Für Harry war es ein Déjà-vu: Hermine hatte für die Verhandlung just den Gerichtssaal ausgesucht, in dem er selbst schon einmal als Fünfzehnjähriger angeklagt gewesen war, denselben – und auch das wusste sie –, den er aus Dumbledores Denkarium kannte, in dem er gesehen hatte, wie die Lestranges vor langer Zeit zu lebenslanger Haft in Askaban verurteilt worden waren. Ein finsterer Raum, ausgekleidet mit fast schwarzem Stein. Auch heute würde er einer parteiischen Richterin gegenübersitzen.
Harry, den die Dementoren per Portschlüssel hierher gebracht hatten, wurde gezwungen, auf dem Stuhl des Angeklagten Platz zu nehmen, dessen Ketten sich sofort um seine Arme und Beine schlangen und ihm jede Bewegung unmöglich machten. Dann zogen die Dementoren sich einige Meter zurück. Jetzt erst durfte sein Anwalt zu ihm:
„Ich will Ihnen nichts vormachen, Harry“, flüsterte Greengrass. „Die Ministerin hat den Zaubergamot mit ihren Anhängern aufgefüllt. Das muss noch nichts heißen, nicht Alle sind Fanatiker, die meisten sind Gryffindors und daher nicht unbedingt gegen Sie, manche wird man durch Argumente beeinflussen können, und auf viele kann man über geeignete Kanäle Einfluss nehmen, aber das dauert seine Zeit. Meine Strategie wird daher darin bestehen, den Prozess so lange wie möglich hinzuziehen. Ich weiß, dass das für Sie eine schwere Nervenbelastung ist…“
„Machen Sie sich um meine Nerven keine Gedanken, Greengrass, ich vertraue Ihnen“, flüsterte Harry zurück. „Wissen Sie, wie es meiner Familie geht?“
„Ginny und Lily sind mit den anderen Weasleys nach wie vor im Fuchsbau interniert“, antwortete der Anwalt, während die Sitzreihen für die Mitglieder des Zaubergamots sich allmählich füllten, „ich gehe davon aus, dass die Ministerin ihr Versprechen halten wird, Percy Weasleys Blutsverwandte zu schonen. James, Albus, Rose und Victoire sind immer noch mit Roy im Untergrund.“
Nun führte der Anwalt seinen Mund an Harrys Ohr, um ganz sicher zu sein, dass niemand es hören konnte: „Er bereitet Ihre gewaltsame Befreiung vor, für den Fall, dass man Sie verurteilen sollte, und ich glaube, er wird es schaffen. Seien Sie also unbesorgt, selbst wenn wir hier verlieren sollten, was ich immer noch nicht glaube, haben Sie noch einen Trumpf in der Hand.“
Harry nickte befriedigt. Roy wird es schaffen! dachte er.
Er sah Susan Bones den Saal betreten und schnurstracks, ohne aufzublicken, zum Stuhl der Anklägerin gehen, der diesmal seitlich versetzt zum Richtertisch stand, sodass die Richterin und die Anklägerin Blickkontakt halten konnten. Susan war so blass, dass man hätte meinen können, sie selbst sei die Angeklagte. Nachdem sie sich gesetzt hatte, blätterte sie zerstreut in ihren Papieren, ohne sie zu lesen. Sie vermied es, Harry anzusehen. Die 234 Mitglieder des Zaubergamots waren inzwischen vollzählig versammelt.
Der Nächste, der den Saal betrat, war Percy, der an der Tür stehenblieb und anscheinend auf Hermine wartete. Wie schon damals, vor über zwanzig Jahren, würde er Schriftführer sein. Auch Percy fühlte sich in seiner Haut erkennbar unwohl, auch er sah Harry nicht an. Harry hatte Mitleid mit ihm, denn Percy war nicht weniger Hermines Gefangener als er selbst. Und ich glaube, dachte Harry, er ist schlimmer dran als ich.
Als das Klacken von Pfennigabsätzen Hermines Erscheinen ankündigte, rief Percy: „Die Ehrenwerte Richterin Hermine Granger. Bitte erheben Sie sich.“
Alle außer Harry, der nach wie vor an seinen Stuhl gefesselt war, standen auf. Hermine betrat den Saal, und im Nu schien es kälter zu werden. Auch sie wirkte blass und sogar abgemagert, aber in ihren Augen glühte ein Fanatismus, den Harry noch nie an ihr gesehen hatte, nicht einmal in den letzten Monaten. Es war, als würde nur dieser eiserne Wille ihr die Kraft geben, den rebellierenden Körper zu bezwingen.
Nach den üblichen Formalitäten forderte die Ministerin Susan Bones auf, die Anklage zu verlesen.
Susan stand langsam auf, nahm umständlich das vorbereitete Pergament vom Tisch und begann undeutlich zu sprechen:
„Dem Angeklagten Harry James Potter…“
„Lauter, Anklägerin!“, fiel Hermine ihrer Abteilungsleiterin missbilligend ins Wort. „Zur korrekten Verlesung der Anklageschrift gehört, dass alle Beteiligten sie verstehen müssen!“ Susan räusperte sich:
„Verzeihung, Euer Ehren“, sagte sie nun laut und deutlich. „Dem Angeklagten Harry James Potter, geboren am 31. Juli 1980 in Godrics Hollow, wird Folgendes zur Last gelegt: Am Morgen des 10. Januar 2018 gegen 7.30 Uhr drang der Angeklagte unter dem Schutz eines Tarnumhangs und unter Missachtung des für ihn geltenden Hausverbots unerlaubt und unkontrolliert in das Gebäude des Zaubereiministeriums und in das Büro der Ministerin Hermine Granger ein. Der Angeklagte hatte zu diesem Zeitpunkt mit Hilfe von Vielsafttrank die äußere Gestalt der Ministerin angenommen. Als die Ministerin an ihrem Schreibtisch saß, versuchte der Angeklagte, sie durch einen Schockzauber zu lähmen. Dies scheiterte daran, dass die Ministerin eine magische Schutzweste trug. Als die Ministerin versuchte, Hilfe zu holen, belegte der Angeklagte sie mit einem Petrificus-Zauber und mit dem Imperiusfluch, unter dessen Einfluss die Ministerin Hilfe ablehnte, aber ihrem persönlichen Referenten Percy Weasley erlaubte, einen Arzt hinzuzuziehen. In Weasleys Abwesenheit schockte der Angeklagte die Ministerin und verbarg sie unter seinem Tarnumhang. Er machte sich sichtbar und ließ sich in der Gestalt der Ministerin von dem herbeigeeilten Arzt Professor Healman vom St.-Mungo-Krankenhaus zwei Tage Ruhe verordnen, kehrte ins Büro der Ministerin zurück und versuchte erfolglos mit ihr in ein von ihm vorbereitetes Versteck zu disapparieren. Als der Chef des Amtes für Magische Sicherheit, Cesar Anderson, das Büro betrat, erkannte und entwaffnete er den Angeklagten. Beim Angeklagten wurden Kapseln mit Vielsafttrank gefunden, die es dem Angeklagten ermöglicht hätten, mehrere Wochen lang die Gestalt der Ministerin zu behalten. Der Angeklagte hat eingeräumt, dass er die Absicht hatte, an ihrer Stelle zu amtieren und schließlich zurückzutreten. Der Angeklagte hat somit die Ministerin im Amt gewaltsam und mit dem Ziel angegriffen, sie zu stürzen. Er hat sich somit des Hochverrats in Tateinheit mit versuchter und vollendeter Körperverletzung, versuchtem Menschenraub, unerlaubtem Gebrauch eines Unverzeihlichen Fluchs sowie Hausfriedensbruch schuldig gemacht…“
Susan Bones unterbrach die Verlesung. Obwohl sie die Anklageschrift selbst verfasst hatte, starrte sie darauf, als sähe sie sie zum ersten Mal.
„Anklägerin“, fragte Hermine. „Haben Sie nicht noch einen wichtigen Hinweis vergessen?“
Susan nickte.
„Da es sich“, sagte sie schleppend, „um ein staatsgefährdendes…“
Sie schwieg wieder.
„Nun?“ Hermine trommelte ungeduldig mit den Fingern.
„Es tut mir leid, ich bring das nicht…“ sagte Susan fast tonlos, sodass sie gerade noch zu verstehen war. Sie warf die Schrift vor sich auf ihr Pult.
„Ist Ihnen nicht gut?“, fragte Hermine kühl.
„Nein, Euer Ehren“, erwiderte Susan Bones leise, „mir ist gar nicht gut.“
„Dann beurlaube ich Sie hiermit in meiner Eigenschaft als Zaubereiministerin und entbinde sie bis auf Weiteres von Ihren Aufgaben. Verlassen Sie bitte den Verhandlungssaal“, entschied Hermine, während im Gamot erstauntes Gemurmel ausbrach.
„Ruhe bitte“, fügte Hermine hinzu, während Susan Bones gesenkten Haupts aus dem Saal schlich. „Mister Tanville, als stellvertretendem Leiter der Abteilung für Magische Strafverfolgung obliegt es Ihnen, die Verlesung der Anklageschrift zu Ende zu führen.“
Roger Tanville erhob sich. Er war noch keine dreißig und gehörte zu denen, die unter Hermine eine besonders rasante Karriere hingelegt hatten. Ein schneidiger Strafverfolger und ein hundertprozentiger Hermine-Anhänger. Er nahm die Anklageschrift zur Hand und verlas den letzten Absatz.
„Da es sich um ein staatsgefährdendes Verbrechen im Sinne der Notverordnung zum Schutze des Magischen Staates vom 10. Januar 2018 handelt, ist für die strafrechtliche Würdigung des Sachverhalts sowie für die etwaige Strafzumessung besagte Notverordnung maßgebend.“ Er setzte sich.
„Ich frage Sie, Angeklagter“, fuhr Hermine fort. „Bekennen Sie sich schuldig oder nicht schuldig?“
Nun griff Greengrass ein:
„Ich beantrage erstens festzustellen, dass die Anklage in der vorliegenden Fassung rechtswidrig ist, zweitens die meinem Mandanten vorgelegte Frage zurückzuziehen, da er sie deswegen nicht zu beantworten braucht, drittens die Anklage als unzulässig zurückzuweisen, viertens das Verfahren wegen dieser Unzulässigkeit der Anklage einzustellen. Ich begründe diese Anträge wie folgt: Die Anklageschrift enthält den Verweis auf eine Rechtsnorm, die zum Zeitpunkt der meinem Mandanten zur Last gelegten Tat noch nicht in Kraft war und in Gestalt der Todesstrafe für die Tat Rechtsfolgen vorsieht, mit denen der Angeklagte zur Tatzeit nicht rechnen musste und konnte. Sie ist damit wegen Verstoßes gegen das Prinzip Nulla poena sine lege, das heißt gegen das Verbot rückwirkender Bestrafung, rechtswidrig. Eine Zulassung der Anklage würde dazu führen, dass in Zukunft niemand mehr sich darauf verlassen könnte, dass…“
„Einspruch!“, donnerte Tanville. „Der Verteidiger soll seine Anträge juristisch begründen, nicht sich in rechtspolitischen oder rechtsphilosophischen Erörterungen ergehen!“
„Stattgegeben“, antwortete Hermine. „Herr Verteidiger, Sie haben Ihre Anträge gestellt und begründet. Ankläger, möchten Sie dazu Stellung nehmen?“
„Jawohl, Euer Ehren. Der Grundsatz Nulla poea sine lege, auf den die Verteidigung sich beruft, ist dem Magischen Recht fremd. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Präzedenzfällen für die rückwirkende Geltung von Strafgesetzen, deren Zulässigkeit von der Magischen Justiz in ständiger Rechtsprechung bestätigt worden ist. Die Rückwirkung von Strafgesetzen ist insbesondere in Fällen von Staatsnotwehr zulässig, und ein solcher Fall liegt offenkundig vor. Da der Angeklagte sich darüber hinaus über die Rechtswidrigkeit seines Tuns im Klaren und höchstens über die Rechtsfolgen im Unklaren war, wurde durch die besagte Verordnung nicht das schützenswerte Vertrauen des Bürgers in die Geltung der Rechtsordnung verletzt. Ich beantrage daher, die vier miteinander zusammenhängenden Anträge der Verteidigung zurückzuweisen.“
„Danke“, erwiderte Hermine zufrieden. „Die Anträge der Verteidigung werden zurückgewiesen.“
Fürs erste war auch Greengrass zufrieden. Selbstverständlich hatte er sich nicht eingebildet, mit seinen Anträgen durchzukommen, aber er hatte den Ankläger gezwungen zuzugeben, dass seine Anklage in der vorliegenden Form einen Fall von Staatsnotwehr voraussetzte. Da er das nicht würde beweisen können, hatte er Greengrass unfreiwillig einen ersten Baustein für dessen späteres Plädoyer zugespielt. Außerdem zielte der Anwalt auf die Mitglieder des Zaubergamots, an deren Mienen er ablesen konnte, dass er erfolgreich erste Zweifel an der Legalität des ganzen Verfahrens geweckt hatte.
