59 – Die Black Snakes

 

James Wright war ein Polizeibeamter jener Sorte, die die Figur des englischen Bobbys weltberühmt gemacht hat: ein Polizist, zu dem jeder Bürger Vertrauen hat, stets höflich und zuvorkommend, korrekt und hilfsbereit auch gegenüber dubiosen Zeitgenossen. Etwa gegenüber dem älteren, aber drahtigen Mann in Lederjacke, der an diesem späten Freitagnachmittag Wrights Polizeiwache in Liverpool betrat, und dessen Aura seltsam an einen Piraten erinnerte.

„Was kann ich für Sie tun, Sir?“, fragte Wright den Besucher.

„Ich hätte gerne eine Auskunft.“ Er hielt es offenbar nicht für nötig, sich vorzustellen.

„Worum handelt es sich?“

Der Besucher zog seine Lederjacke aus und zeigte dem Beamten eine Tätowierung auf seinem linken Unterarm. Sie zeigte einen Totenkopf, aus dessen Kiefer sich eine Schlange wand. Wright schrak ein wenig zusammen, ließ sich aber nichts anmerken.

„Haben Sie dieses Zeichen schon einmal irgendwo gesehen?“, wollte der Besucher wissen.

„In der Tat, Sir“, erwiderte Wright reserviert, aber höflich.

„An wem?“

„Da Sie selbst dieses Zeichen tragen, sollten Sie es doch am besten wissen, Sir.“

„Ich weiß es aber nicht. Also an wem?“

„Ich fürchte, Sir, darüber darf ich Ihnen keine Auskunft geben. Sie verstehen, der Datenschutz…“

Imperio!“, knurrte der Besucher, worauf der distanzierte Ausdruck aus Wrights Gesicht wich.

„Es handelt sich um das Zeichen der Black Snakes, einer sechsköpfigen Rockerbande, die vor ungefähr zwanzig Jahren in Liverpool aufgetaucht ist und seitdem ihr Unwesen treibt. Die Mitglieder sind in zahlreiche kriminelle Machenschaften verstrickt – Waffenschiebereien, Schutzgelderpressung, Drogenhandel, Falschgeld –, aber wir konnten ihnen nie etwas nachweisen. Beweise verschwinden spurlos, Verdächtige, die am Tatort gesehen wurden, legen hieb- und stichfeste Alibis vor, Zeugen leiden plötzlich unter Gedächtnisschwund – es ist wie verhext!“

Der Besucher grinste und murmelte: „Es ist verhext!“

„Wie meinten Sie, Sir?“

„Ach nichts. Ich glaube, das sind die, die ich suche. Wo finde ich sie?“

„Ich könnte Ihnen die Adressen geben, Sir…“

„Tun Sie das.“

„Gerne. Aber Sie werden selten einen von ihnen in seiner Privatwohnung antreffen. Sie haben sich in einer aufgegebenen Kfz-Werkstatt eine Art Clubhaus eingerichtet, wo sie meistens herumhängen. Dort dürften Sie sie am ehesten finden.“

Er gab dem Besucher die Adressen der Rocker und ihres Clubhauses und, da der Besucher offenbar nicht aus Liverpool stammte, auch eine Wegbeschreibung mit.

„Gut“, brummte der Besucher zufrieden. „Sie werden jetzt vergessen, dass ich hier war und wonach ich Sie gefragt habe. Sie haben mich nie gesehen, klar?“

„Wie Sie wünschen, Sir“, bestätigte der Bobby, während der Besucher seine Lederjacke wieder anzog und den Zettel mit den Adressen einsteckte. Dann verschwand er aus der Polizeiwache und aus Wrights Gedächtnis.

 

Das stählerne Rolltor, das zur Werkstatt führte, war verschlossen, unüberhörbar aber waren die rauen Stimmen, die dahinter ein Lied grölten, das dem Besucher noch wohlvertraut war. Er musste heftig an die Tür pochen, um zu erreichen, dass der Gesang erstarb und jemand rief:

„Wer da?“

Walden Macnair!“

Die Tür wurde aufgerissen, und Macnair sah sich Roger Blacksmith gegenüber, den er noch aus früheren Tagen gut kannte. Seine graue Mähne hatte er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und mit seiner vierschrötigen Gestalt, die in einer schwarzen Lederkluft steckte, entsprach er perfekt dem Erscheinungsbild eines in die Jahre gekommenen Muggelrockers.

