13 – Aufschlussreiche Gespräche

 

Es war gegen halb acht, als Harry unter dem Schutz seines Tarnumhangs vor dem Portal des Schulgeländes apparierte. Er sah sich um und stellte fest, dass er allein war. Harry löste den Sperrzauber des Portals. Strenggenommen durfte er das nicht, weil er ja privat hier war, aber er wusste, dass er bei McGonagall Persona grata war, und verließ sich darauf, dass sie es ihm erlaubt hätte. Wie Hermine knapp 36 Stunden zuvor genoss er den kleinen Spaziergang hinauf zum Schloss und hing seinen Erinnerungen nach.

Er öffnete das Schlossportal einen winzigen Spalt und schlüpfte hinein. Einige Schüler kamen gerade vom Abendessen aus der Großen Halle. James war nicht unter ihnen, er musste wohl schon im Gemeinschaftsraum sein. Harry eilte zum Gryffindor-Turm hinauf und brauchte nicht lange zu warten, bis ein jüngerer Schüler, nachdem er dem Portrait der fetten Dame das korrekte Passwort „Verlorene Eier“ genannt hatte, eingelassen wurde und Harry ihm unter dem Schutz des Tarnumhangs folgen konnte.

James hatte es sich mit einigen Gleichaltrigen in Sesseln bequem gemacht, die um einen Tisch herumstanden. Einen Moment lauschte Harry ihrer Unterhaltung, die sich aber um für ihn Belangloses drehte. Er näherte sich seinem Sohn von hinten, beugte sich zu ihm hinunter und sprach ihm leise ins linke Ohr:

„Dreh dich jetzt nicht um.“ Als James die Stimme seines Vaters erkannte, zuckte er ein wenig, zwang sich dann aber, weiterhin geradeaus zu blicken. „Ich trage den Tarnumhang. Komm bitte heraus, wir müssen irgendwo ungestört reden.“

James stand auf. Auf die fragenden Blicke seiner Freunde hin murmelte er etwas von der Bibliothek und begab sich dann schleunigst zum Ausgang. Draußen flüsterte Harry ihm zu: „Ein Stockwerk unter uns ist ein leeres Klassenzimmer. Dort gehen wir hin.“

Im Klassenzimmer nahm Harry den Umhang endlich ab. Vater und Sohn umarmten einander.

„Was soll der Umhang?“, stellte James die Frage, die ihm die ganze Zeit auf der Zunge gelegen hatte. „Hast du Hausverbot?“

„Ich möchte weder den Eindruck erwecken“, antwortete Harry, „dass die Aurorenabteilung in Hogwarts ermittelt…“

„Sollte sie aber. Gründe genug hätte sie“, fiel James ihm frech ins Wort.

„…noch möchte ich deine Mitschüler neidisch machen, die vielleicht auch ganz gerne einmal Besuch von ihren Eltern bekämen. Du wirst niemandem erzählen, dass ich hier war, und erst recht nicht, worüber wir gesprochen haben.“

„Zu Befehl, Sir!“, sagte James mit einer Ironie, die seinem Vater nicht gefallen wollte.

„Was war das heute Morgen für eine Aktion gegen die Slytherins?“

„Cool, was? Hermine war gestern noch bei uns und hat uns gesagt, wir sollen den Slytherins so lange zusetzen, bis sie entweder den Schwanz einziehen oder ihre Maske fallen lassen.“

„Was für eine Maske?“, fragte Harry verwundert.

„Na, ihre Heuchelei vom neuen Slytherin. Sie hat gesagt, wir sollen so viel Druck wie möglich aufbauen. Die einen sollen aus Angst ihr Maul halten…“

James!“

„…die anderen so provoziert werden, dass sie sich den Todesser raushängen lassen und man gegen sie vorgehen kann. Das mit dem Einschüchtern funktioniert schon.“ Er grinste selbstgefällig. „Die trauen sich nur noch im Rudel aus ihrem Loch.“

Harry konnte kaum glauben, dass diese Worte aus dem Mund seines eigenen Sohnes kamen. Und doch kam ihm diese miese, fiese Art unangenehm vertraut vor. Richtig, damals in Snapes Denkarium hatte er in dessen Erinnerungen geforscht und seinen eigenen Vater James als Fünfzehnjährigen erlebt, wie er Snape aus purer Gehässigkeit demütigte.

