61 – Der Prozess

 

Für Harry war es ein Déjà-vu: Hermine hatte für die Verhandlung just den Gerichtssaal ausgesucht, in dem er selbst schon einmal als Fünfzehnjähriger angeklagt gewesen war, denselben – und auch das wusste sie –, den er aus Dumbledores Denkarium kannte, in dem er gesehen hatte, wie die Lestranges vor langer Zeit zu lebenslanger Haft in Askaban verurteilt worden waren. Ein finsterer Raum, ausgekleidet mit fast schwarzem Stein. Auch heute würde er einer parteiischen Richterin gegenübersitzen.

Harry, den die Dementoren per Portschlüssel hierher gebracht hatten, wurde gezwungen, auf dem Stuhl des Angeklagten Platz zu nehmen, dessen Ketten sich sofort um seine Arme und Beine schlangen und ihm jede Bewegung unmöglich machten. Dann zogen die Dementoren sich einige Meter zurück. Jetzt erst durfte sein Anwalt zu ihm:

„Ich will Ihnen nichts vormachen, Harry“, flüsterte Greengrass. „Die Ministerin hat den Zaubergamot mit ihren Anhängern aufgefüllt. Das muss noch nichts heißen, nicht Alle sind Fanatiker, die meisten sind Gryffindors und daher nicht unbedingt gegen Sie, manche wird man durch Argumente beeinflussen können, und auf viele kann man über geeignete Kanäle Einfluss nehmen, aber das dauert seine Zeit. Meine Strategie wird daher darin bestehen, den Prozess so lange wie möglich hinzuziehen. Ich weiß, dass das für Sie eine schwere Nervenbelastung ist…“

„Machen Sie sich um meine Nerven keine Gedanken, Greengrass, ich vertraue Ihnen“, flüsterte Harry zurück. „Wissen Sie, wie es meiner Familie geht?“

Ginny und Lily sind mit den anderen Weasleys nach wie vor im Fuchsbau interniert“, antwortete der Anwalt, während die Sitzreihen für die Mitglieder des Zaubergamots sich allmählich füllten, „ich gehe davon aus, dass die Ministerin ihr Versprechen halten wird, Percy Weasleys Blutsverwandte zu schonen. James, Albus, Rose und Victoire sind immer noch mit Roy im Untergrund.“

Nun führte der Anwalt seinen Mund an Harrys Ohr, um ganz sicher zu sein, dass niemand es hören konnte: „Er bereitet Ihre gewaltsame Befreiung vor, für den Fall, dass man Sie verurteilen sollte, und ich glaube, er wird es schaffen. Seien Sie also unbesorgt, selbst wenn wir hier verlieren sollten, was ich immer noch nicht glaube, haben Sie noch einen Trumpf in der Hand.“

Harry nickte befriedigt. Roy wird es schaffen! dachte er.

Er sah Susan Bones den Saal betreten und schnurstracks, ohne aufzublicken, zum Stuhl der Anklägerin gehen, der diesmal seitlich versetzt zum Richtertisch stand, sodass die Richterin und die Anklägerin Blickkontakt halten konnten. Susan war so blass, dass man hätte meinen können, sie selbst sei die Angeklagte. Nachdem sie sich gesetzt hatte, blätterte sie zerstreut in ihren Papieren, ohne sie zu lesen. Sie vermied es, Harry anzusehen. Die 234 Mitglieder des Zaubergamots waren inzwischen vollzählig versammelt.

Der Nächste, der den Saal betrat, war Percy, der an der Tür stehenblieb und anscheinend auf Hermine wartete. Wie schon damals, vor über zwanzig Jahren, würde er Schriftführer sein. Auch Percy fühlte sich in seiner Haut erkennbar unwohl, auch er sah Harry nicht an. Harry hatte Mitleid mit ihm, denn Percy war nicht weniger Hermines Gefangener als er selbst. Und ich glaube, dachte Harry, er ist schlimmer dran als ich.

Als das Klacken von Pfennigabsätzen Hermines Erscheinen ankündigte, rief Percy: „Die Ehrenwerte Richterin Hermine Granger. Bitte erheben Sie sich.“

Alle außer Harry, der nach wie vor an seinen Stuhl gefesselt war, standen auf. Hermine betrat den Saal, und im Nu schien es kälter zu werden. Auch sie wirkte blass und sogar abgemagert, aber in ihren Augen glühte ein Fanatismus, den Harry noch nie an ihr gesehen hatte, nicht einmal in den letzten Monaten. Es war, als würde nur dieser eiserne Wille ihr die Kraft geben, den rebellierenden Körper zu bezwingen.

Nach den üblichen Formalitäten forderte die Ministerin Susan Bones auf, die Anklage zu verlesen.

Susan stand langsam auf, nahm umständlich das vorbereitete Pergament vom Tisch und begann undeutlich zu sprechen:

„Dem Angeklagten Harry James Potter…“

„Lauter, Anklägerin!“, fiel Hermine ihrer Abteilungsleiterin missbilligend ins Wort. „Zur korrekten Verlesung der Anklageschrift gehört, dass alle Beteiligten sie verstehen müssen!“ Susan räusperte sich:

„Verzeihung, Euer Ehren“, sagte sie nun laut und deutlich. „Dem Angeklagten Harry James Potter, geboren am 31. Juli 1980 in Godrics Hollow, wird Folgendes zur Last gelegt: Am Morgen des 10. Januar 2018 gegen 7.30 Uhr drang der Angeklagte unter dem Schutz eines Tarnumhangs und unter Missachtung des für ihn geltenden Hausverbots unerlaubt und unkontrolliert in das Gebäude des Zaubereiministeriums und in das Büro der Ministerin Hermine Granger ein. Der Angeklagte hatte zu diesem Zeitpunkt mit Hilfe von Vielsafttrank die äußere Gestalt der Ministerin angenommen. Als die Ministerin an ihrem Schreibtisch saß, versuchte der Angeklagte, sie durch einen Schockzauber zu lähmen. Dies scheiterte daran, dass die Ministerin eine magische Schutzweste trug. Als die Ministerin versuchte, Hilfe zu holen, belegte der Angeklagte sie mit einem Petrificus-Zauber und mit dem Imperiusfluch, unter dessen Einfluss die Ministerin Hilfe ablehnte, aber ihrem persönlichen Referenten Percy Weasley erlaubte, einen Arzt hinzuzuziehen. In Weasleys Abwesenheit schockte der Angeklagte die Ministerin und verbarg sie unter seinem Tarnumhang. Er machte sich sichtbar und ließ sich in der Gestalt der Ministerin von dem herbeigeeilten Arzt Professor Healman vom St.-Mungo-Krankenhaus zwei Tage Ruhe verordnen, kehrte ins Büro der Ministerin zurück und versuchte erfolglos mit ihr in ein von ihm vorbereitetes Versteck zu disapparieren. Als der Chef des Amtes für Magische Sicherheit, Cesar Anderson, das Büro betrat, erkannte und entwaffnete er den Angeklagten. Beim Angeklagten wurden Kapseln mit Vielsafttrank gefunden, die es dem Angeklagten ermöglicht hätten, mehrere Wochen lang die Gestalt der Ministerin zu behalten. Der Angeklagte hat eingeräumt, dass er die Absicht hatte, an ihrer Stelle zu amtieren und schließlich zurückzutreten. Der Angeklagte hat somit die Ministerin im Amt gewaltsam und mit dem Ziel angegriffen, sie zu stürzen. Er hat sich somit des Hochverrats in Tateinheit mit versuchter und vollendeter Körperverletzung, versuchtem Menschenraub, unerlaubtem Gebrauch eines Unverzeihlichen Fluchs sowie Hausfriedensbruch schuldig gemacht…“

Susan Bones unterbrach die Verlesung. Obwohl sie die Anklageschrift selbst verfasst hatte, starrte sie darauf, als sähe sie sie zum ersten Mal.

„Anklägerin“, fragte Hermine. „Haben Sie nicht noch einen wichtigen Hinweis vergessen?“

Susan nickte.

„Da es sich“, sagte sie schleppend, „um ein staatsgefährdendes…“

Sie schwieg wieder.

„Nun?“ Hermine trommelte ungeduldig mit den Fingern.

„Es tut mir leid, ich bring das nicht…“ sagte Susan fast tonlos, sodass sie gerade noch zu verstehen war. Sie warf die Schrift vor sich auf ihr Pult.

„Ist Ihnen nicht gut?“, fragte Hermine kühl.

„Nein, Euer Ehren“, erwiderte Susan Bones leise, „mir ist gar nicht gut.“

„Dann beurlaube ich Sie hiermit in meiner Eigenschaft als Zaubereiministerin und entbinde sie bis auf Weiteres von Ihren Aufgaben. Verlassen Sie bitte den Verhandlungssaal“, entschied Hermine, während im Gamot erstauntes Gemurmel ausbrach.

„Ruhe bitte“, fügte Hermine hinzu, während Susan Bones gesenkten Haupts aus dem Saal schlich. „Mister Tanville, als stellvertretendem Leiter der Abteilung für Magische Strafverfolgung obliegt es Ihnen, die Verlesung der Anklageschrift zu Ende zu führen.“

Roger Tanville erhob sich. Er war noch keine dreißig und gehörte zu denen, die unter Hermine eine besonders rasante Karriere hingelegt hatten. Ein schneidiger Strafverfolger und ein hundertprozentiger Hermine-Anhänger. Er nahm die Anklageschrift zur Hand und verlas den letzten Absatz.

„Da es sich um ein staatsgefährdendes Verbrechen im Sinne der Notverordnung zum Schutze des Magischen Staates vom 10. Januar 2018 handelt, ist für die strafrechtliche Würdigung des Sachverhalts sowie für die etwaige Strafzumessung besagte Notverordnung maßgebend.“ Er setzte sich.

„Ich frage Sie, Angeklagter“, fuhr Hermine fort. „Bekennen Sie sich schuldig oder nicht schuldig?“

Nun griff Greengrass ein:

„Ich beantrage erstens festzustellen, dass die Anklage in der vorliegenden Fassung rechtswidrig ist, zweitens die meinem Mandanten vorgelegte Frage zurückzuziehen, da er sie deswegen nicht zu beantworten braucht, drittens die Anklage als unzulässig zurückzuweisen, viertens das Verfahren wegen dieser Unzulässigkeit der Anklage einzustellen. Ich begründe diese Anträge wie folgt: Die Anklageschrift enthält den Verweis auf eine Rechtsnorm, die zum Zeitpunkt der meinem Mandanten zur Last gelegten Tat noch nicht in Kraft war und in Gestalt der Todesstrafe für die Tat Rechtsfolgen vorsieht, mit denen der Angeklagte zur Tatzeit nicht rechnen musste und konnte. Sie ist damit wegen Verstoßes gegen das Prinzip Nulla poena sine lege, das heißt gegen das Verbot rückwirkender Bestrafung, rechtswidrig. Eine Zulassung der Anklage würde dazu führen, dass in Zukunft niemand mehr sich darauf verlassen könnte, dass…“

„Einspruch!“, donnerte Tanville. „Der Verteidiger soll seine Anträge juristisch begründen, nicht sich in rechtspolitischen oder rechtsphilosophischen Erörterungen ergehen!“

„Stattgegeben“, antwortete Hermine. „Herr Verteidiger, Sie haben Ihre Anträge gestellt und begründet. Ankläger, möchten Sie dazu Stellung nehmen?“

„Jawohl, Euer Ehren. Der Grundsatz Nulla poea sine lege, auf den die Verteidigung sich beruft, ist dem Magischen Recht fremd. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Präzedenzfällen für die rückwirkende Geltung von Strafgesetzen, deren Zulässigkeit von der Magischen Justiz in ständiger Rechtsprechung bestätigt worden ist. Die Rückwirkung von Strafgesetzen ist insbesondere in Fällen von Staatsnotwehr zulässig, und ein solcher Fall liegt offenkundig vor. Da der Angeklagte sich darüber hinaus über die Rechtswidrigkeit seines Tuns im Klaren und höchstens über die Rechtsfolgen im Unklaren war, wurde durch die besagte Verordnung nicht das schützenswerte Vertrauen des Bürgers in die Geltung der Rechtsordnung verletzt. Ich beantrage daher, die vier miteinander zusammenhängenden Anträge der Verteidigung zurückzuweisen.“

„Danke“, erwiderte Hermine zufrieden. „Die Anträge der Verteidigung werden zurückgewiesen.“

Fürs erste war auch Greengrass zufrieden. Selbstverständlich hatte er sich nicht eingebildet, mit seinen Anträgen durchzukommen, aber er hatte den Ankläger gezwungen zuzugeben, dass seine Anklage in der vorliegenden Form einen Fall von Staatsnotwehr voraussetzte. Da er das nicht würde beweisen können, hatte er Greengrass unfreiwillig einen ersten Baustein für dessen späteres Plädoyer zugespielt. Außerdem zielte der Anwalt auf die Mitglieder des Zaubergamots, an deren Mienen er ablesen konnte, dass er erfolgreich erste Zweifel an der Legalität des ganzen Verfahrens geweckt hatte.

„Ich frage Sie nochmals, Angeklagter“, hob Hermine nun wieder an. „Bekennen Sie sich schuldig oder nicht schuldig?“

„Nicht schuldig“, antwortete Harry.

Der Ankläger ließ ein verächtliches Schnauben hören und schüttelte den Kopf.

„Bevor wir in die Beweisaufnahme eintreten“, ergriff nun wieder Greengrass das Wort, „habe ich weitere Verfahrensanträge zu stellen.“

Hermine seufzte und forderte den Verteidiger mit einem gelangweilten „Bitte“ auf, seine Anträge zu stellen.

„Ich beantrage festzustellen, dass die Vorsitzende Richterin Hermine Granger befangen und daher zur Leitung des Verfahrens nicht berechtigt ist.“

„Abgelehnt!“, schnappte Hermine dazwischen.

„Mit Verlaub, Euer Ehren, ein Antrag gilt erst als gestellt, wenn er auch begründet worden ist, Sie können ihn noch gar nicht ablehnen.“

Er fuhr ungerührt fort:

„Ich begründe den Antrag wie folgt: Mrs. Granger ist erstens, ihrer eigenen Darstellung zufolge, von dem Angeklagten mit einem Schockzauber und einem Imperiusfluch belegt worden. Sie ist in dieser Hinsicht Geschädigte der hier zur Verhandlung stehenden Taten. Als Geschädigte kann sie nicht die erforderliche Unvoreingenommenheit dem Angeklagten gegenüber haben. Zweitens ist sie Zeugin der verhandelten Taten, und sogar die wichtigste Zeugin der Anklage. Als Richterin aber ist sie verpflichtet, alle Zeugenaussagen unvoreingenommen zu prüfen, das heißt auch die Möglichkeit einer falschen, verzerrten oder übertriebenen Darstellung in Betracht zu ziehen. Es liegt auf der Hand, dass sie diese kritische Distanz ihren eigenen Aussagen gegenüber nicht haben kann. Drittens ist Hochverrat ein Verbrechen, das sich nicht gegen eine Person, sondern gegen die Rechtsordnung des Magischen Staates richtet. Seine Verhandlung setzt einen Richter voraus, dessen persönliche Interessen nicht in Konflikt mit dem objektiven Staatsinteresse geraten können. Die Verteidigung wird vortragen, dass dieses Staatsinteresse just die Handlungsweise des Angeklagten erforderte und rechtfertigte. Die Richterin ist aufgrund ihrer eigenen Interessen zu einer objektiven Würdigung dieser Argumente der Verteidigung außerstande. Viertens hat sie ihre Befangenheit gegenüber dem Angeklagten bereits dadurch bewiesen, dass sie ohne Not die Todesstrafe für die ihm zur Last gelegten Taten eingeführt hat, und zwar rückwirkend, das heißt nicht zur Unterbindung künftiger Taten, sondern zur Ahndung einer bereits begangenen – eine Vorgehensweise, die nicht geeignet ist, die Interessen des Staates zu schützen, sondern allein durch die Rachsucht der Ministerin und heutigen Richterin zu erklären ist!“

Er setzte sich. Viele Mitglieder des Zaubergamots, auch die von Hermine neu ernannten, sahen nachdenklich drein.

„Der Antrag der Verteidigung wird zurückgewiesen!“, replizierte Hermine prompt und schneidend. „Erstens ist ein Geschädigter nicht zwangsläufig voreingenommen gegenüber dem Schädiger, und die Verteidigung hat keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen, warum dies hier so sein sollte. Zweitens erspart mir die Tatsache, dass ich selbst Zeugin bin, lediglich die Mühe, den Wahrheitsgehalt meiner Zeugenaussage zu prüfen, da deren Richtigkeit feststeht, zumal der Sachverhalt in den bisherigen Untersuchungen auch vom Angeklagten nicht bestritten worden ist. Drittens richtet Hochverrat sich regelmäßig und geradezu zwangsläufig gegen das weitere Amtieren des jeweiligen Zaubereiministers und anderer staatlicher Amtsträger, die Antragsbegründung der Verteidigung liefe also auf die absurde Schlussfolgerung hinaus, dem Staat schlechthin die strafrechtliche Verfolgung von Hochverrat zu verbieten. Viertens liegt es durchaus im objektiven Interesse des Staates, zu Abschreckungszwecken eine Strafe nicht nur theoretisch anzudrohen, sondern auch zu vollstrecken. Der Verdacht der Rachsucht wäre allenfalls dann begründbar, wenn die Notverordnung zum Schutze des Magischen Staates ausschließlich auf den vorliegenden Fall beschränkt worden wäre. Dies ist aber nicht der Fall, sie gilt auch für alle weiteren einschlägigen Fälle.“

Auch Hermine hatte Eindruck gemacht, wie Harry mit einem Blick auf den Gamot feststellte. Im Stillen konnte er nicht anders, als sie für ihre blitzschnelle, intelligente Reaktion zu bewundern. Selbst im Bösesten und Schlimmsten, dachte er, ist sie noch brillant!

„Des Weiteren“, ergriff nun wieder Greengrass das Wort, „beantrage ich festzustellen, dass der Zaubergamot in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung nicht berechtigt ist, den vorliegenden Fall zu behandeln, und zwar ungeachtet der Frage, ob die von der Ministerin vorgenommene Reform als solche statthaft ist – woran erhebliche Zweifel bestehen, da sie per Notverordnung erfolgte. Ich begründe: Selbst wenn die Reform als solche zulässig sein sollte, war die hier verhandelte Strafsache zum Zeitpunkt der Reform bereits anhängig, die Neubesetzung ist daher für den vorliegenden Fall als nachträgliche und deswegen unzulässige Veränderung der Zusammensetzung des Gamots zu bewerten. Ich beantrage festzustellen, dass der Gamot in der Zusammensetzung tagen muss, die er zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung durch die Magische Strafverfolgung am 6. Februar hatte.“

„Abgelehnt!“, schnarrte Hermine ungeduldig, wurde aber von dem graubärtigen alten Zauberer unterbrochen, der ihr am nächsten saß. Es war der Großmeister des Gamots, Neptunus Crowe, ein Slytherin.

„Mit Verlaub, Euer Ehren, über einen Antrag, der den Gamot betrifft, kann nur der Gamot selbst entscheiden, nicht die Richterin. Der Gamot muss Gelegenheit haben, sich zur Beratung zurückzuziehen.“

Hermine warf ihm einen genervten Blick zu, hatte aber keine Wahl:

„Die Verhandlung wird unterbrochen, bis der Gamot über den Antrag der Verteidigung entschieden hat.“

 

***

 

„Guten Abend, Neptunus.“ Lucius Malfoy schüttelte seinem alten Freund, mit dem er sich in ihrem exklusiven, hochelitären Club verabredet hatte, die Hand.

Lucius! Was macht die Familie?“, fragte Neptunus, während Lucius sich in den Sessel neben ihm sinken ließ.

Narzissa und Astoria machen sich Sorgen, weil Draco halb und Scorpius ganz im Untergrund ist.“

Als Neptunus erstaunt die Augenbrauen hochzog, erläuterte er: „Scorpius ist mit seinem Freund Albus Potter und Roy MacAllister untergetaucht, um Potter befreien zu können, und Draco unterstützt sie.“

Lucius‘ Beziehung zu Neptunus war eine jener Freundschaften, von denen Scorpius gesagt hatte, dass die Malfoys sich ein Leben lang darauf verließen. Daher konnte der alte Malfoy es sich leisten, seinem Freund, keinem Geringerem als dem Großmeister des Zaubergamots, anzuvertrauen, dass sein Enkel in die Illegalität abgetaucht war, um einem Staatsfeind zu helfen. Auf Neptunus‘ Verschwiegenheit war Verlass.

„Ich verstehe. Von der Gerechtigkeit der magischen Justiz haltet ihr wohl nicht viel, was?“, witzelte Neptunus.

„Und du?“, grinste Malfoy. „Was macht der Gamot? Greengrass sagt, ihr beratet jetzt schon seit einer Woche über seinen Ablehnungsantrag.“

„Wir filibustern. Jedes der Alt-Mitglieder meldet sich zu Wort und redet stundenlang. Dadurch gewinnen wird die Zeit, die wir brauchen, um die Neuen auf Linie zu bringen.“

„Meinst du wirklich, ihr könnt sie dazu bringen, für den Antrag zu stimmen?“

„Das nicht gerade, damit würden sie sich selbst aus dem Prozess ausschließen, und dazu sind sie viel zu neugierig. Wir werden ihnen auch nicht sagen, dass wir sie für ungeeignet halten, wir wollen sie überzeugen. Greengrass hat schon am ersten Tag ein paar wichtige Punkte eingeführt, über die wir jetzt am Rande der eigentlichen Debatte in Einzelgesprächen mit ihnen reden. Und reden… und reden… und reden.“

„Nützt das etwas?“ Lucius war skeptisch. „Das sind doch Grangers Leute.“

„Anhänger ja, aber keine ideologisch gefestigten Kader. Bestimmt hätte sie die gerne gehabt, aber so viele Fanatiker hat sie nun auch wieder nicht hinter sich, um damit über hundertfünfzig Posten zu besetzen. Ein paar von dieser Sorte sind natürlich auch dabei, die auch leidenschaftlich debattieren. Umso besser, dadurch zieht sich die Beratung in die Länge. Die meisten Neuen sind aber einfach kleine Leute, die sich auf den Tagespropheten verlassen…“

„Kann man sie kaufen?“, fiel Lucius Malfoy ihm ins Wort.

„Vorsicht, Lucius!“, warnte Neptunus. „Ich glaube, die meisten sind ziemlich anständig. Für einen, den du kaufen kannst, bringst du drei gegen den Angeklagten auf. Nein, wir reden mit ihnen: höflich, respektvoll, nie von oben herab – aber natürlich sind wir ihnen rhetorisch und an Sachverstand weit überlegen. Greengrass‘ Antrag hat sie dem Einfluss der Ministerin entzogen und mit uns in Klausur gezwungen. Ein brillanter Einfall!“

„Glaubst du, ihr habt am Ende eine Mehrheit für Potter?“

Neptunus nickte. „Da bin ich ziemlich sicher.“

 

***

 

Zur selben Zeit saßen die Befreier im Rittersaal von Rockwood Castle beim Abendessen. Roy aß auch, nicht weil er Hunger oder auch nur Appetit gehabt hätte, sondern einzig, weil er wusste, dass es notwendig war. Er schaufelte das Essen mechanisch in sich hinein.

Da das ohnmächtige Warten an den Nerven zerrte, hatte er in den letzten Tagen immer neue Übungen angesetzt, nur um etwas zu tun und seine Leute, denen ein ausgewachsener Lagerkoller drohte, zu beschäftigen. Für heute und morgen hatte er ihnen aber freigegeben – irgendwann mussten sie schließlich auch einmal ausruhen.

Er selbst hatte den Tag als Möwe in Askaban verbracht, in der Hoffnung, wenigstens einem der Gefangenen beim Hofgang durch seine Anwesenheit Mut zu machen. Immerhin einen hatte er gesehen: Julian. Sein Anblick war erbarmungswürdig. Als er seine Runden drehte, stierte er verloren und verzweifelt vor sich hin, offenbar hatten die Dementoren wirklich jeden freudigen Gedanken aus ihm herausgesaugt. Sogar als er in der Möwe Roy erkannte, flackerte nicht mehr als ein trauriges Grinsen in seinem Gesicht auf, um sogleich wieder abzusterben. Von den Anderen hatte an diesem Tag niemand Hofgang.

Als er gegessen hatte, stand Roy auf und starrte aus dem Fenster in den von Fackeln schwach beleuchteten Innenhof. All die Vorfreude, an der er sich die letzten Wochen festgehalten hatte, die Freude auf sein künftiges Leben mit Arabella, war wie weggeblasen, das unablässige Die Dementoren haben Arabella! pulsierte wieder wie ein pochender Schmerz in seinem Kopf. Wenn sie schon einen Unverwüstlichen wie Julian fertigmachen konnten – wie würde es der viel zarter veranlagten Arabella ergehen? Sie war stark, gewiss, aber sie neigte – wie er selbst – zur Melancholie. Sogar er, der auf freiem Fuß war, hatte Mühe, nicht in Trübsinn zu verfallen. Sie aber war in der Gewalt der Dementoren. Sie brauchte ihn, und er war nicht da!

Roy stöhnte.

Er verfluchte Greengrass. Seine Verzögerungsstrategie war prozesstaktisch wahrscheinlich richtig, aber für die Gefangenen bedeutete jeder Tag, an dem dieser verdammte Zaubergamot zu keiner Entscheidung kam und das Urteil sich hinauszögerte, eine Verlängerung ihrer Seelenqual.

