58 – Der neue Plan

 

Greengrass erschien gegen halb zehn und begann gleich, seine Zuhörer ins Bild zu setzen:

„Ich habe leider eine schlechte Nachricht“, hob er an. „Die Todesstrafe droht aufgrund der neuesten Notverordnung nicht nur Harry, sondern auch den inhaftierten Unbestechlichen.“

Er verlas den Text der Notverordnung. Roy, der so etwas schon geahnt hatte, blieb seinem Entschluss treu, keine Nerven mehr zu zeigen, und verzog keine Miene.

„Ja, aber das gilt doch dann auch für meine Mutter“, warf Albus entsetzt ein.

„Und für meine Eltern. Für die ganze Familie“, fügte Victoire hinzu.

„Was das betrifft“, erwiderte der Anwalt, „habe ich eine gute Nachricht, die mir die Leiterin der Magischen Strafverfolgung heute Morgen von Kollege zu Kollege persönlich gesteckt hat: Die Ministerin legt großen Wert darauf, die Loyalität ihres wichtigsten Mitarbeiters Percy Weasley nicht überzustrapazieren und hat ihm im Beisein von Susan Bones versichert, dass seine Blutsverwandten strafrechtlich nicht verfolgt werden, sie will sie nur eine Weile aus dem Verkehr ziehen.“

Man glaubte den Stein hören zu können, der Albus, James, Rose und Victoire vom Herzen fiel.

„Damit komme ich zur guten Nachricht Nummer zwei: Die Weasleys, einschließlich Ginny Potter, sind nicht in Askaban inhaftiert, sondern stehen im sogenannten Fuchsbau unter Hausarrest, ebenfalls aus Rücksicht auf Percy. Sie werden streng bewacht, aber von Auroren, nicht Dementoren, und in ihrer vertrauten Umgebung.“

„Ganz schön raffiniert“, warf Victoire ein. „Hermine spielt die Großmütige und verpflichtet sich Percy dadurch, zugleich hält sie die Familie praktisch als Geiseln, um seiner Loyalität ein wenig nachzuhelfen.“

„Sie sagen es“, bestätigte der Anwalt unter wohlgefälligem Blick auf die schöne Victoire. „Leider ist eine Kontaktsperre verhängt worden, ich kann sie daher nicht sprechen, und sie dürfen auch keine Briefe schreiben oder empfangen.“

„Was ist mit unserer Schwester Lily?“, wollte James wissen.

„Und mit meinem Bruder Hugo?“, fügte Rose hinzu.

„Die sind ebenfalls im Fuchsbau, keine Sorge. Harry allerdings ist kein Blutsverwandter von Percy und wird nicht geschont, die Unbestechlichen erst recht nicht. An ihnen allen soll ein Exempel statuiert werden.“ Er sah auf Roy. „Haben Sie den Tagespropheten schon gelesen?“

Da Roy verneinte, zog der Anwalt sein Exemplar aus dem Umhang und schob es ihm hinüber. Auf der Titelseite prangten die Portraits von Roy und von Walden Macnair. Auf Roys Ergreifung war eine Belohnung von zehntausend Galleonen ausgesetzt, auf die von Macnair nur zweitausend.

„Also ehrlich“, murrte Macnair, „was muss man denn noch alles anstellen, damit ein anständiges Kopfgeld auf einen ausgesetzt wird? Als in Ehren ergrauter alter Todesser habe ich doch wohl einen größeren Anspruch darauf als unser junger Hüpfer hier. Zweitausend Galleonen, was für eine Beleidigung! Ich glaube, ich werde das Ministerium verklagen.“

Der Anwalt, der sich an Macnairs speziellen Humor noch nicht gewöhnt hatte, brauchte einen Moment, um den Witz als solchen zu erkennen. Dann schmunzelte er.