„Ich frage Sie nochmals, Angeklagter“, hob Hermine nun wieder an. „Bekennen Sie sich schuldig oder nicht schuldig?“
„Nicht schuldig“, antwortete Harry.
Der Ankläger ließ ein verächtliches Schnauben hören und schüttelte den Kopf.
„Bevor wir in die Beweisaufnahme eintreten“, ergriff nun wieder Greengrass das Wort, „habe ich weitere Verfahrensanträge zu stellen.“
Hermine seufzte und forderte den Verteidiger mit einem gelangweilten „Bitte“ auf, seine Anträge zu stellen.
„Ich beantrage festzustellen, dass die Vorsitzende Richterin Hermine Granger befangen und daher zur Leitung des Verfahrens nicht berechtigt ist.“
„Abgelehnt!“, schnappte Hermine dazwischen.
„Mit Verlaub, Euer Ehren, ein Antrag gilt erst als gestellt, wenn er auch begründet worden ist, Sie können ihn noch gar nicht ablehnen.“
Er fuhr ungerührt fort:
„Ich begründe den Antrag wie folgt: Mrs. Granger ist erstens, ihrer eigenen Darstellung zufolge, von dem Angeklagten mit einem Schockzauber und einem Imperiusfluch belegt worden. Sie ist in dieser Hinsicht Geschädigte der hier zur Verhandlung stehenden Taten. Als Geschädigte kann sie nicht die erforderliche Unvoreingenommenheit dem Angeklagten gegenüber haben. Zweitens ist sie Zeugin der verhandelten Taten, und sogar die wichtigste Zeugin der Anklage. Als Richterin aber ist sie verpflichtet, alle Zeugenaussagen unvoreingenommen zu prüfen, das heißt auch die Möglichkeit einer falschen, verzerrten oder übertriebenen Darstellung in Betracht zu ziehen. Es liegt auf der Hand, dass sie diese kritische Distanz ihren eigenen Aussagen gegenüber nicht haben kann. Drittens ist Hochverrat ein Verbrechen, das sich nicht gegen eine Person, sondern gegen die Rechtsordnung des Magischen Staates richtet. Seine Verhandlung setzt einen Richter voraus, dessen persönliche Interessen nicht in Konflikt mit dem objektiven Staatsinteresse geraten können. Die Verteidigung wird vortragen, dass dieses Staatsinteresse just die Handlungsweise des Angeklagten erforderte und rechtfertigte. Die Richterin ist aufgrund ihrer eigenen Interessen zu einer objektiven Würdigung dieser Argumente der Verteidigung außerstande. Viertens hat sie ihre Befangenheit gegenüber dem Angeklagten bereits dadurch bewiesen, dass sie ohne Not die Todesstrafe für die ihm zur Last gelegten Taten eingeführt hat, und zwar rückwirkend, das heißt nicht zur Unterbindung künftiger Taten, sondern zur Ahndung einer bereits begangenen – eine Vorgehensweise, die nicht geeignet ist, die Interessen des Staates zu schützen, sondern allein durch die Rachsucht der Ministerin und heutigen Richterin zu erklären ist!“
Er setzte sich. Viele Mitglieder des Zaubergamots, auch die von Hermine neu ernannten, sahen nachdenklich drein.
„Der Antrag der Verteidigung wird zurückgewiesen!“, replizierte Hermine prompt und schneidend. „Erstens ist ein Geschädigter nicht zwangsläufig voreingenommen gegenüber dem Schädiger, und die Verteidigung hat keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen, warum dies hier so sein sollte. Zweitens erspart mir die Tatsache, dass ich selbst Zeugin bin, lediglich die Mühe, den Wahrheitsgehalt meiner Zeugenaussage zu prüfen, da deren Richtigkeit feststeht, zumal der Sachverhalt in den bisherigen Untersuchungen auch vom Angeklagten nicht bestritten worden ist. Drittens richtet Hochverrat sich regelmäßig und geradezu zwangsläufig gegen das weitere Amtieren des jeweiligen Zaubereiministers und anderer staatlicher Amtsträger, die Antragsbegründung der Verteidigung liefe also auf die absurde Schlussfolgerung hinaus, dem Staat schlechthin die strafrechtliche Verfolgung von Hochverrat zu verbieten. Viertens liegt es durchaus im objektiven Interesse des Staates, zu Abschreckungszwecken eine Strafe nicht nur theoretisch anzudrohen, sondern auch zu vollstrecken. Der Verdacht der Rachsucht wäre allenfalls dann begründbar, wenn die Notverordnung zum Schutze des Magischen Staates ausschließlich auf den vorliegenden Fall beschränkt worden wäre. Dies ist aber nicht der Fall, sie gilt auch für alle weiteren einschlägigen Fälle.“
Auch Hermine hatte Eindruck gemacht, wie Harry mit einem Blick auf den Gamot feststellte. Im Stillen konnte er nicht anders, als sie für ihre blitzschnelle, intelligente Reaktion zu bewundern. Selbst im Bösesten und Schlimmsten, dachte er, ist sie noch brillant!
„Des Weiteren“, ergriff nun wieder Greengrass das Wort, „beantrage ich festzustellen, dass der Zaubergamot in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung nicht berechtigt ist, den vorliegenden Fall zu behandeln, und zwar ungeachtet der Frage, ob die von der Ministerin vorgenommene Reform als solche statthaft ist – woran erhebliche Zweifel bestehen, da sie per Notverordnung erfolgte. Ich begründe: Selbst wenn die Reform als solche zulässig sein sollte, war die hier verhandelte Strafsache zum Zeitpunkt der Reform bereits anhängig, die Neubesetzung ist daher für den vorliegenden Fall als nachträgliche und deswegen unzulässige Veränderung der Zusammensetzung des Gamots zu bewerten. Ich beantrage festzustellen, dass der Gamot in der Zusammensetzung tagen muss, die er zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung durch die Magische Strafverfolgung am 6. Februar hatte.“
„Abgelehnt!“, schnarrte Hermine ungeduldig, wurde aber von dem graubärtigen alten Zauberer unterbrochen, der ihr am nächsten saß. Es war der Großmeister des Gamots, Neptunus Crowe, ein Slytherin.
„Mit Verlaub, Euer Ehren, über einen Antrag, der den Gamot betrifft, kann nur der Gamot selbst entscheiden, nicht die Richterin. Der Gamot muss Gelegenheit haben, sich zur Beratung zurückzuziehen.“
Hermine warf ihm einen genervten Blick zu, hatte aber keine Wahl:
„Die Verhandlung wird unterbrochen, bis der Gamot über den Antrag der Verteidigung entschieden hat.“
***
„Guten Abend, Neptunus.“ Lucius Malfoy schüttelte seinem alten Freund, mit dem er sich in ihrem exklusiven, hochelitären Club verabredet hatte, die Hand.
„Lucius! Was macht die Familie?“, fragte Neptunus, während Lucius sich in den Sessel neben ihm sinken ließ.
„Narzissa und Astoria machen sich Sorgen, weil Draco halb und Scorpius ganz im Untergrund ist.“
Als Neptunus erstaunt die Augenbrauen hochzog, erläuterte er: „Scorpius ist mit seinem Freund Albus Potter und Roy MacAllister untergetaucht, um Potter befreien zu können, und Draco unterstützt sie.“
Lucius‘ Beziehung zu Neptunus war eine jener Freundschaften, von denen Scorpius gesagt hatte, dass die Malfoys sich ein Leben lang darauf verließen. Daher konnte der alte Malfoy es sich leisten, seinem Freund, keinem Geringerem als dem Großmeister des Zaubergamots, anzuvertrauen, dass sein Enkel in die Illegalität abgetaucht war, um einem Staatsfeind zu helfen. Auf Neptunus‘ Verschwiegenheit war Verlass.
„Ich verstehe. Von der Gerechtigkeit der magischen Justiz haltet ihr wohl nicht viel, was?“, witzelte Neptunus.
„Und du?“, grinste Malfoy. „Was macht der Gamot? Greengrass sagt, ihr beratet jetzt schon seit einer Woche über seinen Ablehnungsantrag.“
„Wir filibustern. Jedes der Alt-Mitglieder meldet sich zu Wort und redet stundenlang. Dadurch gewinnen wird die Zeit, die wir brauchen, um die Neuen auf Linie zu bringen.“
„Meinst du wirklich, ihr könnt sie dazu bringen, für den Antrag zu stimmen?“
„Das nicht gerade, damit würden sie sich selbst aus dem Prozess ausschließen, und dazu sind sie viel zu neugierig. Wir werden ihnen auch nicht sagen, dass wir sie für ungeeignet halten, wir wollen sie überzeugen. Greengrass hat schon am ersten Tag ein paar wichtige Punkte eingeführt, über die wir jetzt am Rande der eigentlichen Debatte in Einzelgesprächen mit ihnen reden. Und reden… und reden… und reden.“
„Nützt das etwas?“ Lucius war skeptisch. „Das sind doch Grangers Leute.“
„Anhänger ja, aber keine ideologisch gefestigten Kader. Bestimmt hätte sie die gerne gehabt, aber so viele Fanatiker hat sie nun auch wieder nicht hinter sich, um damit über hundertfünfzig Posten zu besetzen. Ein paar von dieser Sorte sind natürlich auch dabei, die auch leidenschaftlich debattieren. Umso besser, dadurch zieht sich die Beratung in die Länge. Die meisten Neuen sind aber einfach kleine Leute, die sich auf den Tagespropheten verlassen…“
„Kann man sie kaufen?“, fiel Lucius Malfoy ihm ins Wort.
„Vorsicht, Lucius!“, warnte Neptunus. „Ich glaube, die meisten sind ziemlich anständig. Für einen, den du kaufen kannst, bringst du drei gegen den Angeklagten auf. Nein, wir reden mit ihnen: höflich, respektvoll, nie von oben herab – aber natürlich sind wir ihnen rhetorisch und an Sachverstand weit überlegen. Greengrass‘ Antrag hat sie dem Einfluss der Ministerin entzogen und mit uns in Klausur gezwungen. Ein brillanter Einfall!“
„Glaubst du, ihr habt am Ende eine Mehrheit für Potter?“
Neptunus nickte. „Da bin ich ziemlich sicher.“
***
Zur selben Zeit saßen die Befreier im Rittersaal von Rockwood Castle beim Abendessen. Roy aß auch, nicht weil er Hunger oder auch nur Appetit gehabt hätte, sondern einzig, weil er wusste, dass es notwendig war. Er schaufelte das Essen mechanisch in sich hinein.