Rodolphus Lestrange trat zu ihm. „Du hast mir vorhin nicht ganz die Wahrheit über Julians Zustand gesagt, stimmt’s?“

„Stimmt“, sagte Roy tonlos. „Er ist verzweifelt. Ich wollte es dir nicht sagen, um dich zu schonen.“

„Ach, mein Junge, ich selbst habe vierzehn Jahre dort verbracht, glaubst du, ich weiß nicht, was Askaban aus einem macht? Ich habe diese Zeit nur überstanden, weil Voldemorts teuflische Energie mich am Leben gehalten hat. Außerdem bist du kein guter Schauspieler.“

„Sag mal“, wollte Roy nach einer Pause des Schweigens wissen, „wie hast du eigentlich Bellatrix‘ Tod überlebt, ich meine seelisch?“

Rodolphus antwortete nicht sofort.

„Zuerst hat mich der Gedanke an unseren Sohn vor dem Selbstmord bewahrt. Nachdem ich den kennengelernt hatte“, – er schnaubte bitter –, „der an unseren Enkel. Eigentlich hat Julian mich am Leben erhalten, ohne es zu ahnen.“

„Wir holen ihn raus“, sagte Roy, blickte aber weiter trübsinnig aus dem Fenster.

„Hey!“ Rodolphus legte den Arm um Roys Schulter und rüttelte ihn aufmunternd. „Wir holen auch Arabella raus!“

Roy nickte. „Wenn’s nur endlich so weit wäre!“

 

***

 

Der Zaubergamot beriet mehr als sechs volle Tage lang. Da die Wochenenden frei waren, erhielt Hermine erst am Montag, dem 12. März, vormittags die Mitteilung, dass der Gamot über Greengrass‘ Ablehnungsantrag entschieden hatte. Um dreizehn Uhr wurde die Verhandlung wieder aufgenommen.

Hermine sah jetzt besser aus als bei Verhandlungsbeginn, hatte wieder eine lebendige Gesichtsfarbe, ihre Mimik und ihre Gesten waren lebhafter, ihr Gang sicherer. Ein schlechtes Zeichen, fand Harry. Ihre Seele schien den Kampf gegen den Eindringling aufgegeben zu haben. Hoffentlich lebt sie überhaupt noch, schoss es ihm durch den Kopf.

„Hat der Gamot über den Antrag der Verteidigung entschieden?“, fragte Hermine der Form halber.

„Ja, Euer Ehren“, erwiderte Crowe. „Der Gamot hat mit 98 gegen 90 Stimmen bei 46 Enthaltungen beschlossen, den Antrag zurückzuweisen.“

Greengrass beugte sich zu Harry und flüsterte ihm zu:

„Das ist ein Debakel für die Ministerin. Sie hat keine Mehrheit im Gamot mehr. Über ein Drittel ihrer eigenen Leute hat Zweifel an dem ganzen Verfahren. Für eine Verurteilung braucht sie die absolute Mehrheit von 118 Stimmen, und dabei haben wir unsere stärksten Trümpfe noch nicht einmal ausgespielt.“

Harry nickte, und ein Grinsen umspielte seine Mundwinkel, während Hermine scheinbar unbeeindruckt feststellte:

„Der Antrag der Verteidigung ist damit zurückgewiesen. Werden weitere Anträge gestellt?“

Da sowohl Greengrass als auch Tanville abwinkten, fuhr sie fort:

„Dann treten wir jetzt in die Beweisaufnahme ein. Die Anklage hat das Recht, den ersten Zeugen zu benennen.“

„Zaubereiministerin Hermine Granger“, rief Tanville.

Hermine nickte, stand von ihrem Platz auf, gab Percy ein Zeichen, für die Dauer ihrer Befragung an ihrer Stelle die Verhandlung zu leiten, und setzte sich auf den Zeugenstuhl.

„Frau Ministerin“, eröffnete der Ankläger die Vernehmung. „Würden Sie uns bitte zunächst die Vorgänge, die sich am 10. Januar dieses Jahres in Ihrem Büro abgespielt haben, aus Ihrer Sicht schildern?“

Hermine machte eine glänzende Figur. Sie schilderte sachlich, minutiös und wahrheitsgetreu fast alles, was sie erlebt hatte, ließ nur Harrys Versprechen weg, sie nie im Stich zu lassen, erwähnte aber durchaus, dass er sich zuerst vergewissert hatte, dass sie nicht benommen war, bevor er sie erneut mit dem Schockzauber belegte. Niemand, der ihr zuhörte, konnte den Eindruck gewinnen, sie versuche Harry mutwillig zu belasten.

Tanville, der keine Zwischenfragen zu stellen brauchte, fuhr fort:

„Kommen wir nun zur Vorgeschichte. Der Angeklagte war Leiter der Aurorenabteilung, bis Sie ihn am 24. September vergangenen Jahres entließen.“

„Er wurde beurlaubt. Theoretisch war er noch bis zum 1. Oktober Abteilungsleiter, als im Zuge der Sicherheitsreform die Aurorenabteilung als solche aufgelöst, ein Teil als Amt für Magische Sicherheit verselbständigt und der Rest wieder der Abteilung für Magische Strafverfolgung unterstellt wurde.“

„Danke für die Präzisierung, Frau Ministerin“, erwiderte Tanville höflich. „Welches waren die Gründe für die Beurlaubung?“

„Der Angeklagte hatte sich geweigert, meiner Aufforderung zu folgen, das Todessertum intensiver als bisher zu bekämpfen, zuletzt in einer Besprechung vom 18. September, obwohl bei meinem Besuch in Hogwarts am Tag zuvor das ganze Ausmaß der Wühlarbeit der Todesser deutlich geworden war. Er erklärte explizit, dass es keine Todesser-Umtriebe gebe. Um ihm entgegenzukommen, erlaubte ich ihm, inoffiziell in Hogwarts zu ermitteln. Er nutzte diese vorgeblichen Ermittlungen dazu, freundschaftliche Kontakte zu den beiden wichtigsten Figuren der Todesserszene in Hogwarts zu knüpfen, nämlich dem Slytherin-Vertrauensschüler Roy MacAllister, der am Vortag für gewaltsame Ausschreitungen in Hogwarts verantwortlich gewesen war“, – etliche Mitglieder des Gamots, die sich noch an die Berichterstattung des Tagespropheten erinnerten, nickten zustimmend –, „und zu Julian Lestrange, dem Enkel der berüchtigten Todesser Bellatrix und Rodolphus Lestrange. Dass diese Beziehungen in der Tat freundschaftlicher Natur waren, musste ich am 24. September bei einem unangekündigten Besuch in seinem Privathaus feststellen, in dem beide zu Gast waren. Ich kam zu dem Schluss, dass der Angeklagte mindestens ein Sicherheitsrisiko, wenn nicht gar ein Verräter war, zumal er in der Woche zuvor ein auffallendes Interesse an den Sicherheitsvorkehrungen in meiner Umgebung gezeigt hatte.“

„Danke, Frau Ministerin, diesen letzten Punkt werden wir noch in der Befragung des Chefs des Amtes für Magische Sicherheit vertiefen. Sie sagten, dass die beiden genannten Schüler Todesser seien. Haben Sie außer MacAllisters Verhalten bei Ihrem Besuch in Hogwarts weitere Anhaltspunkte für diesen Verdacht?“

„In der Tat. Die beiden sind als der harte Kern einer Gruppierung von Slytherin-Schülern bekannt, die sich ‚Die Unbestechlichen‘ nennt, und zu der auch der jüngere Sohn des Angeklagten, Albus Potter, gehört. Der Angeklagte hat mir gegenüber explizit betont, dass er Albus‘ enge Beziehungen zu MacAllister billigt. Im Laufe des Monats Oktober nun kam es zu mehreren gewaltsamen Übergriffen auf Hogwarts-Schüler, deren nichtmagische Abstammung bekannt war. Zuletzt wurde einer dieser Schüler sogar mit einem Schockzauber niedergestreckt. Bei einer Hogwarts-internen Untersuchung stellte sich heraus, dass die einzigen Zauberstäbe, mit denen am fraglichen Abend Schockzauber ausgeführt wurden, die der sogenannten Unbestechlichen waren.“

„Warum wurde trotz dieser erheblichen Verdachtsmomente kein Strafverfahren gegen sie eingeleitet?“

„Weil die Strafverfolgungsbehörden in Hogwarts nur tätig werden dürfen, wenn die Schulleitung dies explizit genehmigt. Eine solche Genehmigung wurde nicht erteilt, man versicherte lediglich, die Sicherheitsmaßnahmen für muggelstämmige Schüler zu verschärfen.“

„Hat die Schulleitung die sogenannten Unbestechlichen damit der Strafverfolgung entzogen?“

„So ist es.“

„Haben sich in der Folgezeit Anhaltspunkte für eine konspirative Zusammenarbeit zwischen dem Angeklagten und den sogenannten Unbestechlichen ergeben?“

„Nachdem der Versuch des Angeklagten, mich zu entführen, gescheitert war, plante die Gruppe nach unwiderlegbaren Erkenntnissen des Amtes für Magische Sicherheit ebenfalls, ihn gewaltsam aus der Haft zu befreien. Es stellte sich heraus, dass es sich um ein großangelegtes hochverräterisches Komplott handelt, in das neben dem Angeklagten und den sogenannten Unbestechlichen auch etliche Mitglieder der Familie Weasley verwickelt waren, in die sowohl der Angeklagte als auch ich eingeheiratet haben. Alle Beteiligten an diesem Komplott sind inzwischen in Haft beziehungsweise Präventivarrest oder auf der Flucht.“

„Vielen Dank, Frau Ministerin, ich habe keine weiteren Fragen.“

Nun erhob sich Greengrass.

„Frau Ministerin, sowohl der geschätzte Vertreter der Anklage“ – er deutete eine Verbeugung gegenüber Tanville an – „als auch Sie selbst messen der Beziehung des Angeklagten zum Slytherin-Vertrauensschüler MacAllister erhebliches Gewicht bei, da Sie Letzteren für einen Todesser halten. Sie begründen diesen Verdacht unter anderem mit dessen Verhalten bei Ihrem Besuch in Hogwarts. Habe ich Sie in diesem Punkt richtig verstanden?“

„Allerdings.“

„Was genau an MacAllisters Verhalten veranlasste sie zu diesem Verdacht?“

Tanville sprang auf: „Einspruch! Es geht in diesem Verfahren nicht um MacAllister, sondern um Potter, die Frage tut nichts zur Sache!“

„Mit Verlaub, Herr Kollege“, konterte Greengrass genüsslich, „Sie selbst haben zugegeben, dass es etwas zur Sache tut, indem Sie die Zeugin danach gefragt haben.“

Der forsche, aber unerfahrene Ankläger erkannte erst jetzt die Steilvorlage, die er der Verteidigung durch seinen Versuch serviert hatte, Harry zum Todesser zu stempeln. Er sah flehentlich zu Percy.

Armer Percy, dachte Harry, wenn auch nicht ohne Schadenfreude. Am liebsten würde er jetzt in einem Mauseloch verschwinden.

Percy fühlte die Blicke der über zweihundert Gamot-Mitglieder auf sich ruhen. Was blieb ihm übrig?

„Einspruch abgelehnt.“

„Danke, Euer Ehren.“ Greengrass nahm die Vernehmung wieder auf. „Nochmals die Frage, Frau Ministerin, was veranlasste Sie zu diesem Verdacht?“

„Erstens seine Panikmache: Er stellte es so hin, als sei die Öffnung zur nichtmagischen Welt gleichbedeutend mit einer Wiederaufnahme von Hexenverfolgungen – typische Todesser-Demagogie. Dann die Tatsache, dass er die von mir angeregten Gedenkfeiern für die gefallenen Kämpfer gegen Voldemort mit der Begründung ablehnte, dadurch werde den Todessern aufs Grab gespuckt – was ja wohl mehr als nur eine gewisse Sympathie voraussetzt. Dann der Gebrauch eines bekannten und verbotenen Ausdrucks für Zauberer nichtmagischer Abstammung…“

„Wen bezeichnete er damit?“

„Vordergründig, aber eben nur vordergründig, sich selbst, per Implikation aber eben auch alle anderen Zauberer und Hexen dieser Abstammung, auch mich.“

„Sie werfen dem Angeklagten seine Beziehungen zu MacAllister vor. Konnte der Angeklagte denn wissen, wie Ihr Besuch genau verlaufen war?“

„Ja.“

„Aus dem Tagespropheten?“

„Nein“, erwiderte Hermine. „Ich selbst habe ihn bei der Unterredung am 18. September umfassend informiert.“

„Sind Sie denn sicher, dass Ihr Gedächtnis Ihnen keinen Streich gespielt hat, dass Sie ihn also korrekt informiert haben?“

„Herr Verteidiger“, erwiderte Hermine herablassend, „mein Gedächtnis ist hervorragend, und ich sagte ihm alles, was ich wusste, und zwar detailliert.“

„Dann war das sicherlich ein sehr langer Bericht?“

„Er dauerte ungefähr eine Stunde lang. Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?“

„Mit Verlaub, Frau Ministerin, Sie sind hier Zeugin, ich stelle die Fragen. Wäre es nicht möglich, dass der Angeklagte, der vielleicht ein nicht ganz so hervorragendes Gedächtnis hat wie Sie, später einige Punkte vergessen hat?“

„Kaum. Er schrieb mit.“

„Er machte sich Notizen?“

„Nein. Er benutzte eine selbstschreibende Feder. Es war eine wörtliche Niederschrift.“

Der Anwalt zog nun aus seinen Papieren eine Pergamentrolle, rollte sie auf und hielt sie der Ministerin vor.

„War es diese hier?“

Hermine, die bisher davon ausgegangen war, die Niederschrift sei in Harrys Haus beschlagnahmt worden, erstarrte. „Woher hab…“, begann sie, erkannte jedoch im letzten Moment, dass sie drauf und dran war, die Echtheit des Dokuments zu bestätigen, und korrigierte sich: „Woher soll ich das wissen? Ein beschriebenes Pergament sieht aus wie das andere!“

„Ich darf Ihnen versichern, Frau Ministerin, dass es sich in der Tat um das fragliche Dokument handelt, in dem Ihre Ausführungen wörtlich festgehalten wurden. Bevor ich Sie damit konfrontiere, möchte ich Ihnen mein Kompliment aussprechen: Sie haben in der Tat ein hervorragendes Gedächtnis. Alles, was Sie dem Angeklagten in die Feder diktiert haben, deckt sich bis ins Detail mit den Aussagen einer Reihe von Zeugen, die die Verteidigung bei Bedarf vorladen wird. Ich werde dieses Dokument nun verlesen und Sie dann fragen, ob es sich um Ihre Worte handelt und ob sie der Wahrheit entsprechen.“

Er verlas nun fast eine Stunde lang Hermines Bericht im vollen Wortlaut und fragte dann:

„War es so, Frau Ministerin?“

Hermine konnte schlecht behaupten, ihren Chefauror belogen zu haben.

„Ja“, bestätigte sie widerwillig.

„Sie haben vorhin ausgesagt, MacAllister sei für die Ausschreitungen verantwortlich gewesen. Aus Ihrem eigenen Bericht, der, wie gesagt, von Zeugen bestätigt werden kann, ergibt sich aber, dass diese Behauptung nicht den Tatsachen entspricht.“

„Die Geschehnisse“, replizierte Hermine unbewegt, „liegen ein halbes Jahr zurück. Da kann man sich schon einmal irren.“

„Gewiss“, schmunzelte der Anwalt, „nur sollte man dann einen Befangenheitsantrag nicht unter Berufung auf die Unfehlbarkeit der eigenen Zeugenaussagen ablehnen. Sie ziehen Ihre Aussage von vorhin in diesem Punkt also zurück?“

„Ja!“, spuckte sie ihm ihre Antwort geradezu entgegen.

„Danke, damit komme ich zum nächsten Punkt. Helfen Sie einem älteren Herrn bitte auf die Sprünge, Frau Ministerin, aber ich kann in MacAllisters Worten und Taten, da wir jetzt den jeweiligen Zusammenhang kennen, beim besten Willen nichts finden, was ihn als Todesser ausweisen würde.“

„Weil Sie naiv sind, Greengrass!“ Für einen Moment fiel Hermine aus der Rolle. „Oder Sie stellen sich dümmer, als Sie sind, genau wie Potter, genau wie McGonagall! Ein MacAllister ist viel zu schlau, um offen Todesser-Gedankengut zu verbreiten. Er provoziert, um Aufmerksamkeit zu wecken und Akzeptanz für seine Ideologie zu schaffen, geht aber nur so weit, dass er immer die verfolgte Unschuld spielen kann und nicht Farbe bekennen muss!“

„Ich verstehe“, sagte Greengrass interessiert und ganz im Ton eines gelehrigen Schülers. „Dass MacAllister Todesser-Ideologie vertritt, ergibt sich also nicht aus dem, was er sagt, sondern gerade daraus, dass er es nicht sagt! Und dass er es nicht sagt, ist Beweis genug, dass er es denkt!“

Greengrass machte eine Kunstpause, während Hermine ihn böse anfunkelte.

„Ihnen ist bekannt, dass MacAllister muggelstämmig ist?“

„Mir ist bekannt, dass sein Vater unbekannt ist. Er selbst bezeichnet sich als muggelstämmig, verwendet dazu allerdings einen Ausdruck, den ich hier nicht wiederholen möchte. Es handelt sich, wie gesagt, um einen verbotenen Ausdruck, den Jeder kennt.“

„Ihnen ist bekannt, dass Albus Potter, den Sie als Mitglied einer Todessergruppierung bezeichnen, belobigt wurde, weil er den einzigen Nichtmagier in Hogwarts, den damaligen Hufflepuff-Schüler Bernard Wildfellow, gegen gewaltsame Übergriffe seiner Hauskameraden verteidigte?“

„Das war sehr früh im Schuljahr, damals stand er noch nicht unter MacAllisters Einfluss.“

„Ihnen ist bekannt, dass Wildfellow noch nach Ihrem Besuchs in Hogwarts um Aufnahme in Slytherin ersuchte, und dass MacAllister derjenige war, der maßgeblich dazu beitrug, diese Aufnahme durchzusetzen?“

„Ja“, presste Hermine zwischen den Zähnen hervor.

„Ist dies Ihrer Meinung nach das typische Verhalten eines Todessers?“

„Es ist das typische Verhalten eines Todessers, der sich taktisch tarnt.“

„Und dass der vermeintliche Todesser eigens für Wildfellow einen Besen konstruierte, mit dem auch Muggel fliegen können, war dann ebenfalls Taktik?“

Im Gamot erhob sich erstauntes Gemurmel. Das hatte niemand vermutet, der sich auf den Tagespropheten verließ.

„Was denn sonst?“, gab Hermine trotzig zurück.

Das Gemurmel wurde deutlich missbilligend.

„Und dass besagter Wildfellow, wie er in einem Brief an seinen Vater glaubhaft versicherte, Potter und MacAllister freiwillig begleitete, als sie sich der drohenden Verhaftung am 7. Februar durch Flucht in den Untergrund entzogen, und sie seine Begleitung akzeptierten, war dann ebenfalls ein taktisches Manöver von Todessern?“

„Es ist für diese Leute nicht schwer, einen kleinen Jungen zu täuschen, um ihn als Alibi zu missbrauchen, das man dem naiven Publikum servieren kann.“

„Frau Ministerin“, fragte Greengrass süffisant, „ist Ihnen der Begriff ‚Paranoia‘ geläufig?“

„Einspruch!“, krähte Tanville, während aus den Reihen des Gamots unterdrücktes Glucksen und Kichern zu hören war. „Der Verteidiger hat die Zeugin zu befragen, nicht zu beleidigen!“

„Stattgegeben!“, rief Percy. „Herr Verteidiger, ich rufe Sie zur Ordnung!“

„Ich bitte um Verzeihung, Euer Ehren. Ich habe keine weiteren Fragen an die Zeugin.“

Hermine kehrte auf ihren Richterstuhl zurück, ohne sich anmerken zu lassen, dass sie sich der soeben erlittenen krachenden Niederlage bewusst war. Nach der Magischen Strafprozessordnung war nun Greengrass am Zug:

„Ich rufe Professor Minerva McGonagall als Zeugin auf!“

Viele der neu ernannten Mitglieder des Gamots wirkten überrascht. Die meisten waren Gryffindors, die McGonagall – egal, was der Tagesprophet über sie schrieb – fast so sehr verehrten wie Hermine, vielleicht sogar ein bisschen mehr. Dass sie als Zeugin der Verteidigung aufgerufen wurde, machte Eindruck, noch bevor sie irgendetwas gesagt hatte.

„Frau Professor“, begann Greengrass, „die Ministerin hat als Zeugin den Schüler Roy MacAllister als Todesser bezeichnet. Teilen Sie diese Einschätzung?“

„Einspruch!“, rief Tanville dazwischen. „Die Zeugin hat auszusagen, was sie wahrgenommen hat, nicht ihre persönliche Meinung kundzutun.“

„Stattgegeben“, antwortete Hermine lässig.

„Hat die Ministerin Sie mit dieser Einschätzung konfrontiert?“, wollte Greengrass nun wissen.

„Ja.“

„Wann war das?“

„Am 17. September nach ihrer Rede, beim Mittagessen in der Großen Halle von Hogwarts im Beisein der Lehrerschaft und einiger handverlesener Gäste.“

„Haben Sie dieser Einschätzung widersprochen?“

„Ja.“

„Welche Auffassung haben sie ihr entgegengehalten?“

„Dass MacAllister kein Todesser-Gedankengut verbreitet, sondern lediglich gegen ihre Politik der Öffnung zur nichtmagischen Welt opponiert, und dass dies sein gutes Recht ist.“

„Was hat die Ministerin darauf geantwortet?“

„Dass diese Politik der Öffnung notwendig sei, um die Rückkehr der Todesser zu verhindern. Meine Gegenfrage, ob also jeder, der gegen diese Politik sei, automatisch ein Todesser sei, wurde von der Ministerin ausdrücklich bejaht.“

Im Gamot wurde es unruhig, gerade die Neumitglieder waren entsetzt.

„Ruhe im Saal!“, rief Hermine. McGonagall fuhr fort:

„Ich fragte sie, ob Hogwarts seine Schüler in Zukunft zur Unterstützung der Politik des Ministeriums erziehen und jeden Schüler ausschließen solle, der sich dem verweigert. Auch diese Frage bejahte sie.“

„Haben Sie in dieser Zeit ein Gespräch mit dem Angeklagten geführt?“

„Ja, einen Tag später, am Abend des 18. September, kam er in mein Büro.“

„Worum ging es bei diesem Gespräch?“

„Er sagte mir, dass die Ministerin ihn mit inoffiziellen Ermittlungen in Hogwarts betraut hatte. Ich schilderte ihm das Gespräch mit der Ministerin vom Vortag und erwähnte auch die Äußerungen, die ich eben zitiert habe. Er fragte mich nach meiner Meinung über MacAllister. Ich sagte ihm im Wesentlichen das, was ich auch schon der Ministerin gesagt hatte, nämlich dass er ein ungewöhnlich kluger, ernsthafter, verantwortungsbewusster, charakterstarker und vertrauenswürdiger Schüler ist, der großes Ansehen unter seinen Mitschülern genießt. Ich fügte hinzu, dass MacAllister, genau wie Potter früher selbst, in der Magischen Welt eine Heimat gefunden hat, die er in der Muggelwelt nicht hatte, und dass er deshalb die Politik der Öffnung kritisiert.“

„Frau Professor, die Ministerin hat Ihnen in Ihrer Aussage vorgeworfen, Sie hätten die sogenannten Unbestechlichen nach den muggelfeindlichen Anschlägen im Oktober trotz der gegen sie vorliegenden Verdachtsmomente der Strafverfolgung entzogen, indem Sie Ermittlungen der Abteilung für Magische Strafverfolgung in Hogwarts nicht genehmigt hätten. Stimmt das?“

McGonagalls Augen und Lippen wurden schmal. „Dies ist eine Unterstellung, die ich zurückweise! Keine Behörde hat um eine solche Genehmigung nachgesucht, nachdem die internen Ermittlungen von einem erfahrenen Auror geführt worden waren, nämlich Mister Barclay, der vom Ministerium seit 1. September für eine Lehrtätigkeit in Hogwarts freigestellt ist. Diese Ermittlungen ergaben, dass die Unbestechlichen von den vier in Rede stehenden Anschlägen drei nicht begangen haben konnten und den vierten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht begangen hatten!“

„Vielen Dank, Frau Professor. Ich habe keine weiteren Fragen.“

„Ankläger?“, fragte Hermine.

„Keine Fragen, Euer Ehren.“ Der ganze Komplex „MacAllister-Todesser“ war für die Anklage ein Debakel, das Tanville möglichst schnell hinter sich lassen wollte. Nun war wieder er an der Reihe. Er rief Cesar Anderson als Zeugen auf.

„Mister Anderson, Sie leiten seit dem 1. Oktober das Amt für Magische Sicherheit. Welche Funktion bekleideten Sie zuvor?“

„Ich war Leiter der Personenschutzgruppe im Ministerium, zuständig für die Sicherheit der Ministerin.“

„Wer war Ihr unmittelbarer Dienstvorgesetzter?“

„Der Angeklagte als Leiter der Aurorenabteilung.“

„Pflegte er sich in Ihre Arbeit einzumischen?“

„Er verließ sich auf mich. Normalerweise beließ er es bei einer allgemeinen Dienstaufsicht.“

„‚Normalerweise‘, sagen Sie. Es gab also Ausnahmen?“

„Es gab genau eine Ausnahme, nämlich unsere Unterredung am 19. September, zwei Tage nach dem Besuch der Ministerin in Hogwarts und fünf Tage vor Potters Ablösung als Abteilungsleiter. Er hatte die Sicherheitsvorschriften für die Ministerin intensiv studiert und fragte mich nach allen Punkten aus, die ihm unklar erschienen.“

„Haben Sie sich darüber gewundert?“

„Einspruch!“, grätschte Greengrass dazwischen. „Ob der Zeuge sich gewundert hat oder nicht, tut nichts zur Sache. Es wäre bloß seine persönliche Meinung, er soll aber aussagen, was er wahrgenommen hat.“

„Abgelehnt! Mister Anderson, beantworten Sie die Frage des Anklägers.“

In den Reihen des Gamots wurden missmutige Blicke getauscht.