„Macnair, ich glaub’s ja nicht!“, dröhnte es aus seinem mächtigen Brustkasten. Er drehte sich zu seinen Kumpanen um. „Jungs! Schaut mal, wer da ist!“

Macnair wurde mit viel Schulterklopfen begrüßt. Als erstes reichte man ihm eine Flasche Bier.

„Sagt mal“, wollte Macnair wissen, „wie kommt es, dass das Ministerium euch noch nicht geschnappt hat? Sicher, wir sind hier in Liverpool, nicht in London, aber das Todessermal muss doch irgendeinem aufgefallen sein.“

Blacksmith und seine Kumpels grinsten einander an. „Siehst du hier irgendwo ein Todessermal, Macnair?“

Macnair sah nun genauer hin: In der Tat hatten alle sechs einen Totenkopf auf ihren linken Unterarm tätowiert, aber es war nicht das Todesseremblem, denn zwei Schlangen umrahmten den Schädel, sie krochen nicht aus ihm heraus. Dasselbe Emblem war auf die Rückseiten ihrer Jacken genäht und prangte auf einer großen Flagge an der Wand.

„Verstehe ich nicht.“ Walden Macnair schüttelte den Kopf. „Wieso kannte es dann der Muggelpolizist?“

„Schon mal was von einem Verwirrungszauber gehört, Macnair?“, fragte Blacksmith unter selbstgefälligem Grinsen. „Da die Muggel nicht wissen, was es mit unserem Todessermal auf sich hat, können sie es ruhig sehen – Zauberern und Squibs spiegeln wir eine abgewandelte Version vor. Wir bemühen uns schon, unauffällig zu bleiben. Wir haben uns unseren Platz hier erobert und einige andere Gruppen zurückgedrängt. Wir werden gefürchtet, sogar die Hell’s Angels machen einen Bogen um uns, seit ihnen“ – er grinste – „merkwürdige Dinge passiert sind, schmelzende Motorräder und solche Sachen, aber zu einem Bandenkrieg, der uns in die überregionalen Zeitungen bringen würde, lassen wir es nicht kommen. Hauptsächlich leben wir von Prozenten aus dem Rotlichtmilieu und von kleineren Geschäften und lassen es uns gutgehen. Und du, Macnair? Wieso haben sie dich noch nicht geschnappt?“

„Ich war im Ausland und konnte dann unbehelligt heimkehren, weil die beiden Zaubereiministerien einen Handel miteinander machten. Momentan bin ich allerdings wieder im Untergrund, deshalb bin ich hier. Es geht um meinen Sohn.“

„Hey, du hast einen Sohn?“

„Ja, ich habe im Ausland eine Familie gegründet.“

„Und dein Sohn hat Ärger?“

„Er sitzt in Askaban.“

Die Runde vernahm es mit sichtbarer Genugtuung.

„Glückwunsch, Macnair, da ist der Apfel wohl nicht weit vom Stamm gefallen, was?“

„Das kann man wohl sagen, er macht mir Ehre. Ich werde ihn heraushauen. Macht ihr mit?“

„Klar“, meinte Blacksmith, „wenn du einen vernünftigen Plan hast.“

„Habe ich.“

„Wie ist dein Sprössling denn nach Askaban gekommen?“, wollte nun Greg Miles wissen, der als Einziger der Black Snakes vergleichsweise normal gebaut war, jedenfalls nicht so aussah, als hätte er die letzten zwanzig Jahre Gewichte gestemmt.

„Er hat mit seinen Freunden geplant, Harry Potter aus dem Gefängnis zu befreien.“

Die Black Snakes schauten drein, als seien sie soeben eimerweise mit Eiswasser überschüttet worden.

Harry Potter?“, fragte Miles entgeistert.

Harry Potter!“, bestätigte Macnair.

