51 – Ein Ende und ein Anfang

 

Am folgenden Dienstag war Roy in seinem Glück so milde gestimmt, dass er nicht einmal das Bedürfnis verspürte, seine Muggelkundelehrerin zu triezen – nur einmal, als sie von Hubschraubern schwärmte, warf er ein sarkastisches „Versuchen Sie mal, mit den Dingern Quidditch zu spielen“ ein, für seine Verhältnisse ein ungewöhnlich sanfter Spott. Ansonsten nahmen er und Arabella von Richardsons Unterricht nicht allzu viel Notiz. Sie turtelten leise und unauffällig miteinander, und sofern Richardson es überhaupt bemerkte, ließ sie sie gewähren. Alles war ihr lieber, als wenn Roy sich am Unterricht beteiligte.

„Weißt du eigentlich, dass ich dich sehr liebe?“, flüsterte er in Arabellas Ohr.

Sie grinste vergnügt und flüsterte zurück: „Du hast mir keine Chance gelassen, es zu ignorieren, mein Bär.“

Er hielt unter der Bank ihre Hand und sah nicht ohne Stolz auf den zierlichen smaragdbesetzten goldenen Ring, den er ihr gestern zu ihrem siebzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Er hatte ihn fast seine ganzen Ersparnisse aus vier Jahren Ferienjobs gekostet, aber das war ihm egal – für Arabella musste es Gold sein!

Ihre Freunde, mit denen sie sonst zusammen ihre Geburtstage zu feiern pflegten, hatten nur verständnisvoll gelächelt, als Arabella ihnen eröffnete, dass sie diesmal den Abend mit Roy allein verbringen wollte. Roy hatte die Hauselfen gebeten, ein Dinner für sie beide in den Raum der Wünsche zu zaubern, und die hilfreichen Elfen hatten ganze Arbeit geleistet: Der Raum der Wünsche war ganz in romantisches Licht getaucht, und die Speisen wären eines erstklassigen Gourmet-Tempels würdig gewesen. Die beiden blieben die ganze Nacht dort.

Die Welt konnte so schön sein, dass man sogar Richardson ertragen konnte. Im Grunde, dachte Roy, meint sie es auf ihre Weise ja auch nur gut.

Das Glück fand ein jähes Ende.

Als es klopfte, McGonagall in der Tür des Klassenzimmers erschien und ihn behutsam und mit ernster Miene bat, „Mister MacAllister, würden Sie bitte einmal kommen?“, wusste er, was geschehen war.

„Komm bitte mit“, flüsterte er seiner Freundin zu. Unter den betroffenen Blicken ihrer Mitschüler verließen die beiden den Klassenraum. McGonagall wartete, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatten. Roy hielt sich an Arabellas Hand fest.

„Ich habe heute über unsere Muggelpost-Kontaktstelle einen Brief von einem gewissen Pater Matthew erhalten. Roy, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Mutter vorgestern Abend verstorben ist.“

Roy antwortete zunächst nicht, er starrte der Schulleiterin nur ins Gesicht. Es war nicht wirklich ein Schock, er hatte es kommen sehen und Pater Matthew gebeten, hin und wieder nach seiner Mutter zu sehen, damit es jemanden gab, mit dem sie reden konnte, solange sie noch am Leben war. Trotzdem hatte McGonagalls Mitteilung etwas unfassbar Endgültiges.

„Danke“, sagte er schließlich. „Dann sollte ich jetzt wohl nach London fahren?“

McGonagall nickte. „Der Pater bittet Sie, in sein Kloster zu kommen, er hat, Ihr Einverständnis voraussetzend, die Überführung des Leichnams dorthin veranlasst und bietet Ihnen an, Ihre Mutter auf dem Klosterfriedhof beisetzen zu lassen.“ Sie reichte Roy den Brief.

„Wie lange geben Sie mir frei?“

„Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie sie brauchen.“

„Darf ich Arabella mitnehmen?“

McGonagall zögerte kurz und sagte dann zu Arabella: „Sie sind eine gute Schülerin, Miss Wolfe, ein paar Tage Unterrichtsausfall werden sie wohl verkraften. Also ja.“

„Ich kümmere mich darum, dass unsere Freunde für uns mitschreiben und uns die Unterrichtsmaterialien mitbringen“, antwortete Arabella.

„Falls ich noch etwas für Sie tun kann, Roy…“ Roy schüttelte den Kopf. „Falls doch, wenden Sie sich einfach jederzeit an mich. Sie finden mich in meinem Büro.“

Als sie beiden die Hand schüttelte, raunte sie Arabella zu: „Passen Sie gut auf ihn auf, ich verlasse mich auf Sie.“ Dann drehte sie sich um und kehrte zu ihrem Büro zurück. Die Schulglocke verkündete das Ende der Unterrichtsstunde.

Ihre Mitschüler kamen aus dem Klassenraum. Sie hatten schon geahnt, was passiert war. Als Roy es bestätigte, umarmte ihn Julian.

„Das tut mir so furchtbar leid für dich, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“

„Weiß ich auch nicht“, erwiderte Roy leise, „es ist einfach gut, dass du da bist.“

Nun traten auch die anderen Sechstklässler der Slytherins und Ravenclaws zu ihm und sprachen ihm ihr Beileid aus, sogar Richardson kondolierte. Als letzte kam Patricia. In Ihren Augen standen Tränen, aber sie wirkte auch ein wenig befangen und verunsichert. Erst als Arabella ihr fast unmerklich zunickte, traute sie sich, Roy in den Arm zu nehmen.

„Danke“, sagte er tonlos, und dann laut zu den Anderen, die immer noch um ihn herumstanden: „Macht, dass ihr in euren Unterricht kommt. In ein paar Tagen bin ich wieder da.“

Arabella nahm noch kurz Julian zur Seite und bat ihn, für die Unterrichtsaufzeichnungen zu sorgen und den Patronusunterricht für James und Victoire nicht zu vergessen.

Als die Anderen gegangen waren und sie mit Roy wieder allein im Schulkorridor stand, sagte sie nur: „Gehen wir.“

Schweigend schlugen sie den Weg zu den Slytherin-Räumen ein. Kurz bevor sie den Gemeinschaftsraum erreichten, blieb Roy stehen und blickte trübsinnig zu Boden:

„Sie war meine einzige Verwandte, jedenfalls die einzige, von der ich weiß. Ich habe keine Familie mehr, überhaupt keine Blutsverwandten.“

Arabella legte ihre Arme um seinen Hals, streichelte sein Haar und meinte trocken:

„Das lässt sich ändern.“

Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, wovon sie sprach, dann zog er sie noch enger an sich und flüsterte:

„Aber nur mit dir. Keine Andere darf und wird die Mutter meiner Kinder werden.“

„Kein Anderer der Vater meiner Kinder“, flüsterte sie zurück.

Ihr Körper fühlte sich so gut an…

„Mein Gott, wie pietätlos!“, sagte er schließlich. „Gerade ist meine Mutter gestorben, und wir denken hier ans Kindermachen!“

„Das ist nicht pietätlos, mein Bärchen. Das ist das Leben, das sich gegen den Tod auflehnt.“ Sie schwiegen eine Weile, dann flüsterte sie: „Mit dem Tod deiner Mutter ist etwas zu Ende gegangen. Du wirst einen neuen Anfang setzen.“

Sie löste sich sanft aus der Umarmung und lächelte. „Aber nicht sofort.“

 

Das alte Klostergemäuer, das mit seinen Bögen und Kreuzgewölben von innen ein wenig an Hogwarts erinnerte, und die Benediktinermönche in ihrem schwarzen Habit wirkten auf Arabella weitaus weniger fremdartig, als sie befürchtet hatte. Im Grunde, fand sie, passten sie und Roy in ihren schwarzen Hogwarts-Umhängen sogar recht gut hierher. Die Welt der Kirche und die magische Welt hatten offenbar Einiges gemeinsam: den ernsten Stil, die Verwurzelung in uralten Traditionen, die souveräne Verachtung einer Muggelwelt, die sich umso freier fühlt, je schneller die Moden wechseln, sich umso aufgeklärter dünkt, je mehr sie von der Manipulation des Menschen und je weniger sie vom Menschen selbst versteht, und die umso mehr Zukunft zu haben glaubt, je weniger sie ihre eigene Vergangenheit achtet.

Arabella, die reinblütige Hexe, hatte sich immer schwergetan zu begreifen, warum ein Zauberer wie Roy sich ausgerechnet zum Christentum, und dann noch in dessen kompromisslosester Form, hingezogen hatte fühlen und einen Priester als Vaterersatz hatte wählen können. Er hatte es ihr zwar zu erklären versucht, trotzdem war sie nie den Verdacht losgeworden, er habe wohl einfach keine andere Wahl gehabt. Als sie nun aber selbst an seiner Seite durch die Gänge des uralten Klostergebäudes ging, verstand sie, wie gut dies zu ihm – und nicht nur zu ihm – passte. Sie selbst, Roy und diese Mönche – sie alle waren lebendes Mittelalter, Verkörperungen nicht etwa der Rückständigkeit, sondern der Dauer.

Eines Tages, dachte sie, wenn all diese Grangers und Wildfellows mitsamt ihren größenwahnsinnigen Plänen nur noch ein schauriges Gerücht aus ferner Vergangenheit sein werden, wird Hogwarts immer noch stehen, wird der Sprechende Hut immer noch seines Amtes walten, und werden diese Mönche immer noch nach ihren jahrtausendealten Regeln leben. Hermine hat keine Chance. Sie hat unglaublich viel gelesen, und doch weiß sie buchstäblich nichts!

Sie dachte es mit Genugtuung.

Pater Matthew führte sie in einen Seitenraum der Klosterkapelle, in dem der Leichnam von Pamela MacAllister aufgebahrt war. Auf Ihrer Brust lag der ewige Blumenstrauß, den Roy ihr zu Weihnachten geschenkt hatte.

„Danke, Pater.“

Roy sah lange ins Gesicht seiner toten Mutter, dann küsste er sie.

„Haben Sie noch mit ihr sprechen können?“, fragte er den Priester.

„Ja“, sagte Matthew, „sie hat sich schwere Vorwürfe gemacht, Ihnen keine gute Mutter gewesen zu sein.“

Roy atmete durch. Bezwing dich, du bist ein Slytherin.

„Ich habe ihr doch gesagt, dass sie sich keine Vorwürfe zu machen braucht. Ich hoffe, Sie auch?“

„Ich habe ihr gesagt, dass sie Alles getan hat, was in ihrer Macht stand. Ich habe ihr gesagt, dass Sie es wissen, und dass auch unser Herr es weiß.“

Bezwing dich, du bist ein Slytherin!

„Haben Sie ihr die Sakramente gespendet?“

„Selbstverständlich. – Ich weiß, dass man es Ihnen sagen kann, ohne dass Sie es als billigen Trostspruch auffassen: Ohne der Entscheidung Gottes vorgreifen zu wollen, bin ich überzeugt, dass sie es dort, wo sie jetzt ist, besser hat als hier.“

Bezwing dich, du bist ein Slytherin!!!

„Wann findet die Beerdigung statt?“

„Sobald ich die Totenmesse gelesen habe – und dann, wann immer Sie wünschen. Möchten Sie noch Angehörige einladen?“

„Wir haben keine Angehörigen.“

„Das Letzte, was sie zu mir gesagt hat, und damit wahrscheinlich das Letzte, was sie überhaupt gesagt hat, war, dass Sie froh ist, dass Sie das richtige Mädchen gefunden haben, und dass sie noch gerne Ihre Braut kennenlernen würde…“

Bezwing dich, du bist ein Slytherin!!!!

„Arrie, nimm bitte ihr Hand!“

Arabella nahm die kalte rechte Hand der Toten, beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte: „Danke. Danke für ihn.“

„Schließen Sie bitte den Sarg, Pater.“ Während er sprach, starrte Roy geradeaus, wie in Trance. „Lesen Sie die Totenmesse, dann beerdigen wir sie möglichst nah bei Pater Patrick. Und danke, dass Sie den Klosterfriedhof zur Verfügung stellen, ich weiß schon, dass es nicht üblich ist. Ach ja, und ich wäre Ihren Brüdern dankbar, wenn sie an der Beerdigung teilnehmen würden. Danach werden Arabella und ich nach London zurückkehren, um in der Wohnung meiner Mutter zu übernachten. Wir kommen morgen wieder, ich nehme an, dass es Formalitäten zu erledigen gibt?“

„In der Tat“, sagte Matthew. „Und ich schlage vor, dass Sie gleich hier bei uns übernachten.“

„Pater“, sagte Roy, immer noch in eine imaginäre Ferne starrend, „ich möchte Arabella heute Nacht bei mir haben, und ich möchte Ihr Gewissen nicht damit belasten, uns als unverheiratetem Paar…“

„Machen Sie sich um mein Gewissen mal keine Gedanken, Roy“, unterbrach ihn der Priester, „ich habe nicht das Gefühl, dass Sie heute der Sünde frönen werden. Selbstverständlich haben wir ein Zimmer für Sie beide.“

Während der Totenmesse und während der Beisetzung, an der in der Tat alle Mönche des Klosters teilnahmen, hielt Roy sich noch an Arabellas Hand und an seinem Mantra „Bezwing dich, du bist ein Slytherin!“, fest.

Als er endlich mit ihr allein war, bezwang er sich nicht mehr.

 

Am nächsten Morgen saßen sie bei Matthew im Büro.

„Da Sie minderjährig sind und keine Angehörigen haben, Roy, wird ein Amtsvormund für Sie bestellt werden müssen…“

„Darf ich mir den aussuchen?“, fragte Roy dazwischen.

„Sie können es nicht allein entscheiden“, antwortete der Priester. „Aber im Allgemeinen berücksichtigen die Behörden den Wunsch des Mündels.“

„Dann möchte ich, dass Sie es sind.“

Der Priester lächelte. „Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, es ist mir eine große Ehre. Schreiben Sie einen formlosen Brief ans Amt, eventuell wird man Sie noch einmal persönlich befragen, aber wahrscheinlich sogar darauf verzichten. Geistliche sind bei den Behörden gern gesehene Vormünder. Gibt es sonst noch etwas, was ich für Sie tun kann?“

„Ja, Pater“, antwortete Arabella für ihn, „wir wollen heiraten.“

Sie hatten es in der Nacht besprochen.

„Das weiß ich“, antwortete Pater Matthew lächelnd. „Wann soll es denn so weit sein?“

„Heute.“

Dem Pater fiel die Kinnlade herunter. „Heute?“

Dann schmunzelte er. „Sie können es wohl überhaupt nicht erwarten, was?“

Arabella lief rosa an, sagte aber mit fester Stimme: „Darum geht es nicht. Wir beide planen mit unseren Freunden ein wichtiges und notwendiges, aber sehr gefährliches Unternehmen, und zwar sehr bald. Falls einem von uns dabei etwas zustößt, möchte ich nicht nur seine Freundin gewesen sein.“

Der Pater wurde ernst. „Ich verstehe. Nun, da Sie, Arabella, keine Katholikin und nicht einmal Christin sind, müssen wir Dispens einholen…“

„Müssen wir nicht. Sie werden mich taufen!“

Zum zweiten Mal war Matthew verblüfft. Roy grinste. Er liebte die Art, wie Arabella Dinge in die Hand nahm. Seit sie ein Paar waren, war von ihrer früheren Schüchternheit und Unsicherheit kaum noch etwas übrig.

„Arabella, ich werde Ihnen die Taufe selbstverständlich nicht verweigern, wenn Sie sie verlangen, aber bedenken Sie: Die Kirche ist nicht irgendein Verein, und die Taufe ist kein Mittel zum Zweck…“

„Das ist mir vollkommen klar“, entgegnete Arabella.