Da das ohnmächtige Warten an den Nerven zerrte, hatte er in den letzten Tagen immer neue Übungen angesetzt, nur um etwas zu tun und seine Leute, denen ein ausgewachsener Lagerkoller drohte, zu beschäftigen. Für heute und morgen hatte er ihnen aber freigegeben – irgendwann mussten sie schließlich auch einmal ausruhen.
Er selbst hatte den Tag als Möwe in Askaban verbracht, in der Hoffnung, wenigstens einem der Gefangenen beim Hofgang durch seine Anwesenheit Mut zu machen. Immerhin einen hatte er gesehen: Julian. Sein Anblick war erbarmungswürdig. Als er seine Runden drehte, stierte er verloren und verzweifelt vor sich hin, offenbar hatten die Dementoren wirklich jeden freudigen Gedanken aus ihm herausgesaugt. Sogar als er in der Möwe Roy erkannte, flackerte nicht mehr als ein trauriges Grinsen in seinem Gesicht auf, um sogleich wieder abzusterben. Von den Anderen hatte an diesem Tag niemand Hofgang.
Als er gegessen hatte, stand Roy auf und starrte aus dem Fenster in den von Fackeln schwach beleuchteten Innenhof. All die Vorfreude, an der er sich die letzten Wochen festgehalten hatte, die Freude auf sein künftiges Leben mit Arabella, war wie weggeblasen, das unablässige Die Dementoren haben Arabella! pulsierte wieder wie ein pochender Schmerz in seinem Kopf. Wenn sie schon einen Unverwüstlichen wie Julian fertigmachen konnten – wie würde es der viel zarter veranlagten Arabella ergehen? Sie war stark, gewiss, aber sie neigte – wie er selbst – zur Melancholie. Sogar er, der auf freiem Fuß war, hatte Mühe, nicht in Trübsinn zu verfallen. Sie aber war in der Gewalt der Dementoren. Sie brauchte ihn, und er war nicht da!
Roy stöhnte.
Er verfluchte Greengrass. Seine Verzögerungsstrategie war prozesstaktisch wahrscheinlich richtig, aber für die Gefangenen bedeutete jeder Tag, an dem dieser verdammte Zaubergamot zu keiner Entscheidung kam und das Urteil sich hinauszögerte, eine Verlängerung ihrer Seelenqual.
Rodolphus Lestrange trat zu ihm. „Du hast mir vorhin nicht ganz die Wahrheit über Julians Zustand gesagt, stimmt’s?“
„Stimmt“, sagte Roy tonlos. „Er ist verzweifelt. Ich wollte es dir nicht sagen, um dich zu schonen.“
„Ach, mein Junge, ich selbst habe vierzehn Jahre dort verbracht, glaubst du, ich weiß nicht, was Askaban aus einem macht? Ich habe diese Zeit nur überstanden, weil Voldemorts teuflische Energie mich am Leben gehalten hat. Außerdem bist du kein guter Schauspieler.“
„Sag mal“, wollte Roy nach einer Pause des Schweigens wissen, „wie hast du eigentlich Bellatrix‘ Tod überlebt, ich meine seelisch?“
Rodolphus antwortete nicht sofort.
„Zuerst hat mich der Gedanke an unseren Sohn vor dem Selbstmord bewahrt. Nachdem ich den kennengelernt hatte“, – er schnaubte bitter –, „der an unseren Enkel. Eigentlich hat Julian mich am Leben erhalten, ohne es zu ahnen.“
„Wir holen ihn raus“, sagte Roy, blickte aber weiter trübsinnig aus dem Fenster.
„Hey!“ Rodolphus legte den Arm um Roys Schulter und rüttelte ihn aufmunternd. „Wir holen auch Arabella raus!“
Roy nickte. „Wenn’s nur endlich so weit wäre!“
***
Der Zaubergamot beriet mehr als sechs volle Tage lang. Da die Wochenenden frei waren, erhielt Hermine erst am Montag, dem 12. März, vormittags die Mitteilung, dass der Gamot über Greengrass‘ Ablehnungsantrag entschieden hatte. Um dreizehn Uhr wurde die Verhandlung wieder aufgenommen.
Hermine sah jetzt besser aus als bei Verhandlungsbeginn, hatte wieder eine lebendige Gesichtsfarbe, ihre Mimik und ihre Gesten waren lebhafter, ihr Gang sicherer. Ein schlechtes Zeichen, fand Harry. Ihre Seele schien den Kampf gegen den Eindringling aufgegeben zu haben. Hoffentlich lebt sie überhaupt noch, schoss es ihm durch den Kopf.
„Hat der Gamot über den Antrag der Verteidigung entschieden?“, fragte Hermine der Form halber.
„Ja, Euer Ehren“, erwiderte Crowe. „Der Gamot hat mit 98 gegen 90 Stimmen bei 46 Enthaltungen beschlossen, den Antrag zurückzuweisen.“
Greengrass beugte sich zu Harry und flüsterte ihm zu:
„Das ist ein Debakel für die Ministerin. Sie hat keine Mehrheit im Gamot mehr. Über ein Drittel ihrer eigenen Leute hat Zweifel an dem ganzen Verfahren. Für eine Verurteilung braucht sie die absolute Mehrheit von 118 Stimmen, und dabei haben wir unsere stärksten Trümpfe noch nicht einmal ausgespielt.“
Harry nickte, und ein Grinsen umspielte seine Mundwinkel, während Hermine scheinbar unbeeindruckt feststellte:
„Der Antrag der Verteidigung ist damit zurückgewiesen. Werden weitere Anträge gestellt?“
Da sowohl Greengrass als auch Tanville abwinkten, fuhr sie fort:
„Dann treten wir jetzt in die Beweisaufnahme ein. Die Anklage hat das Recht, den ersten Zeugen zu benennen.“
„Zaubereiministerin Hermine Granger“, rief Tanville.
Hermine nickte, stand von ihrem Platz auf, gab Percy ein Zeichen, für die Dauer ihrer Befragung an ihrer Stelle die Verhandlung zu leiten, und setzte sich auf den Zeugenstuhl.
„Frau Ministerin“, eröffnete der Ankläger die Vernehmung. „Würden Sie uns bitte zunächst die Vorgänge, die sich am 10. Januar dieses Jahres in Ihrem Büro abgespielt haben, aus Ihrer Sicht schildern?“
Hermine machte eine glänzende Figur. Sie schilderte sachlich, minutiös und wahrheitsgetreu fast alles, was sie erlebt hatte, ließ nur Harrys Versprechen weg, sie nie im Stich zu lassen, erwähnte aber durchaus, dass er sich zuerst vergewissert hatte, dass sie nicht benommen war, bevor er sie erneut mit dem Schockzauber belegte. Niemand, der ihr zuhörte, konnte den Eindruck gewinnen, sie versuche Harry mutwillig zu belasten.
Tanville, der keine Zwischenfragen zu stellen brauchte, fuhr fort:
„Kommen wir nun zur Vorgeschichte. Der Angeklagte war Leiter der Aurorenabteilung, bis Sie ihn am 24. September vergangenen Jahres entließen.“
„Er wurde beurlaubt. Theoretisch war er noch bis zum 1. Oktober Abteilungsleiter, als im Zuge der Sicherheitsreform die Aurorenabteilung als solche aufgelöst, ein Teil als Amt für Magische Sicherheit verselbständigt und der Rest wieder der Abteilung für Magische Strafverfolgung unterstellt wurde.“
„Danke für die Präzisierung, Frau Ministerin“, erwiderte Tanville höflich. „Welches waren die Gründe für die Beurlaubung?“
„Der Angeklagte hatte sich geweigert, meiner Aufforderung zu folgen, das Todessertum intensiver als bisher zu bekämpfen, zuletzt in einer Besprechung vom 18. September, obwohl bei meinem Besuch in Hogwarts am Tag zuvor das ganze Ausmaß der Wühlarbeit der Todesser deutlich geworden war. Er erklärte explizit, dass es keine Todesser-Umtriebe gebe. Um ihm entgegenzukommen, erlaubte ich ihm, inoffiziell in Hogwarts zu ermitteln. Er nutzte diese vorgeblichen Ermittlungen dazu, freundschaftliche Kontakte zu den beiden wichtigsten Figuren der Todesserszene in Hogwarts zu knüpfen, nämlich dem Slytherin-Vertrauensschüler Roy MacAllister, der am Vortag für gewaltsame Ausschreitungen in Hogwarts verantwortlich gewesen war“, – etliche Mitglieder des Gamots, die sich noch an die Berichterstattung des Tagespropheten erinnerten, nickten zustimmend –, „und zu Julian Lestrange, dem Enkel der berüchtigten Todesser Bellatrix und Rodolphus Lestrange. Dass diese Beziehungen in der Tat freundschaftlicher Natur waren, musste ich am 24. September bei einem unangekündigten Besuch in seinem Privathaus feststellen, in dem beide zu Gast waren. Ich kam zu dem Schluss, dass der Angeklagte mindestens ein Sicherheitsrisiko, wenn nicht gar ein Verräter war, zumal er in der Woche zuvor ein auffallendes Interesse an den Sicherheitsvorkehrungen in meiner Umgebung gezeigt hatte.“
„Danke, Frau Ministerin, diesen letzten Punkt werden wir noch in der Befragung des Chefs des Amtes für Magische Sicherheit vertiefen. Sie sagten, dass die beiden genannten Schüler Todesser seien. Haben Sie außer MacAllisters Verhalten bei Ihrem Besuch in Hogwarts weitere Anhaltspunkte für diesen Verdacht?“
„In der Tat. Die beiden sind als der harte Kern einer Gruppierung von Slytherin-Schülern bekannt, die sich ‚Die Unbestechlichen‘ nennt, und zu der auch der jüngere Sohn des Angeklagten, Albus Potter, gehört. Der Angeklagte hat mir gegenüber explizit betont, dass er Albus‘ enge Beziehungen zu MacAllister billigt. Im Laufe des Monats Oktober nun kam es zu mehreren gewaltsamen Übergriffen auf Hogwarts-Schüler, deren nichtmagische Abstammung bekannt war. Zuletzt wurde einer dieser Schüler sogar mit einem Schockzauber niedergestreckt. Bei einer Hogwarts-internen Untersuchung stellte sich heraus, dass die einzigen Zauberstäbe, mit denen am fraglichen Abend Schockzauber ausgeführt wurden, die der sogenannten Unbestechlichen waren.“
„Warum wurde trotz dieser erheblichen Verdachtsmomente kein Strafverfahren gegen sie eingeleitet?“
„Weil die Strafverfolgungsbehörden in Hogwarts nur tätig werden dürfen, wenn die Schulleitung dies explizit genehmigt. Eine solche Genehmigung wurde nicht erteilt, man versicherte lediglich, die Sicherheitsmaßnahmen für muggelstämmige Schüler zu verschärfen.“
„Hat die Schulleitung die sogenannten Unbestechlichen damit der Strafverfolgung entzogen?“
„So ist es.“
„Haben sich in der Folgezeit Anhaltspunkte für eine konspirative Zusammenarbeit zwischen dem Angeklagten und den sogenannten Unbestechlichen ergeben?“
„Nachdem der Versuch des Angeklagten, mich zu entführen, gescheitert war, plante die Gruppe nach unwiderlegbaren Erkenntnissen des Amtes für Magische Sicherheit ebenfalls, ihn gewaltsam aus der Haft zu befreien. Es stellte sich heraus, dass es sich um ein großangelegtes hochverräterisches Komplott handelt, in das neben dem Angeklagten und den sogenannten Unbestechlichen auch etliche Mitglieder der Familie Weasley verwickelt waren, in die sowohl der Angeklagte als auch ich eingeheiratet haben. Alle Beteiligten an diesem Komplott sind inzwischen in Haft beziehungsweise Präventivarrest oder auf der Flucht.“
„Vielen Dank, Frau Ministerin, ich habe keine weiteren Fragen.“
Nun erhob sich Greengrass.