„Was soll das heißen?“, fragte er. „Sich den Todesser raushängen lassen?“

Hermine meint, unter Druck knicken die einen ein, die anderen, die den harten Kern bilden, werden aggressiv und vielleicht gewalttätig. Und dann“, schloss James triumphierend, „dann haben wir sie!“

„Wer ist wir?“

„Nun ja, alle, die hinter Hermine stehen. Wenn du mich fragst, ist sie einfach genial. Du stehst doch auch hinter ihr?“

Ein leiser Zweifel lag in James‚ Stimme, da sein Vater seine Begeisterung so gar nicht zu teilen schien.

Harry brachte es nicht fertig, die Frage mit „Ja“ zu beantworten. Selbstverständlich stand er hinter Hermine, aber…

„Hinter solchen Methoden stehe ich nicht!“

James sah seinen Vater verblüfft an. „Äh, Papa, es ist eine klare Anweisung der Zaubereiministerin…“

„Anweisung? Sie hat euch keine Anweisungen zu geben!“, konterte Harry aufgebracht. „Das Ministerium hat in Hogwarts überhaupt nichts zu melden!“

James meinte leicht verdattert: „Also, wenn es wegen Al ist, kann ich dich beruhigen. Hermine hat uns, also Rose, Victoire und mir gesagt, wir sollen uns um ihn bemühen, um ihn von seinen Todesserfreunden wegzuziehen. Viel Erfolg hatten wir bis jetzt allerdings nicht. Er meidet uns.“

„Würde ich an seiner Stelle auch tun“, knurrte Harry.

„Auf jeden Fall hat er von uns nichts zu befürchten. Victoire hat ganz klar allen Gryffindors die Anweisung gegeben, die Slytherins in Ruhe zu lassen, wenn Al dabei ist.“

„Victoire?“

„Sie hat als Vertrauensschülerin sozusagen das Kommando übernommen.“

Harry trat ans Fenster und tat so, als sehe er hinaus, obwohl es in der Dunkelheit überhaupt nichts zu sehen gab. Er brauchte einen Moment, sich zu beruhigen, bevor er sich wieder zu seinem Sohn umdrehte.

„Bist du dir eigentlich darüber im Klaren, wohin das führen kann?“, fragte er eindringlich. „Wenn ihr das weiter in dieser Art eskaliert, gibt es womöglich Tote!“

„Das glaube ich nicht!“

„Ach, das glaubst du nicht? Was weißt denn du schon?“

Einen Moment lang drohte er die Beherrschung zu verlieren. Dann sagte er leise:

Draco und ich hätten uns in einer ähnlichen Situation beinahe umgebracht! Er wäre gestorben, wenn Snape nicht zur Stelle gewesen wäre, um ihn mit einem Gegenzauber zu retten! Könntest du mit so etwas leben? Ich hätte es nicht gekonnt!“

James war etwas blass geworden, aber er erwiderte: „Papa, das ist ein Krieg. Da müssen Opfer gebracht werden.“

„Hast du diesen pathetischen Quatsch etwa auch von Hermine?“

James schluckte. „Sprich bitte nicht so von ihr. Hermine ist das Beste, was der Zaubererwelt je passiert ist, und ich stehe hundertprozentig hinter ihr. Nicht so wie du.“ Und leise fügte er hinzu: „Sei froh, wenn ich das, was ich eben gehört habe, für mich behalte.“

Er wandte sich ab und ging hinaus, während sein Vater ihm fassungslos nachstarrte.

Hatte sein dreizehnjähriger Sohn ihm wirklich soeben gedroht, ihn bei seiner Chefin und Freundin als unsicheren Kantonisten anzuschwärzen?

Hatte er.

Harry zwang sich, zunächst nicht darüber nachzudenken. Er hatte sich selbst einen Auftrag erteilt und würde ihn ausführen. Er musste McGonagall sprechen.

Als er in den Gang einbog, in dem das Büro der Schulleiterin lag, konsultierte er nochmals die Karte des Rumtreibers: Sie war nicht mehr allein, Whiteman war bei ihr. Zwei Lehrer in einer Sitzung – das konnte dauern. Harry beschloss, sich ein wenig im Schloss umzusehen. Aber wo? Zuerst zögernd, dann entschlossen lenkte er seine Schritte in Richtung der Untergeschosse. Insgeheim hoffte er, in der Nähe der Slytherin-Räume Albus zu begegnen, obwohl es für diesen Zeit war, schlafen zu gehen. Ein langes Gespräch würde nicht mehr möglich sein, aber so verstört, wie Albus‚ Brief geklungen hatte, wäre es vielleicht gar keine üble Idee, den Jungen wissen zu lassen, dass sein Vater die Vorgänge in Hogwarts aufmerksam verfolgte.