„Ich glaube, ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, Mister Macnair, dass Sie mehr aus propagandistischen Gründen mit auf der Titelseite sind. Als alter Todesser sollen Sie wohl illustrieren, in welch schlechter Gesellschaft sich Mister MacAllister bewegt. Gut, weiter mit den Neuigkeiten: Miss Bones hat mir heute Morgen mitgeteilt, dass ein Verfahren gegen die inhaftierten Unbestechlichen erst nach einem Urteil im Prozess gegen Harry Potter stattfinden wird, und dass dieser Prozess am 1. März eröffnet wird.“

Rings um den Tisch vernahm man vielstimmiges Stöhnen. Noch drei Wochen nervenzerrendes Warten allein bis zum Beginn des Prozesses!

„Wie lange wird der Prozess voraussichtlich dauern?“, wollte Roy wissen.

„Da die Beweislage klar ist“, antwortete Greengrass, „und es nur auf die Beweiswürdigung ankommt, rechne ich mit drei, maximal vier Verhandlungstagen für den ganzen Prozess einschließlich der Plädoyers. Für die Urteilsverkündung wird wohl ein eigener Termin anberaumt werden. Wenn die Ministerin, die selbst den Vorsitz führen wird, zügig durchverhandelt, könnte das Urteil schon am Dienstag, dem 6. März, vorliegen.“

„Wie stehen Harrys Chancen? Wir müssen das unbedingt genau wissen, weil…“

„…Sie ihn sonst vorher heraushauen, ich weiß, Ginny hat mir die Problematik erst gestern in unserem letzten Gespräch vor ihrer Verhaftung erläutert. Ich sage Ihnen dasselbe, was ich schon ihr gesagt habe…“

Der Anwalt erklärte nun ausführlich, dass und warum er einen Freispruch für so gut wie sicher hielt.

„Ich weiß nicht“, brummte Roy skeptisch, nachdem Greengrass geendet hatte. „Ich glaube nicht so recht an diesen Freispruch. Es würde Hermine überhaupt nicht ähnlich sehen, sich so mir nichts, dir nichts vom Zaubergamot vorführen zu lassen, ohne noch den letzten miesen Trick versucht zu haben. Deswegen bin ich mir auch nicht sicher, ob wir es wirklich darauf ankommen lassen sollten. Am liebsten würde ich die Gefangenen sofort befreien, zumal wir in neun Tagen Neumond haben – eine günstige Voraussetzung.“

„Davon kann ich nur dringend abraten“, erwiderte Greengrass. „Bedenken Sie: Wenn Sie die Gefangenen vorzeitig befreien und der Prozess nicht stattfindet, zwingen Sie nicht nur Harry und die Unbestechlichen auf unabsehbare Zeit in den Untergrund, sondern verpassen auch die einmalige Gelegenheit, die Zaubereiministerin zu stürzen! Mrs. Granger-Weasley hat sich in eine gefährliche Lage manövriert, und sie würden ihr geradezu aus der selbstgeschaffenen Patsche helfen, wenn Sie vor der Zeit losschlagen. Sollte es wider Erwarten zu einem Todesurteil kommen, können Sie die Gefangenen immer noch gewaltsam befreien…“

„…falls dazu dann noch Zeit bleibt“, warf Albus ein.

„Es wird Zeit bleiben“, versicherte Greengrass. „Mit der Wiedereinführung der Todesstrafe wurde auch eine Reihe alter Ausführungsgesetze wieder in Kraft gesetzt. Eines davon besagt, dass zwischen einem Todesurteil und seiner Vollstreckung mindestens zehn Tage liegen müssen.“

Roy sah ihn betrübt an. Merkst du eigentlich nicht, dass du dich auf Regeln verlässt, die Hermie nach Belieben umwirft, wenn sie ihr im Weg stehen? dachte er, behielt es aber für sich, zumal sich nun Macnair zu Wort meldete:

„Ich sage es nur ungern“, knurrte er, „weil ich mich auf den Angriff freue, aber ich fürchte, Greengrass hat recht. Wenn der Freispruch wirklich erfolgt, haben wir alle Fliegen mit einer Klappe geschlagen, wenn nicht, können wir immer noch zuschlagen.“

Roy sah in die Runde. Niemand schien anderer Meinung zu sein, und auch er, wenn er ehrlich war, musste zugeben, dass Greengrass‘ Argumente stark waren.