„Frau Ministerin, sowohl der geschätzte Vertreter der Anklage“ – er deutete eine Verbeugung gegenüber Tanville an – „als auch Sie selbst messen der Beziehung des Angeklagten zum Slytherin-Vertrauensschüler MacAllister erhebliches Gewicht bei, da Sie Letzteren für einen Todesser halten. Sie begründen diesen Verdacht unter anderem mit dessen Verhalten bei Ihrem Besuch in Hogwarts. Habe ich Sie in diesem Punkt richtig verstanden?“
„Allerdings.“
„Was genau an MacAllisters Verhalten veranlasste sie zu diesem Verdacht?“
Tanville sprang auf: „Einspruch! Es geht in diesem Verfahren nicht um MacAllister, sondern um Potter, die Frage tut nichts zur Sache!“
„Mit Verlaub, Herr Kollege“, konterte Greengrass genüsslich, „Sie selbst haben zugegeben, dass es etwas zur Sache tut, indem Sie die Zeugin danach gefragt haben.“
Der forsche, aber unerfahrene Ankläger erkannte erst jetzt die Steilvorlage, die er der Verteidigung durch seinen Versuch serviert hatte, Harry zum Todesser zu stempeln. Er sah flehentlich zu Percy.
Armer Percy, dachte Harry, wenn auch nicht ohne Schadenfreude. Am liebsten würde er jetzt in einem Mauseloch verschwinden.
Percy fühlte die Blicke der über zweihundert Gamot-Mitglieder auf sich ruhen. Was blieb ihm übrig?
„Einspruch abgelehnt.“
„Danke, Euer Ehren.“ Greengrass nahm die Vernehmung wieder auf. „Nochmals die Frage, Frau Ministerin, was veranlasste Sie zu diesem Verdacht?“
„Erstens seine Panikmache: Er stellte es so hin, als sei die Öffnung zur nichtmagischen Welt gleichbedeutend mit einer Wiederaufnahme von Hexenverfolgungen – typische Todesser-Demagogie. Dann die Tatsache, dass er die von mir angeregten Gedenkfeiern für die gefallenen Kämpfer gegen Voldemort mit der Begründung ablehnte, dadurch werde den Todessern aufs Grab gespuckt – was ja wohl mehr als nur eine gewisse Sympathie voraussetzt. Dann der Gebrauch eines bekannten und verbotenen Ausdrucks für Zauberer nichtmagischer Abstammung…“
„Wen bezeichnete er damit?“
„Vordergründig, aber eben nur vordergründig, sich selbst, per Implikation aber eben auch alle anderen Zauberer und Hexen dieser Abstammung, auch mich.“
„Sie werfen dem Angeklagten seine Beziehungen zu MacAllister vor. Konnte der Angeklagte denn wissen, wie Ihr Besuch genau verlaufen war?“
„Ja.“
„Aus dem Tagespropheten?“
„Nein“, erwiderte Hermine. „Ich selbst habe ihn bei der Unterredung am 18. September umfassend informiert.“
„Sind Sie denn sicher, dass Ihr Gedächtnis Ihnen keinen Streich gespielt hat, dass Sie ihn also korrekt informiert haben?“
„Herr Verteidiger“, erwiderte Hermine herablassend, „mein Gedächtnis ist hervorragend, und ich sagte ihm alles, was ich wusste, und zwar detailliert.“
„Dann war das sicherlich ein sehr langer Bericht?“
„Er dauerte ungefähr eine Stunde lang. Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?“
„Mit Verlaub, Frau Ministerin, Sie sind hier Zeugin, ich stelle die Fragen. Wäre es nicht möglich, dass der Angeklagte, der vielleicht ein nicht ganz so hervorragendes Gedächtnis hat wie Sie, später einige Punkte vergessen hat?“
„Kaum. Er schrieb mit.“
„Er machte sich Notizen?“
„Nein. Er benutzte eine selbstschreibende Feder. Es war eine wörtliche Niederschrift.“
Der Anwalt zog nun aus seinen Papieren eine Pergamentrolle, rollte sie auf und hielt sie der Ministerin vor.
„War es diese hier?“
Hermine, die bisher davon ausgegangen war, die Niederschrift sei in Harrys Haus beschlagnahmt worden, erstarrte. „Woher hab…“, begann sie, erkannte jedoch im letzten Moment, dass sie drauf und dran war, die Echtheit des Dokuments zu bestätigen, und korrigierte sich: „Woher soll ich das wissen? Ein beschriebenes Pergament sieht aus wie das andere!“
„Ich darf Ihnen versichern, Frau Ministerin, dass es sich in der Tat um das fragliche Dokument handelt, in dem Ihre Ausführungen wörtlich festgehalten wurden. Bevor ich Sie damit konfrontiere, möchte ich Ihnen mein Kompliment aussprechen: Sie haben in der Tat ein hervorragendes Gedächtnis. Alles, was Sie dem Angeklagten in die Feder diktiert haben, deckt sich bis ins Detail mit den Aussagen einer Reihe von Zeugen, die die Verteidigung bei Bedarf vorladen wird. Ich werde dieses Dokument nun verlesen und Sie dann fragen, ob es sich um Ihre Worte handelt und ob sie der Wahrheit entsprechen.“
Er verlas nun fast eine Stunde lang Hermines Bericht im vollen Wortlaut und fragte dann:
„War es so, Frau Ministerin?“
Hermine konnte schlecht behaupten, ihren Chefauror belogen zu haben.
„Ja“, bestätigte sie widerwillig.
„Sie haben vorhin ausgesagt, MacAllister sei für die Ausschreitungen verantwortlich gewesen. Aus Ihrem eigenen Bericht, der, wie gesagt, von Zeugen bestätigt werden kann, ergibt sich aber, dass diese Behauptung nicht den Tatsachen entspricht.“
„Die Geschehnisse“, replizierte Hermine unbewegt, „liegen ein halbes Jahr zurück. Da kann man sich schon einmal irren.“
„Gewiss“, schmunzelte der Anwalt, „nur sollte man dann einen Befangenheitsantrag nicht unter Berufung auf die Unfehlbarkeit der eigenen Zeugenaussagen ablehnen. Sie ziehen Ihre Aussage von vorhin in diesem Punkt also zurück?“
„Ja!“, spuckte sie ihm ihre Antwort geradezu entgegen.
„Danke, damit komme ich zum nächsten Punkt. Helfen Sie einem älteren Herrn bitte auf die Sprünge, Frau Ministerin, aber ich kann in MacAllisters Worten und Taten, da wir jetzt den jeweiligen Zusammenhang kennen, beim besten Willen nichts finden, was ihn als Todesser ausweisen würde.“
„Weil Sie naiv sind, Greengrass!“ Für einen Moment fiel Hermine aus der Rolle. „Oder Sie stellen sich dümmer, als Sie sind, genau wie Potter, genau wie McGonagall! Ein MacAllister ist viel zu schlau, um offen Todesser-Gedankengut zu verbreiten. Er provoziert, um Aufmerksamkeit zu wecken und Akzeptanz für seine Ideologie zu schaffen, geht aber nur so weit, dass er immer die verfolgte Unschuld spielen kann und nicht Farbe bekennen muss!“
„Ich verstehe“, sagte Greengrass interessiert und ganz im Ton eines gelehrigen Schülers. „Dass MacAllister Todesser-Ideologie vertritt, ergibt sich also nicht aus dem, was er sagt, sondern gerade daraus, dass er es nicht sagt! Und dass er es nicht sagt, ist Beweis genug, dass er es denkt!“
Greengrass machte eine Kunstpause, während Hermine ihn böse anfunkelte.
„Ihnen ist bekannt, dass MacAllister muggelstämmig ist?“
„Mir ist bekannt, dass sein Vater unbekannt ist. Er selbst bezeichnet sich als muggelstämmig, verwendet dazu allerdings einen Ausdruck, den ich hier nicht wiederholen möchte. Es handelt sich, wie gesagt, um einen verbotenen Ausdruck, den Jeder kennt.“
„Ihnen ist bekannt, dass Albus Potter, den Sie als Mitglied einer Todessergruppierung bezeichnen, belobigt wurde, weil er den einzigen Nichtmagier in Hogwarts, den damaligen Hufflepuff-Schüler Bernard Wildfellow, gegen gewaltsame Übergriffe seiner Hauskameraden verteidigte?“
„Das war sehr früh im Schuljahr, damals stand er noch nicht unter MacAllisters Einfluss.“
„Ihnen ist bekannt, dass Wildfellow noch nach Ihrem Besuchs in Hogwarts um Aufnahme in Slytherin ersuchte, und dass MacAllister derjenige war, der maßgeblich dazu beitrug, diese Aufnahme durchzusetzen?“
„Ja“, presste Hermine zwischen den Zähnen hervor.
„Ist dies Ihrer Meinung nach das typische Verhalten eines Todessers?“
„Es ist das typische Verhalten eines Todessers, der sich taktisch tarnt.“
„Und dass der vermeintliche Todesser eigens für Wildfellow einen Besen konstruierte, mit dem auch Muggel fliegen können, war dann ebenfalls Taktik?“
Im Gamot erhob sich erstauntes Gemurmel. Das hatte niemand vermutet, der sich auf den Tagespropheten verließ.
„Was denn sonst?“, gab Hermine trotzig zurück.
Das Gemurmel wurde deutlich missbilligend.
„Und dass besagter Wildfellow, wie er in einem Brief an seinen Vater glaubhaft versicherte, Potter und MacAllister freiwillig begleitete, als sie sich der drohenden Verhaftung am 7. Februar durch Flucht in den Untergrund entzogen, und sie seine Begleitung akzeptierten, war dann ebenfalls ein taktisches Manöver von Todessern?“
„Es ist für diese Leute nicht schwer, einen kleinen Jungen zu täuschen, um ihn als Alibi zu missbrauchen, das man dem naiven Publikum servieren kann.“
„Frau Ministerin“, fragte Greengrass süffisant, „ist Ihnen der Begriff ‚Paranoia‘ geläufig?“
„Einspruch!“, krähte Tanville, während aus den Reihen des Gamots unterdrücktes Glucksen und Kichern zu hören war. „Der Verteidiger hat die Zeugin zu befragen, nicht zu beleidigen!“
„Stattgegeben!“, rief Percy. „Herr Verteidiger, ich rufe Sie zur Ordnung!“
„Ich bitte um Verzeihung, Euer Ehren. Ich habe keine weiteren Fragen an die Zeugin.“
Hermine kehrte auf ihren Richterstuhl zurück, ohne sich anmerken zu lassen, dass sie sich der soeben erlittenen krachenden Niederlage bewusst war. Nach der Magischen Strafprozessordnung war nun Greengrass am Zug:
„Ich rufe Professor Minerva McGonagall als Zeugin auf!“
Viele der neu ernannten Mitglieder des Gamots wirkten überrascht. Die meisten waren Gryffindors, die McGonagall – egal, was der Tagesprophet über sie schrieb – fast so sehr verehrten wie Hermine, vielleicht sogar ein bisschen mehr. Dass sie als Zeugin der Verteidigung aufgerufen wurde, machte Eindruck, noch bevor sie irgendetwas gesagt hatte.
