erscheinen von Roys Patronus unterbrochen. „Ich konnte keinen Kontakt zu William Malagan aufnehmen. Er steht unter Hausarrest“, sagte er und verschwand.

Roys Lippen formten einen stummen Fluch.

„Nun, dann sind wir vollzählig. Ich habe Sie mit Erlaubnis der Familie Malfoy hierhergebeten“, erläuterte Roy, „weil die Zaubereiministerin in einem Rundumschlag die Unbestechlichen, darunter Julian und Ares, und obendrein fast den ganzen Weasley-Clan hat verhaften lassen. Wir müssen insgesamt dreizehn Personen aus Askaban befreien und sind nur zu siebt.“ Er stellte Albus, James, Rose, Scorpius, Bernie und Victoire vor. Lestrange und Macnair runzelten die Stirn.

„Das wird ja der reinste Kinderkreuzzug“, spottete Macnair schließlich.

„Nicht ganz“, wandte Draco ein, „ich werde auch dabei sein. Wir sind also schon acht.“

„Was in der Tat ziemlich genau das Durchschnittsalter sein dürfte“, witzelte Macnair in seiner trockenen Art. „Also, ein paar Erwachsene mehr könnten wirklich nicht schaden.“

„So ist es“, bestätigte Roy. „Machen Sie mit?“

„Na klar.“

„Ich auch“, sagte Rodolphus Lestrange.

„Entschuldigung“, warf Draco nun ein. „Sie sind hier nicht sicher, wir rechnen mit einer baldigen Razzia der Auroren. Ich glaube, die weiteren Besprechungen sollten Sie besser in einem sicheren Versteck führen.“

Macnair hob die Brauen. „Rockwood Castle?“

„Rockwood Castle.“

„Immer noch nicht aufgeflogen?“

Draco schüttelte den Kopf.

„Rockwood Castle“, erläuterte er den Anderen, „ist ein alter Todesserunterschlupf, der durch Verwirrungszauber geschützt ist und für Außenstehende wie eine alte Ruine aussieht, ähnlich wie Hogwarts. Anders als in Hogwarts wirken die Schutzzauber aber nicht nur gegen Muggel, sondern gegen Jeden, auch gegen Auroren. Das Ministerium kennt das Versteck bis heute nicht. Ich werde die Zauber jetzt für Sie aufheben.“

Draco hob seinen Zauberstab und richtete ihn nacheinander auf Roy, Bernie, Scorpius, die beiden Potters und die beiden Weasleys, wobei er jeweils etwas murmelte.

„Das war’s“, sagte er schließlich. „Da Sie den Ort noch nicht kennen, werden Sie beim ersten Mal an der Seite der Hauselfen dort apparieren. Blubber“, wandte er sich an seinen Chefelfen, „du bringst unsere Gäste mit deinen Untergebenen hin. Ich verlasse mich darauf, dass es ihnen in Rockwood Castle an nichts fehlen wird.“

„Sehr wohl, Gnädiger Herr.“ Der Elf verneigte sich und rief weitere Hauselfen herbei.

„Ich selbst“, fuhr Draco fort, „komme heute nicht mit. Ich werde weiterhin, wie immer, zur Arbeit ins Ministerium gehen, um keinen Verdacht zu erwecken. Honorius Greengrass hält mich über alles auf dem Laufenden. Er wird morgen früh auch zu Ihnen nach Rockwood kommen, um Sie über den neuesten Stand der Dinge zu informieren. Ich empfehle Ihnen, seinen Bericht abzuwarten, bevor Sie irgendwelche Entscheidungen treffen. Es war ein ereignisreicher, ziemlich unerfreulicher Tag, lassen Sie ihn ausklingen, überschlafen Sie alles. Morgen sind Sie dann ausgeruht. Tja – dann bleibt uns nur noch, uns von Ihnen allen bis auf Weiteres zu verabschieden.“

 

Rockwood Castle war eine Burg aus dem dreizehnten Jahrhundert. Die Hauselfen führten jeden der Ankömmlinge in ein eigenes Gästezimmer und zauberten passende Kleidung herbei, damit die Gäste sich bei Bedarf umziehen konnten, schließlich hatte niemand Zeit gehabt zu packen. Die Zimmer waren nicht so raffiniert eingerichtet wie die im Manor, aber die rohen Mauern und Steinfußböden, die groben Teppiche, die Kamine und die mittelalterlichen Betten und Schränke hatten durchaus etwas Anheimelndes. Man konnte wirklich nicht klagen – mancher Muggeltourist hätte sich eine derart romantische Unterkunft bestimmt etwas kosten lassen, vorausgesetzt, er wäre in der Lage gewesen, die magischen Warmwasserduschen zu bedienen. Letzteres war freilich nur für Bernie ein Problem, der sich dazu von den Hauselfen helfen lassen musste.