„Gut“, sagte er. „Wir müssen unsere Vorbereitungen aber so treffen, dass wir ab dem ersten März jederzeit losschlagen können.“

„Ich glaube“, sagte der Anwalt und griff nach seiner Aktentasche, „für heute bleibt mir hier nichts mehr zu tun. Ich halte Sie auf dem Laufenden.“ Er verbeugte sich knapp und disapparierte.

Roy betätigte die magische Klingel, um Blubber herbeizurufen.

„Blubber“, wandte er sich an den Hauselfen. „Können Sie dafür sorgen, dass wir ab jetzt immer den aktuellen Tagespropheten bekommen?“

„Sehr wohl, Sir“, antwortete der Elf und verneigte sich.

„Danke.“ Er wandte sich wieder den Anderen zu. „Die Pläne für die Befreiung Harrys waren so gut wie fertig, als Ginny und unsere Freunde gestern verhaftet wurden. Wir sollten sie aber noch einmal durchsprechen.“

„Ja“, meinte Victoire, „allein schon, weil sich die Voraussetzungen geändert haben. Fast alle Familienmitglieder, die teilnehmen sollten, sind in Haft, und von den Unbestechlichen sind nur zwei noch auf freiem Fuß.“

„Vier“, korrigierte Roy.

Alle sahen ihn verblüfft an.

Scorpius und Bernie gehören ab sofort dazu“, sagte er in dem beiläufigen Tonfall, in dem man Selbstverständlichkeiten erwähnt, freute sich aber im Stillen, als er die beiden strahlen sah. Er erläuterte jetzt ausführlich den letzten Stand des Plans, wie er ihn mit Ginny besprochen hatte.

„Lässt sich hören“, meinte Lestrange.

„Hat aber ein paar Schwachpunkte“, gab Roy zu, „vor allem jetzt, wo wir nur noch zehn Personen sind, Draco Malfoy mitgerechnet, die aber nicht Alle den Patronuszauber beherrschen. Walden, wie lange werden Sie brauchen, um Ihre alten Kameraden herzubringen?“

„Schwer zu sagen, zumal praktisch nur noch diejenigen in Frage kommen, die wie Rodolphus in der Muggelwelt untergetaucht sind. Die anderen…“

Er schob Roy den Tagespropheten wieder hin und deutete auf Seite zwei. Hermine ließ sich für einen großangelegten Schlag gegen das Todessertum feiern: Die gestrige Razzia hatte sich nicht nur gegen die Unbestechlichen und die Weasleys gerichtet. Fast gleichzeitig waren praktisch alle bekannten ehemaligen Todesser mit Ausnahme der Malfoys unter Präventivarrest gestellt worden, wie man das jetzt nannte, das heißt, sie waren, wie die Weasleys, Gefangene in ihrem eigenen Haus.

„Ich selbst bin offenbar nur um Haaresbreite davongekommen“, meinte Macnair, „weil ihr mich geholt habt. Fünf oder sechs kann ich vielleicht in der Muggelwelt auftreiben. Sie sind in Liverpool untergetaucht, soviel ich weiß. Wie lange das dauert? Schwer zu sagen. Kann schnell gehen, kann aber auch zwei Wochen dauern.“

„Beherrschen sie den Patronus?“

„Kaum.“ Macnair schüttelte den Kopf. „Ich beherrsche ihn selber nicht.“

„Ich schon“, sagte nun Rodolphus Lestrange.