„Frau Professor“, begann Greengrass, „die Ministerin hat als Zeugin den Schüler Roy MacAllister als Todesser bezeichnet. Teilen Sie diese Einschätzung?“
„Einspruch!“, rief Tanville dazwischen. „Die Zeugin hat auszusagen, was sie wahrgenommen hat, nicht ihre persönliche Meinung kundzutun.“
„Stattgegeben“, antwortete Hermine lässig.
„Hat die Ministerin Sie mit dieser Einschätzung konfrontiert?“, wollte Greengrass nun wissen.
„Ja.“
„Wann war das?“
„Am 17. September nach ihrer Rede, beim Mittagessen in der Großen Halle von Hogwarts im Beisein der Lehrerschaft und einiger handverlesener Gäste.“
„Haben Sie dieser Einschätzung widersprochen?“
„Ja.“
„Welche Auffassung haben sie ihr entgegengehalten?“
„Dass MacAllister kein Todesser-Gedankengut verbreitet, sondern lediglich gegen ihre Politik der Öffnung zur nichtmagischen Welt opponiert, und dass dies sein gutes Recht ist.“
„Was hat die Ministerin darauf geantwortet?“
„Dass diese Politik der Öffnung notwendig sei, um die Rückkehr der Todesser zu verhindern. Meine Gegenfrage, ob also jeder, der gegen diese Politik sei, automatisch ein Todesser sei, wurde von der Ministerin ausdrücklich bejaht.“
Im Gamot wurde es unruhig, gerade die Neumitglieder waren entsetzt.
„Ruhe im Saal!“, rief Hermine. McGonagall fuhr fort:
„Ich fragte sie, ob Hogwarts seine Schüler in Zukunft zur Unterstützung der Politik des Ministeriums erziehen und jeden Schüler ausschließen solle, der sich dem verweigert. Auch diese Frage bejahte sie.“
„Haben Sie in dieser Zeit ein Gespräch mit dem Angeklagten geführt?“
„Ja, einen Tag später, am Abend des 18. September, kam er in mein Büro.“
„Worum ging es bei diesem Gespräch?“
„Er sagte mir, dass die Ministerin ihn mit inoffiziellen Ermittlungen in Hogwarts betraut hatte. Ich schilderte ihm das Gespräch mit der Ministerin vom Vortag und erwähnte auch die Äußerungen, die ich eben zitiert habe. Er fragte mich nach meiner Meinung über MacAllister. Ich sagte ihm im Wesentlichen das, was ich auch schon der Ministerin gesagt hatte, nämlich dass er ein ungewöhnlich kluger, ernsthafter, verantwortungsbewusster, charakterstarker und vertrauenswürdiger Schüler ist, der großes Ansehen unter seinen Mitschülern genießt. Ich fügte hinzu, dass MacAllister, genau wie Potter früher selbst, in der Magischen Welt eine Heimat gefunden hat, die er in der Muggelwelt nicht hatte, und dass er deshalb die Politik der Öffnung kritisiert.“
„Frau Professor, die Ministerin hat Ihnen in Ihrer Aussage vorgeworfen, Sie hätten die sogenannten Unbestechlichen nach den muggelfeindlichen Anschlägen im Oktober trotz der gegen sie vorliegenden Verdachtsmomente der Strafverfolgung entzogen, indem Sie Ermittlungen der Abteilung für Magische Strafverfolgung in Hogwarts nicht genehmigt hätten. Stimmt das?“
McGonagalls Augen und Lippen wurden schmal. „Dies ist eine Unterstellung, die ich zurückweise! Keine Behörde hat um eine solche Genehmigung nachgesucht, nachdem die internen Ermittlungen von einem erfahrenen Auror geführt worden waren, nämlich Mister Barclay, der vom Ministerium seit 1. September für eine Lehrtätigkeit in Hogwarts freigestellt ist. Diese Ermittlungen ergaben, dass die Unbestechlichen von den vier in Rede stehenden Anschlägen drei nicht begangen haben konnten und den vierten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht begangen hatten!“
„Vielen Dank, Frau Professor. Ich habe keine weiteren Fragen.“
„Ankläger?“, fragte Hermine.
„Keine Fragen, Euer Ehren.“ Der ganze Komplex „MacAllister-Todesser“ war für die Anklage ein Debakel, das Tanville möglichst schnell hinter sich lassen wollte. Nun war wieder er an der Reihe. Er rief Cesar Anderson als Zeugen auf.
„Mister Anderson, Sie leiten seit dem 1. Oktober das Amt für Magische Sicherheit. Welche Funktion bekleideten Sie zuvor?“
„Ich war Leiter der Personenschutzgruppe im Ministerium, zuständig für die Sicherheit der Ministerin.“
„Wer war Ihr unmittelbarer Dienstvorgesetzter?“
„Der Angeklagte als Leiter der Aurorenabteilung.“
„Pflegte er sich in Ihre Arbeit einzumischen?“
„Er verließ sich auf mich. Normalerweise beließ er es bei einer allgemeinen Dienstaufsicht.“
„‚Normalerweise‘, sagen Sie. Es gab also Ausnahmen?“
„Es gab genau eine Ausnahme, nämlich unsere Unterredung am 19. September, zwei Tage nach dem Besuch der Ministerin in Hogwarts und fünf Tage vor Potters Ablösung als Abteilungsleiter. Er hatte die Sicherheitsvorschriften für die Ministerin intensiv studiert und fragte mich nach allen Punkten aus, die ihm unklar erschienen.“
„Haben Sie sich darüber gewundert?“
„Einspruch!“, grätschte Greengrass dazwischen. „Ob der Zeuge sich gewundert hat oder nicht, tut nichts zur Sache. Es wäre bloß seine persönliche Meinung, er soll aber aussagen, was er wahrgenommen hat.“
„Abgelehnt! Mister Anderson, beantworten Sie die Frage des Anklägers.“
In den Reihen des Gamots wurden missmutige Blicke getauscht.
„Es hat mich sehr gewundert, Sir, denn es war, wie gesagt, überhaupt nicht seine Art.“
„Wären die Informationen, die er bei Ihrem Gespräch erhielt, für einen Entführer interessant gewesen?“
„Natürlich.“
„Wäre dem Angeklagten die Entführung der Ministerin gelungen, wenn die Sicherheitsvorschriften auf dem Stand vom 19. September geblieben wären?“
„Bestimmt, aber ich hatte in der Zwischenzeit weitere Verschärfungen angeordnet, an denen die Entführung scheiterte.“
„Wie erklären Sie sich die ungewohnte Neugier des Angeklagten?“
„Einspruch!“, rief Greengrass. – „Abgelehnt!“, gab Hermine wie aus der Pistole geschossen zurück.
„Ich gehe davon aus, dass er bereits damals plante, die Ministerin zu entführen.“
Tanville ließ sich von Anderson noch schildern, wie er Harry am Tattag enttarnte und festnahm und welche Ergebnisse die Ermittlungen des Amasi gehabt hatten, und beendete dann die Vernehmung.
Nun wandte Greengrass sich an den Zeugen:
„Mister Anderson, Sie erwähnten, dass Sie am 10. Januar das Büro der Ministerin betraten und dort Harry Potter verhafteten. Hatten Sie geklopft, und hatte die Ministerin Sie hereingebeten?“
Anderson schaute belustigt drein. Wollte der Anwalt ihm etwa einen Vortrag über gutes Benehmen halten?
„Nein Sir, ich hatte Percy Weasley gebeten, die Ministerin aufzuhalten, bevor sie disapparierte.“
„Es ging also um eine dringende Angelegenheit?“
„Ja.“
„Um welche?“
„Es tut mir leid, Sir, es war eine geheime Angelegenheit, und ich habe diesbezüglich keine Aussagegenehmigung.“
„Diese geheime Angelegenheit erforderte aber die sofortige persönliche Unterschrift der Ministerin?“
„Ja“, rutschte es Anderson heraus. Von einer Unterschrift war bis dahin nicht die Rede gewesen.
„Haben Sie dem Angeklagten, den Sie zu diesem Zeitpunkt noch für die Ministerin hielten, das zu unterzeichnende Dokument vorgelegt?“
„Ja.“
„Hat er es unterschrieben?“
„Nein, Sir, er sagte, er müsse es noch überdenken.“
„Aha. – Sie sind seit der Gründung des Amtes für Magische Sicherheit dessen Leiter. Dem Ministerialbulletin vom 2. Oktober entnehme ich, dass Ihre Behörde mit ‚besonderen Vollmachten‘ ausgestattet wurde. Heißt das, es handelt sich um Befugnisse, die über diejenigen der vormaligen Aurorenabteilung hinausgehen?“
„Ja.“
„Welche Befugnisse sind das?“
„Ich bedaure, das ist geheim.“
„Geheim?“ Greengrass schnitt ein verblüfftes Gesicht. „Hm. Also nur einmal angenommen, Sie würden irgendeinen Mitbürger – sagen wir – mit dem Cruciatusfluch foltern, dann könnte dieser Mitbürger nicht beweisen, dass Sie Ihre Befugnisse überschritten haben, weil diese ja geheim sind?“
„Theoretisch ja. Praktisch ist es natürlich so, dass die Ministerin meine Befugnisse kennt und nicht dulden würde, dass ich irgendeinen harmlosen Mitbürger foltere.“
„Einen weniger harmlosen Mitbürger dürften Sie aber sehr wohl foltern?“
„Sir, ich muss Sie nochmals darauf aufmerksam machen, dass meine Kompetenzen geheim sind. Ich darf Ihre Frage weder bejahen noch verneinen.“
„Frau Ministerin“, wandte sich Greengrass nun an Hermine, „würden Sie Mister Anderson bitte zur Aussage ermächtigen?“
„Nein“, erwiderte sie kühl. „Eine solche Offenlegung würde die Sicherheitsbelange des Magischen Staates gefährden.“
„Nun, immerhin haben Sie, Mister Anderson, zugegeben, dass diese Kompetenzen über die von normalen Auroren hinausgehen, und dass es vom Gutdünken der Ministerin abhängt, gegebenenfalls auch eine Überschreitung dieser offenbar ohnehin schon weitläufigen Vollmachten zu decken oder nicht.“
„Einspruch!“, rief Tanville. „Mit solchen Kommentaren versucht der Verteidiger den Gamot zu beeinflussen!“
„Stattgegeben. Herr Verteidiger, Sie haben den Zeugen zu befragen, nichts weiter!“
„Mister Anderson“, fuhr Greengrass fort, „Sie waren bei der Rede der Ministerin am 17. September in Hogwarts zugegen?“
„Ja.“
„Sie haben also auch gehört, dass sie ihre Rede sinngemäß so beendete: Sie wisse, dass Fortschritt – damit meinte sie die Öffnung zur nichtmagischen Welt – auf Widerstand von Menschen stoßen würde, die unbeweglich und in Vorurteilen und Hass befangen seien, das Rad der Geschichte zurückdrehen und das Erbe der Todesser antreten wollten und deshalb mit der ganzen Härte des Gesetzes zu rechnen hätten?“
„In etwa, ja.“
„Angenommen, man würde über Sie so sprechen, würden Sie es als Kampfansage auffassen?“
„Selbstverständlich, es sollte ja auch eine sein.“
„Haben Sie am darauffolgenden Tag den Tagespropheten gelesen?“
„Für einen Mann in meiner Position ist das Pflichtlektüre.“
„Haben Sie gelesen, dass darin ein Kampf auf Leben und Tod, ja ein Krieg postuliert wurde?“
„Ich erinnere mich, ja.“
„Die Ministerin bezeichnet ihre Gegner als Todesser. Würden Sie zustimmen, dass Todesser – wenn sie denn wirklich welche sind“, fügte er unter maliziösem Lächeln hinzu, „brutale Leute sind, denen man auch Attentate zutrauen muss?“
„Gewiss.“
„Hatte der Angeklagte also objektiv Grund, von einer Verschärfung der innenpolitischen Lage auszugehen und die Ministerin für gefährdeter als vor ihrer Rede zu halten?“
„Objektiv betrachtet hatte er Grund dazu“, räumte Anderson ein. „Ob dies allerdings wirklich sein Motiv…“
„War es also seine Pflicht“, übertönte ihn Greengrass, „sich zu vergewissern, dass die Sicherheitsvorkehrungen für die Ministerin auch im Blick auf diese neue Situation ausreichend waren?“
„Ja…“
„…und sie gegebenenfalls zu verschärfen?“ Der Anwalt wurde lauter.