Da Rose, Scorpius und Bernie zuerst die Briefe an ihre Eltern schrieben und abschickten, war es fast halb zehn, als Alle an der Tafel in dem von Fackeln und Kerzen beleuchteten, mit Wandteppichen geschmückten Rittersaal Platz nahmen. Die Elfen hatten sich diskret nach den Wünschen jedes einzelnen Gastes erkundigt. Da Alle schon zu Abend gegessen hatten, wurden nur Getränke gereicht.

Roy überlegte, ob er sich einen Feuerwhisky bestellen sollte, aber Arabellas Mahnung klang ihm noch im Ohr und hielt ihn davon ab: Deine Mutter ist an einer Sucht gestorben, und du weißt nicht, ob du ihre Veranlagung geerbt hast! Und wie hatte noch der Arzt jener Klinik gesagt, in der er vergeblich seine Mutter unterzubringen versucht hatte? Trinken, wenn man glaubt, es nötig zu haben, ist der erste Schritt in die Sucht! Roy glaubte in der Tat, es heute nötig zu haben, gerade deshalb bestellte er lieber wie alle Schüler einen heißen Kakao als Schlaftrunk. Draco hatte recht: Diesen Tag sollte man so schnell wie möglich abhaken.

Macnair und Lestrange, die an einem Ende der Tafel Platz genommen hatten und sich als Einzige Butterbier schmecken ließen – ein Hochgenuss vor allem für Lestrange, der in der Muggelwelt fast zwanzig Jahre lang keines mehr bekommen hatte – hatten einander viel zu erzählen und unterhielten sich angeregt, aber in gedämpftem Ton.

Von den Hogwarts-Schülern war keiner sehr gesprächig. Nach den Aufregungen der vergangenen Stunden war die plötzliche Ruhe zwar wohltuend, zugleich aber gab sie ihnen auch Gelegenheit, über ihre Lage nachzudenken.

Mein Gott, dachte Roy, ist das wirklich noch keine vier Stunden her, dass wir als ganz normale Hogwarts-Schüler in der Großen Halle zu Abend gegessen haben? Keine vier Stunden, dass ich mich von Arabella verabschiedet habe? Sein Magen krampfte sich zusammen: Er hatte ihr nur ein flüchtiges Küsschen gegeben, und dabei war es vielleicht das letzte Mal überhaupt…

Bezwing dich, du bist ein Slytherin!

Um sich abzulenken, versuchte er, der zwischen seinen Mitschülern auf der einen Seite und den beiden alten Todessern auf der anderen saß, deren Gespräch zu lauschen.

„Ha! Ein Angriff auf Askaban!“, hörte er Macnair sagen. „Wer hätte das gedacht, dass wir als alte Zausel noch einmal die Gelegenheit zu einem solchen letzten Hurra bekommen? Ich fühle mich schon zehn Jahre jünger!“ Seine Augen glühten vor Vorfreude.

„Meinst du denn“, fragte Lestrange, „du kannst noch ein paar von den Jungs zusammentrommeln?“

Macnair nahm einen tiefen Schluck Butterbier. „Ein paar bestimmt… nicht sehr viele allerdings. Die meisten sind froh, wenn man sie in Ruhe lässt, etliche sind auch einfach zu alt für eine solche Aktion. Ein knappes Dutzend kriege ich vielleicht. Die sind natürlich auch alt, aber noch gesund, genau wie wir beide.“

Roys Gedanken schweiften wieder ab. Er sah sich in der Runde um. Fünf Kinder, zwei Teenager, zwei alte Todesser. Das letzte Aufgebot der magischen Welt: Ein Kindergarten und ein Altersheim.

Er sah auf Scorpius. Was hätte in anderen Zeiten aus diesem Scorpius werden können? Er verkörpert Alles, was seine Familie irgendwann einmal groß gemacht hat, Alles, was an der magischen Welt edel, bewahrenswert und im besten Sinne des Wortes vornehm ist. Er hat es nicht verdient, der Letzte zu sein!

Victoire, auch sie die Blüte einer uralten Magierfamilie. Albus und James, schon jetzt würdige Söhne eines bedeutenden Vaters. Rose und Bernie: Beide hätten es nicht nötig gehabt, Partei zu ergreifen. Beide stellen sich gegen ihre übermächtigen Eltern – nicht wie andere mit fünfzehn und aus irgendwelchen Flausen heraus, sondern mit elf und aus den besten Gründen, die es gibt. Sie tun es aus Treue zu ihren Freunden, und sie tun es, weil sie es als das Richtige erkannt haben.

Sie alle sind unbestechlich.

Roy atmete jetzt freier. Nein, dachte er. Die hier vor mir sitzen, sind kein Kindergarten. Sie sind jetzt schon eine Elite. Und es sind nicht nur Slytherins, es sind auch Gryffindors. Eine Welt, die solche Kinder hervorbringt, geht nicht unter! Und wenn es mehr Bernies gäbe, gäbe es sogar Hoffnung für die Muggelwelt.