„Ja aber… wissen Sie denn irgendetwas über unseren Glauben?“

„O ja“, sagte Arabella. „Ich weiß, dass es Roys Glaube ist. Und ich weiß, dass es der Glaube von Pater Patrick war, der diesen wundervollen Menschen herangezogen hat. Glauben heißt nicht Wissen, sondern Vertrauen. Sie werden nie beweisen können, dass Ihr Glaube wahr ist. Aber ich habe jeden Grund, darauf zu vertrauen, dass er etwas Gutes und, weil etwas Unwahres nicht gut sein kann, auch wahr ist.“

„Für eine Hexe sind Sie der Kirche gegenüber erstaunlich vorurteilsfrei.“

Arabella grinste. „Sagen wir, ich bin nicht nachtragend.“

Alle drei lachten.

„Nun gut“, meinte der Priester, „es ist zwar ungewöhnlich, aber nicht unmöglich, Taufe, Erstkommunion und Firmung an einem einzigen Tag stattfinden zu lassen. Ich müsste mich in meiner Katechese natürlich aufs Allernötigste beschränken…“ Er seufzte. „Eigentlich sollte es so nicht sein, aber ich verstehe die Dringlichkeit, die die Eheschließung für Sie hat. Also machen wir Nägel mit Köpfen: Heute um 6 Uhr abends findet der Traugottesdienst statt. Ich fürchte nur, dass wir hier keine geeigneten Räume für Ihre Feier haben, und Sie möchten doch sicher feiern?“

„Sicher, aber in Hogwarts gibt es Räume genug, und ein Festmahl auf die Beine zu stellen, sollte dort auch nicht schwierig sein“, antwortete Roy.

„Und wie viele Gäste dürfen wir zur Messe erwarten?“

Roy und Arabella sahen sich an.

„Die Unbestechlichen – vier“, sagte er.

„Meine Mutter – hoffentlich kommt sie – und meine Großeltern“, fügte Arabella hinzu. „Sieben“.

Ginny.“

McGonagall“, ergänzte sie abschließend. „Neun Personen, Pater.“

„Dafür sollte unsere Kapelle groß genug sein“, schmunzelte Matthew. „Aber schaffen die denn alle neun bis heute Abend die Anreise? Und können Sie sie rechtzeitig benachrichtigen?“

„Kein Problem“, grinste nun Roy und zog seinen Zauberstab.

„Expecto Patronum!“

Der Pater staunte nicht schlecht, als ein großer Bär aus silbernem Licht aus dem Zauberstab sprang, Roys Botschaft an McGonagall, Ginny und die Unbestechlichen entgegennahm und sogleich verschwand. Arabella schickte ihre Wölfin zu ihrer Mutter und Ihren Großeltern.

„Erstaunlich“, murmelte Pater Matthew, „wirklich erstaunlich.“

„Eigentlich dürften wir Ihnen das gar nicht zeigen – aus Geheimhaltungsgründen“, sagte Roy.

„Und warum tun sie es trotzdem?“

„Weil man es Ihnen nicht glauben würde. Wenn Sie morgen öffentlich verkünden, dass es Zauberei gibt…“

„…wird in allen Zeitungen stehen, dass ich ein mittelalterliches Fossil und ein starrsinniger, rückständiger alter Narr bin, und mein Bischof wird sich in Talkshows winden und sich dafür entschuldigen, dass es mich überhaupt gibt. Ich verstehe.“ Matthew lächelte. „Gut, ich werde nun einige Vorbereitungen treffen. Wir sehen uns wieder in einer Stunde zur Katechese für Miss Wolfe.“

 

Roy und Arabella gingen Hand in Hand über den Klosterfriedhof. Die Gräber von Patrick und Roys Mutter, nur zwei Parzellen voneinander entfernt, fielen durch die beiden ewigen Blumensträuße, die dem kalten Januarwetter trotzten, besonders ins Auge. Roy legte seinen Arm um Arabellas Schulter.

„Dir darf einfach nichts passieren, hörst du?“, flüsterte er ihr zu. „Ich könnte es nicht mehr ertragen, ohne dich zu leben.“

„Glaubst du vielleicht, ich könnte ohne dich leben? Im Gegensatz zu dir weiß ich schon sehr lange, dass wir füreinander bestimmt sind. Ich hatte nur Angst, du würdest es womöglich nie begreifen!“

„Ich wusste es im Grunde auch, ich wollte es nur nicht wahrhaben. Wahrscheinlich habe ich mit Patricia nur deshalb geliebäugelt, weil sie mir viel weniger bedeutet: Ich mag sie, aber gebraucht, wie ich dich brauche, hätte ich sie nicht.“

 

Gegen halb sechs apparierten die Gäste kurz nacheinander unter den verblüfften Blicken der Mönche, denen das Schauspiel eines aus dem Nichts auftauchenden Menschen naturgemäß fremd war. Als Letzte, als wolle sie noch einmal ihren Protest zu Protokoll geben, apparierte Arabellas Mutter, die sich dann aber doch einen Ruck gab und ihren künftigen Schwiegersohn umarmte.

Da bis zur Messe noch ein wenig Zeit war, ließ Pater Matthew als Abt es sich nicht nehmen, die Gäste durch das kleine, aber geschichtsträchtige Kloster zu führen, wobei er ein bisschen wie ein stolzer Schlossherr wirkte. Als sie wieder vor der Kapelle standen, nahm er McGonagall beiseite.

„Sagen Sie, Frau Professor“, fragte er respektvoll, „da ich mit Hexen sonst nie zu tun habe, dürfte ich Sie etwas fragen?“

„Bitte.“

„Roy hat mir gesagt, er würde nie Schwarze Magie treiben, und vor weißer müsse ich mich nicht fürchten. Ich glaube es ihm, weil auch Pater Patrick sich für ihn verbürgt hat. Nur – was genau ist eigentlich der Unterschied?“

„Im Grunde“, erläuterte McGonagall „ist der Ausdruck ‚Weiße Magie‘ irreführend, ein Verlegenheitsbegriff, der nur als Gegenstück zur Schwarzen Magie einen Sinn ergibt. Magie als solche ist moralisch neutral, eine menschliche Fähigkeit, die man angeborenerweise hat oder nicht hat, ungefähr so, wie man Intelligenz hat, die man ja auch zum Guten ge- oder zum Bösen missbrauchen kann. ‚Schwarze Magie‘ ist eine Form von Magie, bei der der Magier seine Macht durch den direkten Appell an die Mächte des Bösen vervielfacht. Eine sehr verführerische Art, Magie zu treiben, eben weil man kurzfristig besonders mächtig wird, aber auch eine Droge, die abhängig machen kann. Wer ihr verfällt, verliert seine Seele über kurz oder lang an das Böse.“

„Kommt das oft vor?“, fragte Matthew mit einem gewissen Schauder.

„Nicht oft“, versetzte McGonagall, „denn in Hogwarts lehren wir diese Art Magie nicht, nur die Verteidigung dagegen. Aber ja, es kommt vor, und leider hat es einige unserer besten und begabtesten Schüler getroffen, die in der Lage waren, sich diese Fähigkeiten selbst anzueignen. Hohe Begabung bei instabiler Seele ist ein explosives Gemisch.“

McGonagall sah, dass der Abt einen nachdenklichen Blick auf Roy warf, der allerdings, glücklich mit seiner Braut turtelnd, alles andere als instabil wirkte.

„Sie haben einen guten Blick für Menschen, Pater. Ja, unser Mister MacAllister ist einer, der leicht auf den falschen Weg hätte geraten können. Er ist einer, der trotz seiner inneren Stärke viel Halt braucht. Ich bin froh, dass er ihn gefunden hat.“

 

Es wurde eine bewegende Hochzeit. Sogar Arabellas Mutter schluchzte mit ihrer eigenen Mutter um die Wette, als Roy und Arabella einander das Jawort gaben und einander die Ringe – ein Geschenk von Arabellas Großeltern – ansteckten.

Die Hexen und Zauberer in ihren schwarzen, scharlachroten und slytheringrünen Umhängen – nur der von Arabella war schneeweiß gezaubert worden –, die allesamt noch nie in ihrem Leben eine Kirche betreten hatten, wirkten in dieser Umgebung pittoresk, aber bei weitem nicht so exzentrisch, wie es in irgendeiner Londoner Straße der Fall gewesen wäre.

Als Roy und Arabella sich nicht nur von Matthew, sondern von allen siebenundzwanzig Mönchen verabschiedet hatten und die ganze Hochzeitsgesellschaft disapparieren sollte, trat Ginny noch einmal auf beide zu.

„Ich möchte mich auch verabschieden.“

„Kommst du nicht mit?“, fragte Roy verwirrt.

Ginny schüttelte den Kopf.

„Wir sollten das Ministerium nicht mit der Nase darauf stoßen, dass zwischen uns eine Verbindung besteht. Aber die Familie Potter hat ein Geschenk für euch. Albus?“, wandte sie sich an ihren Sohn.

Albus zog eine Wasseruhr aus seinem Umhang.

„Die Uhr“, erläuterte er, „ist natürlich nicht das Geschenk, die habe ich aus deinem Labor. Das Geschenk ist das, was darauf gespeichert ist. Es ist… also…“ Er druckste ein wenig und wurde rot. „Mama, sag du es ihnen, ich genier‘ mich.“

Ginny lachte. „Schon gut, in deinem Alter darf man sich bei so etwas genieren und sollte es vielleicht sogar. Also, ihr braucht ein Zimmer für die Hochzeitsnacht, und dies hier ist der Schlüssel zu dem Versteck, dass wir eigentlich für Hermine eingerichtet hatten.“

„Zur Kammer des Schreckens?“, fragte Roy, den Harry als einzigen eingeweiht hatte.

„Zur ehemaligen Kammer des Schreckens“, korrigierte Ginny ihn sanft, „die nun aber eine Luxussuite ist – perfekt für eine Hochzeitsnacht! Albus hat den Zugangscode in Parsel auf die Wasseruhr gesprochen.“

Die Brautleute umarmten Ginny und Albus.

„Danke“, meinte Roy, „jetzt ist es wirklich eine perfekte Hochzeit!“

In Hogwarts wartete eine weitere Überraschung auf sie. Als sie verdutzt feststellten, dass sie nicht etwa im Geheimraum der Unbestechlichen, sondern im Nebenraum der Eingangshalle appariert waren, schmunzelte McGonagall ihnen zu:

„Ich habe die Appariersperre für diesen Raum aufgehoben, damit Sie es nicht so weit haben. Ihre Mitschüler wissen noch nicht, warum das Abendessen auf halb acht verschoben wurde und ein Festmahl sein wird. Ich habe mir erlaubt, nicht nur für Sie eine Feier auszurichten, sondern die ganze Schule mitfeiern zu lassen. Lassen Sie mir bitte zwei Minuten Vorsprung, damit ich Sie ankündigen kann.“ Sprach’s und eilte beschwingt hinaus.

Roy, Arabella und ihre Gäste folgten bis vor den Eingang der Großen Halle und lauschten McGonagalls kurzer Rede:

„Liebe Schüler, liebe Lehrer, Sie fragen sich, was es heute zu feiern gibt. Nun, es ist etwas, das in Hogwarts nur sehr selten geschieht, weil man nach magischem Recht mindestens siebzehn dazu sein muss und Hogwarts-Schüler sich normalerweise bis nach ihren UTZ-Prüfungen damit Zeit lassen.“ Sie machte eine Kunstpause. „Da der Magische Staat Eheschließungen vor Muggel-Institutionen aber anerkennt, freue ich mich, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass zwei Ihrer Mitschüler heute in einem Kloster bei London geheiratet haben.“

Sie ließ ihre Zuhörer noch einen Moment in ihrer Neugier zappeln und fügte dann hinzu: „Nämlich Roy MacAllister und Arabella Wolfe. Mr. und Mrs. MacAllister, wenn Sie bitte eintreten würden?“

Die Begeisterung tobte nicht überall so ungeteilt wie bei den Slytherins, aber selbst die Gryffindors – die selbstredend ihre Witze darüber rissen, dass ausgerechnet zwei Slytherins bei den Muggeln geheiratet hatten –, brachten es nicht fertig, sich nicht zu freuen, insbesondere ihre Mädchen fanden das Ereignis ungeheuer romantisch.

Die Feier dauerte bis zur von McGonagall festgelegten Sperrstunde um Mitternacht.

52 – Die Anwerbung

 

Am späten Mittwoch Nachmittag – Roy und Arabella nahmen nur wenige Meilen entfernt gerade ihre Hochzeitsgäste in Empfang – apparierte ein Geheimauror des Amtes für Magische Sicherheit mit einem Hogwarts-Schüler im Ministerium und führte ihn ins Büro seines Chefs.

„Setzen Sie sich, Wilkinson“, befahl Anderson, während der Auror sich entfernte und die Tür des Büros hinter sich schloss. Vor Anderson lag der Brief, den Wilkinson am Samstag an die Ministerin geschickt hatte.

„Ihre Informationen sind hochinteressant“, begann Anderson das Verhör, „aber wäre es nicht näherliegend gewesen, zuerst Ihren Lehrer Mister Barclay zu informieren, von dem Sie ja wissen, dass er aus der Aurorenabteilung kommt, und der eine solche Information sicherlich weitergeleitet hätte?“

„Mit Verlaub, Sir“, erwiderte Wilkinson, der rot anlief, „Professor Barclay ist nicht zuständig, und außerdem, nun ja…“ Er zögerte.

„Ja?“, fragte Anderson forschend.

„Ich habe Zweifel an seiner Loyalität der Ministerin gegenüber. So richtig begeistert scheint er von ihrer Politik nicht zu sein. Zum Fall Potter hat er sich gar nicht geäußert, obwohl ich ihn im Unterricht mehrfach zur Sprache gebracht habe.“

„Interessant“, murmelte Anderson, „sehr interessant…“

Er sah Wilkinson einen Moment nachdenklich an, ohne dass dieser ihm hätte ansehen können, was hinter seiner Stirn vorging.

„Sie haben richtig gehandelt“, sagte er schließlich. „Barclay ist ein korrekter Kollege, aber er hat nicht das rechte Verständnis dafür, dass ungewöhnliche Zeiten ungewöhnliche Maßnahmen erfordern.“

Wilkinson atmete auf, aber Anderson verunsicherte ihn gleich wieder: „Wenn es Ihnen aber um die Zuständigkeit gegangen wäre, hätten Sie sich an mich wenden müssen, nicht an die Ministerin.“

Wilkinson errötete wieder.

„Entschuldigen Sie bitte, Sir. Ich dachte, es würde die Ministerin interessieren…“

Da er nicht so recht wusste, wie er fortfahren sollte, führte Anderson den Satz zu Ende:

„…wer ihre wirklich loyalen Anhänger in Hogwarts sind und wem sie zu Dank verpflichtet ist. Wollten Sie das sagen?“

„Sir, ich stelle mich uneigennützig in den Dienst der Sache und …“

„Schon gut, Wilkinson, es interessiert die Ministerin tatsächlich. Sie hat Ihren Brief persönlich gelesen und lässt Ihnen ausrichten, dass sie sich Ihren Namen merken wird.“

Wilkinson strahlte.

„Nun aber zur Sache. Erzählen Sie mir noch einmal in allen Einzelheiten, was Sie gesehen und gehört haben.“

Wilkinson erstattete ausführlich Bericht, wobei Anderson, der alles ganz genau wissen wollte, ihn mit häufigen Zwischenfragen unterbrach.