„Ja.“
„Und hat er bei Ihrem Gespräch solche Verschärfungen angeordnet?“, donnerte Greengrass.
„In der Tat, Sir.“
„Und doch unterstellen Sie ihm“, er senkte jetzt wieder die Stimme, „er habe damals bereits die Ministerin entführen wollen.“
„Aber er hat sie doch spätestens im Januar wirklich zu entführen versucht!“, verteidigte sich Anderson. „Warum kommt es denn darauf an, ob er es im September schon wollte?“
„Das will ich Ihnen sagen: Weil Sie mit Ihrer Verdächtigung dokumentiert haben, mit welcher Leichtfertigkeit sich der mächtigste Sicherheitsbeamte des Magischen Staates, dessen Vollmachten im Dunkeln bleiben, und der aus eigener Machtvollkommenheit darüber entscheidet, welcher Bürger harmlos ist und welcher nicht, sich in haltlosen Verdächtigungen ergeht! Keine weiteren Fragen.“
Es war bereits später Nachmittag. Hermine setzte die Fortsetzung des Prozesses auf den nächsten Morgen an.
Am nächsten Tag rief Greengrass Harry als Zeugen auf:
„Euer Ehren“, bat er Hermine, „würden Sie bitte die Fesseln des Angeklagten lösen lassen, damit er auf dem Zeugenstuhl Platz nehmen kann?“
„Ich glaube“, antwortete Hermine kalt, „er kann auch auf seinem jetzigen Platz befragt werden. Die Fesseln hindern ihn ja nicht am Reden.“
„Mister Potter“, hob sein Anwalt kopfschüttelnd an. „Sie haben die Zeugenaussagen der Ministerin und des Chefs des Amtes für Magische Sicherheit über die Geschehnisse am 10. Januar gehört. Waren diese Aussagen sachlich zutreffend?“
„Ja.“
„Hatten Sie, wie die Anklage Ihnen vorwirft, vor, die Ministerin zu entführen und ihren Platz einzunehmen, um an ihrer Stelle zurückzutreten, also sie zu stürzen?“
„So ist es.“
„Und doch haben Sie sich ‚nicht schuldig‘ bekannt. Ist das nicht ein Widerspruch?“
„Keineswegs“, entgegnete Harry gelassen. „Des Hochverrats bin ich nicht schuldig. Ich habe die mir vorgeworfenen Taten tatsächlich begangen, aber sie waren legal.“
Erstauntes Gemurmel im Zaubergamot. Hermine bemühte sich nicht, ihr verächtliches Grinsen zu unterdrücken.
„Ich war zu diesen Taten nicht nur berechtigt“, fuhr Harry fort, „sondern aufgrund meines Auroreneids, in dem ich unbedingte Loyalität gegenüber der Magischen Rechtsordnung geschworen habe, auch verpflichtet. Laut Magischem Recht ist Widerstand gegen die Regierung, auch gewaltsamer Widerstand, einschließlich solcher Taten, die normalerweise verboten sind, zulässig und geboten, wenn die Existenz des Magischen Staates und seine Rechtsordnung durch hochverräterische Akte der Regierung bedroht sind und andere Abhilfe nicht möglich ist. Diese Lage war und ist gegeben.“
„Verstehe ich Sie richtig, Mister Potter, dass Sie die Regierung, und insbesondere die Zaubereiministerin, des Hochverrats bezichtigen?“
„Sie verstehen mich richtig.“
Harry warf einen kurzen Blick auf den Zaubergamot auf. Seine Mitglieder wirkten nicht empört, nur zutiefst bestürzt. Niemand sagte ein Wort. Alle hingen an Harrys Lippen.
„Würden Sie diese Auffassung bitte begründen?“, fragte Greengrass.
„Gerne. Ich fange mit einem Detail an. Ich habe vorhin gesagt, die Aussagen Andersons seinen zutreffend gewesen. Das waren sie in der Tat, sie waren allerdings unvollständig, denn er hat eine wichtige Frage nicht beantwortet.“
„Die nach dem Inhalt des Dokuments, das er Ihnen zur Unterschrift vorgelegt hat?“
„Genau. Dieses Dokument…“
„Angeklagter!“, fuhr Hermine dazwischen. „Sie haben nicht das Recht, den Inhalt von Geheimdokumenten preiszugeben! Ich verbiete Ihnen, dazu auszusagen!“
Harry ignorierte sie. „Es handelte sich um einen Erlass, mit dem das Amasi zum uneingeschränkten Einsatz der Unverzeihlichen Flüche ermächtigt wurde!“
„Was?“ Den Mitgliedern des Gamots stand das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Hermine musste erkennen, dass sie im Eifer des Gefechts einen Fehler begangen hatte. Hätte sie Harry einfach reden lassen, so hätte sie seine Behauptung kaltlächelnd abstreiten können, so aber würde man ihr jetzt nicht mehr glauben.
„Und dabei ist das nur die Spitze des Eisbergs“, fuhr Harry fort. „Wer der Ministerin aufmerksam zuhörte, konnte schon lange feststellen, dass sie plant, Muggeln uneingeschränkten Zugang zur Magischen Welt zu gewähren. Diese Interpretation ihres Handelns ist von der Ministerin selbst ausdrücklich bestätigt worden, und zwar am Weihnachtstag des vergangenen Jahres bei einem privaten Gespräch im Hause der Familie Weasley. Es gibt dafür ein Dutzend Zeugen und sogar eine Tonaufzeichnung. Die Ministerin bekannte sich zu dem Ziel, die magische Gesellschaft und die Muggelgesellschaft zu verschmelzen. Da damit die physische Exterritorialität der magischen Welt gegenüber der Muggelwelt beendet worden wäre, hätten zwei Staaten auf demselben Territorium existieren müssen – eine Unmöglichkeit. Die Politik der sogenannten Öffnung gegenüber der nichtmagischen Welt würde daher die Auflösung des Magischen Staates und die Integration seiner Überreste in den Muggelstaat, also das Vereinigte Königreich, bedeuten.“
„Wäre eine darauf abzielende Politik denn zwangsläufig als eine solche des Hochverrats zu bewerten?“
„Nicht zwangsläufig“, räumte Harry ein. „Wenn sie aufgrund eines Konsenses der Gemeinschaft der Hexen und Zauberer betrieben würde und dieser Konsens in fairer öffentlicher Debatte ohne Androhung von Gewalt, ohne Einschüchterung und Diffamierung oppositioneller Minderheiten und ohne propagandistisches Dauerfeuer einer gleichgeschalteten Presse zustandegekommen wäre, wenn also die magische Gemeinschaft bewusst und in freier Selbstbestimmung beschlossen hätte, in die Muggelgesellschaft zurückzukehren, von der sie sich vor Jahrhunderten aus guten Gründen getrennt hat, dann könnte man kaum von Hochverrat sprechen. Leider ist keine diese Bedingungen gegeben: Die Ministerin…“
„Einspruch!“, schrie Tanville. „Es geht in diesem Prozess um die Taten des Angeklagten, nicht um die Politik der Ministerin!“
„Halt’s Maul, Tanville!“ Einer aus dem Gamot war aufgesprungen, noch bevor Hermine dem Einspruch stattgeben konnte. Hermine fuhr herum und zuckte zusammen: Es war einer ihrer eigenen Leute, ein hünenhafter Schmied!
„Mister Baker!“, fuhr sie ihn an. „Ich rufe Sie zur Ordnung!“
„Und was ist, wenn ich mich nicht zur Ordnung rufen lasse?“, rief Baker aufgebracht. „Darf Anderson mich dann foltern?“ Bitteres Gelächter seiner Kollegen antwortete ihm. „Potter soll reden!“
Hermine schaltete blitzschnell: Wenn sie jetzt, auf ihre Autorität pochend, Harry das Wort entzog, drohte der Gamot sich in ein Revolutionstribunal zu verwandeln – mit ihr als Angeklagter!
Angesichts der Unruhe führte sie ihren Zauberstab an die Kehle, um ihre Stimme zu verstärken, und sagte begütigend:
„Niemand wird hier gefoltert, Mister Baker. Ich bitte nur um Ruhe, damit der Prozess ordentlich fortgeführt werden kann. Der Einspruch des Anklägers ist abgelehnt.“
Die Mitglieder des Gamots beruhigten sich wieder. Harry setzte seine Aussage fort:
„Die Ministerin hat die Öffentlichkeit über ihre Ziele getäuscht und noch in der Debatte über ihre Rede in Hogwarts explizit bestritten, den Zugang zur Magischen Welt für Muggel zu öffnen – wir alle haben ihr Gedächtnisprotokoll gehört. Schon deswegen kann von einer bewussten Entscheidung der magischen Gemeinschaft nicht die Rede sein. Sie hat unter der Vorspiegelung, Muggel und Muggelstämmige vor Diskriminierung schützen zu müssen, nicht nur die Bürger mit schikanösen Sprachregelungen gegängelt, sondern auch jeden Gegner ihrer Politik als Todesser verleumdet beziehungsweise verleumden lassen. Sie hat eine Geheimpolizei gegründet, über deren Kompetenzen die Öffentlichkeit nichts erfahren darf. Sie hat den Einsatz der Unverzeihlichen freigegeben. Sie hat die Dementoren zurückgeholt, deren Gegenwart für inhaftierte Regimegegner einer Dauerfolter gleichkommt. Sie umgeht den normalen Gesetzgebungsweg und regiert mit Notverordnungen, darunter solchen, die rückwirkende Bestrafung vorsehen, sodass niemand davor sicher ist, für Taten bestraft zu werden, die zum Zeitpunkt ihrer Begehung straffrei waren. Nicht nur nach ihren Zielen, auch nach den illegalen Methoden, ohne die sie ihre Ziele gar nicht erreichen könnte, ist ihre gesamte Politik eine Politik von Putsch und Hochverrat!“
Totenstille lag über dem Saal und verlieh seinen Worten mehr Nachdruck, als donnernder Applaus es vermocht hätte. Greengrass ließ die Aussage einen Moment nachhallen und fragte dann scheinbar zweifelnd:
„Ihre Loyalität gegenüber der Magischen Rechtsordnung in allen Ehren, Mister Potter, aber Sie und Hermine Granger waren Freunde…“
„Ich muss Sie korrigieren, Herr Verteidiger“, fiel Harry ihm ins Wort. „Hermine und ich sind Freunde!“
Während im Saal verblüfftes Gemurmel anhob, sagte Harry so leise, dass Hermine es gerade noch hören konnte, zu ihr:
„Halt durch, Hermine, wir wissen, dass du es nicht bist! Sobald du frei bist, warten deine Freunde und deine Familie auf dich. Wir vermissen dich!“
Nicht nur die Gamot-Mitglieder in den vorderen Reihen, die ihn gehört hatten, auch sein eigener Anwalt schaute Harry verdutzt an. Hermine allerdings zog verächtlich die Mundwinkel herunter. Sie hatte genau verstanden, wovon er sprach.