„Gut, Walden, dann werden Sie ihn üben, sofern Ihnen Zeit dazu bleibt. Die Suche nach Ihren alten Kumpels hat aber Vorrang.“

Macnair schüttelte den Kopf. „Den Patronus muss man lernen, solange man jung ist. In meinem Alter wird daraus nichts mehr. Und was meine Kumpels angeht: Dir ist hoffentlich klar, dass die nur mitmachen, wenn wir auch die noch einsitzenden Todesser herausholen?“

„Vollkommen klar“, antwortete Roy. „Nächster Punkt: Wir hatten den 17. Februar oder den 18. März als Termine ins Auge gefasst, weil dann Neumond ist und Unsichtbarkeitszauber in Askaban nicht funktionieren. Inzwischen habe ich aber Bedenken: Wir müssen damit rechnen, dass die Auroren mittlerweile den Calorate-Zauber kennen, sodass Sie uns auch bei Neumond im Anflug beobachten können.“

„Glaube ich nicht“, warf James ein. „Mein Vater hat sich immer darüber geärgert, wie lange es dauert, einen neuen Zauber bei den Auroren einzuführen, weil dabei tausend bürokratische Vorschriften zu beachten sind, und den Calorate können sie, wenn überhaupt, noch nicht lange genug kennen.“

„Ich glaube, sie kennen ihn überhaupt nicht“, ergänzte Scorpius. „Sonst hätten sie ihn bei der Razzia in Hogwarts benutzt. Stattdessen verwendeten sie offenbar den Disinvisibilis.“

„Gut“, meinte Roy, „das kann sich aber bis dahin geändert haben. Wir müssen des Weiteren damit rechnen, dass wir uns den Zeitpunkt nicht aussuchen können, zum Beispiel falls Hermine den Hinrichtungstermin für Harry vorverlegt. Wir sollten daher den Plan ein wenig abwandeln. Ich schlage vor, dass ich in Gestalt einer Möwe – ich bin Animagus – das Vorauskommando mache und das Finsternispulver verschieße. In der allgemeinen Verwirrung habt ihr Zeit, herunterzukommen, um euren Posten auf dem Burgturm einzunehmen beziehungsweise in den Zellentrakt einzudringen.“

„Wir könnten der Verwirrung noch ein bisschen nachhelfen“, ließ sich nun überraschenderweise Scorpius vernehmen. „Mit Schlangen.“

„Schlangen?“, wunderte sich Victoire. „Wie kommst du ausgerechnet auf Schlangen?“

Scorpius sah Albus fragend an.

„Sag‘s ruhig“, meinte dieser, „es ist zu wichtig, um es in dieser Runde zu verschweigen.“

Scorpius nickte dankbar. „Albus spricht Parsel.“

Da nur Roy dies bisher wusste, richteten sich die Blicke aller Anderen völlig überrascht auf Albus.

„Stimmt“, bestätigte dieser. „Nur, Scorpius, ich verstehe nicht ganz, was uns das nützen soll.“

„Du könntest eine ganze Armee von Schlangen dirigieren!“ Scorpius war Feuer und Flamme. „Stellt es euch doch einmal vor: Wenn es einfach nur dunkel ist, werden sich die Auroren Richtung Burg tasten, in jedem Fall sind sie gewarnt und können handeln. Und nun stellt euch aber vor, es ist stockfinster, sie sehen überhaupt nichts, spüren aber Schlangen auf sich herumkriechen! Da kann kein Mensch einen klaren Gedanken fassen, da herrscht nur noch die blanke Panik!“

Einen Moment lang herrschte verblüfftes Schweigen. Dann begann Roy zu grinsen.

Scorpius“, meinte er, „du bist ja ein ganz durchtriebener…“

„Aber Scorpius“, fiel Albus ihm ins Wort, „wo willst du denn so viele Schlangen hernehmen, wie wir dafür bräuchten? Willst du in einen Zoo einbrechen?“

Nun war es Scorpius, der verblüfft dreinsah.