„Dass du dich so freuen kannst“, hörte er Lestrange sagen, der seinen alten Kumpel verwundert ansah. „Hast du eigentlich keine Angst um Ares?“

„Nö“, meinte Macnair. „Wir holen ihn doch heraus!“

„Und wenn es schiefgeht?“

„Dann sterben er oder ich oder wir beide einen ehrenvollen Tod. Es gibt wirklich erbärmlichere Arten zu sterben als im Kampf gegen dieses Regime!“

„Manchmal wünschte ich wirklich“, meinte Lestrange, „ich wäre wie du. Ich habe nur Angst um Julian. Unser Enkel ist das Einzige, was von Bellatrix und mir noch bleibt, und wenn er stirbt…“

Wenn Arabella stirbt, durchzuckte es Roy, bleibt von uns gar nichts!

Sein Versuch, sich abzulenken, war gescheitert. Die Dementoren haben Arabella! Die Dementoren haben Arabella! Er hätte schreien mögen. Er durfte nicht! Er zwang sich wieder, den beiden Alten zuzuhören.

„Ach, Lestrange, du nimmst das Leben immer noch viel zu schwer! Das macht dich sympathisch, aber irgendwie stehst du dir auch selbst im Weg. Deinen Julian kriegst du wieder – ein Prachtjunge übrigens, ich habe ihn kennengelernt –, aber vorher haben wir noch einen Heidenspaß, freu dich doch drauf, statt Trübsal zu blasen!“

Nun musste Lestrange doch lächeln, und Roy auch. Macnairs fröhliches Berserkertum hatte ganz entschieden etwas Ansteckendes.

Albus“, fragte Roy, „hast du die Karte des Rumtreibers bei dir?“

„Immer“, antwortete Albus. „Warum?“

„Kannst du nachsehen, ob sich jemand an unserem Geheimraum herumtreibt? Wenn nein, haben die Auroren ihn vielleicht noch nicht entdeckt, und ich könnte noch einmal nach Hogwarts und ein paar ältere Slytherins holen.“

Albus sah auf die Karte. „Sieht schlecht aus. Da sind lauter Namen, die ich nicht kenne, wahrscheinlich Auroren. Und so viele, das sie unmöglich alle in die Besenkammer passen können. Sie müssen den Raum gefunden haben. Wenn du dort apparierst, nehmen sie dich sofort fest. Wahrscheinlich warten sie sogar darauf.“

Die Stimmung, die sich gerade erst gebessert hatte, sackte sofort wieder auf den Nullpunkt.

„Wäre ja auch zu schön gewesen. Man müsste also vor dem Tor apparieren und dann hineingehen.“

„Lass das lieber“, meinte Victoire. „Vorhin war das ganze Gelände von Dementoren umstellt, und die Auroren sind bestimmt auch noch da. Albus hat recht, die warten auf uns, und vor allem auf dich. Es hat keinen Sinn, heute können wir nichts mehr unternehmen, seien wir froh, dass wir davongekommen sind. Ich finde, wir sollten jetzt schlafengehen.“

Der Vorschlag fand allgemeine Zustimmung, nur die beiden Alten wollten noch ein wenig sitzenbleiben, während die Jüngeren sich erhoben.

„Victoire“, fragte Rose ein wenig schüchtern, „ich möchte heute Nacht nicht allein sein, darf ich bei dir schlafen?“

„Na klar.“

„Mist!“, rief James. „Warum ist mir das nicht eingefallen?“

„Weil es dir nichts genützt hätte, mein Kleiner“, erwiderte Victoire grinsend. „Solange du noch zu so frühreifen Anzüglichkeiten fähig bist, brauchst du bestimmt nicht so viel Trost und Beistand wie sie.“

 

Albus hatte sich gerade ins Bett gelegt und wollte die Kerze ausblasen, als es an seiner Tür klopfte.

„Ja?“

Es war Victoire.

„Ich wollte dir noch Gute Nacht sagen“, sagte sie und setzte sich auf die Bettkante. „Ich dachte, du brauchst vielleicht jemanden zum Reden. Du bist schon sehr tapfer, aber ich glaube, du bist sensibler und hast mehr Angst um deine Eltern, als du zugibst.“

Albus überlegte, dann schüttelte er den Kopf. „Mit dir rede ich immer gerne, aber Angst habe ich eigentlich nicht.“

„Wirklich nicht?“, fragte Victoire zweifelnd. „Oder sagst du das nur, weil du glaubst, ein echter Slytherin darf so etwas nicht zugeben?“

„Das stimmt zwar irgendwo, aber dir würde ich es trotzdem sagen, wenn es so wäre. Nein, ich habe einfach deshalb keine Angst, weil Roy bei uns ist. Er hat versprochen, sie herauszuholen, und Roy hält jedes Versprechen! Wirklich, ich habe keine Angst.“

Victoire lächelte. „Na dann“, – sie drückte ihm einen Kuss auf die Stirn –, „schlaf schön.“

„Du auch.“

Victoire war schon an der Tür, da rief er noch einmal: „Victoire?“

Er druckste und lief rot an. Es war ihm ein bisschen peinlich, aber Rose würde sich freuen: „Gibst du… ähm, gibst du Rose ein Gute-Nacht-Küsschen von mir?“

Sie lachte.

„Mach ich.“

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