Im tiefsten Untergeschoss angekommen, schlug er den Weg zum Slytherin-Gemeinschaftsraum ein. Er passierte gerade die Einmündung eines Seitengangs, von dem er wusste, dass er nur Besen- und Abstellkammern beherbergte, da bemerkte er aus den Augenwinkeln in diesem Gang ein leichtes Flimmern, dem ein Anderer keine Beachtung geschenkt hätte. Harry jedoch war in seiner Aurorenausbildung darauf geschult worden, auch die kleinste Merkwürdigkeit wahrzunehmen und ihr nachzugehen. Er sah genauer hin: Kein Zweifel, eine Öffnung war in der Mauer entstanden, wo Sekunden zuvor noch keine gewesen war. Ein Raum der Wünsche? Hier im Kerkergeschoss?

Geschützt von seinem Tarnumhang lehnte Harry sich an die Wand, beobachtete, wie ein vielleicht fünfzehnjähriger Schüler zuerst lugend den Kopf heraussteckte, dann aus der Öffnung trat und Anderen ein Zeichen gab, ihm zu folgen. Drei Jungen und ein Mädchen, alle um die sechzehn, folgten dem ersten nacheinander auf den Gang, darunter auch Roy MacAllister, den Harry von den Bildern im Tagespropheten her wiedererkannte. Das mussten diese „Unbestechlichen“ sein, von denen Hermine erzählt hatte. Die Öffnung schloss sich wieder.

Harry grinste. Er ließ sich von Hermine gerne für seine Ermittlungserfolge, seinen Instinkt und seine Findigkeit loben, war sich aber immer klar darüber, dass er oft einfach unverschämt viel Glück gehabt hatte, fast als ob ihm jemand eine Dauerinjektion Felix Felicis verabreicht hätte. Auch heute war sein Glück ihm offenbar treu.

MacAllister zupfte das Mädchen sachte am Hexenumhang und bedeutete ihm dadurch, stehenzubleiben, während die Anderen zügig in Richtung des Gemeinschaftsraums gingen. Als sie sich an der Ecke zum Hauptgang umdrehten, rief er ihnen zu: „Geht schon einmal, wir kommen gleich!“

Während ihre Schritte langsam verklangen, fragte er das Mädchen – zweifellos Arabella Wolfe –, das mit abweisender Miene neben ihm stand: „Was ist eigentlich heute los mit dir? Du ziehst schon den ganzen Tag ein Gesicht, als hätte ich dir etwas getan.“

„Ach“, sagte sie schnippisch, „da du heute Morgen so eine wunderbare Freundschaft begonnen hast, möchte ich dich nicht mehr als nötig mit meiner Gesellschaft belästigen.“

„Wunderbare Freundschaft?“, fragte Roy verdutzt, dann begriff er. „Ach, du hast gehört, was ich heute Morgen zu Patty gesagt habe…“

„Du darfst sie ruhig Patricia nennen, oder geht ihr schon zu den Kosenamen über?“

„Aber Arrie, der Satz mit der wunderbaren Freundschaft ist doch nur eine Redensart…“

„…die außer dir offenbar niemand kennt, schon gar nicht Pattymausi.“

„Jeder kennt sie… OK, jeder in der Muggelwelt kennt sie. Es ist der Schlusssatz eines sehr berühmten Films.“

„Und du glaubst, dass Patricia jemals einen Muggelfilm gesehen hat?“

Roy wirkte verlegen: „Tut mir leid, daran habe ich gar nicht gedacht…“

„Natürlich nicht“, sagte sie zickig, „du warst ja auch viel zu sehr in die Anbetung deiner Veela versunken, um so etwas wie einen Gedanken zu fassen. Vielleicht solltest du deine neue Flamme öfter ins Muggelkino ausführen, damit sie deine Redensarten nicht als Annäherungsversuche missdeutet. Oder soll sie das vielleicht gerade?“

Arabella versuchte sich zu beherrschen, aber ein leichtes Zittern ihrer Lippen verriet, wie verletzt sie war.

