Am 15. April 2018 erschien das folgende Interview mit dem Autor auf PI:
PI-NEWS: Herr Kleine-Hartlage, Fanfiction zu schreiben ist für einen politischen Analytiker und Sachbuchautor auf den ersten Blick nicht gerade eine naheliegende Idee. Wie sind Sie darauf gekommen?
Rowling hat aber doch eine Fortsetzung veröffentlicht…
Sie meinen das Theaterstück „Harry Potter und das verwunschene Kind“. Nun ja, dieses Stück steht aber merkwürdig beziehungslos neben der Romanreihe, in der die Autorin doch etliche Themen angerissen, Fäden angesponnen und Fragen offengelassen hat, die im Stück nicht mehr aufgegriffen werden. Ich fand es etwas unbefriedigend und dachte: Wozu bin ich Schriftsteller? Ich schreibe mir meine Fortsetzung einfach selber. Ich erhebe ja nicht den Anspruch, die offizielle Fortsetzung zu schreiben, meine Geschichte ist nur ein Vorschlag, wie es weitergegangen sein könnte.
„Harry Potter“ ist aber ein vergleichsweise unpolitischer Stoff, also nichts, wovon man erwarten würde, dass es einen wie Sie reizt.
So unpolitisch ist er gar nicht. Indem Rowling die sogenannten Todesser als Gegenspieler und Gefahr auftreten lässt, die nach dem Vorbild der Nationalsozialisten gestaltet sind und eine quasi rassistische Politik gegen Nichtmagier verfolgen, sendet sie eine explizite ideologische Botschaft…
…die aber nicht Ihre Botschaft ist, eher eine für Gutmenschen und Linke, sozusagen ein literarischer Beitrag zum „Kampf gegen Rechts“. Mussten Sie die Tendenz der Romane nicht gewaltsam ins Gegenteil verkehren, um diese Geschichte fortzusetzen und sich trotzdem selber treu zu bleiben?
Musste ich eben nicht, und das ist das, was mich so unwiderstehlich gereizt hat. Die Harry-Potter-Reihe ist ihrer impliziten Werthaltung nach so konservativ, dass sie der expliziten linksliberalen Botschaft geradezu ins Gesicht schlägt.
Was meinen Sie damit?
Damit meine ich zum Beispiel die Darstellung der Familie Weasley, eine einzige Hommage an das klassische Familienideal, ich meine Harrys Identitätsfindung durch die Identifikation mit seinen längst toten leiblichen Eltern (die skandalöserweise heterosexuell und sogar miteinander verheiratet waren), vor allem seinem Vater. Ich meine die unzähligen Spannungen zwischen Zauberern, Kobolden, Zentauren, Riesen und so weiter, die in den angeborenen Kollektividentitäten und -mentalitäten dieser Völker wurzeln – also in etwas, was es in der rosaroten Gutmenschenwelt eigentlich gar nicht geben darf –, und vieles mehr. Implizite und explizite Botschaft widersprechen einander, daher konnte ich die Geschichte gemäß ihrer eigenen Logik fortsetzen, ohne sie mit linker Ideologie zu befrachten.
Und wie setzen Sie sie fort?
Rowling hat eine magische Welt konzipiert, die auch romanintern nur dadurch funktioniert, dass sie sich gegen ihre nichtmagische Umwelt abgrenzt. Logisch ist also ein Plot, bei dem die Zerstörung der magischen Welt durch ihre Verschmelzung mit der sogenannten Muggelwelt droht, also mit der Welt von uns nichtmagischen Menschen. In meiner Geschichte, die in der Jetztzeit spielt, treibt die inzwischen erwachsene Hermine als Zaubereiministerin eine Politik der „Öffnung zur nichtmagischen Welt“ und setzt sie mit wachsender Skrupellosigkeit durch…
Hermine als eine der Bösen? Passt das noch zur Originalreihe?
Ich habe darauf geachtet, dass mein Roman nahtlos an Rowlings Zyklus anschließt, und dazu gehört auch, ihre Charaktere nicht zu entstellen. Hermine ist nicht böse, auch in meiner Geschichte nicht. Sie tut nur Böses. Sie tut es zum einen, weil ihre von Rowling angelegten problematischen Charakterzüge, etwa ihr Hang zur Bevormundung Anderer, bei der erwachsenen Politikerin zur vollen Entfaltung kommen, zum anderen, weil sie von einem Schwarzen Magier manipuliert wird, der diese Züge zynisch ausnutzt und sie zu einer zunehmend diktatorischen Politik verleitet. Manche ihrer Methoden dürften den feuchten Träumen von Heiko Maas und Konsorten entsprechen…
Also doch ein politischer Roman?