„Was meinen Sie damit“, wollte der Anwalt wissen, „‚Wir wissen, dass du es nicht bist‘ und ‚Sobald du frei bist‘?“
„Ich habe starke Anhaltspunkte dafür“, erwiderte Harry, „dass die Ministerin nicht Herrin ihrer eigenen Entschlüsse ist, weil sie unter dem Fluch eines sie kontrollierenden unbekannten Schwarzen Magiers steht.“
Nun kam erst recht Unruhe im Gamot auf.
„Ruhe bitte!“ Hermine war wieder die Selbstbeherrschung in Person, als sie sich spöttisch an den Gamot wandte: „Sie wollten Potters Ammenmärchen ja unbedingt hören, nun beschweren Sie sich nicht!“
„Was für Anhaltspunkte sind das?“, fragte Greengrass.
„Zunächst fielen mir im Lauf des letzten Jahres drastische Persönlichkeitsveränderungen an der Ministerin auf, insbesondere ein zunehmender Hang zu Fanatismus und Intoleranz. Vor einem oder zwei Jahren hätte doch niemand für möglich gehalten, dass all das, was jetzt Gesetz ist, jemals von ihr unterschrieben werden könnte, am wenigsten vermutlich sie selbst. Nachdem aber mein Sohn Albus, Roy MacAllister und ich selbst unabhängig voneinander bei verschiedenen Gelegenheiten am 17. und 24. September schlagartige Änderungen ihrer persönlichen Ausstrahlung wahrnahmen, die ebenso schlagartig wieder verschwanden, musste ich aufgrund meiner Ausbildung davon ausgehen, dass sie unter einem Fluch steht, ich wusste zunächst nur nicht, unter welchem. Es musste sich um einen bis dahin unbekannten Fluch handeln. Die Lösung fand ich in einem unscheinbaren Buch, in dem die Methoden Voldemorts beschrieben wurden.“
„Sie sprechen von diesem Buch?“
Greengrass hielt das Duplikat des Sulphangel-Buchs in die Höhe. „‚Tresodor Sulphangel, Das Geheimnis des Dunklen Lords: ein neuer Kontrollzauber‘?“
„Was ist das denn für ein windiges Fledderheftchen?“, höhnte Tanville. „Besorgen Sie sich Ihr Beweismaterial auf dem Flohmarkt?“
„Nein, Sir“, erwiderte Harry höflich, „aus der Hogwarts-Bibliothek. Roy MacAllister, der ebenfalls einen Fluch vermutete, hatte es dort entdeckt und es mir nach dem, äh, beeindruckenden Auftritt der Ministerin am 24. September in meinem Privathaus zur Verfügung gestellt. Es handelt sich um eine Beschreibung der Methoden Voldemorts, mit denen er sich seine Todesser gefügig machte und zu namenlosen Verbrechen verleitete. Kurz gesagt, besteht die Methode darin, dass der eindringende Schwarzmagier vom Gewissen des Opfers Besitz ergreift und es quasi als Stützpunkt benutzt, von dem aus seine eigene Seele die des Opfers verdrängt, isoliert und schließlich absterben lässt. Was ich vorhin zur Ministerin gesagt habe, habe ich zu Hermines wirklicher Seele gesagt, nicht zu dem, der sie kontrolliert.“
„Das ist ja ganz reizend von Ihnen, Potter“, ätzte Hermine von oben herab, „ich werde es meiner Seele ausrichten. Aber wenn ich Ihr Anwalt wäre, würde ich jetzt nicht mehr auf ‚nicht schuldig‘, sondern auf ‚unzurechnungsfähig‘ plädieren.“
Sofern Hermine gehofft hatte, den Gamot zu beeindrucken, indem sie Harrys Aussage ins Lächerliche zog, hatte sie sich getäuscht. Die Männer und Frauen, die hier saßen, waren allesamt mit Zauberei großgeworden, in ihren Ohren klangen Harrys Vermutungen keineswegs so phantastisch, wie sie es wohl für eine Muggel-Jury gewesen wären.
Greengrass beantragte nun, das Buch als Beweismittel zuzulassen.
„Der Angeklagte hat uns gesagt, was drinsteht“, konterte Hermine, „und niemand bezweifelt, dass er den Inhalt korrekt wiedergibt. Ansonsten hat das Buch keine Beweiskraft, und ich werde Ihnen nicht die Gelegenheit zu einer weiteren Vorlesestunde geben, Herr Verteidiger. Ihr Antrag ist daher abgelehnt.“
An ihrer Ausführlichkeit merkte man, dass Hermine vorsichtig geworden war.
„Haben Sie weitere Anhaltspunkte für einen Fluch?“
„Ja, Sir“, erwiderte Harry. „Besagte Tonaufzeichnung vom Monolog der Ministerin am Weihnachtstag im Haus der Familie Weasley.“
„Die hierauf gespeichert ist?“ Greengrass hielt die Wasseruhr hoch.
„Ja.“
„Ich beantrage, dieses magische Gerät und die darauf gespeicherte Tonaufzeichnung als Beweismittel zuzulassen.“
„Ich muss Sie wieder enttäuschen“, antwortete Hermine höflich, „für Tonaufzeichnungen aller Art, die ohne Wissen des Betroffenen erfolgen, besteht nach Magischem Recht ein Beweisverwertungsverbot.“
Das war formal korrekt, klang aber aus dem Mund einer Ministerin, die den Einsatz der Unverzeihlichen Flüche genehmigt hatte, doch irgendwie eigenartig.
„Spielt man diese Aufzeichnung rückwärts ab, so hört man einen Hilferuf, der sich explizit an meinen Sohn Albus, Hermines Ehemann Ron Weasley, mich, ihre Tochter Rose und meine Frau Ginny richtet, und zwar in dieser Reihenfolge, verbunden mit den Worten ‚Ich kann nicht mehr‘, ‚Ich ersticke‘ und ‚Ich sterbe‘.“
„Das wird ja immer wilder!“, rief Tanville dazwischen. „Vermutlich haben Sie diese Botschaften selbst hineingezaubert, wenn sie überhaupt existieren.“
„Ich habe nichts dergleichen getan, Sir“, erwiderte Harry ruhig. „Und da ich es für ausgeschlossen halte, dass sich Töne rein zufällig zu einer solchen Botschaft zusammensetzen, bestärkt es mich in meiner Vermutung, dass die Ministerin unter einem Fluch steht und ihre Seele auf diese Weise Botschaften hinausschmuggelt.“
„Wenn die Entführung gelungen wäre“, wollte Greengrass wissen, „hätten Sie dann versucht, diesen Fluch zu brechen?“
„Selbstverständlich hätte ich das versucht. Der Fluch ist zwar neuartig, und es gibt kein Standardverfahren dafür, aber ich bin für die Bekämpfung Schwarzer Magie qualifiziert, eine Chance hätte es mit Sicherheit gegeben, aber dazu musste die Ministerin in meiner Gewalt sein.“
„Und wenn es Ihnen gelungen wäre, hätten Sie die Ministerin auch dann aus dem Amt gedrängt?“
„Das wäre dann nicht mehr erforderlich gewesen.“
„Danke, Mister Potter, keine weiteren Fragen.“
Nun erhob sich Tanville.
„Angeklagter, Sie haben uns einige abenteuerliche Theorien präsentiert…“
„Nein, Sir, ich habe Beobachtungen präsentiert.“
„Und sie zu abenteuerlichen Theorien verarbeitet“, beharrte der Ankläger. „Sie glaubten sich also berechtigt, die Ministerin zu entführen, weil sie angeblich unter einem Fluch stand…“
„Nein, Sir, ich war dazu berechtigt, weil sie eine hochverräterische Politik betreibt, egal, aus welchem Grund und unter welchem Einfluss.“
„Eigenartig, dass Ihnen dieser vorgebliche Hochverrat entgangen war, solange es Ihres Amtes war, dagegen einzuschreiten. Warum haben Sie als Auror denn kein Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet?“
„Weil die Beweise damals noch nicht ausreichten. Abgesehen davon hätte sie mich dann sofort meines Postens enthoben.“
„Sie sagen, die Beweise reichten Ihnen nicht. Sie waren als hoher Sicherheitsbeamter doch über ihre Politik im Bilde?“
„Nein, Sir, ich verließ mich darauf, dass sie die Linie, die sie bei ihrer Rede in Hogwarts bezeichnet hatte, nicht überschreiten würde. Es ist eine Sache, Gegnern die ganze Härte des Gesetzes anzudrohen, und eine völlig andere, diese Gesetze und ihre Härte uferlos auszudehnen, wie sie es erst nach meiner Beurlaubung getan hat.“
Tanville erwies sich als hoffnungslos überfordert. Er versuchte Harry, der doch selbst in Verhörtechniken ausgebildet worden war, plumpe Fallen zu stellen und flüchtete sich schließlich darin, sich seinen Entführungsplan nochmals erläutern zu lassen, über den längst alles gesagt worden war, und den Harry nie bestritten hatte. Selbst Hermine fand die sich im Kreise drehende Vernehmung offenbar zunehmend ermüdend.
„Ankläger“, fragte sie schließlich. „Das alles ist schon lang und breit erörtert worden. Haben Sie noch neue Gesichtspunkte einzuführen?“
Tanville merkte, was sie wünschte.
„Nein, Euer Ehren, ich habe jetzt auch keine weiteren Fragen mehr.“
„Möchten Sie weitere Zeugen aufrufen?“
„Ich denke, auf die Befragung des Zeugen Percy Weasley können wir nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme verzichten, und weitere Zeugen sind seitens der Anklage nicht vorgesehen.“
„Wünscht die Verteidigung, weitere Zeugen anzuhören?“
Eine weitere Verzögerung hatte keinen Sinn mehr. Greengrass hatte seine Trümpfe ausgespielt, die Wirkung würde durch weitere ermüdende Befragungen nur verpuffen.
„Keine Zeugen mehr, Euer Ehren.“
„Gut“, sagte Hermine, und ein Seufzer der Erleichterung entfuhr nicht nur ihr, sondern auch etlichen Gamot-Mitgliedern. „Dann schließe ich hiermit die Beweisaufnahme. Der Prozess wird morgen früh um elf Uhr mit dem Plädoyer der Anklage fortgesetzt.“
Sie fixierte Tanville, als wollte sie sagen: Und wehe, du bist morgen nicht besser in Form!
„Man erlebt bisweilen Verfahren“, eröffnete Tanville am nächsten Morgen sein Plädoyer, „in denen die Beweislage klar und unwiderlegbar ist und der Angeklagte gesteht. Und man erlebt bisweilen andere Verfahren, in denen der Angeklagte auf ‚nicht schuldig‘ plädiert. Das Schauspiel eines Angeklagten jedoch, der in der Sache ein umfassendes Geständnis ablegt und sich gleichwohl für ‚nicht schuldig‘ hält, dürfte in der Geschichte der Magischen Justiz einzigartig sein. Schon deswegen verdient dieser Prozess die Bezeichnung ‚historisch‘.
Alle Vorwürfe der Anklage gegen Harry Potter wurden lückenlos bestätigt, der Angeklagte hat nicht einmal versucht, sie zu bestreiten, sondern Alles zugegeben: Er hat zugegeben, die Ministerin angegriffen zu haben, er hat zugegeben, dass er sie entführen wollte, er hat zugegeben, sie dem Imperiusfluch unterworfen zu haben, er hat zugegeben, dass er all dies mit dem Ziel tat, sie als Ministerin zu stürzen und durch jemand anderen zu ersetzen.