„Was war das für eine Karte“, fragte er zum Abschluss, „auf die MacAllister geschaut hat, bevor sie den Raum der Wünsche verließen?“

„Eine seltsame Karte, Sir. Sie schien mehrfach faltbar zu sein. Der Teil, den MacAllister aufgeschlagen hatte, schien einen Grundriss des siebten Stocks zu enthalten. Auf der Karte bewegte sich etwas, und anscheinend konnte man darauf sehen, wer sich wo befindet.“

„Und Sie sind ganz sicher, Wilkinson“, wechselte Anderson das Thema, „dass erwähnt wurde, dass sogar der kleine Potter den Patronuszauber beherrscht?“

„Hundertprozentig, Sir.“

„Wurde darüber gesprochen, von wem er ihn gelernt hat?“

„Nein, aber wenn ich eine Vermutung äußern dürfte: Ich nehme an, von MacAllister. Er gilt als hochbegabt.“

„Möglich“, bestätigte der Geheimdienstchef. „Wenn ich aber bedenke, wie versessen die Unbestechlichen darauf sind, Potter freizubekommen, dann frage ich mich, ob sie nicht selbst Teil von Potters Verschwörung sind und den Patronus vielleicht von ihm gelernt haben.“

„Glauben Sie?“, fragte Wilkinson aufgeregt.

„Ein Auror glaubt nichts, junger Mann, er bewertet Indizien“, belehrte ihn Anderson. „Aber diese Indizien fügen sich zu einer Kette. Diese Arbeitsgemeinschaft angeblich zur Verteidigung gegen die dunklen Künste kam mir schon immer merkwürdig vor, und die Karte, die Sie gesehen haben, kann nur die Karte des Rumtreibers gewesen sein. Seit ich Potter kenne, und ich kenne ihn schon lange, hat er sie immer wie einen Talisman mit sich geführt, obwohl er sie längst nicht mehr brauchte. Wenn er dieses Heiligtum den Unbestechlichen oder auch nur seinem Sohn Albus anvertraut hat – warum Albus und nicht seinem erstgeborenen Sohn James? –, müssen sie mit ihm unter einer Decke stecken.“

„Sie meinen also, Potter war kein Einzeltäter?“

„Er behauptet es zu sein und hat plausibel gemacht, dass außer ihm keiner von seinen Plänen wusste. Wir konnten ihm nichts Gegenteiliges nachweisen. Trotzdem sagt mir mein Instinkt, dass ein so weitreichendes Unternehmen nicht von einem einzigen Mann geplant und durchgeführt worden sein kann, zumal seit seiner Verhaftung immer häufiger Hinweise auftauchen, dass eine weitverzweigte Verschwörung im Gange ist, die mit Potters Verhaftung erst so richtig in Schwung zu kommen scheint – eine Verschwörung zum Sturz, vielleicht sogar zur Ermordung der Ministerin.“

„Bei Merlins Bart“, flüsterte Wilkinson entsetzt.

„Diese Verschwörung beschränkt sich nicht auf Hogwarts, aber dort dürfte sich ein wichtiger Knoten dieses Netzes befinden. Sie verstehen, dass ich einen absolut loyalen und zuverlässigen Mann vor Ort brauche?“

„Selbstverständlich, Sir, und ich stehe Ihnen zur Verfügung.“

„Das wollte ich hören, Wilkinson. Hier, unterschreiben Sie dies hier.“

Anderson schob ihm einen Bogen Pergament hinüber. Es enthielt eine auf Wilkinsons Namen ausgestellte Selbstverpflichtung zum bedingungslosen Gehorsam gegenüber den Anweisungen des Amtes für Magische Sicherheit.

„Das geht aber sehr weit, Sir…“ murmelte Wilkinson betroffen.

„Es geht weit“, erwiderte Anderson gleichmütig, „aber nicht weiter als das, was Sie in Ihrem Brief versprochen haben. Nun müssen Sie zeigen, ob das nur Gerede war, oder ob Sie es ernst meinen.“

So am Portepee gepackt, konnte Wilkinson nicht anders. Er unterschrieb.

„Gut“, nahm Anderson die Erklärung zufrieden entgegen. „Kommen wir nun zu Ihrem Auftrag. Sie werden die Verdächtigen beschatten, wobei MacAllister die Zielperson Nummer eins ist.“

Wilkinson nickte heftig.

„Ich gehe davon aus“, fuhr Anderson fort, „dass er der Kopf der Verschwörung ist, soweit es Hogwarts betrifft. An und für sich würde das, was Sie mir berichtet haben, ohne Weiteres ausreichen, die Unbestechlichen, Victoire Weasley und James Potter zu verhaften. Da wir aber wissen, dass mindestens ein Dutzend Personen, wahrscheinlich aber mehr, an der Gefangenenbefreiung beteiligt sein sollen, müssen wir wissen, wer die anderen sind. Ihr Auftrag lautet, dies herauszufinden.“

„Jawoll!“

Anderson schmunzelte ob der strammen Antwort, wurde aber sogleich wieder ernst:

„Wir haben nun zwei Probleme: Sie haben in Ihrem Brief zutreffend darauf aufmerksam gemacht, dass eine wirksame Beschattung gerade bei konspirativen Treffen daran scheitert, dass die Zielpersonen den Caloratezauber verwenden. Auch abseits solcher Treffen dürfte ein Unsichtbarkeitszauber kaum ausreichen. Wenn Sie die Zielpersonen in der Großen Halle, im Slytherin-Gemeinschaftsraum oder wo auch immer belauschen, befinden Sie sich inmitten anderer Schüler. Es lässt sich kaum vermeiden, dass Sie mit irgendjemandem zusammenstoßen, und dann fliegt Ihre Tarnung auf. Diese Probleme sind aber im Prinzip lösbar: Sie werden die Zielpersonen als Animagus beschatten.“

Wilkinson runzelte die Stirn. „Ja, aber Sir, die werden doch bestimmt misstrauisch, wenn ihnen eine Katze, ein Hund oder auch nur eine Maus auf den Fersen bleibt.“

„An solche Tiere hatte ich in der Tat auch nicht gedacht. Sie müssen sich in ein kleineres, unauffälligeres Tier verwandeln.“

„Unauffälliger als eine Maus?“, fragte Wilkinson zweifelnd.

„Eine Stubenfliege.“

„Igitt! Muss das sein?“

„Haben Sie einen besseren Vorschlag?“

„Äh, nein, aber… es ist nicht nur unappetitlich, sondern auch gefährlich. Jede Fliegenklatsche kann mir den Garaus machen.“

„Sie sollten sich auch hüten, Ihren Zielpersonen auf die Nerven zu gehen, Ihr Auftrag lautet ja gerade, sie unbemerkt zu belauschen. Im Übrigen hat Harry Potter schon mehr als einen Auror als Fliege losgeschickt, und sie sind alle zurückgekommen, falls Sie das beruhigt. Ungefährlich ist es natürlich nicht, aber Sie haben sich hoffentlich nicht eingebildet, Agententätigkeit sei ungefährlich, oder?“

„Gewiss nicht, aber…“

„Und Sie haben in Ihrem Brief von sich aus geschrieben, dass Sie bereit sind, jede Gefahr auf sich zu nehmen. Niemand hat Sie gezwungen, uns das zu versprechen, aber die Ministerin vertraut auf ihr Wort, und sagt, dass sie sehr froh ist, dass es Menschen wie Sie gibt.“

Für Wilkinson war es eine innere Kaiserparade. Sein Idol, die Sonne an seinem Firmament, Zaubereiministerin Hermine Granger-Weasley höchstselbst hatte nicht nur seine Existenz zur Kenntnis genommen und seinen Brief gelesen, sie zählte auf ihn, sie vertraute auf ihn persönlich!

„Hat sie das wirklich gesagt?“

So etwas konnte man nicht oft genug bestätigt bekommen!

„Gewiss. Aber wenn Sie möchten, können Sie es auch gerne von ihr selbst hören.“

Nun rutschte ihm doch das Herz in die Hose.

„Sie meinen, die Ministerin würde mich empfangen? Ehrlich?“

Anderson schmunzelte. „Ehrlich. Sie legt sogar Wert darauf und hat mich nur gebeten, Ihnen vorher auf den Zahn zu fühlen. Da Sie Ihre Prüfung bestanden haben, steht einer Audienz nichts im Wege. Kommen Sie!“

Anderson führte ihn ins Vorzimmer der Ministerin. Es war schon fast halb sieben, aber Percy Weasley war immer noch auf seinem Posten.

„Können wir?“, fragte Anderson.

Percy nickte. „Nur zu, Sie werden erwartet!“

Anderson klopfte, und auf Hermines „Herein“ hin ließ er Wilkinson, der kaum zu atmen wagte, den Vortritt.

Hermine kam ihm entgegen, drückte ihm lange die Hand, sah ihm tief in die Augen und lächelte.

„Schön, dass Sie da sind, und schade, dass wir nicht schon bei meinem Besuch in Hogwarts miteinander sprechen konnten, aber Sie haben ja selbst erlebt, dass ich damals alle Hände voll zu tun hatte.“

Wilkinson wusste gar nicht, was er sagen sollte, so hinreißend fand er sie. Wie schön sie ist!

„Äh… ja natürlich“, stotterte er, „der Tag war sehr turbulent, ich selbst bin bei der Auseinandersetzung mit MacAllister verletzt worden.“

„Ach, Sie waren das?“, strahlte sie. „Dann freut es mich umso mehr, dass ich endlich die Gelegenheit habe, Ihnen von Herzen zu danken!“

Während Wilkinson dahinschmolz, wandte sie sich kurz an Anderson und fragte geschäftsmäßig: „Die Herren sind sich so weit einig geworden?“

„Im Prinzip ja, es sind nur noch Details seines Auftrags zu klären.“

„Gut, dann lassen Sie uns jetzt bitte allein, ich schicke ihn nachher wieder zu Ihnen rüber.“

Anderson verließ den Raum. Hermine bat Wilkinson, der sein Glück kaum fassen konnte, mit einer Geste, auf dem Sofa der Sitzecke Platz zu nehmen, und setzte sich neben ihn.

„Frau Ministerin…“

„Nicht doch! Hermine!“

Wilkinson lief vor Aufregung rot an. „Hermine, es ist mir eine große Ehre…“

„Die Ehre ist ganz auf meiner Seite“, erwiderte Hermine liebenswürdig, als sie merkte, dass er kein Wort mehr herausbrachte. „Und ich habe in letzter Zeit nur selten die Ehre, jemanden kennenzulernen, der nicht nur loyal, sondern auch mutig und tatkräftig ist.“

Er war Wachs in ihren Händen, und sie begann nach Kräften zu kneten. Sie seufzte.

„Es gibt fast niemanden, auf den ich mich verlassen kann, hier im Ministerium sind es unter Hunderten von Mitarbeitern nur zwei, Sie haben sie eben kenngelernt: Anderson und meinen Schwager Percy Weasley. Alle anderen – vom Abteilungsleiter abwärts – spinnen Fäden, um mich zu Fall zu bringen. Nicht offen, natürlich, heimlich. Der Verrat lauert überall, und am Schlimmsten ist es in meinem persönlichen Umfeld. Mein bester Freund – jedenfalls hielt ich ihn dafür – versucht, gegen mich zu putschen, mein Mann fällt mir in den Rücken, meine Tochter weigert sich, mich zu unterstützen, mein Neffe Albus hat die Seiten gewechselt und ist jetzt bei diesen sogenannten“ – Ekel schwang in Ihrer Stimme – „‚Unbestechlichen‘, und was seinen Bruder James und meine Nichte Victoire angeht, so hat Ihr Brief mir die Augen geöffnet. Rupert, ich stehe ganz allein.“

Den letzten Satz hatte sie leise und mit einem angedeuteten Zittern in der Stimme gesprochen.

Rupert warf sich in die Brust. „Hermine, auf mich können Sie sich immer verlassen! Ich schwöre es Ihnen!“

Hermine schenkte ihm ein dankbares Lächeln.

„Ich weiß, Rupert. Jetzt, wo ich Sie kennengelernt habe, bin ich sicher, dass Sie den Verrätern keine Chance lassen werden, soweit es von Ihnen abhängt. Sie wissen aber, dass Sie sich in große Gefahr begeben?“, fragte sie besorgt.

„Das ist mir klar, und es ist mir gleich!“, rief Wilkinson stolz, und er meinte es so. Für Hermine würde er sich auch den Fliegenklatschen aussetzen. „Für Sie tue ich alles! Niemand darf Ihnen ein Haar krümmen, niemand darf Ihre historische Mission sabotieren! Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht!“

„Ich bin stolz darauf, von Menschen wie Ihnen unterstützt zu werden“, lobte ihn die Ministerin, woraufhin Wilkinson wieder rot anlief. „Sie sagen es ganz richtig: Es ist eine historische Mission, und Sie spielen darin trotz Ihrer Jugend eine wichtige Rolle. Wie wichtig, sehen Sie daran, dass Anderson persönlich Ihr Führungsoffizier sein wird. Sie werden jeden seiner Befehle befolgen, als ob er von mir selbst käme, und ich werde ihn anweisen, mich über Alles, was Sie tun, auf dem Laufenden zu halten.“

„Ich werde Sie nicht enttäuschen, Hermine!“

„Ich weiß, und es ist beruhigend, das zu wissen“, sagte sie lächelnd. Sie stand auf und gab ihm damit zu verstehen, dass die Audienz beendet war. „Dann muss ich Sie jetzt wieder Ihrem Führungsoffizier übergeben. Viel Glück!“

Sie reichten einander die Hände, wobei Wilkinson sich tief verbeugte. Ganz in dem erhebenden Bewusstsein, als edler Ritter in schimmernder Rüstung für seine Königin in die Schlacht zu ziehen, schwebte er zur Tür hinaus.

Hermine grinste.

53 – Gegenspiel

 

Die ersten Tage verliefen für Rupert Wilkinson frustrierend. Zwar konnte er alles, was eine Fliege von Natur aus kann – fliegen und auf sechs Beinen laufen zum Beispiel, aber Gesichter zu erkennen, darauf waren seine Facettenaugen nicht eingestellt. Als er es am Freitag Abend schaffte, in den Slytherin-Gemeinschaftsraum einzudringen, flog er lange ziellos hin und her, weil er jede einzelne Person einen Moment lang beobachten musste, um sie zu identifizieren. Wenn er sich zu diesem Zweck auf einem Tisch niederließ, musste er achtgeben, nicht beiläufig von einem Mitschüler erschlagen zu werden. Als er dann wenigstens Julian ausfindig gemacht hatte und gerade auf dessen Schulter Platz nehmen wollte, tauchte zu allem Unglück Bernies Katze auf und machte sich einen Spaß daraus, Jagd auf ihn zu machen. Völlig erschöpft hängte er sich an die Decke des Gemeinschaftsraums, um ein wenig auszuruhen. Bei alldem achtete er nicht auf die Zeit und musste schließlich feststellen, dass es zu spät war, niemand mehr den Gemeinschaftsraum betrat oder verließ und er daher gezwungen war, an der Decke zu übernachten, wobei diese Übernachtung obendrein von einer fetten Spinne gestört wurde, die wohl noch nicht zu Abend gegessen hatte und Rupert mehrmals zu panischer Flucht zwang.

Am nächsten Tag, einem Samstag, war er folglich so erschöpft, dass er den ganzen Tag verschlief und beschloss, seine Beschattungsaktion erst am Sonntag fortzusetzen. Rupert war wütend. So hatte er sich das Leben eines Agenten nicht vorgestellt!

Am Sonntag schaffte er es zwar, sich auf Roys Schulter zu setzen und lange darauf zu verweilen – auf dem schwarzen Umhang fiel er als Fliege nicht auf – aber Roy verbrachte den Vormittag in der Bibliothek, sagte beim Mittagessen nichts, was für Rupert von Bedeutung gewesen wäre, und unternahm dann mit Arabella einen Spaziergang, auf dem Rupert ihm nicht folgen konnte: Bei wolkenlosem Himmel war das Januarwetter für warm angezogene Menschen angenehm, für eine Fliege aber unerträglich kalt, Rupert wäre draußen erstarrt. Als er es endlich geschafft hatte, wieder seine normale Gestalt anzunehmen, ohne gesehen zu werden, waren beide verschwunden, sodass er beschloss, ihnen, wiederum als Fliege, vor dem Slytherin-Gemeinschaftsraum aufzulauern, wo er bis zum Abend vergeblich wartete.