„Es hat mich sehr gewundert, Sir, denn es war, wie gesagt, überhaupt nicht seine Art.“

„Wären die Informationen, die er bei Ihrem Gespräch erhielt, für einen Entführer interessant gewesen?“

„Natürlich.“

„Wäre dem Angeklagten die Entführung der Ministerin gelungen, wenn die Sicherheitsvorschriften auf dem Stand vom 19. September geblieben wären?“

„Bestimmt, aber ich hatte in der Zwischenzeit weitere Verschärfungen angeordnet, an denen die Entführung scheiterte.“

„Wie erklären Sie sich die ungewohnte Neugier des Angeklagten?“

„Einspruch!“, rief Greengrass. – „Abgelehnt!“, gab Hermine wie aus der Pistole geschossen zurück.

„Ich gehe davon aus, dass er bereits damals plante, die Ministerin zu entführen.“

Tanville ließ sich von Anderson noch schildern, wie er Harry am Tattag enttarnte und festnahm und welche Ergebnisse die Ermittlungen des Amasi gehabt hatten, und beendete dann die Vernehmung.

Nun wandte Greengrass sich an den Zeugen:

„Mister Anderson, Sie erwähnten, dass Sie am 10. Januar das Büro der Ministerin betraten und dort Harry Potter verhafteten. Hatten Sie geklopft, und hatte die Ministerin Sie hereingebeten?“

Anderson schaute belustigt drein. Wollte der Anwalt ihm etwa einen Vortrag über gutes Benehmen halten?

„Nein Sir, ich hatte Percy Weasley gebeten, die Ministerin aufzuhalten, bevor sie disapparierte.“

„Es ging also um eine dringende Angelegenheit?“

„Ja.“

„Um welche?“

„Es tut mir leid, Sir, es war eine geheime Angelegenheit, und ich habe diesbezüglich keine Aussagegenehmigung.“

„Diese geheime Angelegenheit erforderte aber die sofortige persönliche Unterschrift der Ministerin?“

„Ja“, rutschte es Anderson heraus. Von einer Unterschrift war bis dahin nicht die Rede gewesen.

„Haben Sie dem Angeklagten, den Sie zu diesem Zeitpunkt noch für die Ministerin hielten, das zu unterzeichnende Dokument vorgelegt?“

„Ja.“

„Hat er es unterschrieben?“

„Nein, Sir, er sagte, er müsse es noch überdenken.“

„Aha. – Sie sind seit der Gründung des Amtes für Magische Sicherheit dessen Leiter. Dem Ministerialbulletin vom 2. Oktober entnehme ich, dass Ihre Behörde mit ‚besonderen Vollmachten‘ ausgestattet wurde. Heißt das, es handelt sich um Befugnisse, die über diejenigen der vormaligen Aurorenabteilung hinausgehen?“

„Ja.“

„Welche Befugnisse sind das?“

„Ich bedaure, das ist geheim.“

„Geheim?“ Greengrass schnitt ein verblüfftes Gesicht. „Hm. Also nur einmal angenommen, Sie würden irgendeinen Mitbürger – sagen wir – mit dem Cruciatusfluch foltern, dann könnte dieser Mitbürger nicht beweisen, dass Sie Ihre Befugnisse überschritten haben, weil diese ja geheim sind?“

„Theoretisch ja. Praktisch ist es natürlich so, dass die Ministerin meine Befugnisse kennt und nicht dulden würde, dass ich irgendeinen harmlosen Mitbürger foltere.“

„Einen weniger harmlosen Mitbürger dürften Sie aber sehr wohl foltern?“

„Sir, ich muss Sie nochmals darauf aufmerksam machen, dass meine Kompetenzen geheim sind. Ich darf Ihre Frage weder bejahen noch verneinen.“

„Frau Ministerin“, wandte sich Greengrass nun an Hermine, „würden Sie Mister Anderson bitte zur Aussage ermächtigen?“

„Nein“, erwiderte sie kühl. „Eine solche Offenlegung würde die Sicherheitsbelange des Magischen Staates gefährden.“

„Nun, immerhin haben Sie, Mister Anderson, zugegeben, dass diese Kompetenzen über die von normalen Auroren hinausgehen, und dass es vom Gutdünken der Ministerin abhängt, gegebenenfalls auch eine Überschreitung dieser offenbar ohnehin schon weitläufigen Vollmachten zu decken oder nicht.“

„Einspruch!“, rief Tanville. „Mit solchen Kommentaren versucht der Verteidiger den Gamot zu beeinflussen!“

„Stattgegeben. Herr Verteidiger, Sie haben den Zeugen zu befragen, nichts weiter!“

„Mister Anderson“, fuhr Greengrass fort, „Sie waren bei der Rede der Ministerin am 17. September in Hogwarts zugegen?“

„Ja.“

„Sie haben also auch gehört, dass sie ihre Rede sinngemäß so beendete: Sie wisse, dass Fortschritt – damit meinte sie die Öffnung zur nichtmagischen Welt – auf Widerstand von Menschen stoßen würde, die unbeweglich und in Vorurteilen und Hass befangen seien, das Rad der Geschichte zurückdrehen und das Erbe der Todesser antreten wollten und deshalb mit der ganzen Härte des Gesetzes zu rechnen hätten?“

„In etwa, ja.“

„Angenommen, man würde über Sie so sprechen, würden Sie es als Kampfansage auffassen?“

„Selbstverständlich, es sollte ja auch eine sein.“

„Haben Sie am darauffolgenden Tag den Tagespropheten gelesen?“

„Für einen Mann in meiner Position ist das Pflichtlektüre.“

„Haben Sie gelesen, dass darin ein Kampf auf Leben und Tod, ja ein Krieg postuliert wurde?“

„Ich erinnere mich, ja.“

„Die Ministerin bezeichnet ihre Gegner als Todesser. Würden Sie zustimmen, dass Todesser – wenn sie denn wirklich welche sind“, fügte er unter maliziösem Lächeln hinzu, „brutale Leute sind, denen man auch Attentate zutrauen muss?“

„Gewiss.“

„Hatte der Angeklagte also objektiv Grund, von einer Verschärfung der innenpolitischen Lage auszugehen und die Ministerin für gefährdeter als vor ihrer Rede zu halten?“

„Objektiv betrachtet hatte er Grund dazu“, räumte Anderson ein. „Ob dies allerdings wirklich sein Motiv…“

„War es also seine Pflicht“, übertönte ihn Greengrass, „sich zu vergewissern, dass die Sicherheitsvorkehrungen für die Ministerin auch im Blick auf diese neue Situation ausreichend waren?“

„Ja…“

„…und sie gegebenenfalls zu verschärfen?“ Der Anwalt wurde lauter.

„Ja.“

„Und hat er bei Ihrem Gespräch solche Verschärfungen angeordnet?“, donnerte Greengrass.

„In der Tat, Sir.“

„Und doch unterstellen Sie ihm“, er senkte jetzt wieder die Stimme, „er habe damals bereits die Ministerin entführen wollen.“

„Aber er hat sie doch spätestens im Januar wirklich zu entführen versucht!“, verteidigte sich Anderson. „Warum kommt es denn darauf an, ob er es im September schon wollte?“

„Das will ich Ihnen sagen: Weil Sie mit Ihrer Verdächtigung dokumentiert haben, mit welcher Leichtfertigkeit sich der mächtigste Sicherheitsbeamte des Magischen Staates, dessen Vollmachten im Dunkeln bleiben, und der aus eigener Machtvollkommenheit darüber entscheidet, welcher Bürger harmlos ist und welcher nicht, sich in haltlosen Verdächtigungen ergeht! Keine weiteren Fragen.“

Es war bereits später Nachmittag. Hermine setzte die Fortsetzung des Prozesses auf den nächsten Morgen an.

 

Am nächsten Tag rief Greengrass Harry als Zeugen auf:

„Euer Ehren“, bat er Hermine, „würden Sie bitte die Fesseln des Angeklagten lösen lassen, damit er auf dem Zeugenstuhl Platz nehmen kann?“

„Ich glaube“, antwortete Hermine kalt, „er kann auch auf seinem jetzigen Platz befragt werden. Die Fesseln hindern ihn ja nicht am Reden.“

„Mister Potter“, hob sein Anwalt kopfschüttelnd an. „Sie haben die Zeugenaussagen der Ministerin und des Chefs des Amtes für Magische Sicherheit über die Geschehnisse am 10. Januar gehört. Waren diese Aussagen sachlich zutreffend?“

„Ja.“

„Hatten Sie, wie die Anklage Ihnen vorwirft, vor, die Ministerin zu entführen und ihren Platz einzunehmen, um an ihrer Stelle zurückzutreten, also sie zu stürzen?“

„So ist es.“

„Und doch haben Sie sich ‚nicht schuldig‘ bekannt. Ist das nicht ein Widerspruch?“

„Keineswegs“, entgegnete Harry gelassen. „Des Hochverrats bin ich nicht schuldig. Ich habe die mir vorgeworfenen Taten tatsächlich begangen, aber sie waren legal.“

Erstauntes Gemurmel im Zaubergamot. Hermine bemühte sich nicht, ihr verächtliches Grinsen zu unterdrücken.

„Ich war zu diesen Taten nicht nur berechtigt“, fuhr Harry fort, „sondern aufgrund meines Auroreneids, in dem ich unbedingte Loyalität gegenüber der Magischen Rechtsordnung geschworen habe, auch verpflichtet. Laut Magischem Recht ist Widerstand gegen die Regierung, auch gewaltsamer Widerstand, einschließlich solcher Taten, die normalerweise verboten sind, zulässig und geboten, wenn die Existenz des Magischen Staates und seine Rechtsordnung durch hochverräterische Akte der Regierung bedroht sind und andere Abhilfe nicht möglich ist. Diese Lage war und ist gegeben.“

„Verstehe ich Sie richtig, Mister Potter, dass Sie die Regierung, und insbesondere die Zaubereiministerin, des Hochverrats bezichtigen?“

„Sie verstehen mich richtig.“

Harry warf einen kurzen Blick auf den Zaubergamot auf. Seine Mitglieder wirkten nicht empört, nur zutiefst bestürzt. Niemand sagte ein Wort. Alle hingen an Harrys Lippen.

„Würden Sie diese Auffassung bitte begründen?“, fragte Greengrass.

„Gerne. Ich fange mit einem Detail an. Ich habe vorhin gesagt, die Aussagen Andersons seinen zutreffend gewesen. Das waren sie in der Tat, sie waren allerdings unvollständig, denn er hat eine wichtige Frage nicht beantwortet.“

„Die nach dem Inhalt des Dokuments, das er Ihnen zur Unterschrift vorgelegt hat?“

„Genau. Dieses Dokument…“

„Angeklagter!“, fuhr Hermine dazwischen. „Sie haben nicht das Recht, den Inhalt von Geheimdokumenten preiszugeben! Ich verbiete Ihnen, dazu auszusagen!“

Harry ignorierte sie. „Es handelte sich um einen Erlass, mit dem das Amasi zum uneingeschränkten Einsatz der Unverzeihlichen Flüche ermächtigt wurde!“

„Was?“ Den Mitgliedern des Gamots stand das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Hermine musste erkennen, dass sie im Eifer des Gefechts einen Fehler begangen hatte. Hätte sie Harry einfach reden lassen, so hätte sie seine Behauptung kaltlächelnd abstreiten können, so aber würde man ihr jetzt nicht mehr glauben.

„Und dabei ist das nur die Spitze des Eisbergs“, fuhr Harry fort. „Wer der Ministerin aufmerksam zuhörte, konnte schon lange feststellen, dass sie plant, Muggeln uneingeschränkten Zugang zur Magischen Welt zu gewähren. Diese Interpretation ihres Handelns ist von der Ministerin selbst ausdrücklich bestätigt worden, und zwar am Weihnachtstag des vergangenen Jahres bei einem privaten Gespräch im Hause der Familie Weasley. Es gibt dafür ein Dutzend Zeugen und sogar eine Tonaufzeichnung. Die Ministerin bekannte sich zu dem Ziel, die magische Gesellschaft und die Muggelgesellschaft zu verschmelzen. Da damit die physische Exterritorialität der magischen Welt gegenüber der Muggelwelt beendet worden wäre, hätten zwei Staaten auf demselben Territorium existieren müssen – eine Unmöglichkeit. Die Politik der sogenannten Öffnung gegenüber der nichtmagischen Welt würde daher die Auflösung des Magischen Staates und die Integration seiner Überreste in den Muggelstaat, also das Vereinigte Königreich, bedeuten.“

„Wäre eine darauf abzielende Politik denn zwangsläufig als eine solche des Hochverrats zu bewerten?“

„Nicht zwangsläufig“, räumte Harry ein. „Wenn sie aufgrund eines Konsenses der Gemeinschaft der Hexen und Zauberer betrieben würde und dieser Konsens in fairer öffentlicher Debatte ohne Androhung von Gewalt, ohne Einschüchterung und Diffamierung oppositioneller Minderheiten und ohne propagandistisches Dauerfeuer einer gleichgeschalteten Presse zustandegekommen wäre, wenn also die magische Gemeinschaft bewusst und in freier Selbstbestimmung beschlossen hätte, in die Muggelgesellschaft zurückzukehren, von der sie sich vor Jahrhunderten aus guten Gründen getrennt hat, dann könnte man kaum von Hochverrat sprechen. Leider ist keine diese Bedingungen gegeben: Die Ministerin…“

„Einspruch!“, schrie Tanville. „Es geht in diesem Prozess um die Taten des Angeklagten, nicht um die Politik der Ministerin!“

„Halt’s Maul, Tanville!“ Einer aus dem Gamot war aufgesprungen, noch bevor Hermine dem Einspruch stattgeben konnte. Hermine fuhr herum und zuckte zusammen: Es war einer ihrer eigenen Leute, ein hünenhafter Schmied!

„Mister Baker!“, fuhr sie ihn an. „Ich rufe Sie zur Ordnung!“

„Und was ist, wenn ich mich nicht zur Ordnung rufen lasse?“, rief Baker aufgebracht. „Darf Anderson mich dann foltern?“ Bitteres Gelächter seiner Kollegen antwortete ihm. „Potter soll reden!“

Hermine schaltete blitzschnell: Wenn sie jetzt, auf ihre Autorität pochend, Harry das Wort entzog, drohte der Gamot sich in ein Revolutionstribunal zu verwandeln – mit ihr als Angeklagter!

Angesichts der Unruhe führte sie ihren Zauberstab an die Kehle, um ihre Stimme zu verstärken, und sagte begütigend:

„Niemand wird hier gefoltert, Mister Baker. Ich bitte nur um Ruhe, damit der Prozess ordentlich fortgeführt werden kann. Der Einspruch des Anklägers ist abgelehnt.“

Die Mitglieder des Gamots beruhigten sich wieder. Harry setzte seine Aussage fort:

„Die Ministerin hat die Öffentlichkeit über ihre Ziele getäuscht und noch in der Debatte über ihre Rede in Hogwarts explizit bestritten, den Zugang zur Magischen Welt für Muggel zu öffnen – wir alle haben ihr Gedächtnisprotokoll gehört. Schon deswegen kann von einer bewussten Entscheidung der magischen Gemeinschaft nicht die Rede sein. Sie hat unter der Vorspiegelung, Muggel und Muggelstämmige vor Diskriminierung schützen zu müssen, nicht nur die Bürger mit schikanösen Sprachregelungen gegängelt, sondern auch jeden Gegner ihrer Politik als Todesser verleumdet beziehungsweise verleumden lassen. Sie hat eine Geheimpolizei gegründet, über deren Kompetenzen die Öffentlichkeit nichts erfahren darf. Sie hat den Einsatz der Unverzeihlichen freigegeben. Sie hat die Dementoren zurückgeholt, deren Gegenwart für inhaftierte Regimegegner einer Dauerfolter gleichkommt. Sie umgeht den normalen Gesetzgebungsweg und regiert mit Notverordnungen, darunter solchen, die rückwirkende Bestrafung vorsehen, sodass niemand davor sicher ist, für Taten bestraft zu werden, die zum Zeitpunkt ihrer Begehung straffrei waren. Nicht nur nach ihren Zielen, auch nach den illegalen Methoden, ohne die sie ihre Ziele gar nicht erreichen könnte, ist ihre gesamte Politik eine Politik von Putsch und Hochverrat!“

Totenstille lag über dem Saal und verlieh seinen Worten mehr Nachdruck, als donnernder Applaus es vermocht hätte. Greengrass ließ die Aussage einen Moment nachhallen und fragte dann scheinbar zweifelnd:

„Ihre Loyalität gegenüber der Magischen Rechtsordnung in allen Ehren, Mister Potter, aber Sie und Hermine Granger waren Freunde…“

„Ich muss Sie korrigieren, Herr Verteidiger“, fiel Harry ihm ins Wort. „Hermine und ich sind Freunde!“

Während im Saal verblüfftes Gemurmel anhob, sagte Harry so leise, dass Hermine es gerade noch hören konnte, zu ihr:

„Halt durch, Hermine, wir wissen, dass du es nicht bist! Sobald du frei bist, warten deine Freunde und deine Familie auf dich. Wir vermissen dich!“

Nicht nur die Gamot-Mitglieder in den vorderen Reihen, die ihn gehört hatten, auch sein eigener Anwalt schaute Harry verdutzt an. Hermine allerdings zog verächtlich die Mundwinkel herunter. Sie hatte genau verstanden, wovon er sprach.

„Was meinen Sie damit“, wollte der Anwalt wissen, „‚Wir wissen, dass du es nicht bist‘ und ‚Sobald du frei bist‘?“

„Ich habe starke Anhaltspunkte dafür“, erwiderte Harry, „dass die Ministerin nicht Herrin ihrer eigenen Entschlüsse ist, weil sie unter dem Fluch eines sie kontrollierenden unbekannten Schwarzen Magiers steht.“

Nun kam erst recht Unruhe im Gamot auf.

„Ruhe bitte!“ Hermine war wieder die Selbstbeherrschung in Person, als sie sich spöttisch an den Gamot wandte: „Sie wollten Potters Ammenmärchen ja unbedingt hören, nun beschweren Sie sich nicht!“

„Was für Anhaltspunkte sind das?“, fragte Greengrass.

„Zunächst fielen mir im Lauf des letzten Jahres drastische Persönlichkeitsveränderungen an der Ministerin auf, insbesondere ein zunehmender Hang zu Fanatismus und Intoleranz. Vor einem oder zwei Jahren hätte doch niemand für möglich gehalten, dass all das, was jetzt Gesetz ist, jemals von ihr unterschrieben werden könnte, am wenigsten vermutlich sie selbst. Nachdem aber mein Sohn Albus, Roy MacAllister und ich selbst unabhängig voneinander bei verschiedenen Gelegenheiten am 17. und 24. September schlagartige Änderungen ihrer persönlichen Ausstrahlung wahrnahmen, die ebenso schlagartig wieder verschwanden, musste ich aufgrund meiner Ausbildung davon ausgehen, dass sie unter einem Fluch steht, ich wusste zunächst nur nicht, unter welchem. Es musste sich um einen bis dahin unbekannten Fluch handeln. Die Lösung fand ich in einem unscheinbaren Buch, in dem die Methoden Voldemorts beschrieben wurden.“

„Sie sprechen von diesem Buch?“

Greengrass hielt das Duplikat des Sulphangel-Buchs in die Höhe. „‚Tresodor Sulphangel, Das Geheimnis des Dunklen Lords: ein neuer Kontrollzauber‘?“

„Was ist das denn für ein windiges Fledderheftchen?“, höhnte Tanville. „Besorgen Sie sich Ihr Beweismaterial auf dem Flohmarkt?“

„Nein, Sir“, erwiderte Harry höflich, „aus der Hogwarts-Bibliothek. Roy MacAllister, der ebenfalls einen Fluch vermutete, hatte es dort entdeckt und es mir nach dem, äh, beeindruckenden Auftritt der Ministerin am 24. September in meinem Privathaus zur Verfügung gestellt. Es handelt sich um eine Beschreibung der Methoden Voldemorts, mit denen er sich seine Todesser gefügig machte und zu namenlosen Verbrechen verleitete. Kurz gesagt, besteht die Methode darin, dass der eindringende Schwarzmagier vom Gewissen des Opfers Besitz ergreift und es quasi als Stützpunkt benutzt, von dem aus seine eigene Seele die des Opfers verdrängt, isoliert und schließlich absterben lässt. Was ich vorhin zur Ministerin gesagt habe, habe ich zu Hermines wirklicher Seele gesagt, nicht zu dem, der sie kontrolliert.“

„Das ist ja ganz reizend von Ihnen, Potter“, ätzte Hermine von oben herab, „ich werde es meiner Seele ausrichten. Aber wenn ich Ihr Anwalt wäre, würde ich jetzt nicht mehr auf ‚nicht schuldig‘, sondern auf ‚unzurechnungsfähig‘ plädieren.“

Sofern Hermine gehofft hatte, den Gamot zu beeindrucken, indem sie Harrys Aussage ins Lächerliche zog, hatte sie sich getäuscht. Die Männer und Frauen, die hier saßen, waren allesamt mit Zauberei großgeworden, in ihren Ohren klangen Harrys Vermutungen keineswegs so phantastisch, wie sie es wohl für eine Muggel-Jury gewesen wären.

Greengrass beantragte nun, das Buch als Beweismittel zuzulassen.

„Der Angeklagte hat uns gesagt, was drinsteht“, konterte Hermine, „und niemand bezweifelt, dass er den Inhalt korrekt wiedergibt. Ansonsten hat das Buch keine Beweiskraft, und ich werde Ihnen nicht die Gelegenheit zu einer weiteren Vorlesestunde geben, Herr Verteidiger. Ihr Antrag ist daher abgelehnt.“

An ihrer Ausführlichkeit merkte man, dass Hermine vorsichtig geworden war.

„Haben Sie weitere Anhaltspunkte für einen Fluch?“

„Ja, Sir“, erwiderte Harry. „Besagte Tonaufzeichnung vom Monolog der Ministerin am Weihnachtstag im Haus der Familie Weasley.“

„Die hierauf gespeichert ist?“ Greengrass hielt die Wasseruhr hoch.

„Ja.“

„Ich beantrage, dieses magische Gerät und die darauf gespeicherte Tonaufzeichnung als Beweismittel zuzulassen.“

„Ich muss Sie wieder enttäuschen“, antwortete Hermine höflich, „für Tonaufzeichnungen aller Art, die ohne Wissen des Betroffenen erfolgen, besteht nach Magischem Recht ein Beweisverwertungsverbot.“

Das war formal korrekt, klang aber aus dem Mund einer Ministerin, die den Einsatz der Unverzeihlichen Flüche genehmigt hatte, doch irgendwie eigenartig.

„Spielt man diese Aufzeichnung rückwärts ab, so hört man einen Hilferuf, der sich explizit an meinen Sohn Albus, Hermines Ehemann Ron Weasley, mich, ihre Tochter Rose und meine Frau Ginny richtet, und zwar in dieser Reihenfolge, verbunden mit den Worten ‚Ich kann nicht mehr‘, ‚Ich ersticke‘ und ‚Ich sterbe‘.“

„Das wird ja immer wilder!“, rief Tanville dazwischen. „Vermutlich haben Sie diese Botschaften selbst hineingezaubert, wenn sie überhaupt existieren.“

„Ich habe nichts dergleichen getan, Sir“, erwiderte Harry ruhig. „Und da ich es für ausgeschlossen halte, dass sich Töne rein zufällig zu einer solchen Botschaft zusammensetzen, bestärkt es mich in meiner Vermutung, dass die Ministerin unter einem Fluch steht und ihre Seele auf diese Weise Botschaften hinausschmuggelt.“

„Wenn die Entführung gelungen wäre“, wollte Greengrass wissen, „hätten Sie dann versucht, diesen Fluch zu brechen?“

„Selbstverständlich hätte ich das versucht. Der Fluch ist zwar neuartig, und es gibt kein Standardverfahren dafür, aber ich bin für die Bekämpfung Schwarzer Magie qualifiziert, eine Chance hätte es mit Sicherheit gegeben, aber dazu musste die Ministerin in meiner Gewalt sein.“

„Und wenn es Ihnen gelungen wäre, hätten Sie die Ministerin auch dann aus dem Amt gedrängt?“

„Das wäre dann nicht mehr erforderlich gewesen.“

„Danke, Mister Potter, keine weiteren Fragen.“

Nun erhob sich Tanville.