„Ich gebe zu, wir bekommen nur noch wenig von dem mit, was in der magischen Welt vor sich geht“, meldete sich nun wieder Blacksmith. „Daher zwei Fragen. Erstens: Wie ist Potter ins Gefängnis gekommen, wo seine Schlammblut-Freundin doch Zaubereiministerin ist? Zweitens: Wie kommt dein Sohn dazu, ausgerechnet Potter zu befreien?“

Macnair nahm einen Schluck Bier, um abzuwarten, ob einer von Hermines Ministeriumsleuten apparierte, da das Wort „Schlammblut“ gefallen war. Daraus, dass nichts dergleichen geschah, schloss er, dass die Black Snakes mächtige Schutzzauber eingerichtet hatten, und beantwortete die Frage seines alten Kumpels:

„Das Schlammblut treibt die Dinge derart auf die Spitze, dass es seine besten Freunde gegen sich aufbringt. Potter hat ein Bündnis mit dem harten Kern der Slytherins geschlossen. Er wollte das Schlammblut in einem Staatsstreich entmachten und wurde bei dem Versuch verhaftet…“

„Eier hat er, das muss man ihm lassen“, grunzte einer der Black Snakes anerkennend.

„Nun wollten die Slytherins Potter befreien – genauer gesagt die Gruppe der ‚Unbestechlichen‘, zu der auch mein Sohn Ares gehört, wollte das, zusammen übrigens mit dem Weasley-Clan…“

„Mit den Weasleys? Wird ja immer krasser…“ brummte Miles.

„Fast alle Weasleys stehen jetzt unter Arrest, mein Sohn und drei seiner Freunde sitzen wie Potter in Askaban.“

„Das heißt, wir hauen nicht nur deinen Sohn und seine Slytherins heraus, sondern auch Potter?“

„Yep.“

„Nur unter einer Bedingung…“

„Ich weiß. Die alten Kameraden holen wir auch heraus“, nahm Macnair Miles das Wort aus dem Mund. „Die Anderen haben es schon akzeptiert.“

„Wer sind die Anderen?“

Draco Malfoy und Rodolphus Lestrange…“

„Lestrange?“, rief Blacksmith. „Ich dachte, der wäre tot!“

„Dachten wir alle, aber er war in der Muggelwelt untergetaucht, genau wie ihr.“

„Sehr gut, wer noch?“

„Ein gemischter Kindergarten aus Gryffindors und Slytherins, die meisten allerdings ziemlich begabte Zauberer, darunter Potters Söhne und Nichten.“

„Wer hat das Kommando?“, wollte nun Blacksmith wissen. „Du, Lestrange oder Malfoy?“

„Keiner von uns“, gab Macnair gleichmütig zur Antwort. „Die Führung hat MacAllister, Vertrauensschüler von Slytherin.“

„Ein Schüler?“, fragte Blacksmith, als glaubte er sich verhört zu haben. „Wir sollen Askaban unter der Führung eines Milchbubis angreifen?“

„Keine Sorge“, beruhigte Macnair ihn. „Der Milchbubi hat mehr auf dem Kasten als wir alle zusammen und Tatkraft für drei. Ich vertraue ihm.“

Die Black Snakes starrten ihn noch einen Moment lang an, dann gab Blacksmith sich zufrieden:

„Gut, Macnair, wenn du es sagst, vertrauen wir auf dein Urteil. Wann soll die Party steigen?“

„Im März. Der genaue Termin steht noch nicht fest. Aber es ist ein militärisches Unternehmen, das heißt: Die Zeit nutzen wir, um drillmäßig zu üben. Viel Schweiß, wenig Bier, verstanden?“

„Na hör mal“, empörte sich Miles. „Du tust gerade so, als könnten wir nur saufen!“

Macnair warf einen süßsauren Blick in die Ecke des Raumes, in der rund zweihundert leere Bierflaschen standen.

„Die haben sich in Wochen angesammelt, Macnair“, brummte Blacksmith entschuldigend. „Wir waren nur zu faul zum Aufräumen.“

Macnair grinste. „Schon gut. Aber Zeit haben wir nicht zu verlieren. Wir sollten so bald wie möglich nach Rockwood Castle aufbrechen.“

„Dann sofort. Wir brauchen die Dunkelheit.“

„Zum Apparieren?“, fragte Macnair verwirrt.

„Wir apparieren nicht. Wo immer wir hingehen – nie ohne unsere Maschinen!“

Mit einem Schlenker seines Zauberstabs ließ Blacksmith eine Wand verschwinden, hinter der sechs schwere Harleys zum Vorschein kamen.