Auf die Idee, dass ein blutjunges Ehepaar einen Sonntag Nachmittag nicht unbedingt im Gemeinschaftsraum verbringen würde, kam er nicht.

Am Montag handelte er sich Nachsitzen ein, weil er ausgerechnet in Barclays Unterricht eingeschlafen war, und musste danach noch einen Rüffel von Anderson über sich ergehen lassen, der ihm einen Zauberspiegel zur Kontaktaufnahme zur Verfügung gestellt hatte und von seinen Ermittlungsergebnissen beziehungsweise deren Ausbleiben wenig erbaut war.

Der Dienstag verlief ebenfalls ergebnislos, und erst am Mittwoch – man schrieb inzwischen den 31. Januar – tat sich eine Chance auf. Er hatte sein Abendessen hastig hinuntergeschlungen, sich dann wieder verwandelt und es sich auf Roys Umhang bequem gemacht, während dieser beim Abendbrot saß.

„Nachher wieder im Geheimraum“, hörte er Roy leise zu den anderen Unbestechlichen sagen. „Albus, du gehst wieder voraus und sicherst, dann kommen Julian, Orpheus und Ares, zum Schluss Arabella und ich.“

Geheimraum! durchzuckte es Rupert. Jetzt wurde es spannend!

 

Albus hatte sich in einen Seitengang in der Nähe des Geheimraums zurückgezogen und studierte kniend die Karte des Rumtreibers. Dass der Tarnumhang seines Vaters vom Ministerium beschlagnahmt worden war, war ein wenig lästig. Bis Dezember hatte er sich einfach in den langen Gang stellen können, von dem ein kleiner Abzweig zu der Besenkammer führte, hinter deren Seitenwand der Geheimraum lag, und die Karte bequem unter dem Tarnumhang gelesen. Nun musste er für sich selbst einen Unsichtbarkeitszauber benutzen, die Karte aber sichtbar auf den Boden legen, denn in seiner Hand wäre sie ebenfalls unsichtbar geworden.

Orpheus, Ares und Julian waren schon durch, er wartete nur noch auf Roy und Arabella. Endlich sah er sie kommen, aber… Das war doch nicht möglich! Er starrte auf das Pergament. Ein dritter Name war dicht an dem von Roy zu sehen, ein Name, der hier überhaupt nicht hergehörte!

Albus hob seinen Zauberstab. Roy, Arabella und der ungebetene Begleiter waren nur noch wenig mehr als zwanzig Meter entfernt.

Calorate!

Albus sprang auf seine Füße und spähte in die Richtung, aus der die drei kamen. Nur Roy und Arabella, Hand in Hand den Gang entlangschlendernd, waren zu sehen, keine Spur von einem Dritten, und das konnte nur heißen…

Albus schaltete blitzschnell: „Discalorate!“ Er hatte jetzt wieder klare Sicht.

Immer noch unsichtbar ging er dem Paar entgegen.

„Bleibt stehen und rührt euch nicht“, raunte er den beiden zu, die seine Stimme erkannten und gehorchten. Albus sah die Fliege auf Roys Schulter und richtete seinen Zauberstab auf sie. Sehen konnte er den Stab selbst nicht, nur fühlen. Sein Herz schlug bis zum Halse. Hoffentlich zielte er richtig, hoffentlich traf er nicht Roy…

Petrificus totalus!“, flüsterte er. Die Fliege, die sich eben noch die Vorderbeine gerieben hatte, erstarrte mitten in der Bewegung. Albus atmete auf und machte sich sichtbar.

„Kannst du mir mal verraten, was du da machst?“, fragte Roy stirnrunzelnd.

Statt zu antworten, wischte Albus mit seinem Zauberstab die Fliege vom Umhang auf seine linke Hand und hielt sie Roy unter die Nase.

„Weißt du, wer das ist?“, grinste er stolz.

„Eine Fliege, und ich kenne sie nicht persönlich.“

„Doch, du kennst sie.“ Sein Grinsen verbreiterte sich. „Es ist Rupert Wilkinson von den Gryffindors. Er ist ein Animagus.“

Mit offenem Mund starrte Roy erst Albus, dann die Fliege an. „Woher weißt du das?“

Albus wollte schon antworten, da griff Arabella ein:

„Achtung“, sagte sie, „er kann sich nicht bewegen, aber er kann uns hören. Roy, hast du irgendein Gefäß dabei, in dem wir unseren Gast verstauen können?“

Roy zog ein leeres Fläschchen aus der Tasche, in das Albus nun die Fliege gleiten ließ.

„Stell sie irgendwo ab“, sagte Arabella, „dann können wir reden.“

Albus ging mit der Flasche einige Meter weiter zur Tür des Zaubertrank-Klassenzimmers, öffnete sie mit „Alohomora“, stellte die Flasche auf einen Tisch, schloss die Tür wieder hinter sich, holte die Karte und kehrte zu den beiden Anderen zurück.

„Ich habe seinen Namen auf der Karte des Rumtreibers gesehen“, sagte er leise und zeigte ihnen die Karte. „Da er auch mit Calorate nicht sichtbar wurde, musste er ein sehr kleiner Animagus sein. Mein Vater hat mir erzählt, dass die Karte auch Animagi unter ihren Klarnamen aufführt.“

Roy stieß einen leisen, anerkennenden Pfiff aus. „Wenn du mal Auror wirst, haben Kriminelle nichts mehr zu lachen! Dein Vater wird stolz auf dich sein. Deine Mutter natürlich auch, wenn wir es ihr gleich erzählen! So einen Sohn möchte ich auch haben. Meinst du“, fragte er Arabella schmunzelnd, „wir kriegen so einen hin?“

Sie lachte. „Mich soll’s freuen!“

 

Im Geheimraum waren die anderen Unbestechlichen und Ginny, die die neuen Flugbesen und das Finsternispulver mitgebracht hatte, schon unruhig geworden, weil die drei so lange auf sich hatten warten lassen. Roy setzte sie ins Bild. Ginny sah ihren Sohn in der Tat voller Stolz an.

„Ich kann mir nicht vorstellen“, fügte Roy seinem Bericht hinzu, „dass Wilkinson in der Lage ist, sich selbst zum Animagus zu machen. Irgendjemand hat ihm geholfen, und dieser Jemand war bestimmt nicht McGonagall.“

„Er ist ein Amasi-Spitzel, was sonst“, stellte Ares fest. „Was machen wir jetzt mit ihm? Wegsperren?“

Roy schüttelte den Kopf. „Wenn ein Schüler verschwindet, noch dazu ein Schüler, von dem das Amasi Berichte erwartet, haben wir morgen eine Hundertschaft Auroren auf dem Hals. Wir könnten sein Gedächtnis der letzten Stunde oder auch der letzten Tage löschen, ihn laufen lassen und ihn im Übrigen permanent mit Hilfe der Karte des Rumtreibers im Auge behalten. Lästig, aber machbar. Etwas Besseres fällt mir im Moment nicht ein.“

„Mir vielleicht schon“, meldete sich Orpheus. „Wir könnten ihn benutzen, um Anderson mit falschen Informationen zu füttern.“

Der Gedanke war entschieden reizvoll. Alle schwiegen und überlegten.

„Und an was für Informationen hast du gedacht?“, wollte Ginny schließlich wissen.

„Zum Beispiel, dass wir gar keine Gefangenenbefreiung, sondern bloß eine Protestdemonstration vor dem Ministerium oder so etwas planen.“

„Hmmm…“ überlegte Roy. „Da sehe ich aber zwei Probleme: Zum einen weiß er, dass er enttarnt ist, und wird sich daher nicht ohne Weiteres eine Komödie vorspielen lassen. Zum anderen müssen die Informationen, die wir ihm geben, zu denen passen, die das Ministerium schon hat, sonst wird Anderson misstrauisch. Und wir wissen nicht, welche es hat.“

„Wir könnten aber wenigstens herausfinden“, warf Ares ein, „welche Wilkinson weitergegeben hat.“

„Und wie?“

„Wir fragen ihn.“

Alle starrten ihn an.

„Warum sollte er uns das sagen?“, fragte Ginny. „Willst du ihn etwa foltern?“

„Ibieh, wie primitiv!“, grinste Ares. „Nein, wir befehlen ihm einfach, uns die Wahrheit zu sagen.“ Und da die Anderen noch immer nicht begriffen: „Wir benutzen den Imperiusfluch. Dann sind wir auch nicht darauf angewiesen, dass er uns eine Komödie glaubt, wir befehlen ihm einfach, die Informationen weiterzugeben, die er weitergeben soll.“

Begeisterung hätte anders ausgesehen, aber einen besseren Vorschlag hatte keiner.

„Gut“, sagte Roy schließlich. „Ich mache es.“

„Hast du nicht jemandem versprochen, keine Schwarze Magie zu treiben?“, fragte Arabella spitz.

„Was bleibt mir übrig? Für Harry geht es um Leben und Tod, und ich werde nicht einen der Anderen vorschicken, um etwas zu tun, was ich selber nicht machen will.“

Arabella beugte sich zu ihm und zischte ihm zu: „Du weißt, dass Schwarze Magie süchtig machen kann! Deine Mutter ist an einer Sucht gestorben, und du weißt nicht, ob du ihre Veranlagung geerbt hast!“

Sie hatte so leise gesprochen, dass die übrigen Anwesenden es nicht hören konnten, aber Ares griff von sich aus ein:

„Lass mal Roy, ich mach das schon! Ich habe die Unverzeihlichen geübt, du nicht. Es wäre Quatsch, wenn du es tun wolltest.“

„Du hast das geübt?“, fragte Ginny entsetzt.

„Natürlich nur an niederen Tieren, also Spinnen und dergleichen, aber ja, ich habe es auf eigene Faust geübt, nachdem dein Mann es uns nicht beibringen wollte.“

„Dafür hatte er gute Gründe!“

„Aber nicht so gute Gründe“, konterte Ares sarkastisch, „dass er ihretwegen aufs Schafott gehen würde, oder?“

Ginny biss sich auf die Lippen, schwieg aber.

Nun ergriff Orpheus wieder das Wort: „Ich schlage vor, Roy, dass du einen zweiten Geheimraum einrichtest. Brauchst du dazu lange?“

„Geht ruckzuck“, meinte Roy, „aber wozu?“

„Die erste Information, die er Anderson geben soll, ist die Lage dieses falschen Geheimraums. Mir liegt das schon lange im Magen: Wenn dieser Raum hier, also unser wirklicher Geheimraum, enttarnt wird, könnten die Auroren herausfinden, dass es hier keine Appariersperre gibt, wie sonst in Hogwarts. Und dann gerät McGonagall in die Bredouille. Außerdem können wir diesen zweiten Raum dann gleich für Wilkinsons Verhör benutzen.“

Es war nicht schwer, in einiger Entfernung, aber immer noch im Untergeschoss, einen alten Gerümpelraum ausfindig zu machen, an den Roy einen magisch vergrößerten Geheimraum anzauberte. Albus holte das Fläschchen mit der Fliege und ließ diese auf den Boden gleiten. Ares zückte den Zauberstab:

Realcorpus!“, rief er, und vor ihnen lag der immer noch bewegungsunfähige Wilkinson.

Imperio!“, fügte Ares nun hinzu und hob anschließend den Petrificus auf.

Wilkinson wirkte leicht bekifft, als er sich aufrichtete.

„Hallo Wilkinson“, brummte Ares.

„Hallo Macnair“ erwiderte Wilkinson freundlich.

„Du wirst uns jetzt wahrheitsgemäß alles erzählen. Zunächst: Wie bist du zum Animagus geworden?“

Wilkinson antwortete bereitwillig auf alle Fragen, die man ihm stellte. So erfuhren die Unbestechlichen alles: von der Lauschaktion im Raum der Wünsche über den Brief und die Gespräche mit Anderson und Hermine, über die sie ihn besonders genau ausfragten, bis hin zu seinen Beschattungsbemühungen der letzten Tage und was er seinem Führungsoffizier bisher berichtet hatte.

Als sie glaubten, dass er alles Wissenswerte gesagt hatte, richtete Ares seinen Zauberstab erneut auf Wilkinson:

Stupor!“

Der rote Blitz schoss in Wilkinsons Brust, und er sackte ohnmächtig zusammen.

„Ares!“, rief Ginny. „Musste das so brutal sein? Wir löschen doch nachher sowieso sein Gedächtnis, da hätte er ruhig zuhören können.“

„Kein Gedächtniszauber ist hundertprozentig zuverlässig“, versetzte Ares schroff. „Was er gar nicht erst weiß, braucht man nicht zu löschen. Und verglichen mit dem, was dieser Scheißkerl verdient hätte, war es nicht besonders brutal.“

„Ich finde auch“, meinte Roy, „dass wir jetzt Dringenderes zu tun haben, als über Milde oder Brutalität gegenüber Spitzeln zu diskutieren. Was er uns gesagt hat, ist äußerst beunruhigend, noch bedrohlicher, als ich befürchtet hatte: Anderson weiß positiv, dass wir Harry aus Askaban befreien wollen, und er hat uns, James und Victoire nur deshalb noch nicht verhaften lassen, weil er über uns rauskriegen will, wer an der Aktion noch beteiligt ist. Wenn er nicht mehr die Hoffnung hat, das noch herauszubekommen, sind wir dran. Seine Quelle muss also unbedingt weitersprudeln, aber immer so, dass er glaubt, es gäbe noch etwas Wichtiges, das er noch nicht weiß.“

„Wie wäre es“, überlegte Orpheus, „wenn wir ihm einredeten, wir hätten das Ziel einer gewaltsamen Befreiung aufgegeben, um… na gut, eine Protestdemo ist zu harmlos, das glaubt er uns nie, aber – ja, um stattdessen einen Anschlag auf Hermine zu verüben und darauf zu spekulieren, dass deren Nachfolger Harry von sich aus freilassen würde? Wobei ihm aber klargemacht werden müsste, dass wir nur die Ausführenden wären und die eigentlichen Drahtzieher, die großen Unbekannten, woanders sitzen? Zum Beispiel im Ministerium und vielleicht sogar unter den Auroren?“

Alle sahen auf Roy. Der grinste immer breiter und kicherte schließlich sogar ein wenig: „Orpheus, du bist ein Genie! Natürlich! Das mit dem Anschlag ist plausibel, weil es logisch wäre. Logisch wäre auch, dass er nur der Schlussstein einer Verschwörung hochgestellter Persönlichkeiten wäre. Und da die einzige Spur, über die Anderson die vermeintlichen Verschwörer dingfest machen könnte, wir wären, müsste er uns unbehelligt lassen!“

Er kicherte noch ausgelassener. „Stattdessen wird er das ganze Ministerium, vor allem seinen eigenen Sicherheitsapparat, auf den Kopf stellen, Jeden verdächtigen und Dutzende von Verhören führen. Das lähmt nicht nur ihn und den Apparat, sondern schafft auch böses Blut unter seinen Leuten.“

Roy atmete tief durch, um sich nicht von seiner eigenen Euphorie mitreißen zu lassen. Er blickte auf den immer noch bewusstlos daliegenden Wilkinson:

„So, mein Freund, ab jetzt berichtest du nur noch, was du berichten sollst! Alle unerwünschten Erinnerungen werden gelöscht und durch andere ersetzt. Ein paar müssen aber sehr konkret sein…“

Roy grübelte einen Moment, dann sah er auf. „Wir werden ihm doch eine Komödie vorspielen. Es kommt nicht darauf an, dass er selbst sie glaubt, sondern nur darauf, dass er detailliert berichten kann und über echte Erinnerungen verfügt, falls Anderson auf die Idee verfallen sollte, in sein Gedächtnis einzudringen. Diese Komödie spielen Ares, Julian, Orpheus und ich. Ginny, Albus und Arabella, ihr werdet nicht dabei sein.“

„Warum nicht?“, rief Albus empört.