Albus“, fragte er, „hat dein Vater dir nie den Serpensortia-Zauber gezeigt?“

Da Albus den Kopf schüttelte, zog Scorpius seinen Zauberstab, schwenkte ihn locker aus dem Handgelenk und rief: „Serpensortia!

Aus dem Stab sprang eine Schlange und wand sich am Boden direkt neben Rose, die aufschrie.

Scorpius“, rief Roy tadelnd, „musst du das Mädchen so erschrecken?“

Er hob die Schlange mit einem Schwebezauber an und setzte sie einige Meter von Rose entfernt sanft wieder auf dem Boden ab. Die Schlange hob den Kopf und sah sich um.

„Sprich mit ihr“, forderte Roy Albus auf.

„Verstehst du, was ich sage?“, wollte Albus von der Schlange wissen.

„Ja, Meister.“

„Würdest du tun, was ich dir befehle?“

„Selbstverständlich, Meister.“

„Dann möchte ich, dass du dich jetzt wieder auflöst.“ Die Schlange verschwand.

„Komisch“, fand Scorpius. „Ich weiß bestimmt, dass dein Vater diesen Zauber seit seiner Zeit in Hogwarts kennt, genauer seit der zweiten Klasse. Und er war doch schon öfter in Situationen, in dem es für ihn als Parselmund nützlich gewesen wäre, eine Schlange zu beschwören. Ist ja auch nicht schwer.“

„Sicher“, entgegnete James anstelle seines Bruders, „aber unserem Vater waren seine Parselkenntnisse selber immer unheimlich, er hat sie nur benutzt, wenn es nicht anders ging.“

„Also, ich habe keine Probleme damit“, meinte Albus. „Nicht erschrecken, Rose!“ Er zog nun seinerseits den Zauberstab und beschwor ebenfalls eine Schlange, allerdings so weit wie möglich von Rose entfernt. Dann ließ er das Tier wieder verschwinden.

„Ist wirklich ein Kinderspiel. Aber wir werden Hunderte davon brauchen, das kann dauern. Und ich muss sie doch vor Ort beschwören – ich wüsste jedenfalls nicht, wie wir sie sonst nach Askaban schaffen sollen. In Askaban selbst habe ich aber gar nicht die Zeit dazu.“

„Das werden wir sehen“, antwortete Roy nachdenklich. „Ob man sie wohl duplizieren kann?“

„Tiere kann man nicht duplizieren, das musst du doch wissen“, sagte Victoire, und es klang wie ein Vorwurf.

„Normalerweise nicht“, erwiderte Roy, „da es sich aber nicht um ein natürliches, sondern um ein magisch erzeugtes Tier handelt, könnten andere Gesetze gelten. Serpensortia!“, rief er und schwang den Zauberstab. Als wieder eine Schlange erschien, richtete er seinen Zauberstab auf sie: „Geminio!“

Aus der einen Schlange wurden zwei. Roy schwenkte den Stab über beide.

Wieder rief er „Geminio!“ Nun wanden sich schon vier Schlangen am Boden. Roy ließ sie wieder verschwinden.

„Es geht“, stellte er zufrieden fest. „Um tausend Schlangen zu erzeugen, muss man nicht tausendmal den Serpensortia ausüben, sondern nur einmal. Dann zehnmal Geminio, und man hat 1024 Schlangen. Das sollte für unsere Zwecke genügen.“

„Aber ich muss doch dabeisein und ihnen befehlen“, wandte Albus ein, „sonst halten sie dich für ihr Frühstück. Wie soll ich aber ungesehen dorthin kommen, vor allem, wenn nicht Neumond ist?“

„In der Tat…“ murmelte Roy. Er sah einen Moment überlegend in die Luft, während alle Anderen schwiegen. „Genau wie ich – als Animagus! Ich würde es dir gern ersparen, weil dann ewig die Gefahr der Enttarnung als nicht gemeldeter Animagus über dir schwebt. Ich glaube aber, es geht nicht anders.“