„Findet ihr denn den Weg?“, fragte Macnair zweifelnd. „Also, ich kenne mich mit dem Muggel-Straßennetz nicht aus.“

„Straßen brauchen wir nicht.“ Blacksmith winkte lässig ab. „Sobald wir Liverpool verlassen haben, fliegen wir.“

„Ohne Scheinwerfer, hoffe ich.“

„Natürlich. Einmal haben wir sie angelassen, wisst ihr noch, Jungs?“

Dröhnendes Gelächter antwortete ihm.

„Bei den Muggeln ist eine UFO-Panik ausgebrochen! Eine Woche lang haben sie überall nur noch Außerirdische gesehen. Was hatten wir für eine Gaudi…“ Er lachte Tränen. „Kann man natürlich nur einmal machen. Nein“, sagte er und wurde wieder ernst. „Wir fliegen ohne Licht.“

 

***

 

In Rockwood Castle hatten sie sich gerade das Abendessen schmecken lassen, saßen noch am Tisch im Rittersaal zusammen und unterhielten sich leise. Nur Roy beteiligte sich nicht an den Gesprächen. Er träumte vor sich hin, träumte gegen seine Angst um Arabella an, träumte von dem Leben mit ihr. Er war entschlossen, sich nicht von seiner Panik beherrschen zu lassen, und verzichtete auch nachts auf die traumhemmenden Tränke, um die er die Elfen zunächst gebeten hatte. Seit er in jeder freien Minute tagträumte, suchten ihn auch nachts keine Alpträume mehr heim.

Er würde sie aus Askaban befreien, dann würden sie das Jahr in Hogwarts hinter sich bringen. Roy bezweifelte nicht, dass er seine Familie würde ernähren können, er würde schon einen Weg finden, seine Erfindungen zu Geld zu machen.

Sie würden Kinder haben. Die Mädchen sollten möglichst ihrer Mutter ähneln und beim Lachen die gleichen süßen Grübchen haben wie Arabella. Jungs – o je, womöglich würden sie seinen Querkopf erben. Er würde tolerant sein müssen, aber so schwer würde ihm das nicht fallen. Sie alle – Mädchen wie Jungs – müssten Rückgrat und Charakter haben. So wie Albus, wie Rose, wie Scorpius und Bernie.

Bernie? dachte er, als er ihn nicht bei den Anderen sitzen sah. Wo steckt er eigentlich? Er sah sich um.

Bernie saß abseits der Anderen und starrte trübsinnig in die Flamme der Kerze, die vor ihm auf dem Tisch stand. Seine Augen schimmerten feucht.

„Bernie?“, fragte Roy zaghaft, als er sich zu ihm setzte. „Was ist? Bist du traurig?“

Bernie nickte.

„Wegen deines Vaters?“

Bernie schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte er und seufzte. „Ich denke nur daran, dass ich irgendwann in die Muggelwelt zurückmuss. Und dass ich dann nicht mehr zu euch gehöre.“

„Bernie, du wirst immer einer von uns sein, immer ein Slytherin und immer ein Unbestechlicher, selbst wenn du zurückmusst… Aber das ist doch noch gar nicht gesagt!“

„Ach Roy, wir wissen doch beide, dass ich keine Chance habe, jemals meine ZAG-Prüfungen zu schaffen.“

„In Zauberkunst und Verwandlung nicht, aber in allen anderen Fächern schon.“

„Stimmt nicht, sobald wir unsere Zutaten selbst verzaubern müssen, bin ich auch in Zaubertränken aufgeschmissen. Und die Fächer, in denen ich gut bin, nützen mir nichts, wenn ich nicht zaubern kann. Es hat keinen Sinn, sich etwas vorzumachen, Roy. Du hast von Anfang an recht gehabt und der Sprechende Hut auch: Ich gehöre nicht in eure Welt. – Aber in einem Punkt“, schnitt er Roy das Wort ab, noch bevor dieser etwas sagen konnte, „hattest du unrecht: Du meintest, ich würde in Hogwarts nicht glücklich werden, und das stimmt nicht. Ich war noch nie so glücklich wie in Hogwarts! Ich will nicht weg!“

Bernie blinzelte ein paar Mal heftig seine Tränen weg und fuhr dann fort:

„Aber ich weiß, dass ich es irgendwann muss, genau wie die vielen Squibs, die die magische Welt verlassen, weil sie dort keine Zukunft haben, auch wenn sie aus ihr kommen.“