Albus“, sagte Roy, wie bekümmert über die Begriffsstutzigkeit des Jüngeren, „wir reden dem Chef des Amts für Magische Sicherheit ein, wir planten einen Anschlag auf die Ministerin…“

„Aber Roy“, rief Ginny erregt dazwischen, „das ist doch Wahnsinn! Ihr bezichtigt euch selber, Terroristen zu sein, und das ausgerechnet gegenüber Anderson!“

„Das ist ja gerade das Geniale“, grinste Roy. „Er wird niemals glauben, dass jemand so verrückt sein kann, und deshalb wird er nicht für möglich halten, dass es eine von uns selbst erfundene Fehlinformation ist! Er wird alles glauben, und er wird dadurch von Askaban abgelenkt! Natürlich ist es riskant, und damit komme ich auf deine Frage zurück, Albus: Er wird uns wahrscheinlich nicht verhaften, weil er ja noch weitere Informationen bekommen will, und wir werden ihn hinhalten, bis dein Vater freigesprochen ist oder wir ihn befreit haben. Falls er uns aber doch verhaftet, sollten möglichst viele auf freiem Fuß bleiben. Deine Mutter hat er bisher nicht auf dem Schirm, und so soll es bleiben. Dich und Arabella hat er auf dem Schirm, aber er wird es plausibel finden, dass wir das einzige Mädchen und den einzigen Erstklässler der Gruppe nicht in ein solches Unternehmen hineinziehen. Plausibel ist auch, dass du dich nicht an einem Anschlag auf deine Tante beteiligst oder auch nur davon weißt. Aus demselben Grund wird er uns auch abnehmen, dass James und Victoire nichts davon wissen, die wir auf diese Weise ebenfalls elegant aus der Schusslinie ziehen. Das heißt, dass wenigstens ihr fünf unbehelligt bleibt, selbst wenn wir verhaftet werden sollten. Und es gibt noch einen Grund, warum du auf keinen Fall beteiligt sein darfst.“

Da Albus ihn fragend ansah, fuhr Roy fort: „Anderson weiß, dass du die Karte des Rumtreibers hast. Dass damit Animagi sichtbar gemacht werden können, weiß er offenbar nicht, sonst hätte er Wilkinson davor gewarnt. Aber Hermine weiß es, oder?“

Ginny antwortete an Albus‘ Stelle: „Natürlich weiß sie das, und zwar seit ihrem dreizehnten Lebensjahr.“

Roy nickte. „Und damit haben wir ein Problem: Sobald Hermine erfährt, dass du die Karte hast, weiß sie auch, dass Wilkinson auf die Dauer eigentlich gar keine Chance hat, sich uns unbemerkt zu nähern, um uns auszuspionieren. Wenn ich nicht diesen dummen Fehler gemacht hätte“, ärgerte er sich, „im Raum der Wünsche auf den Calorate zu verzichten, hätte er auch nichts herausgefunden, jedenfalls hätten wir sein Gedächtnis löschen können – na gut, es bringt nichts, sich darüber jetzt noch zu ärgern. In jedem Fall wird Hermine sich über seine detaillierten Berichte wundern. Wir müssen sie also glauben machen, dass du zwar die Karte hast, wir aber nicht mehr. Wir werden uns also in Wilkinsons Gegenwart darüber ärgern, dass du die Karte nicht mehr herausrückst.“

Albus nickte langsam. „Jetzt, wo du es so erklärst, sehe ich es ein.“

„Gut“, sagte Roy und sah voll grimmiger Genugtuung auf Wilkinson, „und jetzt überlegen wir uns genau, welche Indizien wir Anderson zuspielen…“

54 – Spieler unter sich

 

Am folgenden Vormittag saß Anderson zur täglichen Lagebesprechung im Büro der Ministerin und informierte sie ausführlich über den Bericht, den Wilkinson am Morgen durchgegeben hatte.

„Wenn das stimmt“, schloss er seine Ausführungen, „und ich habe keinen Zweifel daran, dann haben wir es mit einer großangelegten Verschwörung mit dem Ziel zu tun, Sie zu ermorden, um einen Umsturz herbeizuführen, und die Drahtzieher müssen hier im Ministerium sitzen.“

„Aber konkrete Hinweise, wer es sein könnte, haben Sie nicht?“, wollte Hermine wissen.

Anderson schüttelte den Kopf. „MacAllister und seine Jungs kennen ihre Kontaktperson wohl selber nicht. Ein Teil ihrer Diskussion bezog sich darauf, dass es sich um eine Falle handeln könnte, die ich ihnen stelle.“

„Verdammt ausgeschlafene Bürschchen“, murmelte Hermine. „Und wie wollen sie dieser vermeintlichen Falle entgehen?“

„Sie haben dem Unbekannten gegenüber ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit bereits erklärt und intern beschlossen, auch den Anschlag durchzuführen – vorausgesetzt, er gibt sich persönlich zu erkennen, statt, wie bisher, durch magisches Briefpapier Kontakt zu halten. Das heißt, sie wollen ihn in der Nähe von Hogwarts treffen. Dabei soll er ihnen auch seine genauen Pläne offenlegen.“

„Und bei dieser Gelegenheit nehmen wir sie alle hoch“, ergänzte Hermine.

„Nicht unbedingt. Wir erfahren, wer ihr Kontaktmann im Ministerium ist. Er muss nicht unbedingt der Kopf der Verschwörung sein, aber wir können ihn von da an observieren, um seine Mitverschwörer zu identifizieren. Außerdem erfahren wir, wie der Anschlag genau vonstattengehen soll, und können geeignete Gegenmaßnahmen treffen. Zuschlagen werden wir aber erst, wenn wir das ganze Verschwörernetz kennen. Erst wenn wir sicher sind, dass uns keiner durch die Lappen geht, schalten wir das ganze Komplott mit einem Schlag aus!“

„Sehr gut!“

„Bis dahin müssen wir allerdings innerhalb des Ministeriums ermitteln. Ich werde zunächst versuchen, den Kreis der Verdächtigen so einzugrenzen, dass wir sie beobachten können.“

„Gut, Cesar, Sie haben freie Hand, ich verlasse mich auf Sie. Gibt es für heute sonst noch etwas Wichtiges zu besprechen?“

„Ja, in der Tat…“, erwiderte Anderson zögernd, „und es ist ein wenig unangenehm.“

„Nun schießen sie schon los!“

„Ich habe, wie Sie wissen, ein Netz von Zuträgern im ganzen Land aufgebaut, die routinemäßig berichten, wenn etwas Merkwürdiges oder Verdächtiges geschieht. Einer von ihnen hat sich jetzt gemeldet. Er arbeitet bei einem Flugbesenhersteller. Dieser Mann berichtet, dass eine Firma, die bisher noch nie solche Besen bestellt hat, vor kurzem nicht weniger als neun Feuerblitze auf einmal geordert hat!“

„Das ist zweifellos eine auffällige Bestellung, Cesar“, antwortete Hermine – in der Tat waren Feuerblitze in der magischen Welt ungefähr das, was in der Muggelwelt Ferraris waren –, „aber muss ich mich als Ministerin dafür interessieren?“

„Ich fürchte ja, und deshalb ist es mir so unangenehm. Dieser ungewöhnliche Kunde ist die Firma Weasleys zauberhafte Zauberscherze.“

Jetzt horchte Hermine auf. „Haben Sie eine Vermutung, was der Zweck dieser Bestellung sein könnte?“

„Es ist natürlich nur Spekulation“, wiegelte Anderson vorsichtig ab, „aber wenn ich vorhätte, Potter zu befreien, würde ich genau solche Besen benutzen.“

Ron und George“, murmelte Hermine gedankenverloren. „Ja, es würde beiden ähnlich sehen. Andererseits – vielleicht planen sie auch nur eine spektakuläre Werbeaktion oder so etwas…“ Hermine überlegte einen Moment, dann fixierte sie wieder ihren Geheimdienstchef. „Trotzdem sollten wir der Sache auf den Grund gehen, und ich vermute, Sie möchten für Ermittlungen gegen die Firma meines Mannes meine ausdrückliche Genehmigung?“

Anderson nickte.

„Sie haben sie.“

Damit war die Unterredung beendet. Anderson kehrte in sein Büro zurück.

 

„Rebecca“, befahl er seiner Sekretärin, „bringen Sie mir sämtliche Dossiers über die Kunden von Magic Luck.“

Magic Luck war eine berüchtigte magische Spielhölle, deren Inhaber Grimbuck, ein Kobold, früher für die Gringotts-Bank gearbeitet hatte. Gerüchten zufolge war er wegen der Veruntreuung von Kundengeldern entlassen worden, aber da die Kobolde gegenüber dem Ministerium eisern schwiegen, lag nichts gegen ihn vor, als er sich um die Erteilung einer Spielbank-Konzession bemühte. Das Ministerium hatte ihm die Konzession unter der Auflage einer strengen Gewinnbeschränkung erteilt.

Leider hielt er sich nicht an die Auflage. Zu der Zeit, als Hermine das Amt für Magische Sicherheit gründete, waren die Auroren Grimbucks betrügerischen Spielmanipulationen auf der Spur, mit denen er die Kunden seines Casinos um phantastische Summen geprellt hatte. Seine überfällige Verhaftung wurde indes im letzten Moment von Anderson verhindert, der den Fall kraft seiner Sondervollmachten der Abteilung für Magische Strafverfolgung entzog und dem Amt für Magische Sicherheit übertrug – sehr zum Verdruss der Auroren, die sich dadurch um die Früchte eines ganzen Jahres zäher Ermittlungen gebracht sahen.

Vor die Wahl gestellt, mit dem Geheimdienst zu kooperieren und sich weiterhin bereichern zu dürfen – nicht ohne einen Obolus an die Schwarzen Kassen des Amasi abzuführen – oder auf etliche Jahre in Askaban zu landen, entschied Grimbuck sich für die Zusammenarbeit und lieferte Anderson Dossier um Dossier über auffällige, vor allem spielsüchtige Kunden. Anderson brauchte die einzelnen Dossiers nur zu überfliegen, um sich diejenigen Details herauszupicken, die ihm vielleicht noch einmal von Nutzen sein konnten. Für Informationen dieser Art hatte er ein schier unerschöpfliches Gedächtnis.

Jetzt erinnerte er sich daran, dass unter seinen Dossiers auch das eines Buchhalters gewesen war…

 

Darius Green war ein unbescholtener Bürger des Magischen Staates, glücklich verheiratet, Vater zweier Kinder, ein beliebter Nachbar, dem man bedenkenlos die Schlüsselzauber anvertraute, wenn man in Urlaub disapparierte, ein korrekter Buchhalter, der das volle Vertrauen seiner Chefs genoss. Dass er ein Doppelleben führte, wusste niemand. Fast niemand.

Als er am späten Nachmittag das Gebäude seiner Firma durch den Seiteneingang für Angestellte verließ und auf die Winkelgasse hinaustrat – direkt aus dem Firmengebäude zu disapparieren, war wegen der dortigen Schutzzauber nicht möglich – sprach ihn ein unauffällig wirkender Mann an.

„Mister Green?“

„Ja, bitte?“

„Edward Saunders“, stellte der Mann sich vor. „Ich bin Auror.“

Green warf einen flüchtigen Blick auf den Ministeriumsausweis.

„Was kann ich für Sie tun, Sir?“

„Würden Sie mich bitte ins Ministerium begleiten? Es gibt einen Sachverhalt zu klären.“

Green, der noch nie mit einem Auror zu tun gehabt hatte, spürte, wie ihm heiß wurde. „Das kommt mir jetzt sehr ungelegen… Darf ich fragen, worum es geht?“

„Fragen dürfen Sie“, antwortete der Auror mit leiser Ironie. „Die Antwort bekommen Sie vor Ort. Würden Sie bitte meinen Arm berühren?“

Sich einem Auror zu widersetzen, kam für Green selbstverständlich überhaupt nicht in Betracht. Er berührte Saunders‘ Arm, und Sekunden später standen beide im Atrium des Ministeriums, aus dessen Durchgangsschleusen zahlreiche Beamte in den wohlverdienten Feierabend strömten.

Der Auror führte Green in einen Aufzug, und Green stellte beklommen fest, dass er ohne Halt in die Ministeretage fuhr. Der Ansage im Lift entnahm er, dass in dieser Etage auch das Amt für Magische Sicherheit untergebracht war. Er schluckte.

Kurze Zeit später saß er Cesar Anderson gegenüber, der sich lässig in seinem Chefsessel zurücklehnte, in einer Akte blätterte und mehrere Minuten lang so tat, als bemerke er seinen Besucher gar nicht. Plötzlich, scheinbar immer noch in die Akte vertieft, begann er zu sprechen:

„Sie heißen Darius Malcolm Green, geboren am 18. Juni 1982 in London, verheiratet, zwei Kinder, seit 2012 Buchhalter bei Weasleys zauberhafte Zauberscherze?“

„Das ist richtig, Sir.“

Nun sah Anderson ihn an:

„Verdienen Sie gut in Ihrem Job?“

„Nun, äh – man hat sein Auskommen, Sir.“

„Gehören zu dem Auskommen auch Einkommen, die Sie an der Steuer vorbeigeschmuggelt haben?“

„Ich muss doch sehr bitten, Sir! Selbstverständlich nicht!“, rief Green, ehrlich empört.

„Beruhigen Sie sich, Mister Green, ich glaube Ihnen.“ Anderson ließ ihn ein wenig zappeln und betrachtete ihn ungefähr wie eine Schlange das vor ihr zitternde Kaninchen, bevor er zuschlug: „Gerade deshalb muss ich mich aber fragen, woher die zwanzigtausend Galleonen stammen, die Sie in nur drei Monaten bei Magic Luck verzockt haben. Nun?“

Green fing sichtbar an zu schwitzen.

„Äh… Sir, ich hatte Ersparnisse…“ stammelte er.

„Hatten Sie nicht. Wir haben Ihren Hintergrund durchleuchtet.“

„Wie können Sie…“ Er geriet in Panik. „Das Bankgeheimnis…“

„Sie wissen, dass ich kein normaler Auror bin, Mister Green?“

„Nein, Sie leiten das Amt für Magische Sicherheit, ich weiß.“

„Dann sollte Ihnen klar sein, dass es für mich keine Geheimnisse gibt, schon gar keine Bankgeheimnisse.“

Green konnte nicht wissen, dass Anderson nur bluffte, Gringotts war sogar für ihn eine uneinnehmbare Festung. Er hatte es aber in nur wenigen Monaten geschafft, seinem Geheimdienst in den Augen der Öffentlichkeit eine Aura von Allwissenheit zu verschaffen, die auf jeden Bürger einschüchternd wirken musste.

„Ich, äh, ich hatte meine Ersparnisse zu Hause.“

„Zwanzigtausend Galleonen unterm Kopfkissen? Wo sie keine Zinsen abwerfen? Sie als Buchhalter?“, höhnte Anderson.

„Ohne meinen Anwalt sage ich überhaupt nichts mehr!“, rief Green verzweifelt.

„Der Anwalt wird Ihnen wenig nützen, wenn ich die Herren Weasley über Ihre teure Freizeitgestaltung informiere und die sich mit Unterstützung der Magischen Strafverfolgung in Ihre Bücher vertiefen!“

„Bitte, Sir… Ich wollte es zurückgeben…“

Anderson grinste. Er hatte ins Blaue gezielt und ins Schwarze getroffen.