Man kann ihn als politische Parabel lesen, wenn man will, man muss aber nicht. Ich bin kein Freund einer Literatur des erhobenen Zeigefingers, die den Leser indoktriniert. Mir ging es darum, einfach eine gute Geschichte zu schreiben, die ihn packt und bis zur letzten Zeile nicht mehr loslässt. Den Kommentaren der bisherigen Leser zufolge ist mir das auch gelungen, und denen waren die politischen Aspekte ziemlich egal…
Sie haben die Geschichte schon einmal veröffentlicht, aber darauf kommen wir gleich. Wenn es nicht in erster Linie um Politik geht, worum dann?
Der Roman heißt „Die Unbestechlichen“. Damit ist zunächst eine Gruppe von Slytherin-Schülern gemeint, die sich so nennt und gegen das Zaubereiministerium opponiert, es umreißt aber auch das Thema, das in verschiedensten Zusammenhängen immer wiederkehrt und sich als Roter Faden durch die ganze Geschichte zieht: Es geht also um Unbestechlichkeit im weitesten Sinne, um Authentizität, um Rückgrat, darum, sich und Andere nicht zu verraten – nicht nur in politischen Zusammenhängen, sondern auch in Freundschaft und Liebe und überhaupt im Leben. Das kann ziemlich kompliziert sein: So müssen zum Beispiel Harry Potters zweitgeborener elfjähriger Sohn Albus – der seine Tante Hermine vergöttert, zugleich aber mit den „Unbestechlichen“ befreundet ist – und auch Harry selbst erkennen, dass sie ihrer Freundschaft zu Hermine nur treu bleiben können, indem sie sich ihre Feindschaft zuziehen.
„Slytherin“, „Zaubereiministerium“, „Harry“, „Hermine“ – kann man die Geschichte eigentlich verstehen, ohne die Harry-Potter-Romane gelesen oder wenigstens die Filme gesehen zu haben?
Ja, kann man. Und um ganz sicherzugehen, dass der Leser notfalls nachschlagen kann, habe ich die einschlägigen Namen und Begriffe mit den entsprechenden Artikeln in einem Harry-Potter-Fanwiki verlinkt. Bestimmte Aspekte (etwa, dass die Geschichte aus der Sicht der Slytherins erzählt wird, die in Rowlings Zyklus die Bösen sind) sind freilich besonders reizvoll für Leser, die mit der Vorgeschichte vertraut sind. Ich kann also jedem nur raten, auch die Originalreihe zu lesen.
Ähnelt Ihre Erzählweise eigentlich der von Rowling, oder müssen altgediente Harry-Potter-Fans sich auf eine ganz andere Wellenlänge einstellen?
Ich habe mir einiges von ihr abgeschaut, zum Beispiel die Mischung von Elementen aus verschiedenen Genres oder den ständigen Wechsel von spannenden, witzigen, traurigen, gruseligen und romantischen Passagen. Trotzdem hat meine Geschichte einen anderen – wenn Sie so wollen: rockigeren – Sound, weil sie nicht als Kinderbuch konzipiert ist. Fünfzehn, sechzehn sollte man mindestens sein, um „Die Unbestechlichen“ mit Gewinn zu lesen. Auch der Genremix ist etwas anders als bei Rowling – meine Geschichte ist – vor allem zum Ende hin – stärker mit Elementen aus Polit- und Agententhrillern angereichert.
Sie haben die Geschichte unter dem Pseudonym „Fermand“ schon einmal auf der Website fanfiktion.de veröffentlicht. Warum lancieren Sie sie jetzt noch einmal?
Auf einer eigenen Website habe ich mehr Möglichkeiten, zum Beispiel das Youtube-Video einzubinden, auf dem ich die Geschichte vorlese, automatische Verlinkungen vorzunehmen und so weiter. Außerdem musste ich feststellen, dass nur ein Bruchteil der Harry-Potter-Fangemeinde auf Fanfiction-Seiten surft, sodass viele gar nicht erst die Chance haben, auf die Geschichte zu stoßen. Ich wollte einfach ein breiteres Publikum erreichen.
Kann man die Geschichte auch herunterladen?
Als PDF sofort, als eBook und Hörbuch in absehbarer Zeit.
Und das ist kostenlos?
Selbstverständlich. Die Urheberrechte für den Harry-Potter-Stoff liegen bei J.K. Rowling, und die möchte verständlicherweise nicht, dass andere Autoren damit Geschäfte machen. Ich verdiene keinen Cent daran.
Ist das nicht frustrierend?
Ach was, der Spaß war’s mir wert.
Vielen Dank für das Gespräch.