„Bernie, du bist hochtalentiert…“

„Aber nicht fürs Zaubern! Und deshalb muss ich in einer Welt leben, die meine Talente braucht.“

„Du glaubst wirklich, wir brauchen dich nicht?“, entrüstete sich Roy. „Als Slytherin völlig isoliert war, hast du dich für uns verbürgt! Wahrscheinlich warst du derjenige, der Hermines Plan vereitelt hat, die Häuser gegeneinander zu hetzen. Falls du das schon vergessen hast – wir haben es nicht vergessen! Du hast jetzt schon für die magische Welt mehr getan als mancher Zaubereiminister!“

Nun lächelte Bernie doch ein wenig.

„Danke. Aber ich rede nicht von Charakter, ich rede von Talent! Du siehst es doch jetzt bei der Befreiungsaktion: Ihr habt mit Müh und Not noch eine Aufgabe für mich gefunden, und ja, wenn alle Stricke reißen, kann ich den unwiederbringlichen Zauberkraftverstärker schlucken und euch zu Hilfe eilen, aber um wirklich nützlich zu sein, müsste ich auch ungedopt zaubern können – und widersprich mir nicht! Ich bin nicht aus Zucker, ich brauche keine freundlichen Lügen!“

Roy schwieg, denn Bernie sagte die Wahrheit.

Sie konnten nicht weiterreden, denn aus dem Innenhof vernahm man nun, von den Burgmauern tausendfach zurückgeworfen und verstärkt, das ohrenbetäubende Dröhnen von Motorrädern. Alle Anwesenden stürzten an die Fenster und sahen sechs Maschinen federnd auf dem Pflaster des Burghofs aufsetzen. Ein letztes Aufheulen, dann wurden die Motoren abgestellt.

„Das müssen Macnair und seine Todesser sein! Mein Gott, was für Typen!“, rief Rose angewidert, als sie die sechs bulligen, verwegenen Gestalten sah, die nun mit Macnair von ihren Maschinen stiegen und von Blubber mit einer tiefen Verbeugung begrüßt wurden.

Rose“, antwortete Roy. „Wir planen kein Teekränzchen, sondern einen Überfall auf Askaban, und dafür scheinen sie mir genau die richtigen Typen zu sein.“

Rose rümpfte die Nase.

Einen Moment später betrat Macnair an der Spitze seiner illustren Freunde den Saal. Indigniert musste Rose feststellen, dass Albus, James, Scorpius und Bernie nicht ohne Faszination die grobschlächtigen Gesellen betrachteten, die ihre Motorradjacken längst in schwarzlederne Todesserumhänge zurückverwandelt hatten.

„Es ging schneller als ich dachte, die Polizei war ein wirklicher Freund und Helfer“, lachte Macnair und stellte alle Anwesenden einander vor. Wie auf Verabredung verzichtete man auf großes Händeschütteln, nur Lestrange wurde, wie zuvor Macnair, von den Black Snakes mit Schulterklopfen begrüßt.

Kaum hatten die Rocker das freie Ende der Tafel okkupiert, da standen auch schon die Speisen vor ihnen, die die Elfen im Nu herbeigezaubert hatten. Ohne von den Anwesenden weiter Notiz zu nehmen, langten die Black Snakes hin und schlemmten mit einem Appetit, der selbst Roys berüchtigte Esslust in den Schatten stellte.

Victoire und Rose setzten sich zu Roy.

„Sag mal, Roy“, flüsterte Rose. „Fühlst du dich eigentlich wohl in… dieser Gesellschaft?“ Sie deutete mit einem gewissen Ekel auf die Black Snakes.

Roy lachte leise.

„In eurer Gesellschaft fühle ich mich wohler, wenn dich das beruhigt, aber wie ich schon sagte…“

„Ja, ich weiß, kein Teekränzchen und so, aber…“ Sie druckste ein wenig.