„Das sagen sie alle.“

„Bitte nicht, Sir! Ich verliere meine Stellung, ich bin ruiniert, wenn…“

„Nun, Mister Green, ich bin, wie ich schon sagte, kein normaler Auror. Ich kann die Justiz einschalten, ich muss aber nicht. Im Grunde hängt es ganz von Ihrem Verhalten ab.“

In seiner Panik griff Green sofort nach dem Strohhalm: „Bitte, Sir, was muss ich tun?“

„Mir wahrheitsgemäß alles berichten, was in Ihrer Firma vor sich geht.“

„Muss das sein, Sir? Die Weasleys waren immer gut zu mir…“

„Was Sie nicht gehindert hat, ihnen in die Kasse zu greifen“, spottete Anderson. „Aber bitte, wenn Sie nicht wollen…“

„Doch, doch“, beeilte Green sich zu versichern. „Ich werde Ihnen alles sagen, was Sie wissen möchten.“

„Sehr schön. Und versuchen Sie gar nicht erst, mich hinters Licht zu führen. Einige Dinge wissen wir bereits, und daher merke ich auch, wenn Sie mir etwas verschweigen! Wenn Sie das tun, ist Ihre Akte schneller bei der Magischen Strafverfolgung, als Sie brauchen, um ‚Unterschlagung‘ zu sagen!“

„Ich werde Ihnen alles sagen, was ich weiß, Sir.“

„Sehr klug. Nun, hat die Firma in letzter Zeit auffällige Bestellungen aufgegeben?“

„Äh, auffällige Bestellungen, Sir?“

„Spielen Sie nicht den Papagei und langweilen Sie mich nicht!“, donnerte Anderson ihn an. „Ja oder nein?“

„Ja, Sir“, bestätigte der eingeschüchterte Buchhalter. „Neun Feuerblitze. Ich habe Ron Weasley gefragt, wozu wir die brauchen, wir führen doch gar keine Flugbesen, aber Mister Weasley meinte, das sei nicht mein Problem. Er ist in letzter Zeit ziemlich barsch, müssen sie wissen – die Trennung von seiner Frau…“

„Ich weiß“, unterbrach ihn Anderson. „Was noch?“

„Eine ungewöhnlich große Menge an peruanischem Finsternispulver. Wir kaufen das regelmäßig ein, aber diesmal war die Charge doppelt so groß wie sonst. Ich wollte aber nicht mehr fragen.“

Anderson speicherte auch diese Information in seinem Gedächtnis ab.

„Weiter?“

„Sonst nichts, Sir, also keine auffälligen Bestellungen. Aber andere Dinge waren seltsam.“

Anderson hörte es mit Genugtuung. Seine Quelle begann richtig zu sprudeln. „Und zwar?“

„Zwei, wie soll ich sagen, Konferenzen, an denen fast die gesamte Familie Weasley teilnahm.“

„Wann?“

„Eine am 18. Januar und eine gestern, also am 31., und jeweils neun Uhr morgens. Und sie sicherten beide Male die Tür durch einen Imperturbatio-Zauber. Als sie herauskamen, konnte ich aber zumindest sehen, wer dabei war.“

„Wer?“

„Moment, das waren“, – er überlegte –, „Arthur, Molly, Bill, Charlie und Fleur Weasley, dazu natürlich Ron und George Weasley, und Ginny Potter.“

Andersons Gesicht blieb undurchdringlich.

„Konnten Sie irgendetwas von ihrem Gespräch hören?“

„Nein, Sir, die Tür war, wie gesagt, durch einen Zauber geschützt. Ach doch, beim Herauskommen gestern sagte Ginny Potter zu den anderen: ‚Wir sehen uns Mittwoch‘.“

„Wo fanden diese Zusammenkünfte statt?“

„Beide im Büro von Ron Weasley, Sir.“

„Haben Sie Zugang zu diesem Büro?“

„Nicht allein, aber ich bin jeden Montag, Mittwoch und Freitag zur Geschäftsbesprechung dort.“

„Immer zur selben Uhrzeit?“

„Elf Uhr vormittags.“

Anderson lehnte sich zurück und sah zunächst sinnend zur Decke. Dann fixierte wieder er seinen Gesprächspartner.

„Guuuut“, sagte er schließlich gedehnt. „Dann erledigen wir zunächst eine kleine Formalität.“

Anderson schob Green das gleiche Verpflichtungsformular über den Tisch, das auch schon Wilkinson hatte unterschreiben müssen. Green, der keine andere Wahl zu haben glaubte, unterschrieb.

„Na dann“, – Anderson erhob sich und reichte Green die Hand, als hätten sie beide soeben ein Bombengeschäft gemacht –, „auf gute Zusammenarbeit!“

Green sah aus wie jemand, der zu lächeln versucht, nachdem er in eine Zitrone gebissen hat.

„Ja, Sir“, seufzte er schicksalsergeben.

„Ich muss Sie wohl ein wenig motivieren, Green? Also: Wenn Sie Ihren ersten Auftrag ordentlich erledigt haben, wird das Amt sich erkenntlich zeigen.“

„Erkenntlich?“

„Ich glaube, tausend Galleonen wären für den Anfang ein gutes Honorar, finden Sie nicht auch?“

„O ja, Sir, vielen Dank, Sir! Und wie lautet der Auftrag?“

„Hören Sie zu…“

55 – Überfall

Am frühen Nachmittag des folgenden Mittwochs lag Anderson das Ergebnis von Greens erstem Einsatz vor. Ein höchst aufschlussreiches Ergebnis, das aber überhaupt nicht zu dem passte, was er von Wilkinson erfahren hatte. Anderson legte die Fingerspitzen beider Hände aufeinander und dachte konzentriert nach. Dann ließ er Saunders rufen.

„Saunders“, eröffnete er ihm. „Sie werden sich unverzüglich nach Hogwarts begeben und unseren Agenten vor Ort einem Imperiustest unterziehen.“

 

***

 

Es war etwa halb sieben, als Albus sich von den anderen Unbestechlichen und Scorpius verabschiedete, mit denen er zu Abend gegessen hatte.

„Ich gehe noch in den Raum der Wünsche, ich treffe mich dort mit Rose.“

„Soso“, grinste Julian süffisant, „mit Rose allein im Raum der Wünsche…“

„Nicht, was du schon wieder denkst!“, wehrte Albus ärgerlich ab, konnte aber nicht verhindern, dass er rot anlief. „Wir wollen nur allein sein, damit sie von ihren Gryffindors nicht meinetwegen schief angeguckt wird.“

Die Anderen lachten.

„Lass dich doch nicht ärgern, Albus“, sagte Arabella begütigend. „Sag ihr einen schönen Gruß von uns allen.“

„Mach ich“, rief Albus.

„Aber vorher gib mir bitte die Karte des Rumtreibers“, bat ihn Roy. „Ich muss noch einmal in unseren Geheimraum“

Albus gab ihm die Karte und bog dann zur Treppe ab, die nach oben führte, während die Anderen ihren Weg ins Untergeschoss fortsetzten.

Vor dem Raum der Wünsche wartete Rose schon auf ihn. Albus benutzte den Calorate-Zauber, um sich zu vergewissern, dass niemand in der Nähe war, und achtete sorgfältig auch auf kleine Lichtpunkte, die von der geringen Körperwärme von Insekten ausgingen. Wilkinson stand zwar unter Ares‘ Imperiusfluch, aber man konnte ja nie wissen.

Die Luft war rein, die beiden Kinder schlüpften in den Raum der Wünsche, in dem ein großes Sofa dazu einlud, es sich gemütlich zu machen.

„Hier kann man richtig frei atmen“, meinte Rose, während sie sich schwungvoll aufs Sofa warf.

„Ja?“, frotzelte Albus grinsend. „Beunruhigt dich meine Gegenwart denn überhaupt nicht? Immerhin bin ich einer führenden Todesser des Hauses Slytherin!“

Sie kicherte. „Ist doch aufregend!“, hauchte sie kokett. „Ich glaube, selbst wenn du das wärst, würde ich dich … also, an dir sähe so ein schwarzer Todesserumhang bestimmt toooodschick aus!“

Nun begannen sie, ausgelassen um die Wette zu blödeln. Der Raum der Wünsche war wie jenseits dieser Welt. Hier gab es für sie keine verrückt gewordene Hermine, kein Amasi, keine Flüche, kein Askaban, keine Henker. Hier nahmen sie Urlaub von der Wirklichkeit, die Welt war ausgesperrt.

Noch.

 

***

 

Victoire und James wollten den Abend bei Hagrid verbringen, um den ständigen Anfeindungen im Gemeinschaftsraum der Gryffindors zu entgehen.

Hagrid bot Ihnen von seinen selbstgebackenen Keksen an, die sie freundlich dankend ablehnten – Hagrids Koch- und Backkünste waren in Hogwarts berüchtigt, seine Kekse führten den Spitznamen „Panzerplatten“.

„Tja“, sagte der Riese traurig, als er ihnen stattdessen zwei große Krüge Kürbissaft hinstellte, „wer hätte das für möglich gehalten, dass unsere Hermine und unser Harry…“, – er schluchzte und zog ein Taschentuch aus der Tasche, das anderswo als Tischtuch durchgegangen wäre –, „dass sie einmal zu Todfeinden werden würden? Unsere kluge Hermine… was ist nur in sie gefahren?“ Er unterbrach sich mit einem trompetenartigen Schneuzen.

„Ein Fluch“, erwiderte James knapp. „Ein Fluch ist in sie gefahren.“

„Meinst du wirklich?“, fragte Hagrid mit großen verweinten Augen.

„Wir wissen es“, erwiderte Victoire an James‘ Stelle.

„Aber das ist ja furchtbar“, entsetzte sich Hagrid, und seine Augen füllten sich schon wieder mit Tränen. „Dann muss man sie doch retten!“

„Genau das hat mein Vater versucht, es hat ihn nach Askaban gebracht.“

„Ach darum dieser Überfall im Ministerium, ich habe mir schon die ganze Zeit den Kopf darüber zerbrochen, was Harry dort wirklich wollte…“

„Und aus demselben Grund will derjenige, der Hermine kontrolliert, ihn umbringen. Er soll keine Chance haben, sie zu retten.“

„Aber da muss man doch etwas unternehmen…“ murmelte Hagrid.

Victoire versuchte ihn aufzumuntern: „Mach dir keine Sorgen, Hagrid, der Zaubergamot wird nicht von Hermine kontrolliert, sie werden ihn bestimmt freisprechen.“

Dass ihre Familie sich keineswegs auf einen Freispruch verließ, sondern Harrys Befreiung vorbereitete, noch dazu in Zusammenarbeit mit den Unbestechlichen, erwähnte sie lieber nicht. Hagrids Talent, sich im unpassendsten Augenblick zu verplappern, war mindestens so berüchtigt wie seine Panzerplatten. Um ihn abzulenken, fragte sie:

„Hast du nicht ein paar neue magische Geschöpfe in Aussicht?“

Ob der Aussicht, zu seinem Lieblingsthema überzugehen, hellte Hagrids Miene sich sichtlich auf.

„O ja“, strahlte er, „ich habe…“ Er unterbrach sich. „Nanu, warum wird es denn plötzlich so kalt?“

James sprang zu einem der Fenster, die zum Verbotenen Wald zeigten. In der Dämmerung konnte er gerade noch wahrnehmen, dass sich hinter der nahen Grenze des Schulgeländes Gestalten in schwarzen Umhängen unter großen Kapuzen mit seltsam fließenden Bewegungen herumtrieben. Er drehte sich zu den beiden Anderen um, leichenblass.

„Dementoren“, flüsterte er.

 

***

 

„Ich komme gerade aus Askaban“, eröffnete Greengrass zur selben Zeit das Gespräch, nachdem er sich auf Ginnys Sofa niedergelassen hatte, „ich konnte dort endlich mit Ihrem Mann sprechen und soll Ihnen liebe Grüße bestellen. Einen Brief an Sie durfte er mir leider nicht mitgeben, aber er meinte, Sie wüssten auch so ganz genau, was er Ihnen sagen würde.“ Ginny lächelte, der Anwalt auch.

„Erfreulicherweise ist er wohl nicht gefoltert worden“, fügte Greengrass hinzu.

„Ich nehme an, er hat sich an die Linie gehalten, alles zuzugeben, was er sowieso nicht abstreiten kann“, meinte Ginny. „Sie mussten nichts aus ihm herausfoltern. Ich frage mich nur, warum es so lange gedauert hat.“

Man schrieb bereits den 7. Februar, die Verhaftung lag vier Wochen zurück.

„Das ist in der Tat interessant“, meinte Greengrass, „es gibt Gerüchte, wonach es um die Gesundheit der Ministerin nicht zum Besten steht. Angeblich soll sie Kreislaufzusammenbrüche und Migräneattacken erlitten haben und sogar an einem Magengeschwür laborieren. Professor Healman geht, wenn man den Gerüchten glauben darf, im Gästehaus des Ministeriums, in dem sie neuerdings wohnt, praktisch täglich ein und aus.“

Ginny horchte auf. „Beschwerden dieser Art stellen sich oft ein, wenn jemandem etwas auf die Seele schlägt. Das freut mich für Hermine. Es deutet darauf hin, dass ihre Seele noch lebt und sich mit aller Kraft gegen die Pläne des Eindringlings wehrt.“

„Sie glauben wirklich an diesen Fluch?“, fragte der Anwalt zweifelnd.

„Das ist keine Glaubensfrage“, entgegnete Ginny kühl. „Wie lange dauert es noch bis zur Eröffnung des Prozesses?“

„Noch etwa drei Wochen, die Leiterin der Abteilung für Magische Strafverfolgung hat mir zugesichert, mich sofort zu informieren, sobald der genaue Termin feststeht.“

„Wird Susan Bones selbst die Anklage vertreten?“

„Davon ist auszugehen, sie müsste sonst praktisch von ihrem Posten zurücktreten. Sie lässt Ihnen persönlich und vertraulich mitteilen, dass Sie sich auf eine faire Verhandlungsführung verlassen können, soweit es die Anklagebehörde betrifft.“

„Aber nicht, was die Richterin, also Hermine, angeht?“, hakte Ginny nach.

Der Anwalt nickte. „Das hat sie gesagt, indem sie es nicht gesagt hat.“

„Ich wünschte, es wäre schon so weit“, seufzte Ginny, „ich möchte Harry endlich wiedersehen, und sei es nur als Gefangenen vor Gericht.“

Der Anwalt räusperte sich. „Ich fürchte…“ begann er vorsichtig.

„Was?“

„Die Öffentlichkeit ist zum Großteil ausgeschlossen, sie ist praktisch nur in Gestalt des Tagespropheten vertreten. Auch die Angehörigen sind ausgeschlossen.“

„Was?“, rief Ginny. „Und das nennen die eine faire Verhandlungsführung?“

„Miss Bones bedauert es aufrichtig. Es handelt sich um eine direkte Weisung der Ministerin.“

Hermine lässt auch keine Gemeinheit aus“, stellte Ginny finster fest. „Wie stehen unsere Chancen? Ich muss das genau wissen, ich habe alle Vorbereitungen für eine Befreiung Harrys aus Askaban getroffen, und ich weiß nicht, ob uns nach einem eventuellen Schuldspruch noch Zeit dazu bleibt. Wenn wir ihn vorher rausholen, müssten wir zwar für voraussichtlich lange Zeit untertauchen, aber das wäre immer noch besser als… Ich werde die Aktion nur verschieben, wenn ich einigermaßen sicher mit einem Freispruch rechnen kann. Also bitte keine tröstlichen Versprechungen!“

Greengrass schenkte ihr ein siegessicheres Lächeln. „Versprechungen habe ich glücklicherweise nicht nötig. Ich habe gemeinsam mit der Familie Malfoy alle Hebel in Bewegung gesetzt. Sie haben diskret Einfluss genommen, teils auch über Dritte. Der Zaubergamot hat achtundsiebzig Mitglieder, von denen über sechzig, und zwar in Kenntnis der ihren Mann belastenden Fakten, bereits jetzt gewonnen sind. Und was die übrigen angeht, so ist keineswegs gesagt, dass sie für eine Verurteilung stimmen werden.“

„Trotz Hermines Pressekampagne haben Sie eine Mehrheit für einen Freispruch?“, staunte Ginny.