„Und in was für ein Tier soll ich mich verwandeln? In eine Möwe, so wie du?“ Albus‘ Augen leuchteten. „Wir fliegen gemeinsam voraus und…“

„Ich würde es dir zwar gönnen, es macht einen Heidenspaß“, räumte Roy ein, „du solltest aber bedenken, dass du diese Entscheidung nicht mehr ändern kannst, wenn du dich einmal auf ein Tier festgelegt hast. Deshalb solltest du die Entscheidung unter dem Gesichtspunkt treffen, dass sie für dich als führenden Todesser des Hauses Slytherin“, – Roses Bemerkung vom Weihnachtstag war bei den Unbestechlichen längst ein Running Gag –, „von Nutzen ist. Sie sollte dir ermöglichen, dich gegebenenfalls einer Verhaftung zu entziehen und in jeden Raum einzudringen, aus dem das Regime dich fernhalten will.“

„Und das heißt?“

„Mach’s wie Wilkinson.“

„Iiiiieh!“ Albus verzog das Gesicht. „Eine Fliege?“

„Wenn unsere Freunde diese Möglichkeit gehabt hätten“, gab Roy zu bedenken, „wären sie jetzt nicht in Askaban.“

„Na gut“, murrte Albus, „ich sehe es ein. Aber als Fliege kann ich doch unmöglich die fünfzehn Meilen von Branness nach Askaban fliegen, wahrscheinlich nicht einmal eine.“

„Ich nehme dich in meinem Schnabel mit.“

„Okay, aber verschluck dich nicht.“

Nun klingelte Roy, und Blubber trat ein. „Sie wünschen, Sir?“

„Blubber, besorgen sie uns bitte eine lebende Stubenfliege.“

Der Elf verzog keine Miene. Man konnte nicht erkennen, ob er Roy für übergeschnappt hielt.

„Sehr wohl, Sir.“

Er verbeugte sich und verließ den Rittersaal.

Da immer noch Winter war, dauerte es eine Weile, bis die Elfen eine Fliege in einem warmen Vorratsraum fanden und einfingen. Blubber servierte sie auf einem kleinen Silbertablett.

„Ich habe mir erlaubt, sie durch einen Petrificus-Zauber bewegungsunfähig zu machen, Sir“, erklärte der Elf.

„Sehr gut, Blubber, vielen Dank.“

Roy erklärte Albus nun in allen Einzelheiten den Animagus-Zauber, was einige Zeit in Anspruch nahm. Die Anderen hörten gebannt zu. Schließlich atmete Albus tief durch. Ihm war mulmig, aber er würde bestimmt nicht feiger sein als Wilkinson. Er berührte die Fliege mit der Spitze seines Zauberstabes, und wie einige Wochen zuvor über Roys Möwe glitten über den Körper des Insekts pulsierende blaue Lichtstreifen. Am Ende war Albus scheinbar verschwunden. Roy fand ihn auf der Sitzfläche seines Stuhls, wo er als Fliege unschlüssig ein wenig hin und her krabbelte, bevor er sich wieder in einen Menschen verwandelte.

„Irre.“ Albus schüttelte den Kopf. „Du hast irgendwie komisch ausgesehen, Roy.“

„Das machen wahrscheinlich die Facettenaugen. Jetzt versuchen wir den Flug in meinem Schnabel.“

Roy verwandelte sich in eine Möwe und hüpfte auf den Tisch. Als Albus sich ebenfalls darauf setzte und wieder Fliegengestalt annahm, sperrte Roy den Schnabel auf und präsentierte der Fliege seinen Unterschnabel wie eine Gangway. Albus krabbelte in den Schnabel, der sich daraufhin schloss. Roy breitete die Flügel aus, flog ein paar Runden durch den Raum, landete auf dem Tisch und ließ Albus wieder herauskrabbeln. Dann nahmen beide erneut ihre normale Gestalt an.