„Angeklagter, Sie haben uns einige abenteuerliche Theorien präsentiert…“

„Nein, Sir, ich habe Beobachtungen präsentiert.“

„Und sie zu abenteuerlichen Theorien verarbeitet“, beharrte der Ankläger. „Sie glaubten sich also berechtigt, die Ministerin zu entführen, weil sie angeblich unter einem Fluch stand…“

„Nein, Sir, ich war dazu berechtigt, weil sie eine hochverräterische Politik betreibt, egal, aus welchem Grund und unter welchem Einfluss.“

„Eigenartig, dass Ihnen dieser vorgebliche Hochverrat entgangen war, solange es Ihres Amtes war, dagegen einzuschreiten. Warum haben Sie als Auror denn kein Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet?“

„Weil die Beweise damals noch nicht ausreichten. Abgesehen davon hätte sie mich dann sofort meines Postens enthoben.“

„Sie sagen, die Beweise reichten Ihnen nicht. Sie waren als hoher Sicherheitsbeamter doch über ihre Politik im Bilde?“

„Nein, Sir, ich verließ mich darauf, dass sie die Linie, die sie bei ihrer Rede in Hogwarts bezeichnet hatte, nicht überschreiten würde. Es ist eine Sache, Gegnern die ganze Härte des Gesetzes anzudrohen, und eine völlig andere, diese Gesetze und ihre Härte uferlos auszudehnen, wie sie es erst nach meiner Beurlaubung getan hat.“

Tanville erwies sich als hoffnungslos überfordert. Er versuchte Harry, der doch selbst in Verhörtechniken ausgebildet worden war, plumpe Fallen zu stellen und flüchtete sich schließlich darin, sich seinen Entführungsplan nochmals erläutern zu lassen, über den längst alles gesagt worden war, und den Harry nie bestritten hatte. Selbst Hermine fand die sich im Kreise drehende Vernehmung offenbar zunehmend ermüdend.

„Ankläger“, fragte sie schließlich. „Das alles ist schon lang und breit erörtert worden. Haben Sie noch neue Gesichtspunkte einzuführen?“

Tanville merkte, was sie wünschte.

„Nein, Euer Ehren, ich habe jetzt auch keine weiteren Fragen mehr.“

„Möchten Sie weitere Zeugen aufrufen?“

„Ich denke, auf die Befragung des Zeugen Percy Weasley können wir nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme verzichten, und weitere Zeugen sind seitens der Anklage nicht vorgesehen.“

„Wünscht die Verteidigung, weitere Zeugen anzuhören?“

Eine weitere Verzögerung hatte keinen Sinn mehr. Greengrass hatte seine Trümpfe ausgespielt, die Wirkung würde durch weitere ermüdende Befragungen nur verpuffen.

„Keine Zeugen mehr, Euer Ehren.“

„Gut“, sagte Hermine, und ein Seufzer der Erleichterung entfuhr nicht nur ihr, sondern auch etlichen Gamot-Mitgliedern. „Dann schließe ich hiermit die Beweisaufnahme. Der Prozess wird morgen früh um elf Uhr mit dem Plädoyer der Anklage fortgesetzt.“

Sie fixierte Tanville, als wollte sie sagen: Und wehe, du bist morgen nicht besser in Form!

 

„Man erlebt bisweilen Verfahren“, eröffnete Tanville am nächsten Morgen sein Plädoyer, „in denen die Beweislage klar und unwiderlegbar ist und der Angeklagte gesteht. Und man erlebt bisweilen andere Verfahren, in denen der Angeklagte auf ‚nicht schuldig‘ plädiert. Das Schauspiel eines Angeklagten jedoch, der in der Sache ein umfassendes Geständnis ablegt und sich gleichwohl für ‚nicht schuldig‘ hält, dürfte in der Geschichte der Magischen Justiz einzigartig sein. Schon deswegen verdient dieser Prozess die Bezeichnung ‚historisch‘.

Alle Vorwürfe der Anklage gegen Harry Potter wurden lückenlos bestätigt, der Angeklagte hat nicht einmal versucht, sie zu bestreiten, sondern Alles zugegeben: Er hat zugegeben, die Ministerin angegriffen zu haben, er hat zugegeben, dass er sie entführen wollte, er hat zugegeben, sie dem Imperiusfluch unterworfen zu haben, er hat zugegeben, dass er all dies mit dem Ziel tat, sie als Ministerin zu stürzen und durch jemand anderen zu ersetzen.

Das Einzige, was er nicht zugegeben hat – worauf es aber auch nicht ankommt – ist, dass er selbst jener Andere sein sollte! Dass sein unbefriedigter Ehrgeiz ihn zu seiner ungeheuerlichen Tat veranlasst hatte. Mister Potter hat uns ein rührendes Schauspiel geliefert: Er hat sich als pflichtbewusster Beamter inszeniert, als unerschütterlich loyale Stütze der Magischen Rechtsordnung, als treuer Gesetzeshüter und nicht zuletzt“ – Tanville erhob die Stimme und ließ den erhobenen Zeigefinger kreisen – „als selbstloser Freund der Ministerin, der ihr gewissermaßen nur zu ihrem eigenen Besten Gewalt antun musste.

All dies sind durchsichtigste Schutzbehauptungen. Ich frage Sie alle: Würden Sie jemanden, der mit Ihnen das macht, was Potter mit der Ministerin gemacht hat beziehungsweise machen wollte, als Ihren Freund ansehen? Kann irgendjemand so einfältig sein, einem Terroristen – denn nichts Anderes ist der Angeklagte! – seine Schmierenkomödie als getreuer Ekkehard des Magischen Staates abzunehmen? Möchten Sie in einem Staat leben, in dem es jedem Dahergelaufenen erlaubt ist, aus eigener Machtvollkommenheit zur Gewalt zu greifen, wenn ihm die Politik der Regierung nicht passt?

Wenn Sie diese Fragen bejahen könnten – aber nur dann! –, könnten Sie den Angeklagten freisprechen – hätten dann aber jedem Recht, jeder Ordnung und dem Magischen Staat selbst das Grab geschaufelt! Nein, es kann hier nur ein Ergebnis geben: Der Angeklagte ist in allen Punkten uneingeschränkt und ohne jede Rechtfertigungsmöglichkeit schuldig!“

Tanville setzte sich wieder. Der Gamot wirkte unbeeindruckt.

„Vielen Dank, Ankläger“ sagte Hermine. „Herr Verteidiger, Ihr Plädoyer, bitte.“

Greengrass ließ eine kleine Pause verstreichen, in denen er etlichen Gamot-Mitgliedern in die Gesichter sah, dann hob er an:

„Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich stimme mit dem Vertreter der Anklage in einem Punkt überein: Dies ist ein historischer Prozess. Die Historiker des Magischen Staates werden ihn dereinst als den Moment bezeichnen, in dem der Magische Staat, die Freiheit der Hexen und Zauberer und die Welt, die unsere Heimat ist und die wir lieben, gerettet wurden – oder untergegangen sind.

Harry Potter, derselbe Harry Potter, der die Diktatur Voldemorts zwei Mal gestürzt und die Magische Welt von dem übelsten Tyrannen befreit hat, den sie je erlebt hat, dieser Harry Potter also, ist ein Mann, der mit offenem Visier kämpft. Er hat keine der Taten bestritten, die ihm vorgeworfen werden, aber er hat auch gesagt, warum er sie begangen hat, nämlich um dem hochverräterischen Treiben der Ministerin Hermine Granger Einhalt zu gebieten.

In Harry Potter und Hermine Granger stehen sich zwei Gryffindors gegenüber, die noch vor kurzem enge Freunde waren, deren Wege sich aber nun getrennt haben und trennen mussten, weil es sich um zwei Wege handelt, die zwei miteinander unvereinbare Konzepte des Magischen Staates repräsentieren.

Einer von beiden, soviel steht fest, hat Hochverrat begangen. Sie, meine Damen und Herren, werden zu entscheiden haben, wer es war.

Wenn Hermine Granger keinen Hochverrat begangen hat, dann ist die von ihr angestrebte und zu einem erheblichen Teil schon verwirklichte Ordnung rechtmäßig. Dann ist es zum Beispiel rechtmäßig, rückwirkende Strafgesetze zu erlassen und sie durch eine willkürlich konstruierte ‚Staatsnotwehr‘ zu rechtfertigen, die der Ankläger – Sie erinnern sich – gegen meinen Ablehnungsantrag geltend gemacht hat. Freundlicherweise hat er damit immerhin zugegeben, dass die Rechtmäßigkeit der ganzen Anklage an der Existenz einer von ihm behaupteten, aber mit keinem Wort begründeten, geschweige denn bewiesenen Notwehrsituation hängt. Wenn Sie Harry Potter verurteilen, dann ermächtigen Sie die Ministerin nicht nur für diesen Fall, sondern für alle Zukunft zu jeder Art Rechtsbruch unter Berufung auf eine angebliche Staatsnotwehrsituation, über deren Vorliegen niemand anders entscheidet als die Ministerin selbst.

Wenn Hermine Granger keinen Hochverrat begangen hat, dann ist es rechtmäßig, jeden Gegner der Politik des Ministeriums als Staatsfeind zu brandmarken und ihn der speziellen Behandlung durch eine Geheimpolizei mit geheimen Kompetenzen zu überantworten. Erinnern Sie sich noch an die ursprüngliche Bedeutung des Wortes ‚Todesser‘? Vor zwanzig Jahren nannte man die aktiven Unterstützer Voldemorts so, vor zwei Jahren noch Menschen, die wenigstens seine Ideologie teilten. Heute nennt das Ministerium, unterstützt durch das propagandistische Trommelfeuer einer verlogenen und verkommenen Journaille, Jeden so, der die sogenannte ‚Öffnung zur nichtmagischen Welt‘ nicht mitträgt. ‚Todesser‘ ist heute ein anderes Wort für ‚Regierungsgegner‘ und in diesem Sinne ein demagogischer Lügenbegriff.

Wenn Hermine Granger keinen Hochverrat begangen hat, dann war es rechtmäßig, dass das Regime den Anspruch erhebt, Sie, mich, uns alle, erwachsene Menschen zu einem bestimmten Sprachgebrauch erziehen zu dürfen. In einem Staat, der sich dies anmaßt und seine Bürger als unmündige Erziehungsobjekte behandelt, stehen Bürgerrechte nur auf dem Papier und zum Teil nicht einmal mehr dort.

Wenn Hermine Granger keinen Hochverrat begangen hat, dann war es rechtmäßig, grundlegende Umwälzungen des Magischen Staates per Notverordnung durchzusetzen, ohne das Volk zu fragen, ja ohne es auch nur zu informieren.

Wenn Sie der Meinung sind, dass Hermine Granger keinen Hochverrat begangen hat, dann erklären Sie damit, dass die rechtmäßige Ordnung dieses Staates die Willkürherrschaft einer einzelnen Person, das heißt die Diktatur ist. Dann erklären Sie die Regierung für berechtigt, jeden ihrer Gegner der Geheimpolizei, den Dementoren und Henkern auszuliefern.

Wenn Sie aber anderer Meinung sind, dann hat die Ministerin sich des Hochverrats schuldig gemacht, und dann war das Handeln meines Mandanten legal!

Mit Ihrem heutigen Urteil entscheiden Sie, in welcher Art von Ordnung Sie in Zukunft leben werden. Und diese Entscheidung treffen Sie nicht nur für sich selbst und für die jetzige magische Gemeinschaft. Sie treffen Sie auch für Ihre Kinder und Enkel. Ihnen werden Sie eines Tages Rede und Antwort stehen müssen, Ihre Kinder und Enkel werden Sie fragen, was Sie am heutigen Tage getan haben!

Sie werden Sie fragen: Hast auch du zu denen gehört, die versucht haben, unsere Welt zu zerstören und unsere Freiheit zu beseitigen? Wenn Sie sicher sein wollen, ihnen dann in die Augen sehen zu können, müssen Sie meinen Mandanten heute freisprechen! Ich danke Ihnen.“

Harry hatte die Mitglieder des Gamots während des ganzen Plädoyers im Auge behalten. Fast Jeder von Ihnen hatte durch unbewusstes, kaum merkliches Kopfnicken gezeigt, was er dachte. Greengrass hatte sie überzeugt.

Auch Hermine spürte es, ließ sich aber nichts anmerken. „Angeklagter, Ihnen steht das Recht auf das letzte Wort zu. Möchten Sie noch etwas sagen?“

„Besser als mein Anwalt“, erwiderte Harry, „kann man es nicht formulieren. Ich verzichte auf das Schlusswort.“

„Großmeister“, wandte sie sich nun an Neptunus Crowe, „da es bereits fast zwölf Uhr ist, hat das Ministerium veranlasst, dass die Mitglieder des Gamots zunächst zu Mittag essen können. Kann ich davon ausgehen, dass dies in Ihrem Sinne ist?“

„In der Tat, Euer Ehren und Frau Ministerin, und ich möchte mich im Namen des Gamots für die Aufmerksamkeit bedanken.“

Hermine nickte ihm zu.

„Der Angeklagte wird für die Dauer der Beratung nach Askaban zurückgebracht und wieder vorgeführt, sobald die Beratung des Gamots beendet ist“, entschied sie.

Die Dementoren aktivierten den Portschlüssel und verschwanden mit Harry. Die anderen Verfahrensbeteiligten strömten aus dem Saal. Hermine blieb zurück.

Als sie allein war, stand sie auf und trat an den Tisch, auf dem die Beweisstücke lagen, darunter auch Harrys Tarnumhang. Hermine nahm den Umhang und streifte ihn sich über.

 

 

„Das war aber eine kurze Beratung“, raunte Harry seinem Anwalt zu, als er bereits gegen vierzehn Uhr wieder auf seinem Stuhl festgeschnallt wurde. Soeben hatte der Gamot bekanntgegeben, dass er zu einer Entscheidung gekommen war.

„Ich gehe davon aus“, schmunzelte der Anwalt, „dass der Beratungsbedarf nicht allzu groß war. Die Ministerin hatte aber noch Zeit für eine neue Notverordnung, mit der sie die Mindestfrist für die Vollstreckung eines Todesurteils von zehn Tagen auf zehn Stunden herabgesetzt hat.“

„Was?“, entfuhr es Harry.

„Keine Sorge, man wird Sie freisprechen“, beruhigte ihn Greengrass. „Die Einzige, die das noch nicht weiß, ist die Ministerin. Offensichtlich leidet sie unter völligem Realitätsverlust.“

„Da bin ich mir nicht so sicher“, flüsterte Harry und deutete mit dem Kopf auf die Mitglieder des Gamots, die soeben wieder in den Gerichtssaal strömten und auf eigentümliche Weise heiter und beschwingt wirkten. „Schauen Sie sie sich an! Was sagen Ihnen diese Mienen?“

„Dass sie mit sich im Reinen sind!“

„Sie sind ein großartiger Anwalt, Greengrass, aber kein Auror.“ Harry schüttelte traurig den Kopf. „Diese Männer und Frauen stehen unter dem Imperiusfluch.“

Hermine betrat als Letzte den Saal und nahm ihren Richterstuhl wieder ein.

„Großmeister, ist der Gamot zu einem Urteil gelangt?“

„Ja, Euer Ehren.“

„Wie lautet es?“

„Der Gamot spricht den Angeklagten einstimmig schuldig, und zwar in allen Anklagepunkten.“

„Ich stelle fest“, verkündete Hermine sachlich, „dass der Gamot den Angeklagten schuldig gesprochen hat. Ich verkünde nun das Urteil. Bitte erheben Sie sich!“

Alle außer Harry, auch der völlig konsternierte Greengrass, standen auf.

„Im Namen der Gemeinschaft der Hexen und Zauberer ergeht folgendes Urteil: Der Angeklagte Harry James Potter wird wegen Hochverrats in Tateinheit mit versuchter und vollendeter Körperverletzung, versuchtem Menschenraub und unerlaubtem Gebrauch eines Unverzeihlichen Fluchs gemäß den Bestimmungen der Notverordnung zum Schutze des Magischen Staates vom 18. Januar 2018 zum Tode durch Enthauptung verurteilt. Das Urteil wird am morgigen Donnerstag, dem 15. März 2018, um sechs Uhr morgens im Hof des Gefängnisses von Askaban vollstreckt. Die Verhandlung ist geschlossen.“

62 – Der Schwarze Magier

 

Als Greengrass gegen drei Uhr nachmittags in Rockwood Castle apparierte, brauchte er nicht zu sagen, was passiert war. Alle lasen es an seiner Miene ab.

„Wie kann das sein?“, fragte James entsetzt. „Sie haben doch gesagt…“

„Der Gamot stand unter dem Imperiusfluch“, unterbrach der Anwalt ihn mit Grabesstimme. „Die Hinrichtung soll bereits morgen früh um sechs Uhr in Askaban stattfinden.“

Roy warf einen kurzen Blick auf Albus. Er stand bleich, aber gefasst neben Rose, die nach seiner Hand griff. Was für ein großartiger kleiner Kerl, dachte er. So einen Sohn…

Er führte den Gedanken nicht zu Ende. Jetzt galt es, jetzt kam es auf ihn an!

„Alle mal herhören! Das ist die Situation, auf die wir uns seit Wochen vorbereitet haben. Wir haben alles durchdacht und hundertfach geübt. Jeder weiß, was er zu tun hat, jede Eventualität ist einkalkuliert. Wir haben einen Plan, der funktioniert. In weniger als zwölf Stunden werden wir mit Harry, Julian, Ares, Orpheus, Arabella und den anderen Gefangenen hier in Rockwood Castle apparieren!“

Man konnte sehen, wie in die Gesichter auch der Potters und Weasleys die Farbe zurückkehrte. Roy hatte es gesagt, sie würden siegen!

„Wir brauchen nicht mehr zu üben. Der weitere Ablauf für heute: Vier Stunden ausruhen. Wer kann, sollte noch ein wenig schlafen. Um sieben Uhr Abendessen, um acht eine letzte Besprechung, Prüfung der Ausrüstung. Um halb zwölf werden die Jüngeren ihre Alterungstränke einnehmen – und zwar ohne zu flirten oder vor dem Spiegel zu posieren“, fügte er unter dem Grinsen der Erstklässler hinzu. „Punkt Mitternacht disapparieren wir. Noch Fragen?“

Niemand hatte Fragen. Alles würde ablaufen wie geplant.

 

***

 

Harry hatte sich als Henkersmahlzeit eine Siruptorte gewünscht, die von den Elfen des Ministeriums auch prompt geschickt wurde. Sie war so groß, dass er die ganze Nacht davon hätte essen können, wenn er gewollt hätte – und am liebsten hätte er es getan, so lecker war sie, fast so gut wie die von Ginny.

Harry rechnete aber fest auf Roy. Wenn dessen Befreiungsaktion anlief, durfte er nicht vollgefressen sein. Er beließ es bei einem einzigen Stück Torte und legte sich auf seine Pritsche.

Wann sie wohl kommen würden? Wahrscheinlich zwischen Mitternacht und sechs Uhr, aber er musste jederzeit mit ihnen rechnen. Er würde nicht schlafen. Er versenkte sich in jenen tranceähnlichen, paradoxen Zustand völliger geistiger Klarheit und Wachheit bei gleichzeitiger Abwesenheit aus der Welt – ein Zustand, durch den er während der ganzen Zeit seiner Haft die Dementoren frustriert hatte, die doch so gerne das Glück aus ihm herausgesaugt hätten.

Heute allerdings stand kein Dementor vor seiner Zelle. Den Schritten nach zu schließen, die er hören konnte, wurde er von einem Menschen, wahrscheinlich einem Auror, bewacht. Hoffentlich verließen die Befreier sich nicht nur auf ihre Patroni!

Einige Stunden mochten vergangen sein, als er die magischen Schlüssel klirren hörte. Die Uhr, die man ihm für diese Nacht zur Verfügung gestellt hatte, zeigte elf Uhr. Harry stand auf. In der Tür stand Cesar Anderson.

„Guten Abend, Cesar“, begrüßte Harry ihn in einem lockeren Tonfall, als wären sie noch immer Kollegen und stünden im Büro. Falls Anderson darüber erstaunt war, ließ er es sich nicht anmerken.

„Guten Abend, Harry. Schön, dass Sie trotz der Umstände wohlauf sind. Leider muss ich Ihnen jetzt Fesseln anlegen. Setzen Sie sich bitte. Sie haben Besuch.“

Harry tat, wie ihm geheißen, und Anderson fesselte ihn mit einem stillen „Incarcerus“ an den Stuhl. Dann verließ er die Zelle, um der Besucherin Platz zu machen. Es war Hermine.

„Danke Cesar“, sagte sie freundlich. „Schließen Sie bitte die Tür hinter mir. Ich rufe Sie dann.“

Als die Tür ins Schloss fiel, zog Hermine ihren Zauberstab und richtete ihn auf die Tür. „Imperturbatio“, murmelte sie.

Harry wunderte sich. Wollte sie ihm noch in letzter Minute etwas anvertrauen, das nicht einmal Anderson hören durfte?

„Tja, Potter“, sagte sie gedehnt, als sie sich zu ihm umdrehte. „So sieht man sich wieder!“

„Nach acht Stunden, was für eine Ewigkeit“, spottete Harry. „Du hast doch nicht etwa Sehnsucht nach mir gehabt?“

„In gewisser Hinsicht schon. Du bist ein hervorragender Auror, Potter. Du hast immerhin herausgefunden, dass ich nicht Hermine bin, und du hast sogar meinen Fluch identifiziert, weißt aber immer noch nicht, wer ich wirklich bin. Ich finde, du hast ein Recht, es zu erfahren. Und ich freue mich darauf, es dir zu sagen!“

Während sie sprach, veränderte die Iris ihrer Augen ihre Farbe, die Pupillen ihre Form. Harry musste zwei Mal hinsehen, um es zu glauben: Aus Hermines hübschem Gesicht starrten zwei rote, geschlitzte Schlangenaugen ihn an.

Riddle?“, fragte er entgeistert.

„Für dich immer noch Lord Voldemort. – Was guckst du so perplex, du wusstest doch, dass dieser Fluch von mir war, und deine Narbe hat auch gebrannt, obwohl ich versucht habe, sie so wenig wie möglich zu reizen. Hast du es wirklich nicht geahnt?“

„Geahnt schon, aber nicht für möglich gehalten. Das kann doch nicht sein, du bist seit fast zwanzig Jahren tot!“

„Offenbar nicht“, grinste Voldemort mit Hermines Mund, „und ehrlich gesagt wundere ich mich über deine Naivität, du bester Auror, den das Ministerium je hatte. Du hast sieben Horkruxe zerstört. Du hieltest mich für tot, weil du glaubtest, ich hätte nur sieben hergestellt. Warum? Weil ich Slughorn irgendwann in den vierziger Jahren auf diese Möglichkeit angesprochen hatte!“

„Und weil die Sieben eine magische Zahl ist.“

Voldemort schnaubte verächtlich. „Jede Zahl hat ihre eigene Magie, nicht nur die Sieben. Du wusstest doch, dass ich in all den Jahren weiter experimentiert hatte. Ist dir nie der Gedanke gekommen, dass ich in die Geheimnisse der Magie, auch der Zahlenmagie, tiefer eingedrungen bin, als du dir jemals vorstellen könntest? Dass ich deshalb meine Pläne geändert haben könnte?“ Die Schlangenaugen sahen einen Moment lang kalt auf Harry herab, bevor Voldemort – verwirrenderweise immer noch mit Hermines Stimme – weitersprach: „Neun Leben hat die Katze! Weißt du, warum?“

Harry schüttelte den Kopf.

„Dabei haben die alten Ägypter es schon herausgefunden, Jeder hätte es wissen können: Weil neun die höchste Anzahl von Bruchstücken ist, die es von derselben Seele gleichzeitig geben kann.“

„Dann hast du in Wirklichkeit neun Horkruxe hergestellt, ich meine: acht Horkruxe zusätzlich zu dem Seelenbruchstück, das in deinem eigenen Körper lebte?“ Harry vergaß fast, dass er an einen Stuhl gefesselt auf seine Exekution wartete, so faszinierend fand er das, was Voldemort ihm auftischte.

„Ich versuchte es. Nachdem ich ein kleines, ganz unauffälliges Goldnugget zu meinem achten Horkrux gemacht hatte, versuchte ich den neunten zu erzeugen. Es misslang. Heute, da ich auf Hermines Gedächtnis zugreifen kann, weiß ich auch, warum: weil du der neunte Horkrux warst, in dem ein Teil meiner Seele lebte. Die Zahl war voll.“

„Und was wurde aus dem achten?“, wollte Harry wissen.

„Dieser achte Horkrux, Potter, ist der Grund, warum ich heute vor dir stehe.“

„Du hast ihn Hermine untergejubelt?“

„Nicht untergejubelt. Mit Gewalt eingepflanzt.“

„Das muss sie doch gemerkt haben!“, wandte Harry ein.

„Ja und nein. Unter der Folter im Malfoy Manor merkte sie wohl, dass ihr Gewalt angetan wurde, aber sie bemerkte bei all den Schmerzen nicht den besonderen Schmerz, als Bellatrix den achten Horkrux in ihrer Schädeldecke versenkte…“

„Aber Bellatrix wollte sie umbringen“, fiel Harry ihm ins Wort.

„Wollte sie nicht! Ich hatte es ihr verboten, sie wollte ihr nur Angst einjagen.“

„Warum hast du das getan?“

Voldemort blickte einen Moment über Harry hinweg, als müsse er nachdenken.