„Die Presse beeinflusst Massen, wir beeinflussen Eliten“, entgegnete der Anwalt selbstbewusst. „In gewisser Hinsicht hat die Kampagne uns sogar in die Hände gespielt. Die Gegenseite hat das Thema so hochgekocht, dass niemand, auch nicht die Mitglieder des Gamots, umhinkam, sich schon jetzt eine Meinung zu bilden. Sie machen sich große Sorgen über die Entwicklung, die der Magische Staat unter der Führung der Ministerin nimmt. Entsprechend offen waren sie für unsere Argumente.“

Ginny zog die Brauen hoch. „Nur für Argumente?“

Der Anwalt grinste verschmitzt. „Bei den meisten genügten Argumente. Bei den wenigen, die sich nicht damit begnügten, haben wir mit zusätzlichen Mitteln Einfluss genommen.“

„Mit welchen Mitteln?“, fragte Ginny.

„Ich glaube“, sagte der Anwalt, und sein Grinsen wurde breiter, „Sie schlafen besser, wenn Sie es nicht so genau wissen.“

In diesem Moment wurde unter ohrenbetäubendem Krachen die Haustür aufgesprengt, und sechs Auroren stürmten schnurstracks ins Wohnzimmer. Ihr Anführer richtete seinen Zauberstab auf die wie gelähmt dasitzende Ginny.

„Magische Sicherheit. Sind Sie Ginevra Molly Potter, geborene Weasley?“

Ginny nickte.

„Sie sind verhaftet!“

 

***

 

„Ah, wie schön, dass Sie kommen konnten, Arthur!“

Cesar Anderson war glänzender Laune, als er Arthur Weasley empfing, als sei dieser ein lieber Freund, der zu einer Party erschien.

Arthur runzelte die Stirn. Mit Anderson hatte er normalerweise nichts zu tun – und wollte er nichts zu tun haben. Er war auch nicht freiwillig in dessen Büro gekommen, sondern aufgrund einer dienstlichen Anordnung.

„Setzen Sie sich doch, mein lieber Arthur“, flötete Anderson, den es offenbar nicht störte, dass er dabei wie ein zweitklassiger Schmierenkomödiant wirkte. „Sie sind doch ein großer Freund von Muggeltechnologie, nicht wahr?“

Arthur nickte leicht verwirrt.

„Dann wird es Sie sicher interessieren, was ich Ihnen zeigen möchte. Sie müssen nämlich wissen, dass das Amt für Magische Sicherheit sich als Speerspitze des technischen Fortschritts der Magischen Welt sieht!“

Er stellte einen Laptop auf den Tisch, klappte ihn auf und ließ ihn hochfahren. Arthurs Interesse war sofort gefesselt.

„Funktioniert der denn hier?“, wunderte er sich. „Wir haben hier doch gar keinen Strom.“

„Die Kollegen vom MI-5 versorgen mich regelmäßig mit frisch aufgeladenen Akkus.“

Arthur Weasley wusste zwar nicht, was das MI-5 war, aber da Anderson ihm offenbar zutraute, es zu wissen, wollte er sich nicht blamieren, und unter einem Akku konnte er sich im Gegensatz zu den meisten Zauberern durchaus etwas vorstellen.

„Ja, aber die Elektronik kann doch in magischer Umgebung gar nicht funktionieren“, wandte er fachmännisch ein.

„Normalerweise nicht“, versetzte Anderson, „aber die Zusammenarbeit zwischen unserer Abteilung für magische Technologie und ihren Muggel-Kollegen beginnt Früchte zu tragen“, – die mit ein paar Fläschchen Vielsaft und Veritaserum weiß Gott nicht überbezahlt sind, dachte er, sagte es aber nicht. „Wir haben Schutzzauber entwickelt, die elektronische Geräte gegen magische Störungen abschirmen. Sie sind noch nicht ganz perfekt, wie Sie gleich sehen werden, aber für diesen Laptop reicht es schon einmal, zumindest im Offline-Modus. Der Betrieb eines WLAN-Netzes und jede Art von Datenfernübertragung sind im Ministerium nach wie vor unmöglich, aber wir arbeiten auch daran.“

Da der Rechner nun betriebsbereit war, zog Anderson einen unsichtbaren Gegenstand aus der Schublade, der sich nach einem „Disinvisibilis“ als gut daumengroßes schwarzes Kunststoffgehäuse herausstellte, das aufsprang, als Anderson einen Federmechanismus betätigte, und den Blick auf ein kleines Gerät freigab, das Muggel vermutlich für einen USB-Stick gehalten hätten, jedenfalls verfügte es über einen entsprechenden Stecker, den Anderson jetzt in den USB-Anschluss seines Rechners einführte.

„Dieses Gerät“, erläuterte er dem fasziniert zusehenden Arthur, „ist durch den gleichen Schutzzauber gesichert wie der Rechner.“

„Und was für ein Gerät ist das?“

„Es dient zur Tonaufzeichnung und funktioniert aufgrund des Schutzzaubers in allen magisch gesicherten Räumlichkeiten, also zum Beispiel hier im Ministerium, mit ein paar Verbesserungen vielleicht auch in Hogwarts, in jedem Fall aber in magisch gesicherten Firmenräumen, also zum Beispiel“, fügte er wie beiläufig hinzu, „bei Weasleys zauberhafte Zauberscherze. Sie hatten sich heute Morgen freigenommen, Arthur?“

„In der Tat“, bestätigte Arthur leise. Er begann zu ahnen, worauf Anderson hinauswollte.

„Ich verstehe“, meinte Anderson scheinbar freundlich, aber mit gehässigem Unterton. „Man will ja auch einmal mit der Familie zusammensein, nicht wahr? Vor allem, wenn ein Familienmitglied in Askaban einsitzt… Schade nur, dass Sie die Zaubereiministerin nicht eingeladen haben, Ihre Schwiegertochter hätte sich für Ihr Gespräch bestimmt brennend interessiert. Macht nichts, wir haben sie ja auch so ins Bild gesetzt.“

Arthur funkelte sein Gegenüber an, ohne dessen Laune allerdings trüben zu können.

„Die Aufzeichnung ist nicht ganz vollständig“, fuhr Anderson fort, „leider sind etliche Stellen durch Rauschen überdeckt – ich sage ja, unsere Schutzzauber sind noch nicht ganz ausgereift –, aber die entscheidende Passage möchte ich Ihnen doch nicht vorenthalten.“

Ein Mausklick, und Arthur hörte aus dem Laptop seine eigene Stimme:

„Nur um den Überblick zu behalten: Wer außer uns acht wird an der Befreiungsaktion noch teilnehmen?“

James und Victoire…“ hörte man Ginny antworten.

„In Askaban sollte niemand eindringen“, wandte George ein, „der keinen Patronuszauber beherrscht.“

„Inzwischen beherrschen sie ihn, sie sind wohl beide sehr talentiert“, erwiderte Ginny.

„Und die Unbestechlichen machen wirklich mit?“ Das war Rons Stimme. „Ich kann immer noch nicht fassen, dass Harry von Slytherins befreit wird.“

Albus ist auch ein Slytherin, und sie sind seine Freunde, sie haben versprochen, ihm zu helfen, und sie werden ihr Wort halten.“

„Und sie können wirklich alle einen Patronus beschwören?“, wollte nun Charlie wissen.

„Alle sechs: Roy und Arabella MacAllister, Lestrange, Macnair, Malagan – und natürlich Albus.“

Albus auch?“, staunte Fleur.

Albus auch.“ Man hörte geradezu, dass Ginny vor Stolz strahlte.

„Und er soll wirklich dabeisein?“, fragte Bill zweifelnd. „Er ist reif für sein Alter, aber trotzdem erst elf.“

„Es geht um seinen Vater, und gegen die Dementoren brauchen wir jeden Patronus…“

Anderson stoppte die Wiedergabe, da die Aufzeichnung von da an wieder durch Rauschen überdeckt wurde.

„Und?“, fragte Arthur Weasley trotzig. „Haben wir gegen irgendein Gesetz verstoßen?“

„Sie planen es.“

„Das ist nicht dasselbe.“

„O doch, das ist dasselbe“, erwiderte Anderson. „Da Sie die aktuelle Rechtslage wohl noch nicht kennen, werde ich Sie darüber aufklären.“

Er zog einen Bogen Pergament aus der Schublade und las vor:

„Notverordnung vom 7. Februar 2018 zur Ergänzung der Notverordnung zum Schutze des Magischen Staates vom 10. Januar 2018:

Als Hochverräter im Sinne der Notverordnung zum Schutze des Magischen Staates gilt, wer es unternimmt, eine Person, die eines der in der obigen Notverordnung genannten Verbrechen begangen hat oder von den zuständigen Behörden eines solchen Verbrechens bezichtigt und deswegen gesucht oder festgehalten wird oder inhaftiert ist, versteckt oder befreit oder in sonstiger Weise dem Zugriff der Behörden entzieht, oder eine solche Tat plant oder dazu anstiftet oder Beihilfe leistet.“

Anderson ließ eine bedeutungsschwangere Pause folgen.

„Auch diese Regelung gilt rückwirkend zum 1. Januar. Ich fürchte, Arthur, Sie und Ihre Familie haben ein Problem.“

 

***

 

Mit einem Satz war Victoire am gegenüberliegenden Fenster, das zur Schule zeigte.

„Kommt her!“, rief sie. „Da fliegen mindestens fünfzig Leute auf Besen Richtung Schule! Auroren, wenn ich es richtig sehe!“

James und Hagrid hasteten zu ihr. Die Auroren teilten ihre Formation: Die größere Gruppe flog zum Hauptportal des Schlosses, sprengte das Portal auf und flog direkt mit den Besen hinein, die kleinere dagegen…

„Die fliegen ja zum Gryffindor-Turm!“, rief James. „Was wollen sie denn dort?“

„Vermutlich uns“, versetzte Victoire düster. „Oder kennst du sonst noch Gryffindors, für die sich die Auroren interessieren könnten? Wir müssen sofort verschwinden!“

„Wie denn?“, schrie James. „Da draußen wimmelt es von Auroren und Dementoren!“

„Hier an der Hütte sind keine Auroren“, erwiderte Victoire bemerkenswert kaltblütig. „Und was die Dementoren betrifft…“

Sie zog ihren Zauberstab.

„Expecto Patronum!“ Sogleich erschien eine silberne Löwin.

Nun fand auch James seine Geistesgegenwart wieder. Er beschwor ebenfalls seinen Patronus, einen Hirsch.

„Tschüss, Hagrid“, rief er noch, dann stürmten beide nach draußen und folgten ihren Patroni zum nahen Verbotenen Wald. In Panik stoben die Dementoren davon.

„Wir müssen sofort disapparieren! Aber zuerst…“ keuchte Victoire. „Die Unbestechlichen sind wahrscheinlich im Slytherin-Gemeinschaftsraum!“, rief sie ihrer Löwin zu. „Du musst sie warnen!“

Mit einem gewaltigen, geschmeidigen Satz machte sich ihr Patronus auf den Weg. Victoire nahm ihren Cousin bei der Hand.

„Wohin sollen wir denn gehen?“, fragte James verzweifelt.

„Vertrau mir“, antwortete Victoire und drehte sich. Im Nu waren beide verschwunden.

 

***

 

Während Arabella, Ares, Julian und Orpheus im Gemeinschaftsraum verschwanden, blieb Scorpius davor stehen, um sich mit Bernie zu unterhalten, der ihm mit seinem Besen entgegenkam, weil er trotz der einbrechenden Dunkelheit noch ein wenig fliegen wollte. Da sie es beide nicht eilig hatten, kamen sie ins Quatschen und fachsimpelten über Slytherins Chancen beim nächsten Quidditchmatch gegen die Ravenclaws, das am kommenden Samstag stattfinden sollte. Seit er selbst fliegen konnte, war Bernie zum Quidditchfan und -fachmann geworden. Insgeheim träumte er davon, eines Tages für die Slytherin-Hausmannschaft aufgestellt zu werden.

Ihre angeregte Diskussion wurde jäh unterbrochen, als rund zwei Dutzend Auroren, erkennbar an ihren blauen Umhängen, auf ihren Besen angeschossen kamen und vor der Tür des Slytherin-Raums absprangen.

„Ihr zwei da!“, rief barsch einer der Auroren, der wohl den Einsatz leitete. „Seid ihr Slytherins?“

Als die beiden Jungs erschrocken nickten, wies der Auror mit seinem Zauberstab auf Cassiopeia und kommandierte:

„Aufmachen!“

„Mit Verlaub, Sir“, erwiderte Scorpius höflich, während Bernie sich diskret mit seinem Besen verdrückte, „das darf ich nicht.“

„Du darfst nicht nur, ich befehle es dir!“, brüllte der Auror ihn an.

„Verzeihung, Sir“, antwortete Scorpius kaltblütig, obwohl seine Knie zitterten, „es ist verboten, unbefugten Personen Zutritt zum Gemeinschaftsraum zu gewähren.“

In diesem Moment registrierte er etwas Helles, Silbernes, das blitzartig an ihnen vorbeischoss und durch den verschlossenen Eingang im Gemeinschaftsraum zu verschwinden schien. Der Auror, ganz auf Scorpius konzentriert, schien es nicht zu beachten.

„Junge, du weißt wohl nicht, wen du vor dir hast?“, brüllte er noch lauter.

„In der Tat, Sir, Sie haben sich bisher nicht vorgestellt“, erwiderte Scorpius, der den Patronus als solchen erkannt hatte und Zeit zu schinden versuchte.  „Gestatten Sie aber bitte, dass ich es tue.“ Er machte eine leichte Verbeugung. „Scorpius Malfoy, Slytherin-Schüler.“

„Saunders, Magische Sicherheit!“, schnauzte der Auror ihn an. „Und jetzt machst du auf, sonst öffne ich selbst mit einem Sprengzauber!“

„Sir, diese Steinplatte hat einem Magischen Feuer widerstanden, ich glaube nicht, dass Sie sie sprengen können.“

„Dann belege ich dich mit dem Imperius!“, drohte Saunders und richtete seinen Zauberstab auf Scorpius.

„Es würde vollkommen genügen, wenn Sie Ihre Berechtigung nachweisen, das heißt sich ausweisen und Ihren Durchsuchungsbefehl vorzeigen würden.“

 

Während Scorpius draußen um Sekunden kämpfte, sprangen alle Slytherins im Gemeinschaftsraum aus ihren Sesseln hoch, als Victoires silbern strahlende Löwin durch den verschlossenen Eingang sprang und vor dem Tisch der Unbestechlichen geschmeidig federnd auf ihren vier Tatzen zum Stehen kam.

„Mehrere Dutzend Auroren sind in die Schule eingedrungen“, rief die Löwin mit heller Stimme. „Das Gelände ist von Dementoren umstellt! Sieht nach einer Razzia aus! Ihr müsst sofort verschwinden!“

Die Erscheinung löste sich auf. Während ihre Mitschüler verwirrt dreinblickten, zogen die Unbestechlichen ihre Zauberstäbe.

„Sofort unsichtbar machen und ab in den Geheimraum“, raunte Ares den Anderen zu. „Falls wir auf Auroren treffen, mit Schockzaubern ausschalten!“

Die vier machten sich unsichtbar und stürmten zur Tür, Ares voran.

 

Scorpius‘ Idee, Saunders auf ein korrektes Vorgehen festzunageln, war an sich goldrichtig. Saunders war noch von Harry ausgebildet worden – er konnte nicht anders: Er zückte seinen Ausweis und kramte nach dem Durchsuchungsbefehl, als die Tür zum Gemeinschaftsraum von innen aufgerissen wurde.

Stupor!“, rief jemand. Der Schockzauber prallte an Saunders‘ magischer Schutzweste ab, aber der rote Schockblitz hatte Ares‘ Position verraten. Saunders reagierte sofort:

„Stupor!“

Man hörte Ares in der Tür zu Boden gehen. Der Auror sprang neben die Tür, zog eine Blendgranate – ein Geschenk des MI-5 – und schleuderte sie in den Gemeinschaftsraum, wo der grelle Blitz jeden Anwesenden für mehrere Sekunden lähmte. Saunders feuerte eine Serie Disinvisibilis-Zauber fächerförmig in den Gemeinschaftsraum – und zwar stumm, weil man Zaubersprüche schneller denken als aussprechen kann –, und streckte Arabella, Julian und Orpheus mit Schockzaubern nieder, als sie sichtbar wurden.