„Was denn?“

„Nun ja“, griff nun Victoire ein, die sah, dass ihre Cousine sich nicht traute. „Du hast es dir immer verbeten, wenn man euch Slytherins ‚Todesser‘ genannt hat – aber kaum arbeiten wir mit dir zusammen, sitzen wir als Gäste einer alten Todesserfamilie in einem Todesserunterschlupf zusammen mit den alten Todessern Macnair und Lestrange, die ihre Todesserfreunde holen, um andere Todesser aus Askaban zu befreien…“

„Und nun fragst du dich, ob der Tagesprophet nicht vielleicht recht hat und ich nur ein ganz besonders raffiniert getarnter Todesser bin?“, fragte Roy mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Nein, so direkt nicht…“ Victoire lief rosa an.

„Aber indirekt schon.“

Roy schluckte seinen Ärger herunter. Rose und Victoire waren schließlich Gryffindors, und er hielt ihnen zugute, dass sie, gemessen daran, schon ziemlich wenig Vorurteile hatten. Konnten sie ganz frei davon sein? Das wäre zu viel verlangt. Im Übrigen, gab er im Stillen zu, war die Frage von ihrer Warte aus durchaus verständlich.

„Nur nochmal zur Erinnerung“, sagte er. „Die Malfoys sind an Bord, weil Scorpius mit Albus befreundet ist, Macnair und Lestrange, weil sie Ares‘ und Julians Vater und Großvater sind, die Black Snakes, weil sie Freunde von Macnair sind…“

„Ich bin nicht dutzelig, das ist mir alles klar“, warf Victoire ein. „Trotzdem irritiert mich deine Unbefangenheit im Umgang mit solchen Leuten. Ich meine, du bist muggelstämmig, wenn es nach denen ginge, dürftest du in der magischen Welt gar nicht leben.“

„Wenn es nach ihnen ginge, oder jedenfalls nach ihren früheren Zielen, würde ich das Zuhause, das ich in der magischen Welt gefunden habe, dadurch verlieren, dass sie mich nicht dulden würden“, bestätigte Roy unter Victoires zustimmendem Nicken.

„Da es aber nicht nach ihnen, sondern nach der Zaubereiministerin geht“, fuhr Roy fort, „soll ich es dadurch verlieren, dass die magische Welt sich in der Muggelwelt auflöst wie ein Stück Zucker im Kaffee. Für mich ist das Ergebnis dasselbe. Nur dass das eine eine reale Gefahr ist und das andere nicht.“

„Ist es wirklich dasselbe?“, fragte Victoire zweifelnd. „Vor zwanzig Jahren hätten diese Todesser dir wegen Diebstahls von Magie den Prozess gemacht und dich wahrscheinlich hingerichtet.“

„Und heute droht Hermine mich hinzurichten. Ich bin ganz entschieden der Meinung, dass man gegen diejenige Diktatur kämpfen sollte, die gerade an der Macht ist, nicht gegen eine, die schon vor zwanzig Jahren gestürzt wurde, und deren wenige versprengte Anhänger sich vor den Auroren verstecken müssen.“

Victoire seufzte. „Mit dir zu diskutieren ist wirklich schwer. Das ist alles logisch und richtig, aber man kann doch nicht mit Leuten zusammenarbeiten, die das Gegenteil von dem wollen, was man selber will.“

„Wollen sie denn das Gegenteil?“, fragte Roy und fügte, als Rose und Victoire ihn verwirrt anstarrten, erklärend hinzu: „Ich meine, wollen sie im Hinblick auf die entscheidenden Fragen – nämlich ob euer Onkel Harry leben und die magische Welt weiterhin existieren soll – nicht genau dasselbe wie wir? Ich würde auch lieber ohne sie auskommen, aber soll ich ernsthaft ein Problem damit haben, dass sie jetzt etwas Richtiges tun, nur weil sie vor zwanzig Jahren etwas Falsches getan haben? Es gibt nur eine Front, Victoire, und die hat deine Tante gezogen, weil nur sie die Macht hat, eine zu ziehen. Auf der einen Seite die, die die magische Welt zerstören, auf der anderen Seite die, die sie erhalten wollen. Ihr beide, euer Onkel Harry, eure ganze Familie hat ihre Wahl getroffen, und diese Wahl bringt es ganz von allein mit sich, dass die alten Todesser auf derselben Seite der Front stehen wie ihr und ich. Lieben müsst ihr sie deswegen nicht, ich tue es auch nicht.“

Nun lächelten die beiden Mädchen versöhnlich.

„Das glaube ich dir“, sagte Victoire, „und es beruhigt mich.“

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