„Als sich die Dinge im Frühjahr 1998 zuspitzten, war ich entschlossen, den Kampf gegen dich nicht noch einmal ohne Rückversicherung zu führen. Ich überdachte nochmals alle meine Vorsichtsmaßnahmen und erkannte sie als unzureichend. Alle meine Horkruxe außer mir selbst und der Schlange Nagini – und dir, aber das wusste ich damals nicht – waren an tote Gegenstände gebunden und bedurften der Nähe eines Menschen, um zum Leben zu erwachen, so wie es bei dem Tagebuch ja auch geklappt hatte. Aber das war ein Zufall gewesen, und ich konnte mein Leben nicht von Zufällen abhängig machen. Ravenclaws Diadem hätte noch ewig im Raum der Wünsche, der Ring noch ewig im Haus der Gaunts, Hufflepuffs Becher noch ewig in Bellatrix‘ Verlies bleiben können, ohne dass irgendjemand ihnen, also mir, zum Leben verholfen hätte. Ich beschloss, das Goldnugget, den achten Horkrux, von vornherein einem lebenden Menschen einzupflanzen.“

„Und da bist du ausgerechnet auf Hermine verfallen? Warum? Es wäre doch viel logischer gewesen, ihn einem der Todesser zu implantieren – Bellatrix oder Rodolphus oder Draco Malfoy. Die hätten sich noch geehrt gefühlt. Aber Hermine? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn!“

„Und ob das einen Sinn ergibt!“ Voldemort lachte kalt. „Wenn es keinen Sinn gehabt hätte, säßest nicht hier und würdest auf deine Hinrichtung warten. – Es war, wie gesagt, eine Rückversicherung für den Fall meiner Niederlage, die dann auch die Niederlage der Todesser sein würde, und zwar die zweite und diesmal endgültige Niederlage! Überleg doch selber: Wer würde heute noch einem alten Todesser oder auch einem ‚Neo-Todesser‘ Macht anvertrauen? Die Todesser taugen gerade noch als Schreckgespenst, das man herumspuken lassen kann, um Dummköpfe und ängstliche Seelen zu versklaven. Du und dein Anwalt, ihr habt uns ja erklärt, wie ich das mache.“ Er lachte voller Hohn. „Genützt hat es dir nichts. – Nein, nein, es musste jemand von euch sein!“

„Hätte es also ebensogut Ron sein können, oder Neville, oder ich selbst?“

„Nein“, widersprach Voldemort entschieden. „Es musste Hermine sein.“

„Warum?“

„Weil damals schon klar war, dass sie es zur Zaubereiministerin bringen würde! Sie hatte alles, was man dazu braucht: brennenden Ehrgeiz, politisches Interesse, enorme Intelligenz, Redetalent, Perfektionismus, Fleiß, Charme, gutes Aussehen. Ich hatte sie jahrelang beobachtet…“

„Wie das denn?“

„Hast du schon vergessen, dass ich damals durch deine Augen sehen konnte, Potter?“ Er schüttelte Hermines Kopf wie über eine kindische Torheit und fuhr fort:

„Vor allem aber hatte sie alle Eigenschaften, die ich für meine Zwecke brauchte. Erinnerst du dich noch an das Buch des Halbblutprinzen?“

„Natürlich“, erwiderte Harry, „unser Zaubertrankbuch der sechsten Klasse, in das Snape als Schüler seine Anmerkungen gekritzelt hatte. Es war mit diesen Anmerkungen das beste Zaubertrankbuch, das ich je in der Hand gehabt habe, ohne sie ziemlich wertlos.“

„Du wusstest das, Potter, richtetest dich danach und hattest Erfolg. Sie sah deine Erfolge, sie hätte wissen müssen, dass dein Buch besser war, und doch hielt sie sich an das schlechte offizielle Buch, weil es eben offiziell war, weil es vom Ministerium abgesegnet war, weil es, wie sie glaubte, deshalb den letzten Stand der magischen Wissenschaft verkörpern musste, während die Erkenntnisse eines Genies wie Snape nichts taugen konnten, weil das Ministerium und die Magische Akademie keine Ahnung davon hatten. Oder einfach, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Wenn in einem ihrer Bücher mit wissenschaftlicher Autorität behauptet würde, dass der Regen von unten nach oben fällt, würde sie im größten Wolkenbruch mit nach unten gerichtetem Regenschirm herumlaufen, dabei aber Jedem und sich selbst versichern, keineswegs nass geworden zu sein: eine besondere Art von Dummheit, die nur bei intelligenten Menschen auftritt. Sie glauben eher, was in Büchern steht, als was sie mit ihren eigenen Augen sehen können. Nimm ihren Elfentick: Kein Elf hat je darum gebeten, von ihr befreit zu werden, ganz im Gegenteil, sie haben alles getan, Hermine davon zu überzeugen, dass sie das nicht wollen…“

„Aber die Elfen waren wirklich einem versklavenden Zauber unterworfen, und sie hat ihn aufgehoben!“

„Und?“, fragte Voldemort. „Was hat sich dadurch geändert?“

Harry schwieg.

„Siehst du? In einem ihrer schlauen Bücher stand, dass alle vernunftbegabten Wesen gleich sind, und weil ihre Bücher sich niemals irren können, konnte nicht stimmen, was die Elfen selbst ihr sagten, sie konnten und durften nicht anders ticken als wir Menschen. Und weil in diesen schlauen Büchern des Weiteren steht, dass alle Menschen gleich sind – und nicht sein kann, was nicht sein darf –  darf sie nicht anerkennen, dass Muggel nicht zaubern können. Also müssen alle Muggel Zugang zur magischen Welt bekommen. Wenn sie dann immer noch nicht zaubern können, wird sie zuerst den Zauberern das Zaubern verbieten, denn wenn niemand mehr zaubert, sind wieder alle Menschen gleich. Nach ein paar Generationen, wenn einige zehntausend Magier sich mit zig Millionen Muggeln vermischt haben, ist das magische Blut im Verhältnis eins zu zweitausend verdünnt. Dann kann wirklich keiner mehr zaubern – und die Wenigen, die es dann noch können, werden im Irrenhaus mit Psychopillen ruhiggestellt. So wird die Prämisse, dass alle Menschen gleich sind, ‚bewiesen‘.“

„Aber du selbst hast das alles doch getan. Du hast die Elfen befreit, du hast die Öffnung zur nichtmagischen Welt eingeleitet, denn du hast Hermine kontrolliert!“

„Potter, du enttäuschst mich!“ Er klang wirklich ein wenig enttäuscht. „Du hast Rodolphus‘ Buch doch gelesen…“

Harry sah überrascht auf.

„Ja, Potter, ich habe es inzwischen auch gelesen, und es war nicht schwer, den Autor zu identifizieren. Ab morgen steht Lestrange wieder auf der Fahndungsliste. Also, du weißt doch, wie dieser Fluch funktioniert: Ich lasse den Betreffenden machen, was er im Innersten will, und schalte nur sein Gewissen aus. Deswegen musste es ja genau Hermine sein, denn sie wollte diese Politik. Sie hat – oder vielmehr hatte, denn viel ist von ihr nicht mehr übrig – diese besondere Art Idealismus, die darauf hinausläuft, allen Menschen vorzuschreiben, wie sie zu leben haben – also die Sorte Idealismus, die danach schreit, von Zynikern wie mir missbraucht zu werden! Ich habe nur selten direkt eingegriffen, eigentlich nur, wenn sie Fehler zu machen drohte, aber du kannst ganz sicher sein, Potter: Sowohl die vielgefeierte Elfenbefreiung als auch die Liste der verbotenen Worte als auch die ‚Öffnung zur nichtmagischen Welt‘ waren ganz und gar Hermines eigene Ideen, ich musste ihr höchstens ein paar Skrupel austreiben.“

„Und die Gründung der Geheimpolizei? Der Tabuzauber, der über das ganze Land gelegt wurde? Die Rückkehr der Dementoren?“

„Waren auch noch ihre Ideen. Ich verschaffte ihr nur das gute Gewissen.“

„Und mit wem habe ich an Weihnachten geredet? Mit dir oder mit ihr?“

„Im Wesentlichen mit mir. Das war ungefähr die Zeit, wo sie merkte, dass sie Dinge tat, die ihr völlig widerstrebten. Als ich dich Ende September feuerte – ja, das war ich, aber da redete sie sich noch ein, es sei ihre eigene Idee gewesen. Um Weihnachten herum merkte sie aber, dass sie nicht mehr Herrin ihrer selbst war. Daher ihr Hilferuf, den du in der Wasseruhr aufgezeichnet hast. Da war es aber schon zu spät für sie. Ihr blieb nur noch, ihre verbliebene Kontrolle über die niederen Körperfunktionen dazu zu nutzen, mich mit Wehwehchen zu traktieren – Schwächeanfälle, Magengeschwüre, solches Zeug. Sie hat zäh gekämpft, die Kleine, das muss man ihr lassen!“

Voldemort ließ sich zu einem anerkennenden Nicken herab.

„Aber dabei“, fuhr er fort, „hat sie ihre letzten Kräfte verfeuert. Jetzt ist sie am Ende. Sie tut keinen Mucks mehr.“

Harry war, als umklammerte eine eiskalte Faust sein Herz. Um sich selbst hatte er keine Angst, zumal er immer noch mit seiner Befreiung rechnen konnte. Aber Hermine darf nicht sterben, dachte er verzweifelt, ich muss es verhindern, ich muss!

„Ich verstehe immer noch nicht“, sagte er nach einem langen Moment des Schweigens, „warum du das getan hast? Du sagst von Hermines Politik, dass es ihretwegen in ein paar Generationen praktisch niemanden mehr geben wird, der zaubern kann. Dann gibt es überhaupt keine magische Welt mehr, nur noch die Muggelwelt. Das ist doch das genaue Gegenteil von dem, was du immer wolltest!“

„Meine Güte, Potter, hast du immer noch nicht begriffen, was sogar ein Trottel wie Quirrell auf Anhieb verstanden hat? Er selbst hat dir gesagt, was er von mir gelernt hat: Es gibt nur Macht und jene, die zu schwach sind, um nach ihr zu streben! Die Todesser waren zu schwach! Warum hätte ich ihnen eine dritte Chance geben sollen, nachdem sie zwei vertan hatten? Die Zauberer insgesamt waren zu schwach. Sie waren berufen, unter meiner Führung den Planeten zu beherrschen, aber durchsetzt und geschwächt von sentimentalen Einfaltspinseln, wie sie waren, waren sie eben zu schwach dazu! Einer wie ich braucht die magische Welt nicht. Ich verliere nichts, wenn sie zugrunde geht. Ich habe es nicht nötig, meine Herrschaft auf eine Kaste von Schwächlingen zu stützen. Sie wollten mir nicht dienen, dann sollen sie verschwinden, und je eher, desto besser, denn dann stehen sie mir wenigstens nicht im Wege! Das Schlammblut Hermine Granger war wie geschaffen dazu, mir diesen Weg freizuräumen.“

„Du glaubst immer noch, du seist zur Herrschaft berufen?“

„Zu umfassender Herrschaft über den Planeten. Zu absoluter, zu ewiger Herrschaft“, bestätigte Voldemort und klang dabei so feierlich, wie ein Voldemort nur klingen kann.

„Wenn es aber keine Todesser mehr gibt und nicht einmal mehr Zauberer – auf wen willst du deine Herrschaft dann stützen?“, fragte Harry zweifelnd.

„Auf mich allein. Es stimmt ja nicht ganz, dass es dann keine Zauberer mehr gibt. Einen wird es auf jeden Fall noch geben. Den größten: mich.“

Riddle, das ist doch lächerlich! Du willst die Muggelwelt ganz allein beherrschen? Hast du eine Ahnung, wie komplex die ist? Wie viele Menschen du kontrollieren müsstest, um die Welt zu beherrschen? In der Muggelwelt ist die Macht auf hunderttausende, ja Millionen von Personen verteilt: Politiker, Unternehmer, Medienleute, Wissenschaftler, Konzernbosse, Verbandsfunktionäre, Kirchenfürsten, hohe Beamte, Militärs, Geheimdienstleute…“

„Du langweilst mich, Potter! Das ist genau die Sorte Ammenmärchen, die Hermine aus ihren Büchern saugt.“ Er lachte verächtlich. „Du hättest dich öfter mit deinem Freund MacAllister unterhalten sollen. Ich habe das Gedächtnis seiner Muggelkundelehrerin gelesen: Er hat verdammt viel begriffen und hat das Zeug, den Rest auch noch zu begreifen – es wird ihm nur nichts mehr nützen. Mit dem ehernen Gesetz der Oligarchie ist er jedenfalls ganz nahe dran. Du sprichst von Millionen kleinen Machthabern weltweit, Potter. Kann man so sehen, wenn man will. Aber neunzig Prozent dieser Macht von Millionen konzentriert sich in den Händen von vielleicht zehntausend Leuten, ebenfalls weltweit betrachtet.“

„Immer noch verdammt viel“, warf Harry ein.

„Und neunzig Prozent von deren Macht“, fuhr Voldemort unbeirrt fort, „in den Händen von ein paar hundert, die sich untereinander alle kennen. Und neunzig Prozent der Macht dieser paar hundert in den Händen von ein paar Dutzend. Und innerhalb dieser paar Dutzend gibt es wieder eine Kerngruppe, die neunzig Prozent der Macht auf sich vereinigt, und ich glaube nicht, dass man mehr als zwei Hände braucht, um die Mitglieder dieser Gruppe an den Fingern aufzuzählen…“

„Und du weißt, wer diese Leute sind?“

„Zum Teil ja, zum Teil werde ich es noch herausfinden. Hermines Freund Jonathan Wildfellow gehört als britischer Premier zum Kreis der genannten paar hundert – also nicht zu den innersten Zirkeln, hat aber Zugang zu ihnen und führt Hermine, also mich, dort ein. Nun, und da ich Legilimentik beherrsche, wird es mir nicht schwerfallen, die wirklichen Letztentscheidungsträger zu identifizieren.“

„Und diesen Kern von Entscheidungsträgern willst du dann beherrschen – zum Beispiel mit dem Imperiusfluch?“

Voldemort schüttelte Hermines Kopf und rümpfte die Nase. „Imperius, wie primitiv! Nein, mit dem anderen: Geben wir doch dem Entdecker die Ehre – mit dem Sulphangel-Fluch! Ich werde sie so unterwerfen, wie ich Hermine unterworfen habe. Da du acht meiner neun Seelenbruchstücke vernichtet hast, Potter…“

„Sieben“, unterbrach Harry ihn. „Das achte hast du selbst bei dem Versuch zerstört, mich zu töten…“

„Richtig, sieben plus eins. Da also nur noch ein Exemplar meiner Seele vorhanden ist, habe ich wieder acht Horkruxe frei. Die pflanze ich dann den wenigen wirklich Mächtigen ein. Sie werden wie verschiedene Menschen aussehen, aber Alle werden sie bloße Exemplare von mir sein. Wenn es mit einem von ihnen zu Ende geht, entnehme ich ihm den Horkrux und pflanze ihn seinem Nachfolger ein. Ich selbst werde vom einzelnen Körper unabhängig und damit unsterblich sein.“ Er lachte kalt. „Ich muss nur ein paar Morde begehen, um meinen Horkrux-Vorrat wieder aufzufüllen, und den Anfang mache ich mit dir. Du wirst zwar nicht wieder die Ehre haben, selbst mein Horkrux zu sein, Potter, wohl aber die, mir zu einem zu verhelfen! Dann kommen deine Unbestechlichen an die Reihe, danach – nun, das wird sich finden. Wenn ich Percy nicht mehr brauche – vielleicht Albus, James, Lily?“

Er sah Harry erbleichen und weidete sich daran.

„Du glaubst doch nicht, dass ich von dir irgendetwas übriglasse, Potter, schon gar nicht deine Kinder. Ob sie gleich dran glauben müssen oder erst später, ist eine rein taktische Frage. Albus müsste ich sowieso ausschalten, er ist schon jetzt zu gefährlich.“

Harry hätte nie für möglich gehalten, zu welchem Maß an Hass er selbst fähig war, sogar Voldemort gegenüber, den er immer auch ein wenig bemitleidet hatte, aber diesmal wurde sein Geist vom Hass wie von weißglühender Lava nur so überschwemmt.

Voldemort genoss Harrys Ohnmacht. Er grinste grausam, als er seinen Zauberstab zückte.

„Hast du schon meinen neuen Zauberstab gesehen, Potter?“, fragte er im Ton eines Mannes, der sein nagelneues Auto vorführt.

„Habe ich! Im Ministerium!“, raunzte Harry zurück.

„Habe ich mir selbst zu Weihnachten geschenkt. Eibe und Phönixfeder, die bewährte Kombination. Dem von Hermine traute ich nicht mehr, er hatte Lunte gerochen und wurde zunehmend bockiger. Ich werde nicht mehr so dumm sein, dich mit einem illoyalen Zauberstab zu traktieren. Erst recht werde ich nicht so dumm sein, es bei dir noch einmal mit dem Todesfluch zu versuchen, die Risken und Nebenwirkungen sind mir zu kritisch. Ich lasse dich nach der guten alten Muggelmethode töten – Kopf ab und fertig! Kannst dir ja überlegen, ob du als Geist zurückbleiben und ins Klo der maulenden Myrte einziehen oder an der Jagd der Kopflosen teilnehmen willst“, höhnte er. „Trotzdem werde ich dich irgendwie vermissen: Wenn du tot bist, Potter, kann ich dich nicht mehr leiden lassen. Ich finde, wir sollten die letzten Stunden unserer intimen Beziehung richtig auskosten. Crucio!

Ein unbeschreiblicher Schmerz, als würde er bei lebendigem Leibe in Stücke gerissen, durchzuckte Harrys ganzen Körper.

Hermine, tu etwas!“, brüllte er noch verzweifelt, bevor er nur noch unartikuliertes, schrilles Geschrei hervorbringen konnte. Wie aus weiter Ferne hörte er Voldemorts Hohn:

„Deine Schlammblut-Freundin wird nie wieder etwas tun, Potter!“

Harry schrie weiter und weiter. Plötzlich spürte er den Schmerz nachlassen, obwohl Voldemort den Zauberstab nach wie vor auf ihn gerichtet hielt. Der Schmerz schwoll wieder an, ließ nach, wurde wieder stärker. Als der Schmerz wieder nachließ, schoss ihm durch den Kopf: Hermine kämpft! Der Zauberstab ist Diener zweier Herren! Er spürte, dass seine Fesseln lockerer wurden, schrie aber aus Leibeskräften weiter, um Voldemort nicht misstrauisch zu machen. Mit einem Mal wurde der Schmerz so schwach, dass Harry sich wieder rühren konnte. Seine Fesseln fielen ab! Mit einem Satz stürzte er sich auf den überraschten Voldemort, der, in Hermines zartem Körper steckend, dem Angriff nichts entgegensetzen konnte und rücklings gegen die Tür krachte. Harry griff nach dem Zauberstab.

Imperturbatio ex!“, konnte Voldemort noch keuchen und schrie: „Hilfe, Cesar, Hilfe!“

Dann entriss Harry ihm den Zauberstab, richtete ihn auf Hermines Gesicht:

Stupor!

Harry riss den zusammengesackten HermineVoldemort vor seinen Körper und hielt ihm den Zauberstab an den Kopf, als die Tür aufsprang, aber niemand zu sehen war.

„Weg von der Tür, Cesar! Ich töte sie, ich habe nichts zu verlieren!“

„Ganz ruhig, Harry, ich bleibe weg von der Tür!“

Harry und Anderson konnten einander nicht sehen, weil der eine immer noch in der Zelle stand, der andere auf dem Gang.

Harry warf die Tür mit dem Zauberstab wieder ins Schloss.

„Expecto Patronum“, flüsterte er. Sein silberner Hirsch erschien und bezog Posten vor der Tür. Harry atmete auf. Fürs erste war er vor Überraschungen sicher.

„Machen Sie keine Dummheiten, Harry!“, rief Anderson mit magisch verstärkter Stimme.

„Wieso?“, spottete Harry grimmig. „Werde ich sonst zwei Mal geköpft?“

Man hörte die Auroren lachen. „Ihren Humor haben Sie jedenfalls nicht verloren“, antwortete Anderson. „Das ist schon einmal gut, wir können über alles reden. Was fordern Sie?“

„Freien Abzug, und zwar für mich, Julian Lestrange, Ares Macnair, Orpheus Malagan und Arabella Wolfe. Mit der Ministerin als Geisel. Ihr wird nichts geschehen, wenn wir nicht verfolgt werden.“

„Moment, Harry, ich muss mich erst mit den Kollegen beraten.“

„In der Zwischenzeit bringen Sie die anderen Gefangenen hierher. Und zwar einzeln. Ich werde sie überprüfen.“

Es blieb einen Moment still, dann hörte er Anderson rufen:

Harry, ich erfahre gerade, dass nicht alle Gefangenen hier sind!“

„Auf Zeit zu spielen ist bei mir zwecklos, Anderson! Ich kenne die Prozedur, ich habe dieselbe Ausbildung durchlaufen – und zwar bei Ihnen!“

„Wenn ich es Ihnen doch sage! Ich werde aber veranlassen, dass der erste Gefangene sofort gebracht wird. Sind Sie mit Macnair einverstanden?“

„Ja.“

„Sagen Sie mir noch eins, Harry: Ist die Ministerin verletzt?“

„Nein, nur geschockt, aber in guter körperlicher Verfassung.“

„Kann ich mich davon überzeugen?“

„Sie können den Mund halten, Cesar! Das Nächste, was ich hören will, ist die Mitteilung meines Patronus, dass Macnair vor meiner Zellentür steht!“

„Geben Sie uns bitte genau fünf Minuten!“

Beide schwiegen. Harry sah auf die Uhr, die über einen Sekundenzeiger verfügte. Es war genau viertel nach zwölf. Fünf Minuten waren lang, aber angesichts der ausgedehnten Gänge des Gefängnisses nicht unrealistisch, zumal Harry nicht wusste, in welchem Stockwerk Ares saß. Er überlegte, wie er sich vergewissern sollte, dass der Ares, der kommen sollte, wirklich Ares war, nicht etwa ein Auror, der Vielsaft eingenommen hatte. Eine Kontrollfrage nach etwas, was nur Ares wissen konnte, hätte den Auroren verraten, dass sie schon im vergangenen Jahr in Verbindung gestanden hatten. Harry entschied sich, einfach den Realcorpus-Zauber anzuwenden. Der Zeiger schien zu kriechen, während von draußen nichts zu hören war. Eine Minute verging, zwei, drei, vier…

Endlich hörte Harry seinen Patronus sagen: „Er kommt.“ Und gleich darauf: „Er steht vor deiner Tür.“

Harry rief: „Hände hinter den Kopf, Ares! Wenn ich die Tür öffne und du hast die Hände nicht hinter dem Kopf, schocke ich dich sofort.“

„Geht klar, Harry“, antwortete Ares‘ Stimme.

Harry öffnete die Tür mit einem Wink des Zauberstabs. Davor stand jemand, der aussah wie Ares. Er hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Seine Augen waren seltsamerweise geschlossen.

Harry zielte mit dem Zauberstab auf sein Gesicht: „Realcorpus!

Zu seinem Unglück kannte Harry die von Anderson beschafften Blendgranaten nicht. Vor der Brust des Aurors, der Ares gemimt hatte, flammte urplötzlich ein gleißendes Blitzlicht auf. In den Sekunden, in denen Harry benommen dastand und Hermine ihm entglitt, hörte er den Auror rufen:

Stupor!

Dann wurde ihm schwarz vor Augen.

63 – Angriff auf Askaban

 

Als Roy mit Albus im Schnabel Askaban anflog, merkte er sofort, dass die Lage völlig anders war, als sein Plan voraussetzte: Einige Auroren eilten von ihrer Unterkunft zur Burg und umgekehrt, im Innenhof standen die Dementoren, die von einem Patronus davon abgehalten wurden, sich den Auroren zu nähern, von denen etwa ein halbes Dutzend vor der Tür zum Zellentrakt Position bezogen hatten. Auf dem Turm, auf dem Macnairs Kommando landen sollte, hielt ein Auror Wache. Roy landete zunächst auf dem vertrauten Mauervorsprung im Innenhof.

„Was ist denn los da drin?“, hörte er die Auroren einem Kollegen zurufen, der gerade aus dem Zellentrakt kam.

„Potter hat die Ministerin als Geisel genommen, du sollst sofort kommen, Saunders, mit Blendgranaten!“

Roy hätte am liebsten geflucht. Sie mussten alle Pläne über den Haufen werfen und eingreifen, bevor womöglich noch mehr Auroren hinzugezogen wurden oder Hermine vielleicht entkam. Zunächst musste er Albus aus dem Schnabel lassen!

Er flog auf den Turm und ließ sich auf einer Zinne hinter dem Auror nieder, der interessiert in den Hof schaute, um nichts zu verpassen. Die Auroren hier sind wirklich Pfeifen, dachte Roy belustigt, nahm unbemerkt seine menschliche Gestalt wieder an, richtete seinen Zauberstab auf den Hinterkopf des Aurors und setzte ihn mit einem stummen Petrificus-Zauber außer Gefecht. Erst als der Auror auf dem Boden lag, schoss er einen Schockzauber hinterher, der von unten nicht zu sehen sein würde.

Dann nahm er die Fliege behutsam aus seinem Mund und setzte sie auf den kalten Steinboden des Burgplateaus. Albus verwandelte sich sofort wieder in einen Menschen.

„Igitt, ist das nass, was sollte das denn?“, empörte er sich mit einer Stimme, die dank des Alterungstranks deutlich tiefer war als gewöhnlich, doch Roy legte den Finger auf den Mund.

„Hör zu, Al“, flüsterte er. „Im Zellentrakt wimmelt es von Auroren, nicht Dementoren. Dein Vater hat Hermine als Geisel genommen. Wir müssen unsere Pläne ändern. Fang an, die Schlangen zu erzeugen, so viele, wie hier auf das Turmplateau passen!“

In diesem Moment vibrierte sein Zauberspiegel.

„Ja?“

„Bereit!“, hörte er Macnairs Stimme.