Saunders sah in Dutzende schreckensstarre Schülergesichter. Nach einem kurzen Blick auf die reglos am Boden liegenden Unbestechlichen rief er in den Raum:

„Wo sind MacAllister und Potter?“

Patricia fasste sich als erste.

„Wir wissen es nicht, Sir!“

Saunders fixierte sie scharf: „Sie wollen es nicht sagen, was?“

„Das steht nicht zur Debatte, Sir. Wir können es nicht sagen, weil wir es nicht wissen! Ich kann Ihnen aber versichern, dass ich dafür sorgen werde, dass der Abteilungsleiter für Hogwarts-Angelegenheiten – zufällig mein Großvater – Ihr skandalöses Verhalten der Ministerin persönlich melden wird!“

„Tun Sie das ruhig“, grinste Saunders, „Sie sichern mir damit einen Orden.“

Er wandte sich einigen seiner Leute zu: „Sie fesseln die vier und schaffen sie vom Gelände. Von dort aus sofort nach Askaban. Die anderen durchsuchen die Räume.“

Mit „Incarcerus“ wurden die Gefangenen gefesselt und hinausgebracht. Als die Auroren sie über ihre Besen legten wie über Eselsrücken und sie dort nochmals festbanden, hörte Saunders eine vertraute Stimme donnern:

„Was geht hier vor?“

McGonagall saß hinter Bernie, der sie alarmiert hatte, auf dessen Muggelbesen. Sie sprang ab – bemerkenswert leichtfüßig für ihr hohes Alter – und schnauzte Saunders wutschäumend an:

„Saunders, sind Sie der Einsatzleiter hier?“

„Jawoll, Frau Professor!“

Der bisher so selbstbewusste Auror schien plötzlich zu schrumpfen. Wie die meisten Auroren war er ein Gryffindor, und obwohl er längst erwachsen war, war McGonagall für ihn, wie für alle Ehemaligen, immer noch eine Respektsperson.

„Was tun Sie hier?“

„Wir vollstrecken Haftbefehle, Madam!“

„Gegen wen?“

„Gegen…“ Er räusperte sich. „Roy und Arabella MacAllister, Julian Lestrange, Orpheus Malagan, Ares Macnair, Albus und James Potter und Victoire Weasley. Diese beiden werden gerade im Gryffindor-Turm festgenommen. Nach Roy MacAllister und Albus Potter wird noch gesucht.“

„Saunders, sind Sie von allen guten Geistern verlassen? Sie sind hier in HOGWARTS! Ohne meine Genehmigung dürfen Sie das Gelände nicht einmal betreten, geschweige denn Haftbefehle vollstrecken!“

„Sie irren sich, Frau Professor. Ich darf das nicht nur, ich muss es sogar!“ Saunders straffte sich. Vor McGonagall hatte er einen Heidenrespekt, aber vor Hermine hatte er Angst. „Die neueste Notverordnung der Ministerin lässt mir keinen Spielraum.“

Die Schulleiterin funkelte ihn an: „Natürlich! Wieder einmal eine dieser famosen Notverordnungen! Und auf die Idee, einen solchen Befehl nicht auszuführen, kommen sie gar nicht, was?“

„Aus welchem Grund sollte ich?“

„Aus tausend Gründen!“, donnerte McGonagall. „Allein schon, weil die Ministerin übergeschnappt ist! Sie lässt ihre halbe Familie verhaften!“

„Sie irren sich schon wieder, Ma’am“, erwiderte Saunders, der sich diesmal ein Grinsen nicht verkneifen konnte. „Sie lässt ihre ganze Familie verhaften. Mit Ausnahme ihrer Tochter Rose und natürlich von Percy Weasley.“

Er gab den Auroren, die schon auf ihren Besen saßen, einen Wink, und sie flogen mitsamt den Gefangenen davon.

Niemand achtete darauf, dass Scorpius und Bernie sich unauffällig entfernten, dann auf Bernies Besen sprangen und das Weite suchten.

„Das wird Sie Ihre Stellung kosten, Saunders.“

„Das bezweifle ich, Frau Professor. Es würde mich meine Stellung kosten, wenn ich es nicht täte.“

Die Auroren, die die Slytherin-Räume durchsucht hatten, traten nun ebenfalls auf den Gang.

„Nichts, Sir. Potter und MacAllister müssen woanders sein.“

„Durchsuchen Sie das gesamte Gebäude!“

„Haben Sie überhaupt einen Durchsuchungsbefehl?“, herrschte MacGonagall ihn an.

„Selbstverständlich, Madam. Ausgestellt vom Leiter des Amtes für Magische Sicherheit, bestätigt von der Abteilung für Magische Strafverfolgung, gegengezeichnet von der Ministerin persönlich. Genügt das?“

 

***

 

Nichts von alldem ahnend, grübelte Roy in seinem Labor über ein paar Spiegeln, die er zu Zauberspiegeln umbauen wollte. An sich waren Zauberspiegel, mit deren Hilfe zwei Personen miteinander Kontakt halten konnten, nichts Neues. Roy aber verfolgte die Idee, nicht nur je zwei Spiegel auf magische Weise fest miteinander zu verknüpfen, sondern es den Benutzern freizustellen, zu welchem Spiegel sie Kontakt aufnehmen wollten. Es ging ihm also praktisch darum, magische Handys für Videotelefonate zu entwickeln. Es war knifflig, aber die Methode, die er im Sinn hatte, schien ihm vielversprechend zu sein.

Roy hasste es, bei solchen Arbeiten gestört zu werden, und so drehte er sich äußerst unwirsch um, als er hinter sich die Wand sich öffnen hörte. Reflexartig griff er nach seinem Zauberstab, ließ ihn aber sinken.

Scorpius!“, raunzte er, während Scorpius die Wand hinter sich und Bernie wieder schloss. „Was tust du hier? Und wie kommst du dazu, Bernie mitzubringen? Du weißt genau, dass unser Geheimraum…“

„Keine Zeit jetzt!“, unterbrach ihn Scorpius. „Die Auroren haben alle Unbestechlichen verhaftet! Außerdem vermutlich James und Victoire. Nur nach dir und Albus suchen sie noch.“

„Alle Unbe…“ Roy wurde kreidebleich. „Auch Arabella?“

„Auch Arabella, leider“, erwiderte Scorpius leise.

Roy sprang auf und wollte hinausstürmen, doch Scorpius und Bernie warfen sich ihm in den Weg und versuchten ihn festzuhalten.

„Roy, das hat keinen Sinn!“, schrie Scorpius verzweifelt. „Sie haben sie schon auf ihren Besen vom Gelände geschafft und haben Befehl, sie sofort nach Askaban zu bringen, ich hab’s gehört! Du kannst Arabella nicht helfen, du läufst ihnen nur ins offene Messer!“

Sie keuchten, als Roy innehielt. Den stämmigen Teenager festzuhalten war für die beiden zierlichen Erstklässler ein echter Kraftakt gewesen.

Askaban…“ flüsterte Roy. Er zitterte.

Scorpius fuhr fort: „Eine Riesenmeute Auroren sucht im ganzen Haus nach dir und Albus. Ich schlage vor, ich gehe zum Raum der Wünsche und…“

„Nein“, sagte Roy, der seine Geistesgegenwart langsam wiedergewann. „Das machen wir anders.“

 

***

 

„Was habt ihr in eurer Gruppe außer Schockzaubern eigentlich noch so geübt?“, wollte Rose wissen.

„Alles Mögliche“, meinte Albus. „Unsichtbarkeitszauber, Apparieren, Gedächtniszauber…“

Apparieren? Und Gedächtniszauber?“, fragte sie ungläubig. „Das ist doch schon UTZ-Niveau!“

„Ja“, bestätigte Albus nicht ohne Stolz.

„Und da konntest du mit den Anderen mithalten? Die sind doch viel älter als du!“

„Alles eine Frage des Talents. Na gut, ich brauchte länger als die Anderen und musste viel mehr üben. Aber geschafft habe ich sie am Ende alle, und den Patronus hatte ich sogar als Erster!“

„Patronus?“ Rose sah ihn zweifelnd an. Wahrscheinlich überlegte sie, ob er sie wohl gerade auf den Arm nahm.

Der Versuchung, seine Freundin zu beeindrucken, konnte Albus nicht widerstehen.

„Patronus“, bestätigte er betont lässig und zog seinen Zauberstab. „Expecto Patronum!

Ein spitzer Schrei entfuhr Rose, als Albus‘ Schlange sich auf dem Boden ringelte und dabei den ganzen Raum der Wünsche erhellte.

Als Albus den Blick bemerkte, den sie ihm zuwarf, schnurrte es in ihm behaglich. Jetzt cool bleiben, immer so tun, als sei es das Normalste der Welt…

Noch bevor Albus jedoch Roses Bewunderung ganz auskosten konnte, erschien ein zweiter Patronus.

Ein Bär.

„Arabella, Julian, Orpheus und Ares sind verhaftet worden, James und Victoire wahrscheinlich auch. Nach uns beiden wird gefahndet. Wir müssen sofort verschwinden! Geh nicht durchs Haus, es wimmelt überall von Auroren. Bitte den Raum der Wünsche, dir einen Ausgang direkt in unseren Geheimraum zu öffnen. Verlier keine Zeit!“

Der Bär verschwand. Nach einer Schrecksekunde ließ auch Albus seine Kobra verschwinden und rief laut und konzentriert:

„Ich wünsche mir einen Ausgang zum Geheimraum der Unbestechlichen!“

Sogleich öffnete sich eine Wand. Albus und Rose schlüpften hindurch und sahen sich Roy, Scorpius und Bernie gegenüber.

„Wie kann das sein?“, fragte Albus.

„Es war eine Art Überfall“, antwortete Scorpius. „Ich habe es gesehen, unsere Freunde hatten keine Chance. Und ich muss dir noch etwas sagen, Al…“ Scorpius Stimme war fast nur noch ein Flüstern.

„Was denn, um Gotteswillen?“

„Der Chef dieser Auroren hat erwähnt, dass Hermine ihre ganze Familie hat verhaften lassen, Alle außer Rose und Percy Weasley. Das heißt wahrscheinlich…“

Albus sank auf eines der Sitzkissen. „…dass meine Mama auch verhaftet wurde.“

Das betretene Schweigen wurde von Roy unterbrochen:

„Schick ihr deinen Patronus, vielleicht ist es noch nicht zu spät. Sie soll sofort herkommen.“

Albus beschwor sofort wieder seinen Patronus – und trotz der Sorge um seine Mutter konnte er es nicht lassen, erneut nach Roses Reaktion zu schielen – und schickte ihn los.

In der Zwischenzeit begann Roy, in fliegender Hast die kostbaren Feuerblitze, die Vorräte an Vielsafttrank und magischen Retardkapseln, das Finsternispulver und die dazugehörigen Schleudern, die Lagepläne von Askaban, die Wasseruhren mit der Aufzeichnung von Hermines Monolog und dem Schlüssel zur Kammer des Schreckens und sogar die Spiegel zu verkleinern und einzustecken, mit denen er zu experimentieren begonnen hatte – wer weiß, dachte er, wozu sie noch gut sind. Dann verkleinerte er eine Reihe von Büchern, allen voran natürlich das Sulphangel-Buch, steckte sie mitsamt einigen Papieren, die Harry sicherheitshalber hier hinterlegt hatte, ebenfalls ein und hängte sich die Tasche mit den Basilisken-Giftzähnen um. Als er alles Wichtige beisammen zu haben glaubte, ließ er die übrigen Überreste seines Labors und die gesamte Einrichtung des Geheimraums einschließlich der Sitzkissen und sogar sämtliche Fingerabdrücke magisch verschwinden. Wenn die Auroren den Raum aufspüren sollten, sollte nichts eine Verbindung mit den Unbestechlichen, Harry oder Ginny beweisen können.

All dies zusammen hatte kaum zwei Minuten gedauert, und der Raum war im wahrsten Sinne des Wortes besenrein, als Albus‘ Kobra wieder auftauchte:

„Ich kam zu spät“, sagte der Patronus zu Albus. „Deine Mutter ist verhaftet worden.“

Der Patronus verschwand.

„Schlecht“, meinte Roy, „aber so wissen wir wenigstens Bescheid. Wir müssen weg hier, in Hogwarts sind wir nicht mehr sicher und auch nicht mehr handlungsfähig, außerdem fürchte ich, dass die Auroren diesen Raum finden werden, wenn sie es darauf anlegen. Scorpius, wird deine Familie uns Unterschlupf gewähren?“

Scorpius warf sich in die Brust. „Selbstverständlich. Und ihr könnt direkt in der Empfangshalle des Manors apparieren.“

„Gut, vielen Dank. Albus, wir disapparieren sofort, aber schau zuerst auf der Karte des Rumtreibers nach, ob unsere Freunde ungesehen hier herauskommen.“

„Moment mal!“, warf Rose ein und sah Albus entschlossen an. „Ich komme mit dir!“

„Ich komme auch mit“, riefen Scorpius und Bernie gleichzeitig.

Albus konzentrierte sich auf seine Freundin: „Rose, es wird gefährlich…“

„Na und? Wie oft haben wir einander gesagt, dass wir Freunde sind? Jetzt gilt es, oder es ist nichts wert!“

In diesem Moment sah Albus sie anders als bisher, denn jetzt blitzte in ihrem Blick jenes stählerne Etwas auf, das er an seiner Mutter kennengelernt hatte. Noch mehr als seiner Mutter ähnelte sie freilich plötzlich ihrer eigenen. Noch nie war ihm ihre Ähnlichkeit mit Hermine so aufgefallen, noch nie ihm so bewusst gewesen, wie sehr ihm das gefiel…

Roy unterbrach seine Gedanken, denn er wurde barsch: „Rose, red nicht solchen Unsinn! Freundschaft beweist sich nicht an solchen Wahnsinnsentschlüssen. Der einzige Erstklässler, den ich jetzt brauchen kann, ist Al! Ihr anderen bleibt hier!“

„Roy“, wandte Albus vorsichtig ein, ohne seinen Blick von Rose zu wenden. „Von den sechzehn Personen, die für die Befreiung meines Vaters vorgesehen waren, sind nur wir beide noch auf freiem Fuß. Wir brauchen jede Hilfe, die wir bekommen können!“

„Ja, aber nicht von Elfjährigen, von denen einer nicht einmal zaubern kann!“

„Das Alter“, gab Scorpius zu bedenken, „können wir mit Alterungstrank ändern, und für Bernie gibt es Zauberkraftverstärker!“

„Außerdem bin auch ich erst elf“, fügte Albus hinzu.

„Das ist etwas ganz Anderes, es geht um deinen Vater!“

„Es geht auch um meine Mutter!“, warf Rose ein.

„Eben“, konterte Roy. „Wenn wir dich mitnehmen, wird Hermine behaupten, wir hätten ihre Tochter entführt, und den Sohn des Muggelpremiers gleich mit…“

„Roy“, fiel ihm Albus ins Wort, der inzwischen die Karte des Rumtreibers herausgezogen hatte, „die Auroren sind schon hier im Seitengang!“

In der Tat konnte man die Auroren jetzt hören, die einen Raum nach dem anderen öffneten und an den Wänden entlanggingen, als suchten sie mit ihren Zauberstäben nach Hohlräumen.

„Nimm sie alle mit, Roy“, flehte Albus. „Zurückschicken kannst du sie immer noch!“

Zeit zu überlegen blieb nicht mehr. „Bernie, Scorpius, haltet euch an mir fest, Rose, du gehst mit Albus!“ Lieber Gott, mach, dass das die richtige Entscheidung ist!

Einen Moment später waren sie disappariert.