„Na?“, fragte Roy.

„Ich werde Ihre Airline weiterempfehlen, Sir“, antwortete Albus unter allgemeinem Gelächter.

Sie beschlossen, erst einmal eine Mittagspause einzulegen. Während des Essens wurde am Tisch lebhaft über den Befreiungsplan diskutiert.

Nach dem Essen fasste Roy den neuesten Stand der Planung zusammen und beendete seinen Vortrag mit einem knappen „Noch Fragen?“.

„Wer hat das Kommando?“, wollte Macnair wissen.

„Ich“, antwortete Roy ganz selbstverständlich.

Macnair stutzte, sagte dann aber nur: „Okay.“

Albus grinste in sich hinein. Roys Autorität hatte schon etwas Magisches. Nicht einmal die beiden Alten zweifelten sie an.

„Sie sind aber auch offen für gute Ratschläge, Commander?“, hakte Macnair nach.

„Ich bitte sogar darum. Mir fällt kein Zacken aus der Krone, wenn ich einen guten Rat annehme, schon gar nicht von einem erfahrenen Kämpfer wie Ihnen.“

„Gut. Ihr Plan ist hervorragend, besteht aber aus etlichen Komponenten, die sorgsam aufeinander abgestimmt sein müssen. Jeder einzelne Schritt muss geübt werden, bis er hundertprozentig beherrscht wird.“

„Drillmäßig“, bestätigte Roy. „Alle müssen den Sturzflug beherrschen. Der Schub eurer Feuerblitze wird durch die Schwerkraft verstärkt, ihr kommt also wirklich mit einem Affenzahn herunter und müsst dann sicher abbremsen, nicht zu früh, nicht zu spät, und das auch noch in enger Formation. Bei den Muggeln ist das eine Aufgabe für erstklassige Kampfpiloten, und ihr habt nur drei Wochen Zeit. Weiter: Alle müssen zielgenau Finsternispulver verschießen können, Albus und ich außerdem das Erzeugen und Verschicken der Schlangen sicher beherrschen. Rodolphus, Sie kennen sich in Askaban besser aus als wir alle. Sie übernehmen die Führung der Gruppe, die in die Zellentrakte eindringt, und natürlich auch deren Training. In diesem alten Gemäuer hier sollte es geeignete Übungsmöglichkeiten geben. Und Alle müssen ihre Kampfzauber auffrischen.“

„Habe ich dabei eigentlich auch eine Aufgabe?“, fragte Bernie traurig. „Ich habe zwar Zauberkraftverstärker, aber nicht genug, um wochenlang üben zu können.“

„Du bekommst trotzdem eine wichtige Aufgabe, Bernie“, beruhigte ihn Roy. „Wir wollen keine vermeidbaren Todesopfer, auch nicht unter den Auroren. Nachdem wir die drei Auroren per Petrificus außer Gefecht gesetzt haben, die über Askaban Patrouille fliegen – den Blitz eines Schockzaubers würde man bei Nacht meilenweit sehen –, werden wir sie an deinen Besen binden, und du wirst sanft mit ihnen landen. In dem Getümmel, das da unten herrschen wird, wird nicht auffallen, dass du sie absetzt und sofort wieder davonfliegst, zuerst aus dem Schutzradius, dann unsichtbar zum Treffpunkt. Im Übrigen wirst auch du den Sturzflug üben, überhaupt muss Jeder alles üben, egal, ob es zu seiner vorgesehenen Aufgabe gehört oder nicht, damit wir flexibel sind und notfalls umdisponieren können.“

Den Nachmittag verbrachten sie damit, gemeinsam alle Details der Befreiungsaktion durchzusprechen und einen detaillierten Trainingsplan für die kommenden Wochen auszutüfteln. Als sie gegen sieben Uhr fertig waren und das Abendessen serviert wurde, waren sie alle sehr zufrieden und sehr zuversichtlich.

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