„Achtung, Walden, Planänderung!“ Er setzte Macnair kurz über die Lage ins Bild. „Wir erzeugen hier auf dem Turm die Schlangen. Dann setzen wir den Innenhof in Finsternis und schalten so viele Auroren aus wie möglich. Ihr kommt im Calorate-Modus herunter. Beide Gruppen landen im Innenhof und schocken dabei, wenn nötig, die restlichen Auroren, dann feuern wir Finsternispulver in die Zellentrakte und schicken die Schlangen hinterher. Ihr kommt aber erst, wenn ich ‚Sturzflug‘ sage. Ohne Countdown. Klar?“

„Klar“, erwiderte Macnair, „gib mir nur eine Minute Zeit, den Anderen Bescheid zu sagen!“

„Geht in Ordnung. Ende. – Albus?“

„Ich bin jetzt bei zweiunddreißig.“ Albus arbeitete präzise und konzentriert. Nach drei weiteren Verdoppelungen sagte er: „Zweihundertsechsundfünfzig, mehr Schlangen passen hier nicht drauf, sonst erdrücken sie sich oder uns.“

„Macht nichts, muss erst einmal so gehen. Du hast mitgehört, was ich zu Walden gesagt habe?“

„Ja.“

„Gut. Sag den Schlangen, sie dürfen gleich ins Warme, und dort sollen sie sich an jeden ankuscheln, der einen Zauberstab trägt, sie dürfen keinen auslassen und sollen ansonsten unsere Befehle abwarten.“

Albus übersetzte es für die Schlangen in Parsel. Kaum war er fertig, hörten sie Lärm aus dem Innenhof. Anderson kam aus dem Zellentrakt gehastet, die bewusstlose Hermine auf dem Arm.

„Personenschutzgruppe zu mir! Portschlüssel sofort fertigmachen!“, kommandierte er. Vier Auroren scharten sich um ihn und machten blitzschnell den Portschlüssel scharf, der wie ein umgedrehter metallener Hocker aussah. Anderson fuhr fort: „Sofort ins St. Mungo! Wahrscheinlich nur Schockzauber, aber man kann nie wissen! Ab!“

Roy zog sofort die Pulverpistole, aber es war zu spät: Genau in dem Moment, in dem er schoss und den Innenhof in undurchdringliches Schwarz hüllte, verschwanden die vier Auroren mitsamt Hermine und dem Portschlüssel.

Calorate!“, flüsterte Roy. „Jetzt, Al!“

Roy und Al schossen einen Schockzauber nach dem anderen in den Hof. Jetzt zahlten ihre Übungen sich aus: Nach kaum zehn Sekunden lagen die völlig überrumpelten Auroren bewusstlos auf der Erde.

„Unsere Patroni, Al!“

„Expecto Patronum!“, – „Expecto Patronum!“

Sie schickten die Patroni hinunter, um die Dementoren in Schach zu halten, die bereits Anstalten trafen einzugreifen, nachdem der Patronus, der sie bis dahin bewacht hatte, sich aufgelöst hatte.

Walden?“, fragte Roy seinen Zauberspiegel.

„Bereit!“

„Sturzflug!“

Roy und Albus setzten sich auf den Besen des Aurors, den Roy zu Beginn geschockt hatte, und flogen in den Hof hinunter. Roy holte per Schwebezauber die Schlangen vom Turm, da trafen die beiden Kommandos unter Waldens und Rodolphus‘ Führung schon ein.

Walden“, rief Roy, „der Turm ist jetzt wieder frei, schick deine Gruppe hinauf, ganz Askaban in Finsternis legen, ansonsten Auftrag wie geplant! Rodolphus, halt!“, rief er, da Lestrange drauf und dran war, mit seiner Gruppe zum Zellentrakt zu stürmen. „Albus muss euch erst den Schlangen vorstellen, damit sie euch nichts tun.“

Albus zischte etwas auf Parsel und rief dann: „Fertig!“

Lestrange feuerte einen so heftigen Sprengzauber gegen die Tür zum Zellentrakt, dass kaum etwas von ihr übrig blieb, dann schoss er die erste Ladung Finsternispulver hinterher. Roy wartete gar nicht erst ab, bis die Schlangen loskrochen, er wärmte sie noch einmal magisch auf und beförderte sie dann per Schwebezauber in den Zellentrakt. Rodolphus, James und Victoire erzeugten ihre Patroni als Schilde, folgten dann gemeinsam mit Roy und Albus den Schlangen und feuerten so lange Finsternispulver, bis niemand im ganzen Zellentrakt mehr etwas sehen konnte – außer eben ihnen selbst und den Schlangen. Die Wirkung ließ nicht lang auf sich warten:

„Schlangen!“, kreischten einige Auroren in heller Panik. „Überall Schlangen!“

Auroren waren auf kritische Situationen trainiert, aber buchstäblich nichts zu sehen, dafür aber Schlangen auf sich herumkriechen zu fühlen, und das völlig unvorbereitet – das überforderte auch sie. Sie rannten wild durcheinander, prallten gegeneinander und gegen Wände, stolperten über Schlangen, schrien durcheinander. Jeder hatte nur einen Gedanken: Raus hier! Aber keiner fand den Weg.

Sonorus“, verstärkte Roy seine Stimme. „Achtung, Achtung! Hier spricht Roy MacAllister! Die Schlangen sind Gift- und Würgeschlangen, und sie hören auf unser Kommando, wir haben einen Parselmund bei uns! Alle Auroren im Zellentrakt legen sofort ihre Zauberstäbe nieder. Wer es nicht tut, wird von den Schlangen oder von uns getötet. Wir können Sie sehen, Sie uns nicht. Sie haben zehn Sekunden Zeit!“

„MacAllister, hier spricht Saunders, ich bin der Einsatzleiter! Befehl an Alle: sofort die Zauberstäbe niederlegen!“

Man hörte das dünne Klappern von auf den Boden fallenden Stäben.

„Gut“, rief MacAllister, „die Schlangen bleiben bei Ihnen, aber sie werden bis auf Weiteres niemandem etwas tun, der keinen Zauberstab trägt! Saunders, haben Sie die Schlüssel zu den Zellen?“

„Nein, die Dementoren haben sie.“

„Gut. Wir werden Sie und Ihre Auroren erst einmal außer Gefecht setzen.“

Roy, Victoire, Albus und Rodolphus drangen in den Zellentrakt des ersten Untergeschosses ein, schockten einen Auror nach dem anderen und sammelten deren Zauberstäbe ein, während James die Treppe zu den wahrscheinlich leeren beiden anderen Untergeschossen bewachte und Macnair von seinem Turm aus den Innenhof im Blick behielt. Nur fünfzehn Auroren befanden sich im Gebäude, sie waren wohl als Hermines Begleitkommando gekommen.

Dann kehrten die Befreier zur zerschossenen Tür zurück.

„Wir brauchen zwei Dementoren mit Zellenschlüsseln!“, rief Roy den Dementoren zu.

Zwei Dementoren, unter dem Calorate-Zauber als pechschwarze Flecken erkennbar, setzten sich in Bewegung. Roys Bären-Patronus machte ihnen Platz, um sie durchzulassen und begleitete sie, während sein Platz bei der Bewachung der Dementoren von Victoires Löwin übernommen wurde.

Rodolphus‘ und Roys Patronus trieben die Dementoren in den Zellentrakt, während Roy, James, Albus und Rodolphus ihnen folgten. Es war vereinbart, dass Roy, James und Albus die Freilassung Harrys und der Unbestechlichen, Rodolphus die der Todesser überwachen sollte.

Als erstes fanden sie Harry, der immer noch unter Schockzauber in seiner Zelle lag. Seine Söhne ließen es sich nicht nehmen, ihn selbst zu wecken. Da die Auroren bewusstlos waren, konnten sie es sich nun leisten, den Calorate-Zauber auszuführen, damit Harry etwas sehen konnte. Harry stand sofort auf, er wusste, dass es schnell gehen musste, für große Umarmungen würde später Zeit sein. Gemeinsam folgten sie Roy, seinem Patronus und dem Dementor.

Der Nächste war Julian, dem Roy erst einmal ein großes Stück Schokolade in den Mund schob, als Erstversorgung gegen die Wirkung des Dementorenterrors.

„Besser?“, flüsterte er ihm zu.

„Viel besser! Endlich!“

Orpheus war bleich, aber wohlauf.

Auch Ares ging es einigermaßen gut.

Der Dementor machte nun Anstalten umzukehren. „Das war’s“, röchelte er mit der typischen Dementorenstimme, die nach Tod und Verwesung klang.

„Das war’s NICHT!“, brüllte Roy ihn an. „Arabella fehlt! Arabella MacAllister!“

„Arabella?“, krächzte der Dementor. „Haben wir nicht mehr.“

„WO IST SIE?“

Geistesabwesend schob Roy seinen Patronus zur Seite. Der Dementor schwieg.

„RÜCK MIT DER SPRACHE RAUS!“

Der Dementor ließ ein höhnisches Röcheln hören. „Nun gut, wie du willst. Arabella, ja, das junge Mädchen, das mit den Anderen hier eingeliefert wurde? Tja, die war ja ziemlich glücklich, meine Güte, so etwas haben wir schon lange nicht mehr gehabt. Was für ein Festmahl, wir haben den letzten Tropfen Glück aus ihr herausgezutzelt. Danach war sie leer, verzweifelt, innerlich erfroren.“

„WO IST SIE?“ Roy bemerkte nicht, dass sein Patronus sich auflöste.

„Wo sie ist, willst du wissen?“ Der Dementor lachte ein lautes, klirrendes, grausames Lachen. „Du kommst zu spät, Schlammblut! Ihre Asche kannst du im Meer suchen! Sie hat sich IN IHRER ZELLE ERHÄNGT!“

Roys Seele erstarrte zu Eis, als schlagartig alles Glück auf einmal aus ihr fuhr, der Dementor sich an einem letzten obszönen Besäufnis berauschte und der ganze Zellentrakt unter seinem schaurigen Hohngelächter erdröhnte, das erst erstarb, als Roy ihm – unter einem Schrei, der mehr dem eines Tieres als eines Menschen glich – den Giftzahn des Basilisken in den modrigen Leib rammte.

Dann war es totenstill. Sekundenlang wagte niemand ein Wort zu sagen. Roy starrte ins Leere.

„Roy?“ Albus zupfte ihn vorsichtig am Umhang, aber er reagierte nicht.

„Roy!“, rief Victoire energisch. „Wir müssen weg hier! Wenn du willst, übernehme ich die Führung!“

Nun drehte Roy sich zu ihr um. Seine Stimme klang fest, aber leer und mechanisch, als er antwortete:

„Ich habe euch hierhergeführt, ich führe euch auch heraus. Ab zum Ausgang!“

Als sie im Innenhof ankamen, konnten sie Draco, Walden und seine Todesser noch mit ihren befreiten Kameraden – teils zu dritt auf einem Besen, die Feuerblitze machten es möglich – verschwinden sehen. Rodolphus wartete mit den übrigen Besen. Julian setzte sich hinter ihn, Ares hinter Victoire, Harry hinter James, Orpheus hinter Albus, und sie flogen los und ließen das in tiefste Schwärze gehüllte Askaban zurück. Nur Roy flog allein. Auf seinem Besen hätte Arabella sitzen sollen.

64 – Die erfrorene Seele

 

Wie Roy angekündigt hatte, kehrten sie als Sieger nach Rockwood Castle zurück, und doch erstarb den erwartungsvoll bereitstehenden Elfen der Jubel auf den Lippen, denn was da gegen halb zwei im Burghof apparierte, hatte alle Ähnlichkeit mit einer geschlagenen Armee.

Selbst die Black Snakes, denen es vor allem auf die Befreiung ihrer Kameraden ankam, wurden ihres Erfolges nicht froh, als sie die Befreiten erstmals nach der Hektik der Aktion näher in Augenschein nehmen konnten: Kaum älter als sie selbst – und doch Greise, die, geistesabwesend an ihrer Schokolade lutschend, über den Burghof tappten, ohne allzu viel zu begreifen. Sie würden in Freiheit sterben, aber dieser Tod, das sah man, war nicht mehr fern.

Obwohl die Potters und Weasleys einander endlich in den Arm nehmen und Harry seinen Söhnen und Nichten zuflüstern konnte, wie stolz er auf sie war, waren auch sie bedrückt: Von allen Befreiern hatte ausgerechnet Roy, ohne den Harrys Befreiung nicht möglich gewesen wäre, mit dem Tod Arabellas den höchsten Preis bezahlt. Für Harry und Albus war es Zeit, zu ihm zu gehen.

Roy stand reglos auf dem Hof, umgeben von den Unbestechlichen – auch Scorpius und Bernie waren hinzugetreten –, und stierte mit leerem Blick zu Boden.

„Roy?“, fragte Harry zaghaft.

Roy blickte auf, schien aber durch ihn hindurchzusehen.

„Danke für Alles!“, sagte Harry leise und nahm ihn die Arme. „Roy, es tut mir so leid…“

„Es ist nicht deine Schuld, Harry“, erwiderte Roy, ohne allerdings Harrys Umarmung zu erwidern. Er klang merkwürdig sachlich, als er fortfuhr: „Erstens war es unsere Entscheidung, dich zu befreien, du selbst hättest es uns am liebsten verboten. Zweitens hast nicht du die Situation herbeigeführt, die deine Befreiung erforderlich machte. Dich trifft keine Schuld. Schuld ist jemand ganz anderes.“

Nun kam Draco hinzu, sprach Roy sein Beileid aus und bat dann als Hausherr:

„Wollen wir nicht hineingehen? Im Rittersaal ist angerichtet.“

Die Hauselfen hatten ein Festmahl gedeckt und umsichtigerweise auch eine ganze Reihe von Schokoladengerichten, die sonst zum Dessert gehörten, als Hauptgang für die Befreiten angeboten, damit sie sich schneller von den Dementoren erholen konnten. Es war sehr still im Saal.

Harry“, unterbrach Roy, der nichts aß, das Schweigen. „Woran ist die Entführung der Ministerin gescheitert?“

Die Anderen sahen ihn überrascht an. Konnte ihm das jetzt wirklich wichtig sein?

Vielleicht, dachte Harry, möchte er sich ja einfach ablenken. Er räusperte sich und erzählte, was am 10. Januar geschehen war. Roy unterbrach ihn mit einigen Zwischenfragen, die sich vor allem auf Andersons neu eingeführte Sicherheitsmaßnahmen, die Schutzweste für Hermine und die verschärften Disappariersperren, bezogen. Ton und Formulierungen seiner Fragen waren von einer nachgerade unheimlichen Nüchternheit.

Als Harry seinen Bericht beendet hatte und alle Anwesenden schon glaubten, nun könnte vielleicht eine gedämpfte, aber doch relativ lockere Unterhaltung in Gang kommen, schob Roy die nächste Frage nach:

„Du hast heute versucht, die Ministerin als Geisel zu nehmen?“

„Ja, sie hatte mich in der Zelle aufgesucht.“

„Was wollte sie von dir?“

„Ich wollte eigentlich erst morgen darüber sprechen, weil ich dachte, wir gehen bald schlafen, aber gut, wenn du es durchaus jetzt schon wissen willst: Sie – oder vielmehr der Schwarze Magier, der sie kontrolliert – hat sich mir zu erkennen gegeben.“

„Was?“, rief Rose stellvertretend für alle Anderen, die sofort hellwach waren. „Wer ist es?“

Harry seufzte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass auch Rose zuhörte.

„Es… es ist Voldemort.“

Die Bestürzung, die seine Worte allseits, nicht zuletzt auch bei den alten Todessern hervorriefen, hätte größer nicht sein können, nur Roy verzog keine Miene. Harry berichtete nun ausführlich von seinem Gespräch und zog dann seine Schlussfolgerungen:

„Da wir jetzt wissen, dass Voldemorts Horkrux in Gestalt eines Goldnuggets in ihre Schädeldecke implantiert wurde, wissen wir auch, wie wir sie davon befreien können: Wir entfernen den Nugget und zerstören ihn mit dem Basiliskenzahn. Wir werden uns aber beeilen müssen“, schloss er. „Sie hat mir gerade noch helfen können, aber ihre Seele ist schon sehr schwach…“

„Die Ministerin wird bald sterben“, stellte Roy trocken fest.

„Ja, aber noch können wir sie retten, wir…“

Harry“, unterbrach ihn Roy. „Ich glaube, du hast mich nicht verstanden. Sie wird bald sterben, weil ich sie töten werde.“

Er sagte es so sachlich und selbstverständlich, dass seine Zuhörer einen Moment brauchten, um zu begreifen, dass Roy soeben einen Mord angekündigt hatte. Die Weasleys und die Potters starrten ihn fassungslos an. In Roses Augen schossen Tränen, aber sie brachte kein Wort heraus. Feinfühliger als Harry spürte sie, dass an Roy jedes Wort abprallen würde.

„Roy“, beschwor ihn Harry. „Ich weiß, dass du aufgewühlt bist…“

„Wasser kann aufgewühlt sein, Harry, ein Eisberg nicht. Nüchtern betrachtet, haben Ares und Walden von Anfang an recht gehabt: Wir hätten uns auf diese ganzen komplizierten Rettungspläne nicht einlassen dürfen. Hast du nicht selber einmal gesagt, dass Alles, was schiefgehen kann, auch tatsächlich schiefgeht, und dass Pläne deshalb so unkompliziert wie möglich sein müssen? Sie zu töten, wäre unkompliziert gewesen und hätte Voldemort mit Sicherheit ausgeschaltet.“

„Aber Hermine auch!“, rief Albus verzweifelt dazwischen.

„Aber Arabella nicht.“

Albus erschauerte, als sein Freund ihm nun gerade in die Augen sah. Sein Blick hatte nichts mit dem kalten Hass zu tun, den er an Hermine erlebt hatte, aber er war seltsam erloschen. Roys Verstand arbeitete präzise wie immer, aber seine Seele war erfroren.

„Aber du hast es doch gehört, es war Voldemort, Hermine ist unschuldig!“ Albus kämpfte darum, Roys Herz zu erreichen, aber die Antwort kam prompt und unerbittlich:

„Nein, Albus. Arabella war unschuldig, Hermine ist es nicht.“

„Aber sie stand doch unter einem Fluch!“, warf Harry nun ein.

„Unter dem einzigen Fluch“, entgegnete Roy kalt, „dessen Opfer nicht unschuldig sind, Rodolphus hat es ausgesprochen, und Voldemort hat es dir bestätigt, Harry.“

Rodolphus nickte traurig.

„Apropos Rodolphus“, fuhr Roy unbeirrt fort. „Wo war euer Verständnis, wo eure Gerechtigkeit, wo euer Mitgefühl für Fluch-Opfer, als ihr die Todesser verfolgt habt? Die meisten von ihnen standen unter demselben Fluch wie deine Hermine. Nun sieh dir an, was ihr mit ihnen gemacht habt!“

Er deutete mit dem Kopf in Richtung der befreiten ehemaligen Todesser, die unbeteiligt und mit leerem Blick ihre Suppe schlürften, denn Zähne hatten die meisten nicht mehr.

„Die Todesser haben gemordet!“, wandte Harry ein.

„Ach, und Hermine nicht?“ Roy schnaubte verächtlich. „Arabella war die erste Leiche auf ihrem Weg, aber ich schwöre, dass sie AUCH IHRE LETZTE SEIN WIRD!“

Alle zuckten zusammen, als er unversehens so laut brüllte, dass die ringsum aufgestellten Rüstungen vibrierten und ein seltsames Singen zurückwarfen.

„Aber wir haben die Todesser nicht umgebracht“, insistierte Harry nach einem Moment des Schweigens.

„Brauchtet ihr ja auch nicht“, konterte Roy wieder in seinem kalten, nüchternen Ton. „Ihr hattet Askaban. Ich habe kein Askaban.“

„Aber Roy!“ Harry ließ nicht locker. „Hermines Notverordnungen mitsamt der Todesstrafe gelten weiter, das heißt, sie werden dich töten!“

„Na und?“

Harry stockte einen Moment lang der Atem, dennoch bohrte er weiter:

„Wem nützt es denn, wenn Hermine stirbt und du auch? Arabella wird dadurch doch nicht wieder lebendig! Willst du denn nur für deine Rache leben?“

„Ich will überhaupt nicht leben, Harry“, erwiderte Roy eisig. „Ich will zu Arabella. Aber wenn ich schon lebe, dann für meine Rache!“

„Roy, du bist gerade einmal sechzehn Jahre alt, du hast dein ganzes Leben noch vor dir! Vertrau bitte mir als dem Älteren, der auch eine schwere Jugend hatte. Glaub mir, ich weiß, wie du dich jetzt fühlst, und ich verstehe deine Verzweiflung wahrscheinlich besser als irgendjemand sonst in diesem Raum, aber ich sage dir, du wirst diesen Schicksalsschlag überleben und darüber hinwegkommen!“

Roy sah ihn kalt an und fragte dann: „Wenn Ginny in der Schlacht um Hogwarts gefallen wäre – und das wäre immer noch ein besserer Tod gewesen als… Wärst du darüber hinweggekommen? Hättest du es überleben wollen?“

Harry schluckte. Er zögerte, bevor er antwortete:

Sie hätte gewollt, dass ich es überlebe.“

„Das ist keine Antwort auf meine Frage, Harry“, stellte Roy trocken fest. „Und genau damit ist es indirekt doch eine, und zwar die einzig mögliche.“

„Roy“, bat Albus nun mit zitternder Stimme, „bitte, bitte schone Hermines Leben, um meinetwillen und um unserer Freundschaft willen!“

Roy sah ihn lange schweigend an, und zum ersten Mal seit ihrer Rückkehr glaubte Albus, wieder eine Regung in seinem Blick zu erkennen. Eine tiefe Trauer.

„Wenn es irgendetwas gäbe, was mich von meinem Entschluss abbringen könnte“, sagte er schließlich langsam, als müsste er jedes einzelne Wort abwägen, „dann wäre es in der Tat genau diese Bitte aus deinem Mund.“

Er atmete tief durch, bevor er leise fortfuhr: „Und bevor unsere Wege sich trennen, möchte ich, dass du weißt, dass deine Freundschaft mir kostbar gewesen ist und gutgetan hat. – Aber das, worum du mich bittest, habe ich schon einmal getan. Arabella hat mir damals auf den Kopf zugesagt, dass ich Ares‘ Attentatsplan deinetwegen und um dieser Freundschaft willen abgelehnt habe. Weil ich ihn abgelehnt habe, ist Hermine noch am Leben, und Arabella ist tot. Hätte ich es nicht getan, wäre es umgekehrt. – Es tut mir leid, Al.“

Er klingelte nach dem Chefelfen.

„Blubber“, sagte er. „In meinem Zimmer hängt eine große lederne Umhängetasche. Bringen Sie mir die bitte?“

„Sehr wohl, Sir.“ Der Elf verneigte sich, und wenige Augenblicke später öffnete sich die Tür des Rittersaals, und die Tasche kam herbeigeschwebt, während Roy seinen Feuerblitz magisch verkleinerte.

„Danke, Blubber. Da wir uns nicht mehr sehen werden, übermitteln Sie Ihren Leuten bitte meinen Dank für die großartige Arbeit, die sie geleistet haben.“

Der Elf verneigte sich wieder. „Vielen Dank, Sir.“

„Was soll das heißen“, fragte Albus angstvoll, „‚da wir uns nicht mehr sehen werden‘?“

„In dieser Tasche“, erwiderte Roy, „befindet sich alles, was ich brauche – ich hatte sie vorab gepackt, für den Fall, dass die Auroren uns überfallen.“

„Du kannst doch jetzt nicht einfach gehen!“

„Ich muss. Hermine wird kaum zu mir kommen.“

Er wandte sich zu Draco, um sich vom Hausherrn zu verabschieden, als Walden Macnair blitzschnell seinen Zauberstab zückte:

Expelliarmus!

Roy fuhr herum und sah Roses Zauberstab durch den Saal fliegen. Sie funkelte Roy an, während sie den Anderen zurief:

„Tut doch etwas! Ihr müsst ihn aufhalten!“

Nun zog auch Roy seinen Zauberstab. „Gutes Mädchen. Aber bevor mich noch einer aufhalten will, gehe ich lieber auf Nummer sicher.“

Von Roys stummem Aufrufezauber angezogen, flogen ihm Roses, Albus‘, James‘ und Victoires Zauberstäbe und Basiliskenzähne entgegen, die er mit einem Wink seines Stabes in der Luft schweben ließ. Er nahm sich einen der Giftzähne – seinen eigenen hatte er im Körper des Dementors stecken lassen –, und steckte ihn in die Scheide. Dann verabschiedete er sich von Draco als Gastgeber, schüttelte Walden und Rodolphus die Hand und winkte den Black Snakes kurz zu. Er umarmte Scorpius und Bernie, denen die Tränen in den Augen standen.

„Geh nicht!“, flüsterte Bernie.

„Ich muss!“, antwortete Roy.

Julian, Orpheus und Ares erhoben sich.

„Wir kommen mit dir!“, verkündete Ares.

„Was seid ihr denn für Freunde?“, rief Victoire aufgebracht dazwischen. „Wenn ihr seine Freunde wärt, würdet ihr ihn aufhalten, statt ihm bei diesem Wahnsinn noch zu helfen!“

Julian fixierte sie finsterer, als man ihm je zugetraut hätte:

„Als seine Freunde werden wir ihm nicht zumuten, in einer Welt zu leben, in der Hermine leben darf, aber Arabella nicht. Im Übrigen hat nicht nur er sie verloren, sondern wir alle. Seit wir in Hogwarts sind, sind wir mit ihr befreundet. Sie war eine von uns und sogar die Seele der Gruppe. Wir dulden nicht, dass ihr Tod ungesühnt bleibt!“

„Trotzdem werdet ihr mich nicht begleiten“, widersprach ihm Roy. „Es reicht, wenn einer geköpft wird.“

Er legte seinen Zauberspiegel auf den Tisch. „Den brauche ich nicht mehr.“

Dann gab er Julian zwei kleine Flaschen Vielsafttrank. Den Rest behielt er.