Das Einzige, was er nicht zugegeben hat – worauf es aber auch nicht ankommt – ist, dass er selbst jener Andere sein sollte! Dass sein unbefriedigter Ehrgeiz ihn zu seiner ungeheuerlichen Tat veranlasst hatte. Mister Potter hat uns ein rührendes Schauspiel geliefert: Er hat sich als pflichtbewusster Beamter inszeniert, als unerschütterlich loyale Stütze der Magischen Rechtsordnung, als treuer Gesetzeshüter und nicht zuletzt“ – Tanville erhob die Stimme und ließ den erhobenen Zeigefinger kreisen – „als selbstloser Freund der Ministerin, der ihr gewissermaßen nur zu ihrem eigenen Besten Gewalt antun musste.
All dies sind durchsichtigste Schutzbehauptungen. Ich frage Sie alle: Würden Sie jemanden, der mit Ihnen das macht, was Potter mit der Ministerin gemacht hat beziehungsweise machen wollte, als Ihren Freund ansehen? Kann irgendjemand so einfältig sein, einem Terroristen – denn nichts Anderes ist der Angeklagte! – seine Schmierenkomödie als getreuer Ekkehard des Magischen Staates abzunehmen? Möchten Sie in einem Staat leben, in dem es jedem Dahergelaufenen erlaubt ist, aus eigener Machtvollkommenheit zur Gewalt zu greifen, wenn ihm die Politik der Regierung nicht passt?
Wenn Sie diese Fragen bejahen könnten – aber nur dann! –, könnten Sie den Angeklagten freisprechen – hätten dann aber jedem Recht, jeder Ordnung und dem Magischen Staat selbst das Grab geschaufelt! Nein, es kann hier nur ein Ergebnis geben: Der Angeklagte ist in allen Punkten uneingeschränkt und ohne jede Rechtfertigungsmöglichkeit schuldig!“
Tanville setzte sich wieder. Der Gamot wirkte unbeeindruckt.
„Vielen Dank, Ankläger“ sagte Hermine. „Herr Verteidiger, Ihr Plädoyer, bitte.“
Greengrass ließ eine kleine Pause verstreichen, in denen er etlichen Gamot-Mitgliedern in die Gesichter sah, dann hob er an:
„Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich stimme mit dem Vertreter der Anklage in einem Punkt überein: Dies ist ein historischer Prozess. Die Historiker des Magischen Staates werden ihn dereinst als den Moment bezeichnen, in dem der Magische Staat, die Freiheit der Hexen und Zauberer und die Welt, die unsere Heimat ist und die wir lieben, gerettet wurden – oder untergegangen sind.
Harry Potter, derselbe Harry Potter, der die Diktatur Voldemorts zwei Mal gestürzt und die Magische Welt von dem übelsten Tyrannen befreit hat, den sie je erlebt hat, dieser Harry Potter also, ist ein Mann, der mit offenem Visier kämpft. Er hat keine der Taten bestritten, die ihm vorgeworfen werden, aber er hat auch gesagt, warum er sie begangen hat, nämlich um dem hochverräterischen Treiben der Ministerin Hermine Granger Einhalt zu gebieten.
In Harry Potter und Hermine Granger stehen sich zwei Gryffindors gegenüber, die noch vor kurzem enge Freunde waren, deren Wege sich aber nun getrennt haben und trennen mussten, weil es sich um zwei Wege handelt, die zwei miteinander unvereinbare Konzepte des Magischen Staates repräsentieren.
Einer von beiden, soviel steht fest, hat Hochverrat begangen. Sie, meine Damen und Herren, werden zu entscheiden haben, wer es war.
Wenn Hermine Granger keinen Hochverrat begangen hat, dann ist die von ihr angestrebte und zu einem erheblichen Teil schon verwirklichte Ordnung rechtmäßig. Dann ist es zum Beispiel rechtmäßig, rückwirkende Strafgesetze zu erlassen und sie durch eine willkürlich konstruierte ‚Staatsnotwehr‘ zu rechtfertigen, die der Ankläger – Sie erinnern sich – gegen meinen Ablehnungsantrag geltend gemacht hat. Freundlicherweise hat er damit immerhin zugegeben, dass die Rechtmäßigkeit der ganzen Anklage an der Existenz einer von ihm behaupteten, aber mit keinem Wort begründeten, geschweige denn bewiesenen Notwehrsituation hängt. Wenn Sie Harry Potter verurteilen, dann ermächtigen Sie die Ministerin nicht nur für diesen Fall, sondern für alle Zukunft zu jeder Art Rechtsbruch unter Berufung auf eine angebliche Staatsnotwehrsituation, über deren Vorliegen niemand anders entscheidet als die Ministerin selbst.
Wenn Hermine Granger keinen Hochverrat begangen hat, dann ist es rechtmäßig, jeden Gegner der Politik des Ministeriums als Staatsfeind zu brandmarken und ihn der speziellen Behandlung durch eine Geheimpolizei mit geheimen Kompetenzen zu überantworten. Erinnern Sie sich noch an die ursprüngliche Bedeutung des Wortes ‚Todesser‘? Vor zwanzig Jahren nannte man die aktiven Unterstützer Voldemorts so, vor zwei Jahren noch Menschen, die wenigstens seine Ideologie teilten. Heute nennt das Ministerium, unterstützt durch das propagandistische Trommelfeuer einer verlogenen und verkommenen Journaille, Jeden so, der die sogenannte ‚Öffnung zur nichtmagischen Welt‘ nicht mitträgt. ‚Todesser‘ ist heute ein anderes Wort für ‚Regierungsgegner‘ und in diesem Sinne ein demagogischer Lügenbegriff.
Wenn Hermine Granger keinen Hochverrat begangen hat, dann war es rechtmäßig, dass das Regime den Anspruch erhebt, Sie, mich, uns alle, erwachsene Menschen zu einem bestimmten Sprachgebrauch erziehen zu dürfen. In einem Staat, der sich dies anmaßt und seine Bürger als unmündige Erziehungsobjekte behandelt, stehen Bürgerrechte nur auf dem Papier und zum Teil nicht einmal mehr dort.
Wenn Hermine Granger keinen Hochverrat begangen hat, dann war es rechtmäßig, grundlegende Umwälzungen des Magischen Staates per Notverordnung durchzusetzen, ohne das Volk zu fragen, ja ohne es auch nur zu informieren.
Wenn Sie der Meinung sind, dass Hermine Granger keinen Hochverrat begangen hat, dann erklären Sie damit, dass die rechtmäßige Ordnung dieses Staates die Willkürherrschaft einer einzelnen Person, das heißt die Diktatur ist. Dann erklären Sie die Regierung für berechtigt, jeden ihrer Gegner der Geheimpolizei, den Dementoren und Henkern auszuliefern.
Wenn Sie aber anderer Meinung sind, dann hat die Ministerin sich des Hochverrats schuldig gemacht, und dann war das Handeln meines Mandanten legal!
Mit Ihrem heutigen Urteil entscheiden Sie, in welcher Art von Ordnung Sie in Zukunft leben werden. Und diese Entscheidung treffen Sie nicht nur für sich selbst und für die jetzige magische Gemeinschaft. Sie treffen Sie auch für Ihre Kinder und Enkel. Ihnen werden Sie eines Tages Rede und Antwort stehen müssen, Ihre Kinder und Enkel werden Sie fragen, was Sie am heutigen Tage getan haben!
Sie werden Sie fragen: Hast auch du zu denen gehört, die versucht haben, unsere Welt zu zerstören und unsere Freiheit zu beseitigen? Wenn Sie sicher sein wollen, ihnen dann in die Augen sehen zu können, müssen Sie meinen Mandanten heute freisprechen! Ich danke Ihnen.“
Harry hatte die Mitglieder des Gamots während des ganzen Plädoyers im Auge behalten. Fast Jeder von Ihnen hatte durch unbewusstes, kaum merkliches Kopfnicken gezeigt, was er dachte. Greengrass hatte sie überzeugt.
Auch Hermine spürte es, ließ sich aber nichts anmerken. „Angeklagter, Ihnen steht das Recht auf das letzte Wort zu. Möchten Sie noch etwas sagen?“
„Besser als mein Anwalt“, erwiderte Harry, „kann man es nicht formulieren. Ich verzichte auf das Schlusswort.“
„Großmeister“, wandte sie sich nun an Neptunus Crowe, „da es bereits fast zwölf Uhr ist, hat das Ministerium veranlasst, dass die Mitglieder des Gamots zunächst zu Mittag essen können. Kann ich davon ausgehen, dass dies in Ihrem Sinne ist?“
„In der Tat, Euer Ehren und Frau Ministerin, und ich möchte mich im Namen des Gamots für die Aufmerksamkeit bedanken.“
Hermine nickte ihm zu.
„Der Angeklagte wird für die Dauer der Beratung nach Askaban zurückgebracht und wieder vorgeführt, sobald die Beratung des Gamots beendet ist“, entschied sie.
Die Dementoren aktivierten den Portschlüssel und verschwanden mit Harry. Die anderen Verfahrensbeteiligten strömten aus dem Saal. Hermine blieb zurück.
Als sie allein war, stand sie auf und trat an den Tisch, auf dem die Beweisstücke lagen, darunter auch Harrys Tarnumhang. Hermine nahm den Umhang und streifte ihn sich über.
„Das war aber eine kurze Beratung“, raunte Harry seinem Anwalt zu, als er bereits gegen vierzehn Uhr wieder auf seinem Stuhl festgeschnallt wurde. Soeben hatte der Gamot bekanntgegeben, dass er zu einer Entscheidung gekommen war.
„Ich gehe davon aus“, schmunzelte der Anwalt, „dass der Beratungsbedarf nicht allzu groß war. Die Ministerin hatte aber noch Zeit für eine neue Notverordnung, mit der sie die Mindestfrist für die Vollstreckung eines Todesurteils von zehn Tagen auf zehn Stunden herabgesetzt hat.“
„Was?“, entfuhr es Harry.
„Keine Sorge, man wird Sie freisprechen“, beruhigte ihn Greengrass. „Die Einzige, die das noch nicht weiß, ist die Ministerin. Offensichtlich leidet sie unter völligem Realitätsverlust.“
„Da bin ich mir nicht so sicher“, flüsterte Harry und deutete mit dem Kopf auf die Mitglieder des Gamots, die soeben wieder in den Gerichtssaal strömten und auf eigentümliche Weise heiter und beschwingt wirkten. „Schauen Sie sie sich an! Was sagen Ihnen diese Mienen?“
„Dass sie mit sich im Reinen sind!“
„Sie sind ein großartiger Anwalt, Greengrass, aber kein Auror.“ Harry schüttelte traurig den Kopf. „Diese Männer und Frauen stehen unter dem Imperiusfluch.“
Hermine betrat als Letzte den Saal und nahm ihren Richterstuhl wieder ein.
„Großmeister, ist der Gamot zu einem Urteil gelangt?“
„Ja, Euer Ehren.“
„Wie lautet es?“
„Der Gamot spricht den Angeklagten einstimmig schuldig, und zwar in allen Anklagepunkten.“
„Ich stelle fest“, verkündete Hermine sachlich, „dass der Gamot den Angeklagten schuldig gesprochen hat. Ich verkünde nun das Urteil. Bitte erheben Sie sich!“
Alle außer Harry, auch der völlig konsternierte Greengrass, standen auf.
„Im Namen der Gemeinschaft der Hexen und Zauberer ergeht folgendes Urteil: Der Angeklagte Harry James Potter wird wegen Hochverrats in Tateinheit mit versuchter und vollendeter Körperverletzung, versuchtem Menschenraub und unerlaubtem Gebrauch eines Unverzeihlichen Fluchs gemäß den Bestimmungen der Notverordnung zum Schutze des Magischen Staates vom 18. Januar 2018 zum Tode durch Enthauptung verurteilt. Das Urteil wird am morgigen Donnerstag, dem 15. März 2018, um sechs Uhr morgens im Hof des Gefängnisses von Askaban vollstreckt. Die Verhandlung ist geschlossen.“