„Ihr werdet etwas Anderes tun: Ihr sorgt dafür, dass Hermines Nachfolger ihre Politik nicht fortsetzen kann, und dreht den Tagespropheten um. Belegt Northwood mit dem Imperiusfluch. Orpheus, traust du dir zu, ihm die Feder zu führen?“

„Worauf du dich verlassen kannst“, gab Orpheus zurück. Die beiden umarmten sich.

„Mach’s gut, Roy.“

„Worauf du dich verlassen kannst.“ Beide grinsten schwach und traurig.

Ares sagte zum Abschied:

„Falls du uns doch noch brauchst, kannst du immer auf uns zählen.“

„Weiß ich doch. Aber konzentriert euch auf eure Aufgabe!“

Julian verabschiedete ihn mit „Ich werde dich vermissen“, und obwohl Roy fast gefühlstaub geworden war, berührte es ihn. Julian war sein ältester und engster Freund.

„Ich dich auch. Leb lang, mein Freund, und such dir irgendwann eine Frau, die du nicht nach zwei Monaten abservierst.“

„Versprochen.“

Nun wandte Roy sich den Gryffindors – einschließlich Harry – zu, die wie erstarrt auf ihren Stühlen saßen.

„Es tut mir leid, dass wir so auseinandergehen müssen.“ Keiner antwortete.

Nun Albus.

„Al…“

Albus fiel ihm um den Hals, als wollte er ihn festhalten.

„Geh nicht!“ Albus konnte nicht länger verhindern, dass er weinte, Slytherin hin oder her. „Tu mir das nicht an! Ich will nicht Hermine und dich gleichzeitig verlieren!“, schluchzte er.

Roy drückte ihn noch einen Moment an sich, dann versuchte er sich mit sanfter Gewalt aus der Umarmung zu lösen.

„Lass mich bitte los, Albus.“

„Nein!“

„Lass mich los, Albus!“, befahl er nun energisch und zwang die Arme des Jüngeren, die immer noch seinen Hals umklammert hielten, auseinander – der Alterungstrank hatte schon vor Stunden aufgehört zu wirken.

„Es hat keinen Sinn, Al. Der Roy, den du gekannt hast, ist bereits tot. Er ist mit Arabella gestorben.“ Er trat einen Schritt zurück, drehte sich…

„Roy!“, schrie Albus.

Doch Roy war disappariert.

65 – Der Wettlauf

 

Roy apparierte in dem Londoner Viertel, in dem seine Mutter gelebt hatte. Es war sechs Uhr morgens – die Zeit, zu der Harry hätte enthauptet werden sollen. Trotz der Kälte und Leere in ihm empfand Roy eine gewisse grimmige Genugtuung, Hermine um ihr zweites Opfer gebracht zu haben. Er hatte es geschworen: Ein weiteres würde es nicht geben. Zunächst brauchte er Geld. Er stellte sich in einen dunklen Hauseingang, steckte den Zaubererumhang in seine Tasche, zog eine Muggel-Jeansjacke über und machte sich unsichtbar.

 

Nicht weit davon zählte Hassan Jafari die Nachteinnahmen des Wonderland, eines Bordells, in dem Frauen aus aller Herren Länder arbeiteten, die wenigsten davon freiwillig, die meisten gefügig gemacht mit Drogen und Gewalt. Es war eine ertragreiche Nacht gewesen, in einer halben Stunde würden die letzten Freier gehen. Jafari legte das Geld in den Safe. Nur einen geringen Teil seiner Einnahmen würde er auf ein Konto einzahlen, den Rest anderweitig in Umlauf bringen und damit der Aufmerksamkeit der Finanzbehörden Ihrer Majestät entziehen.

Er schloss gerade den Tresor, als er hinter sich die Bürotür gehen hörte. Jafari fuhr herum. Die Tür stand offen, aber niemand schien eingetreten zu sein.

„Hallo?“, rief er unwirsch. Die Tür fiel wieder ins Schloss.

Imperio!“, antwortete eine Stimme aus dem Nichts.

Jafari fühlte eine selige Leichtigkeit in sich aufsteigen, wie unter dem Einfluss gewisser Drogen, mit denen er handelte, ohne sie selbst je zu konsumieren. Er lebte von anderer Leute Sucht.

„Sie werden jetzt den Safe öffnen und das Bargeld auf ihren Schreibtisch legen“, befahl die Stimme. Willenlos tat Jafari, wie ihm geheißen. Die Geldbündel, die er auf den Tisch legte, schienen sich in Luft aufzulösen. Schließlich befahl die Stimme: „Sie werden den Tresor jetzt schließen und nicht vor heute Nachmittag wieder öffnen. Wenn Sie dann kein Geld darin finden, werden Sie glauben, Sie selbst hätten es ausgegeben. Sie werden vergessen, was Sie eben erlebt haben.“

Jafari nickte und schloss den Tresor. Die Bürotür öffnete sich wieder, und ihm war, ohne dass es ihn interessiert hätte, als hörte er Schritte sich entfernen. Er würde sich jetzt schlafen legen. Es war eine ertragreiche Nacht gewesen.

 

Gegen halb sieben spürte ein junger Mann, der gerade zur U-Bahn eilte, einen zuckenden Schmerz an der Kopfhaut, als würde ihm eine Haarsträhne ausgerissen. Er fuhr herum, aber niemand war in seiner Nähe. Verwundert rieb er sich den Hinterkopf. Dann zuckte er die Achseln, setzte seinen Weg fort und vergaß den kleinen Zwischenfall.

 

Roy hatte sich in einer öffentlichen Toilette eingeschlossen, machte sich wieder sichtbar, legte die Haare, die er eben dem jungen Mann ausgerissen hatte, in ein Schälchen Vielsafttrank, warf eine vergrößerte leere magische 24-Stunden-Kapsel hinein, ließ sie sich vollsaugen und verkleinerte sie wieder. Während er darauf wartete, dass die Kapsel sich wieder schloss, zählte er das Geld, das er in Jafaris Bordell erbeutet hatte. Es waren über einhundertzehntausend Pfund.

Nun hatte er ein Luxusproblem: So viel Geld würde in der kurzen Zeit, die er noch zu leben gedachte, auf keinen Fall brauchen. Wenn man ihn aber nach Hermines Tod verhaftete, würde das Geld dem Ministerium zufallen! Er verzog den Mund: Wenn es jemanden gab, dem er es nicht gönnte, war es das Ministerium. Er zählte zehntausend Pfund ab, die er behalten würde, dann nahm er den Vielsafttrank und verwandelte sich dadurch in einen Doppelgänger des unbekannten jungen Mannes. Schließlich machte er sich wieder unsichtbar.

Ganz in der Nähe kannte er eine kleine Parkanlage. Als Roy hinter einem Gebüsch lautes Schnarchen hörte, nachsah und einen graubärtigen Obdachlosen fand, der sich in seinen Schlafsack eingemummelt hatte, steckte er ihm – immer noch unsichtbar – kurzerhand hunderttausend Pfund in den Schlafsack und ging davon.

Selbst wenn der Obdachlose seine Geschichte der Presse erzählte und das Zaubereiministerium davon Wind bekam, würde niemand dort diese kuriose Sache mit ihm in Verbindung bringen.

Als er weit genug entfernt war, machte er sich in einer Toilette wieder sichtbar, bestieg die U-Bahn und wechselte in ein Viertel, in dem es genügend Hotels gab. Roy fühlte keine Müdigkeit – er fühlte überhaupt nichts –, aber er wusste, dass er schlafen musste. Er wählte ein mittelpreisiges Hotel, in dem sonst Geschäftsreisende mit knappem Spesenbudget abstiegen, gab einen falschen Namen an und bat den Portier, ihn um ein Uhr mittags zu wecken. Auf seinem Zimmer trank er einen Schluck des Traumhemmers, den die Elfen ihm überlassen hatten – er fühlte nichts, fürchtete aber seine Träume – und schlief sofort wie ein Stein.

 

***

 

Harry verabschiedete sich nach dem Mittagessen mit Handschlag von den Black Snakes, Rodolphus und Walden. Letztere sollten mit ihrer vergleichsweise seriösen Ausstrahlung dabei helfen, in Liverpool ein passendes Altersheim für die befreiten Todesser zu finden. Die Kosten würden die Black Snakes übernehmen, die nie Geldsorgen hatten.

Als Rodolphus und Walden disappariert waren und von den Black Snakes unter ihrem Unsichtbarkeitszauber nur noch das Röhren ihrer Maschinen am Himmel zu hören war, folgten Harry und Albus den anderen Unbestechlichen ins Haus. James, Rose und Victoire waren nicht zur Verabschiedung gekommen und saßen immer noch im Rittersaal. Harry schien es, als wolle sein Sohn hinter den anderen absichtlich ein wenig zurückbleiben.

„Meinst du“, raunte Albus ihm zu, „wir bekommen ihn noch einmal lebend zu sehen?“

„Du trauerst sehr um ihn, was?“

Albus nickte bedrückt. „Seit ich in Hogwarts bin, ist er für mich wie ein großer Bruder gewesen. Ihn zu verlieren ist so, als wenn James… Der letzte Mensch, der plötzlich nicht mehr er selbst war, war Hermine. Hermine werden wir retten – wir werden sie doch retten, oder?“, fragte er mit einem plötzlichen Anflug von Zweifel.

„Natürlich, Al, natürlich werden wir sie retten, ich habe auch schon einen Plan.“

„Wir werden schnell sein müssen, um Roy zuvorzukommen.“

„Wir werden schnell sein“, erwiderte Harry. „Morgen.“

„Morgen schon?“ Albus sah überrascht zu seinem Vater auf. „Gott sei Dank. Ich habe nur Angst, wenn Roy merkt, dass er sie nicht töten kann, tut er sich selbst etwas an.“

Harry blieb stehen und fasste seinen Sohn an beiden Schultern. „Wir konzentrieren uns zunächst auf Hermine. Sobald wir sie von Voldemort befreit haben, wird uns etwas für Roy einfallen. Versprochen.“

Albus nickte erleichtert. Wenn sein Vater so etwas sagte, würde er es auch schaffen. Sie betraten nun den Rittersaal, in dem Gryffindors und Slytherins einander gegenübersaßen und anschwiegen: auf der einen Seite James, Rose und Victoire, auf der anderen Julian, Ares, Orpheus, Scorpius und Bernie. Das Mittagessen war schon unter bedrückendem Schweigen verlaufen – mit der gestrigen Nacht war etwas zerbrochen. Während Harry neben Victoire Platz nahm, blieb Albus stehen. Ihm war, als sei ein stummer Krieg ausgebrochen, und er müsse sich für eine Seite entscheiden.

Julian bemerkte sein Zögern und meinte verständnisvoll:

Albus, du kannst dich ruhig zu deiner Familie setzen.“

„Heißt das“, fragte Albus betroffen, „ich gehöre nicht mehr zu euch?“

„Quatsch!“, rief Ares unwirsch. „Selbstverständlich gehörst du zu uns, wir glauben nur, dass dein Vater dich momentan dringender braucht als wir.“

Albus setzte sich erleichtert neben Harry.

„Bis auf Weiteres“, unterbrach Julian das erneute Schweigen, „werden unsere Wege sich trennen müssen. Das, was du vorhast, Harry, werden wir nicht unterstützen, aber auch nicht verhindern. Wir konzentrieren uns darauf, Roys letzte Bitte zu erfüllen.“

Albus schluckte. Roys letzte Bitte – als wäre er schon tot!

„Wir werden uns von den Elfen einen eigenen Raum zuweisen lassen“, fügte Julian hinzu. Die Unbestechlichen erhoben sich und verließen den Rittersaal.

„Gut, dass die draußen sind!“, schnaubte Rose.

„Was soll denn daran gut sein?“, entrüstete sich Albus.

„Also, ich muss nicht mit Leuten zusammensein, die zum Feind halten.“

„Feind?“, fragte Albus fassungslos.

„Na, wie würdest du dieses Scheusal Roy denn nennen?“

„Er ist kein Scheusal!“ Albus sprang auf und schlug mit der Faust auf den Tisch.

Nun sprang Rose auf: „Er will meine Mutter ermorden!“

„Deine Mutter wollte meinen Vater ermorden! Habe ich sie deswegen je ein Scheusal genannt?“

„Sie steht unter einem Fluch!“

„Und Roy hat alles verloren, was ein Mensch verlieren kann, und zwar ihretwegen!“

Albus und Rose waren aufeinander zugetreten und funkelten sich an.

„Dass du ihn auch noch verteidigst! Ich dachte, du… Ich dachte, wir wären…“ Tränen der Wut und Enttäuschung kullerten aus ihren Augen.

„Hast du nicht gesehen, wie sehr er Arabella geliebt hat?“, fuhr Albus sie an. „Was glaubst du, was ich mit jemandem machen würde, der mir dich wegnimmt? Wäre ich dann auch ein Scheusal?“

Selbstredend würde Albus nie so extrem reagieren wie Roy, insofern hatte er geflunkert – aber so charmant, dass Rose von ihrem Zorn abgelenkt wurde und ihn halb verwirrt, halb geschmeichelt ansah.

Harry nutzte die entstehende Pause: „Rose, Albus, würdet ihr euch bitte wieder hinsetzen? Wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn wir Roy zuvorkommen wollen.“

Die beiden setzten sich wieder, während sie verstohlene Blicke tauschten.

 

***

 

Als der Portier Roy um eins weckte, schoss sofort das Adrenalin in dessen Adern und vertrieb die Müdigkeit.

Er sprang unter die Dusche, zog sich an, ging in die nächstbeste Pizzeria und bestellte sich eine doppelte Portion Spaghetti Bolognese, denn der Tag würde wahrscheinlich lang, in jedem Fall aber anstrengend werden. Er dachte über seine Optionen nach. Unbemerkt ins Ministerium einzudringen würde fast unmöglich sein, nun, da eine Großfahndung nach den Befreiten und ihren Befreiern lief und Anderson damit rechnen musste, dass Harry seine Entführung zu wiederholen versuchen würde.

Hermine wohnte aber im Gästehaus. Roy kannte das Gebäude nicht, spekulierte aber, dass es wie die meisten magischen Gebäude in London – außer dem Ministerium – oberirdisch lag und daher zwar durch einen Verwirrungszauber vor Muggelblicken geschützt, aber gegen Eindringlinge schwerer abzusichern war als das Ministerium. Er musste es erst einmal ausfindig machen.

Harry hatte erwähnt, dass ein unterirdischer Gang direkt vom Ministerium zum Gästehaus führte, damit Gäste des Ministeriums nicht auf die Straße hinausmussten. Das Gebäude würde also in einem Umkreis von zweihundert, maximal dreihundert Metern um das Ministerium herum zu finden sein.

Einen Moment lang erwog er, einfach die Straßenzüge um das Ministerium herum im Taxi abzufahren und den Muggel-Fahrer bei jedem Gebäude zu fragen, ob er es sehen konnte – wenn nicht, war es das gesuchte. Er verwarf den Gedanken wieder: Das Haus wurde bestimmt beobachtet, und ein Taxi, das im Schritttempo – schneller würde es kaum gehen – das Ministerium umkreiste, musste noch dem dümmsten Auror verdächtig vorkommen.

Angenommen, überlegte er, ich wäre Anderson, wie würde ich das Gästehaus sichern? Ich würde auf jeden Fall dafür sorgen, dass niemand sich unsichtbar nähern kann.

Er starrte vor sich hin, während er automatengleich seine Spaghetti in sich hineinschaufelte, ohne den missbilligenden Blick des italienischen Kellners wahrzunehmen.

Wenn er sich als Mensch oder Möwe unsichtbar machte, würde er sichtbar werden, sobald er die Umgebung des Gästehauses betrat. Dann hatte er zwar das Haus identifiziert, war aber auch den Auroren aufgefallen.

Beim doppelten Espresso, mit dem er seine Mahlzeit abschloss, kam er auf die Lösung.

Roy zahlte, trat hinaus auf die Straße und begab sich in eine nahegelegene Grünanlage, wo er sich in ein Gebüsch schlug. Ein Unbeteiligter, der ihn zufällig sehen würde, würde denken, er müsse mal austreten. Er zauberte einen etwa zwanzig Zentimeter langen Zweig unsichtbar, nahm die Gestalt einer Möwe an, las den unsichtbaren Zweig mit dem Schnabel vom Boden auf und flog Richtung Ministerium davon. Das Ministerium lag in Themsenähe, dorthin konnte eine Möwe sich schon einmal verfliegen, ohne aufzufallen. Es war kurz vor halb drei, er würde noch etwa vier Stunden Tageslicht haben, das würde reichen. Es musste auch reichen, wenn er den Fern-Wettlauf mit Harry gewinnen wollte.

Gewiss, Harry hatte sich mit der Entführung – auf eine solche würde es hinauslaufen – das bei Weitem kompliziertere Unternehmen vorgenommen, insofern glaubte Roy einen kleinen Vorsprung zu haben, aber den durfte er nicht vergeuden: Harry wusste, dass ihm nicht viel Zeit bleiben würde, Hermine vor ihm oder Voldemort zu retten. Er würde sich nicht noch einmal drei Monate zur Vorbereitung nehmen, wahrscheinlich nicht einmal drei Tage.

Roy flog systematisch zunächst alle Gebäude ab, die dem Ministerium direkt gegenüberlagen. Fehlanzeige – der Zweig in seinem Schnabel blieb unsichtbar. Dann folgte er den Seitenstraßen, die am Ministerium entlang verliefen. In der vierten Straße, die er durchflog, vom Ministerium aus gesehen etwa zweihundert Meter straßenabwärts auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wurde er fündig: Er konnte den Zweig in seinem Schnabel plötzlich sehen, der wieder verschwand, als er das Gebäude passiert hatte. Einem Beobachter, auch wenn er Auror war, konnte der winzige Zweig unmöglich auffallen, der im Schnabel einer Silbermöwe jäh auftauchte und wieder verschwand – außer vielleicht Anderson selbst, dessen legendäre Beobachtungsgabe Harry gerühmt hatte, aber der schob bestimmt keinen Außendienst.

Methodisch, wie es seine Art war, durchflog Roy noch die übrigen Straßen in einem Umkreis von vierhundert Metern um das Ministerium herum, ob er ein weiteres Haus fand, an dem dieses Phänomen auftrat, dann aber war er sich seiner Sache sicher: Er hatte das Gästehaus, ein repräsentatives, aber keineswegs protziges vierstöckiges Gebäude im viktorianischen Stil, identifiziert.

Sechs Schornsteine ragten aus dem Dach des Gästehauses. Wahrscheinlich gab es im Haus Suiten oder Appartements für besonders wichtige Gäste – und bestimmt für die Ministerin –, die nach Zauberersitte mit einem offenen Kamin ausgestattet waren. Er begutachtete die Schornsteine: Eine Möwe würde hindurchpassen. Die Frage lautete, welcher von ihnen zur Suite der Ministerin führte. Einen Irrtum durfte er sich nicht erlauben, denn die Schornsteine waren zwar breit genug, um in ihnen nach unten zu gleiten, aber natürlich zu schmal, um mit der stattlichen Spannweite einer Silbermöwe durch sie wieder hinauszufliegen, und er musste damit rechnen, dass die Fenster aus Sicherheitsgründen auch von innen nicht geöffnet werden konnten – und wenn, würde ein offen zurückgelassenes Fenster die Auroren alarmieren. Entkommen würde er wohl nicht mehr, wenn er einmal drin war, und er hatte es, sofern nur sein Attentat gelang, auch nicht vor.

Roy ließ sich auf dem Dach des gegenüberliegenden Hauses nieder und dachte nach. Interessanterweise war sein Zweig wieder unsichtbar geworden, die Schutzglocke des Gästehauses reichte also nicht bis zu dem Haus, auf dem er saß, jedenfalls nicht bis zu dessen Dach. Er setzte sich auf die Dachrinne und ließ den Zweig auf den Gehweg vier Stockwerke unter ihm fallen. Er blieb unsichtbar.

Es würde sicherer sein, unter dem Schutz eines Unsichtbarkeitszaubers zurückzukehren – eine Möwe als solche war unauffällig, aber eine Möwe, die stundenlang auf einem Dach saß und das Gästehaus des Ministeriums anstarrte, würde vielleicht doch den einen oder anderen Auror dazu verleiten, sie sicherheitshalber mit dem Realcorpus-Zauber zu überprüfen.

Er flog ein Stück weit weg und kehrte wieder zurück, um, nunmehr unsichtbar, erneut seinen Beobachtungsposten zu beziehen. Es war unmöglich, durch die Fenster ins Haus hineinzusehen, wahrscheinlich waren sie magisch gegen Blicke abgeschirmt.

Roy wartete geduldig stundenlang, ohne dass sich am Gästehaus erkennbar etwas rührte oder irgendjemand ein- oder ausgegangen wäre. Das überraschte ihn nicht besonders, da das Haus ja unterirdisch mit dem Ministerium verbunden war und Hermine oder die Gäste des Zaubereiministeriums diesen Gang benutzen würden. Er wartete auf die Mitarbeiter des Hauses. Harrys Bericht über die gescheiterte Entführung hatte er entnommen, dass die Mitarbeiter des Ministeriums in Zwölf-Stunden-Schichten arbeiteten und morgens und abends jeweils um sieben Uhr abgelöst wurden. Vermutlich galt dieselbe Schichteinteilung auch für das Gästehaus.

Roy konnte auf keine Uhr sehen, verließ sich aber auf sein gutes Zeitgefühl. Es musste tatsächlich gegen sieben Uhr sein, als ein Mann das Haus verließ, auf dessen Dach Roy saß, schnurstracks die Straßenseite wechselte und ins Gästehaus eingelassen wurde, nachdem er ein Kennwort genannt hatte, das Roy von oben aus allerdings nicht verstehen konnte. Das gleiche wiederholte sich in kurzen Abständen noch drei Mal mit anderen Männern. Ein paar Minuten später verließen wiederum kurz nacheinander vier weitere Männer das Gästehaus, überquerten ihrerseits die Straße und verschwanden in demselben Haus, aus dem die anderen gekommen war.

Roy überlegte: Das Haus unter ihm musste Dienstwohnungen von Mitarbeitern beherbergen, und da man offenbar Wert darauf legte, sie in der Nähe zu wissen, würde es sich eher um Sicherheitspersonal handeln als um Köche oder Reinigungskräfte. Sie waren getrennt gegangen, was darauf hindeutete, dass jeder seine eigene Wohnung hatte.

Da es nun dunkel geworden war, schraubte Roy sich rund fünfzig Meter in die Höhe, aktivierte stumm den Calorate-Zauber und kehrte wieder auf sein Dach zurück.

Genau wie er spekuliert hatte, schirmten die Fenster nur austretende Licht-, nicht aber Wärmestrahlen ab, und er konnte jetzt an der Wärme erkennen, in welchen Zimmern und Appartements Menschen sich aufhalten und Kerzen brennen mussten – über Elektrizität verfügte in der magischen Welt nicht einmal das Ministerium, was aber niemanden störte, da magische Kerzen deutlich heller brannten als Muggelkerzen. Körperkonturen, an denen er Hermine vielleicht hätte erkennen können, konnte er zu seiner Enttäuschung allerdings nicht ausmachen. Er sah die Wärme als solche, aber die Fenster waren eigenartigerweise so gebaut, dass sie die Wärmestrahlung diffus streuten – wusste der Geier, wie und warum die Baumagier des Ministeriums das gemacht hatten.

Aus der Anordnung der erleuchteten und nicht erleuchteten Fenster konnte Roy Rückschlüsse auf die Lage der Appartements ziehen, auf die es ihm vor allem ankam. Da das Haus nur schwach belegt war, deutete ein einzelnes durch Wärme erleuchtetes Fenster auf ein einzelnes Zimmer, mehrere nebeneinander auf Suiten hin. Roy umflog im Lauf der folgenden Stunden das Gebäude in vorsichtigem Abstand mehrere Male und prägte sich die Lage aller erleuchteten Fenster genau ein. Anscheinend waren insgesamt zwei von vermutlich sechs Appartements im obersten Stockwerk und eines im zweiten belegt, während es im übrigen Gebäude nur Einzelzimmer zu geben schien und es im ersten Stock völlig dunkel war, offenbar war dort niemand untergebracht.

Als gegen elf Uhr nicht mehr zu erwarten war, dass in dieser Nacht noch irgendetwas geschehen würde, flog er zu seinem Hotel zurück. Kaum zu glauben, dachte er, dass wir uns vor nicht einmal vierundzwanzig Stunden für den Angriff auf Askaban fertiggemacht haben. Keinen Tag war es her, und doch wie aus einem anderen Leben.

Er gab einen Weckauftrag für fünf Uhr und legte sich schlafen, vergaß aber, seinen Traumhemmer zu nehmen.

 

***

„Also“, begann Harry, „es führt wieder einmal kein Weg daran vorbei, Hermine zu entführen…“

„Wohin?“, wollte James wissen.

„Wieder in die Kammer des Schreckens.“

„Dort sucht man doch zuerst!“

„Nicht unbedingt, nur wenige wissen, wo die Kammer sich befindet, und die gehören alle zur Familie. Außerdem haben wir nicht die Zeit, ein neues Versteck einzurichten. Dann holen wir einen Heiler aus dem St. Mungo. Er muss den Horkrux aus ihrer Schädeldecke entfernen, damit wir ihn mit einem Basiliskenzahn oder dem Gryffindor-Schwert zerstören können.“

„Aber Papa“, wandte Albus ein, „wie soll irgendeiner von uns einen Heiler holen? Nach uns allen wird gefahndet!“

„Ich werde McGonagall darum bitten. Wir brauchen ohnehin ihre Hilfe, weil nur sie uns die Möglichkeit verschaffen kann, mit Hermine direkt im Klo der maulenden Myrte zu apparieren, um von dort aus in die Kammer des Schreckens zu kommen. Der alte Geheimraum, sofern er überhaupt noch existiert, ist mit Sicherheit inzwischen wieder appariergeschützt.“

„Und wie willst du Kontakt zu ihr aufnehmen?“, fragte Victoire zweifelnd. „Das Flohnetzwerk wird überwacht, Eulen werden überwacht, das Gelände soll nach wie vor von Dementoren umstellt sein, deinen Tarnumhang hast du nicht mehr, und Apparieren ist in Hogwarts nicht möglich!“

Apparieren ist durchaus möglich“, korrigierte Harry. „Nur wir können es nicht.“

„Wer dann?“

Elfen! Blubber könnte in Hogwarts apparieren und McGonagall einen von Roys Zauberspiegeln bringen, damit ich mit ihr sprechen kann. Wir werden allerdings warten müssen, bis Draco heute Abend aus dem Ministerium nach Hause kommt, denn nur er kann Blubber den Auftrag erteilen.“

„Wie willst du aus dem Ministerium disapparieren?“, fragte Victoire. „Das ist doch schon einmal schiefgegangen!“

„Ich war gerade dabei, Hermine mit dem Imperius zu belegen, um sie zu zwingen, mit mir zu disapparieren. Es hätte funktioniert, wenn Anderson mich nicht gestört hätte und ich nicht gezwungen gewesen wäre, Hermines Rolle zu spielen. Das brauche ich diesmal nicht zu tun, diesmal wird es klappen.“

„Und wenn es nicht klappt? Wenn Anderson die Apparierbestimmungen nochmals verschärft hat?“

„Notfalls verschanze ich mich im Ministerbüro, nehme Hermine als Geisel und erzwinge eine Untersuchung ihres Kopfes durch den Chefheiler des St. Mungo. Es wird für ihn ein Leichtes sein, den Goldnugget zu finden und die darin steckende Schwarze Magie zu identifizieren, wenn er erst einmal weiß, wonach er zu suchen hat.“

Harry“, rief Victoire beunruhigt. „Du hattest Hermine schon einmal als Geisel, und es ist schiefgegangen.“

„Da musste ich auch improvisieren.“

„Und wenn die Auroren sich nicht auf deine Forderung einlassen, weil sie dir die Drohung, Hermine zu töten, nicht abnehmen? Wenn sie ein Sondereinsatzkommando mit ihren verdammten Blendgranaten schicken? Wenn…“

„Es ist ja auch nur Plan B!“, fiel Harry ihr genervt ins Wort. „Selbstverständlich ist er riskant, aber er hat eine reelle Erfolgschance.“

„Damit ist aber noch nicht das Hauptproblem gelöst, wie du ins Ministerium eindringen willst“, wandte James nun ein. „Roy hat fast den ganzen Vorrat an Vielsafttrank mitgenommen, den Rest haben seine Freunde, und die werden ihn nicht herausrücken.“

„Das macht nichts“, antwortete Harry. „Mit Vielsafttrank kommt man sowieso nicht mehr durch die Eingangskontrollen – ich fresse einen Besen, wenn Anderson die Sicherheitsbestimmungen nicht auch in diesem Punkt verschärft hat. Unsichtbarkeitszauber würde ich auch lieber nicht ausprobieren, vermutlich ist inzwischen das ganze Ministerium unter einer Schutzglocke, nicht nur die Ministerin.“

„Und wie dann?“, fragte Victoire.

„Als Animagus. Ich werde mich wie Albus in eine Fliege verwandeln.“

„Soll ich dann nicht besser mitkommen?“, fragte Albus. „Ich könnte sozusagen als Reserve bereitstehen, damit dir jemand helfen kann, falls etwas schiefgeht.“

„Ich hätte dich ohnehin darum gebeten.“

„Warum Al?“, rief James enttäuscht. „Warum der Jüngste? Warum nicht Victoire oder ich?“

„Ich rechne mit der Möglichkeit“, erwiderte Harry, „dass Roy zur selben Zeit zuschlägt wie wir und wir ihn vielleicht an seinem Anschlag hindern müssen. Dann ist Albus der Einzige, der Einfluss auf ihn hat.“

„Besonders beeindruckend war der Einfluss gestern ja nicht“, brummte James verdrossen, der gern bei dem Abenteuer dabeigewesen wäre.

„Er war immerhin groß genug, Roy in seinem desolaten Seelenzustand noch so etwas wie eine Gefühlsregung zu entlocken. Selbst jetzt noch weigere ich mich zu glauben, dass er Hermine tötet, solange Albus danebensteht.“

James grummelte missmutig etwas, das nach halber Zustimmung klang, bohrte aber sofort nach: „Sollten wir dann nicht Alle als Animagi eindringen?“

Harry schüttelte den Kopf.

„Damit erhöhen wir nur das Risiko, ohne einen nennenswerten Vorteil zu erzielen. Zahlenmäßig sind wir den Auroren ohnehin weit unterlegen, egal, ob wir zu zweit oder zu fünft eindringen. Wenn wir aber auffliegen und verhaftet werden, ist es besser, wenn noch drei von uns auf freiem Fuß sind.“

James, er hat recht“, gab Victoire zu und ließ ihrem Cousin keine Wahl, als sich widerwillig geschlagen zu geben.

Den Rest des Nachmittags verbrachten sie mit Vorbereitungen: Harry ließ sich in einen Fliegen-Animagus verwandeln – es war fast Frühlingsanfang und damit nicht mehr ganz so schwer, eine lebende Fliege aufzutreiben – und gewöhnte sich gemeinsam mit Albus in das Leben einer Stubenfliege ein. Draco kam kurz nach sechs von der Arbeit und zeigte sich hilfsbereit: Er schickte Blubber zu McGonagall, die über den Zauberspiegel Kontakt zu Harry aufnahm, gegen sein Vorhaben keine Einwände erhob und noch am selben Abend das Klo der maulenden Myrte von der Appariersperre ausnahm. Alles klappte wie am Schnürchen.

Nachdem Harry und Albus den Plan gegen neun Uhr noch ein letztes Mal durchgesprochen hatten, wurde Albus mit einem Schlaftrunk der Elfen ins Bett geschickt. Er schlief in dem beruhigenden Bewusstsein ein, dass nichts schiefgehen würde.

 

***

 

„Vergiss die Dementoren, mein Bärchen, ich bin da“, flüsterte Arabella ihm zu, die sich auf dem Wolkenbett in ihrem Hochzeitszimmer an ihn gekuschelt hatte. „Niemand trennt uns, mein Bär, niemand trennt uns, niemand trennt uns…“

Das Telefon riss ihn aus dem Traum.

„Sie wollten um fünf Uhr geweckt werden, Sir.“

„Ich?“, murmelte er schlaftrunken. „Ja, danke.“

Schlagartig verdrängte die Wirklichkeit seinen Traum, und seine kaum angetaute Seele gefror wieder. Auf diese Weise aus einem Traum zu erwachen, war schlimmer, als einen Alptraum zu durchleiden. Arabella lag nicht neben ihm, wurde ihm bewusst. Sie hatte sich in Askaban erhängt.

Dafür stirbt das Schlammblut!

Jetzt war nicht die Zeit zu trauern.

 

Um halb sieben Uhr morgens stand er unsichtbar auf der dem Gästehaus gegenüberliegenden Straßenseite und wartete. Kurz vor sieben ging der erste der Auroren hinüber zum Dienst, kurz nach sieben schlug der erste Auror, der seine Nachtschicht beendet hatte, den entgegengesetzten Weg ein. Roy schlüpfte ihm unsichtbar in die Haustür hinterher und folgte ihm, während er schweren Schrittes in den zweiten Stock schlurfte.

Auf dem Klingelschild stand der Name „Bellamy“. Der Auror hatte soeben die Tür zu seiner Wohnung aufgeschlossen, als ein stummer Petrificus-Zauber ihn lähmte. Bevor er umkippen konnte, fing Roy ihn auf, denn das Poltern eines fallenden Körpers konnte er jetzt ebenso wenig brauchen wie den grellroten Blitz eines Schockzaubers, der womöglich draußen jemandem auffallen konnte. Er lehnte den Auror, der steif wie ein Brett war, gegen die Wand des kleinen Wohnungskorridors, schloss die Tür, schirmte zunächst die gesamte Wohnung nach außen mit einem Imperturbatio-Zauber und zum Sichtschutz mit einem Verwirrungszauber ab und vergewisserte sich, dass er mit dem Auror allein war.

Es handelte sich um eine Dienstwohnung, die im Wesentlichen aus einem kleinen Wohn- und einem noch kleineren Schlafzimmer bestand. Auf dem Nachttisch winkten eine Frau und zwei Kinder gemeinsam aus dem Rahmen ihres Bildes. Roy unterdrückte den Stich, den dieser Anblick ihm gab.

Der Auror war wohl ein treusorgender Familienvater, der nur seines Berufs wegen – und vielleicht nur vorübergehend – von seiner Familie getrennt leben musste. Das war gut. Familienväter konnten nicht ihr Leben riskieren, nur um ein Staatsgeheimnis zu wahren.

Roy schleppte den gelähmten Auror ins Wohnzimmer, verpasste ihm einen Schockzauber, hob die Lähmung wieder auf, fesselte ihn an einen Stuhl und weckte ihn wieder. Der Auror, der niemanden sehen konnte, sah sich verwirrt um.

Imperio!“, befahl Roy. Der Auror stutzte einen Moment, dann nahm sein Gesicht jenen seligen, wenn auch nicht besonders intelligenten Ausdruck an, den Roy zuletzt an Wilkinson bemerkt hatte.

„Sie werden mir jetzt auf jede Frage die Wahrheit antworten, Bellamy, verstanden?“

„Ja, Sir“, nickte der Auror und sah freundlich etwa in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.

„Sie tun Dienst im Gästehaus des Ministeriums?“

„Ja, Sir.“

„Was tun Sie dort?“

„Ich gehöre als Wachmann zum Sicherheitspersonal.“

„Die Ministerin wohnt im Gästehaus?“

„Ja, Sir.“

„Hat sie ein Zimmer oder ein Appartement?“

„Ein Appartement, Sir.“

„Wo?“

„Im ersten Stock, Sir.“

Roy stutzte.

„Wann kam sie gestern Abend nach Hause?“

„Gegen halb acht, Sir.“

„Und sie verbrachte den Abend in ihrer Wohnung im ersten Stock?“

„Ja, Sir.“

„Woher wollen Sie das wissen?“

„Ich suchte sie vorschriftsgemäß während meines Rundganges um neun Uhr auf, um mich zu vergewissern, dass sie wohlauf ist.“

„Aha. – Wer ist in der obersten Etage untergebracht?“

„Die Appartements dort sind im Moment nicht belegt, Sir.“

Der Auror log wie gedruckt! Roy trat einen Moment ans Fenster und überlegte. Sein Imperiusfluch war fehlgeschlagen. Er könnte den Auror jetzt foltern – moralische Skrupel hatte er keine mehr –, aber Folter war ein grobschlächtiges, nicht unbedingt zielführendes Mittel, etwas für Dummköpfe, denen nichts Besseres einfiel. Er drehte sich wieder zu dem Auror um, ohne dass dieser es hätte sehen können.

„Wir werden mit Hilfe eines sehr einfachen Tests herausfinden, ob Sie mir die Wahrheit gesagt haben. Ich belege Sie jetzt mit dem Anti-Imperius. Wenn Sie die Wahrheit gesagt haben, wird mein Imperius aufgehoben. Haben Sie aber gelogen, dann stehen Sie gar nicht unter meinem Imperius. Als Auror wissen Sie, wie der Anti-Imperius wirkt, wenn er gegen jemanden gerichtet wird, der nicht dem Imperiusfluch ausgesetzt ist?“

„Ja, Sir, er würde bewirken, dass ich als Persönlichkeit ausgelöscht werde.“

„Richtig. Wenn Sie also gelogen haben, werden Sie für den kurzen Rest Ihres Lebens Ihre Frau und Ihre Kinder nicht mehr wiedererkennen!“ Roy wollte ganz sichergehen, dass der Auror ihn auch wirklich verstanden hatte.

„Ich weiß, Sir, ich habe aber die Wahrheit gesagt.“

Hatte er nicht und wusste es! Wenn er sich trotzdem vor dem Anti-Imperius nicht fürchtete, dann konnte dies nur eines heißen: dass Roys Fluch nicht am Widerstand des Aurors, sondern an einem bereits bestehenden Imperiusfluch gescheitert und der Auror sich darüber im Klaren war.

Antimperio!“, rief Roy laut, während er den Zauberstab auf Bellamy richtete. Der Auror nahm wieder einen normalen Gesichtsausdruck an. Dann sagte Roy so leise, dass man es nicht einmal ein Flüstern nennen und der Auror es nicht hören konnte:

Imperio!

Sogleich – ohne den Sekundenbruchteil des Zögerns wie vorhin – wirkte der Auror wieder leicht bekifft. Diesmal musste der Fluch gewirkt haben.

„Sie werden mir jetzt auf jede Frage die Wahrheit antworten, Bellamy“, befahl Roy erneut.

„Ja, Sir.“

„Vorhin haben Sie es nicht getan, stimmt’s?“

„Nein.“

„In welcher Etage liegt das Appartement der Ministerin?“

„In der obersten.“

„Wie viele Appartements gibt es dort?“

„Sechs.“

„Außerdem noch Einzelzimmer?“

„Nein.“

„Welches der sechs Appartements ist das der Ministerin?“

„Die nordöstliche Ecksuite, Sir.“

In diesem Appartement hatte sich am Abend zuvor tatsächlich jemand aufgehalten.

„Verfügt dieses Minister-Appartement über einen offenen Kamin?“

„Ja, Sir“, antwortete der Auror.

„Die Ministerin war gestern Abend zu Hause?“

„Ja.“

„Und Sie haben sich vergewissert?“

„Ja, allerdings wie jeden Abend um halb zehn.“

„Wer außer der Ministerin betritt das Appartement noch?“

„Die Reinigungskräfte.“

„Immer um dieselbe Zeit?“

„Jeden Morgen um acht Uhr, da die Ministerin normalerweise kurz vor acht ins Büro geht.“

„Wie lange brauchen sie dort?“

„Nie mehr als fünf Minuten. Die Ministerin ist von sich aus sehr ordentlich.“

„Sonst betritt niemand die Wohnung?“

„Nein, Sir.“

„Sagen Sie, Bellamy, wie haben Sie es vorhin eigentlich geschafft, sich meinem Imperius zu entziehen?“

„Ich stand unter einem Schutzimperius, Sir.“

„Was ist das denn?“, fragte Roy ebenso verdutzt wie interessiert.

„Eine abgeschwächte Form des Imperiusfluchs“, entgegnete der Auror. „Zu schwach, um jemandem Befehle zu erteilen, aber stark genug, um den Imperiusfluch eines Dritten zu verhindern.“

„Eine Art Impfung?“, wollte Roy wissen.

„Kann man so sagen. Cesar Anderson hat diesen Schutzimperius entwickelt und eingeführt.“

„Was für ein Jammer“, spottete Roy, „dass Anderson sich für seine Kreativität kein anständiges Betätigungsfeld gesucht hat. Und mein Anti-Imperius hat den Schutzimperius dann aufgehoben?“

„Ja.“

„Werden alle Ministeriumsleute mit dem Schutzimperius geimpft?“

„Bisher nur Auroren, und unter diesen zunächst nur diejenigen, die direkt mit dem Schutz des Ministeriums oder der Ministerin zu tun haben, außerdem die Ministerin selbst. Die Einführung für sämtliche Auroren ist allerdings vorgesehen, falls der Schutzimperius sich bewährt, Sir.“

„Wovon im Moment wohl nicht die Rede sein kann“, schloss Roy trocken. „Es ist gut, Sie werden Ihre Frau und Ihre Kinder wiedersehen und wiedererkennen, Bellamy. Sie werden sich jetzt schlafen legen und alles vergessen, was Sie zwischen dem Verlassen des Gästehauses und dem Aufwachen erlebt haben.“

„Ja, Sir.“

Roy hob die Schutzzauber um die Wohnung auf und verließ sie, während der Auror sich schlafen legte. Es war kurz nach halb acht.

Als Möwe durch den Kamin zu purzeln und zunächst wehrlos zu sein, solange Hermine noch zu Hause war, war zu riskant. Wenn sie gegangen war, musste er abwarten, bis auch die Putzzauberer ihre Arbeit getan hatten. Daher frühstückte er zunächst einige Querstraßen weiter, denn er wusste nicht, wie viel Zeit er in der Ministerwohnung würde verbringen müssen.

Gegen Viertel nach acht verließ er das Frühstückslokal, verwandelte sich wieder in die Silbermöwe und flog zum Gästehaus zurück. Es war nicht ganz risikofrei, sich am helllichten Tage in den Kamin der Ministerin hinabgleiten zu lassen, schließlich konnte er gesehen werden. Roy hatte erwogen, aber wieder verworfen, die Dunkelheit abzuwarten. Er wollte nicht mehr warten!

Er flog den fraglichen Schornstein an, setzte sich nur für einen Sekundenbruchteil an dessen Rand und ließ sich hineinrutschen. Unsanft, aber unverletzt landete er auf den Ascheresten eines erkalteten offenen Kamins, hüpfte in die Suite und verwandelte sich wieder in einen Menschen.

Der Vielsaft, den er am Morgen zuvor eingenommen hatte, hatte seine Wirkung inzwischen verloren, Hermine würde ihn erkennen. Sie sollte ihn auch erkennen! Sie sollte wissen, wer sie tötete und warum!

Roy sah sich um. Dass es die Wohnung einer Frau war, war offensichtlich, aber war es auch wirklich die von Hermine? Als er im Kleiderschrank unter anderem drei scharlachrote Businesskostüme und in einer Schublade Hermines alten Zauberstab aus Weißdorn fand, den Harry beschrieben hatte, hatte er Gewissheit.

Roy stellte einen Stuhl in diejenige Ecke des Wohnzimmers, die von der Tür verdeckt werden musste, wenn Hermine hereinkam. Sie würde ihn erst sehen, wenn es für sie zu spät war.

Er vermutete, dass sie nicht vor abends nach Hause kommen würde, und dann bei ihrer berüchtigten Arbeitswut eher spät als früh. Aber wer weiß? dachte er. Da sie es nicht weit hat, kommt sie vielleicht auch einmal zwischendurch zurück, um sich frischzumachen.

Er würde jederzeit bereit sein. Das Wettrennen mit Harry glaubte er jedenfalls gewonnen zu haben. Halb neun. Er konnte warten.

 

***

 

Draco apparierte im Ministerium um zehn vor halb acht und damit etwas früher als sonst, um seinen beiden winzigen Mitreisenden Gelegenheit zu geben, auf Percy umzusteigen, der, wie jeden Morgen, um sieben Uhr neunundzwanzig die Eingangskontrollen passierte und den Ministeraufzug bestieg, nicht ahnend, dass er von seinem Schwager und seinem Neffen begleitet wurde, die es sich in Fliegengestalt auf seinem Umhang bequem gemacht hatten.

Als Percy die Vorlagenmappe auf Hermines Schreibtisch legte, wussten Harry und Albus, die über diesem Schreibtisch an der Decke hingen, dass es genau zehn vor acht war. Nur noch wenige Minuten.

Hermine apparierte diesmal um Punkt acht Uhr in ihrem Büro, wünschte Percy einen guten Morgen und nahm auf ihrem Chefsessel Platz. Dass sie die Tür zum Vorzimmer offengelassen hatte, war für Albus das Zeichen, zu Percy hinüberzufliegen. Vom Vorzimmer aus behielt er zunächst noch Hermine im Blick.

Er sah seinen Vater hinter ihr wie aus dem Boden wachsen und Hermine, von einem stummen Petrificuszauber gelähmt, erstarren. Alles geschah völlig lautlos. Percy konnte sie – nicht aber Harry – zwar sehen, doch bevor ihm ihre Starre auffallen konnte, hatte Albus sich schon hinter ihn gesetzt und sich lautlos wieder in einen Menschen verwandelt.

„Stupor!“

Der rote Blitz aus Albus‘ Zauberstab traf Percy am Kopf, woraufhin dessen Oberkörper auf den Schreibtisch sank. Albus sah Harry grinsend den Daumen heben, warf einen schnellen Blick auf die Karte des Rumtreibers, stellte fest, dass die maulende Myrte nicht in ihrem Klo war und hob seinerseits den Daumen. Dann verwandelte er sich augenblicklich in eine Fliege zurück. Es war vereinbart, dass er nicht nach Hogwarts mitkommen, sondern das Ministerium als Animagus verlassen und dann nach Rockwood Castle disapparieren sollte.

Harry richtete seinen Zauberstab auf Hermines Kopf:

Imperio.

Dann hob er den Petrificuszauber auf. Hermine – oder Voldemort in Hermines Gestalt – sah sich verwirrt um.

„Guten Morgen, Potter“, sagte er freundlich.

„Du wirst mit mir disapparieren“, befahl Harry, „und zwar nach Hogwarts ins Klo der maulenden Myrte.“

Voldemort stand auf.

„Halt dich an mir fest, Potter.“ Harry ergriff Hermines Arm, Voldemort drehte sich, dann sah Albus sie beide disapparieren.

Er selbst machte es sich über der Vorzimmertür bequem. Über kurz oder lang musste jemand hereinkommen und feststellen, dass die Ministerin verschwunden und ihr persönlicher Referent geschockt war, und bei dem dann entstehenden Durcheinander würde niemand auf eine Fliege achten, die den Raum und das Ministerium verließ. Albus atmete nicht auf – als Fliege hatte er keine Lungen –, aber er war erleichtert. Alles war glattgegangen.

 

„Hilfe, Cesar!“, schrie Voldemort mit Hermines Stimme, und schlagartig wurde Harry klar, dass sie nicht in Hogwarts, sondern im Büro des Amasi-Chefs appariert waren. Sein Imperiusfluch hatte versagt!

Anderson feuerte blitzartig einen Schockzauber auf Harry, der durch eine Reflexbewegung gerade noch ausweichen konnte.

„Alarm!“, brüllte Anderson mit verstärkter Stimme, während er und Voldemort ihre Zauberstäbe auf Harry richteten. Harry konnte sie nicht beide gleichzeitig ausschalten. Er hechtete auf den Gang hinaus, wobei zwei weitere Schockzauber ihn knapp verfehlten. Gleich würden Auroren herbeieilen. Er hatte keine Zeit, sich in eine Fliege zu verwandeln, er musste weg! Harry rannte die paar Meter zum Ministerbüro und schaffte es gerade noch hineinzuschlüpfen. Er schlug die Tür hinter sich zu.

Imperturbatio!“, schrie er, während Albus sich wieder in einen Menschen verwandelte.

„Was ist passiert, Papa?“

„Sie ist bei Anderson appariert“, antwortete Harry hastig, während er in Windeseile Decke, Wände und Boden des Vorzimmers gegen Sprengzauber sicherte.

„Sie kann im Ministerium frei apparieren?“

„Ich wusste es auch nicht.“

„Ja, aber Papa, dann kann sie doch auch hier wieder apparieren!“, schrie Albus – und beide schraken zusammen, als sie Hermines Stimme hinter sich hörten:

„Du sagst es, Albus! Expelliarmus!“ Die Zauberstäbe wurden ihnen aus den Händen gerissen.

„Incarcerus!“ Augenblicklich lagen Harry und Albus, verschnürt wie Pakete, auf dem Boden, und ein „Realcorpus!“, erstickte im Keim ihren Versuch, sich wieder in Fliegen zu verwandeln.

Voldemort richtete sie mit einem Zauber halb auf, schob sie gegen eine Wand, sodass sie sich dagegen lehnen konnten, und sah grinsend auf sie hinab.

„Danke für den Imperturbatio“, spottete er, „so sind wir ungestört in unserer Dreisamkeit. Du lernst es nicht, Potter, was? Kaum dem Henker entwischt und schon wieder abenteuerlustig! Allmählich solltest du wissen, dass Cesar dir immer eine Nasenlänge voraus ist. Vielen Dank übrigens“, höhnte er, „dass du mir diesen hervorragenden Personenschützer zur Seite gestellt hast.“

„Keine Ursache“, knurrte Harry. „Warum hast du ihn nicht mitgebracht?“

„Ach, weißt du, Potter – das, was ich jetzt tue, braucht Cesar nicht zu sehen. Es wird wie ein glatter Fall von Notwehr aussehen. Und diesmal benutze ich keinen Zauberstab.“

Während ein kalter Schauer durch Albus‘ Körper fuhr, ging Voldemort an Hermines Schreibtisch und entnahm einer Schublade einen langen, spitzen Gegenstand, den er grinsend hochhielt. Einen Basiliskenzahn.

„Den haben wir in Askaban sichergestellt“, sagte er. „Bevor du stirbst, Potter, darfst du noch zusehen, wie ich ihn deinem Sohn ins Herz bohre.“ Während er – gemächlich, um die Situation auszukosten – auf Albus zuging, schienen sich für diesen die Sekunden zu dehnen, die ihn noch vom Tod trennten.