„Arrie.“ Roy sah ihr in die Augen. „Es war kein Annäherungsversuch, okay?“

Ihre abweisenden Züge entspannten sich.

„Okay. Was bleibt mir auch übrig? Also nur rein vorsorglich: Lass dich von ihr nicht einwickeln, ich glaube nicht, dass sie dir guttäte. Selbst wenn irgendwann etwas zwischen euch laufen sollte, wird sie dich nie so lieben wie – wie sie sollte. Und jetzt lass uns gehen.“

Sie gingen an Harry vorbei und bogen in den Hauptgang ein. Harry folgte ihnen. Sie schienen es nicht eilig zu haben, zu den Anderen zu kommen. Schließlich sagte Arabella:

„Deine Argumente gegen das Attentat waren nicht gerade durchschlagend.“

Attentat! Harry zuckte zusammen.

„Sie waren durchschlagend, denn sie haben euch überzeugt.“

„Ja, aber nur, weil wir uns überzeugen lassen wollten.“

„Wie auch immer“, brummte Roy, „das Thema ist vom Tisch.“

„Ich frage mich, warum du so argumentiert hast.“ Sie sah ihn an. „Also was deine wirklichen Motive waren.“

„Die habe ich doch lang und breit dargelegt.“ Roy klang ungeduldig.

„Sag mal“, erwiderte Arabella lächelnd, „wie lange sind wir jetzt Freunde?“

„Seit wir in Hogwarts sind, also fünf Jahre.“

„Und du glaubst immer noch, du kannst deine beste Freundin für dumm verkaufen?“

Roy schwieg.

„Könnte es sein“, fragte sie schließlich, „dass du vor allem deshalb dagegen warst, weil du einem gewissen kleinen Jungen nicht mehr ins Gesicht sehen könntest, wenn du gleichzeitig einen Anschlag auf seine geliebte Tante vorbereiten würdest?“

Harry hörte angestrengt zu, um nur ja kein Wort zu verpassen.

Roy errötete leicht. „Das hat damit überhaupt nichts zu tun!“

„Roy, bitte! Kannst du nicht wenigstens dieses eine Mal zu deinen Gefühlen stehen? Es ist wirklich unübersehbar, dass du an dem kleinen Potter einen Narren gefressen hast.“

„Stimmt“, presste er durch die geschlossenen Zähne hindurch. „Aber auf mein Urteil hat das keinen Einfluss, ein Argument ist es jedenfalls nicht.“

Arabella lachte laut auf. „Natürlich nicht! Unser stahlharter Hausintellektueller kann auf keinen Fall zugeben, das sogar für ihn Gefühle Argumente sind!“ Sie kicherte. „Süüüß!“

Dann wurde sie ernst. „Ich sag dir mal was: Das sind die besten Argumente, die es gibt, denn sie bewahren dich davor, vor lauter Logik deine Seele zu zerstören.“

Roy schwieg, während sie weitergingen.

„Wieso eigentlich ausgerechnet Albus?“, fragte sie schließlich. „Ich meine, er ist wirklich liebenswert, aber das sind Andere auch.“

Sie hatten jetzt die Tür zum Gemeinschaftsraum erreicht.

„Habe ich mich auch schon gefragt.“ Roy blickte zu Boden. „Wahrscheinlich, weil er genau so ist, wie ich mir meinen kleinen Bruder wünschen würde, wenn ich einen hätte.“

„Siehst du?“, strahlte sie. „Sogar du kannst zu deinen Gefühlen stehen, und es tut gar nicht weh.“

Und während sie im Gemeinschaftsraum verschwanden, lächelte ein stolzer Vater unter seinem Tarnumhang.

Harry versuchte nicht, ihnen in den Gemeinschaftsraum zu folgen; ein kurzer Blick auf die Karte hatte ihn belehrt, dass McGonagall jetzt wieder allein in ihrem Büro war, und er beeilte sich, zu ihr zu gelangen. Vor der Tür, hinter der die Treppe zu ihrem Büro lag, vergewisserte er sich, dass er allein im Gang stand, nahm den Tarnumhang ab, hob den Zauberstab und murmelte „Accio Büroglocke“. Anders als Hermine war er in den letzten Jahren ein oder zweimal in Hogwarts gewesen und kannte daher den Zugang. Die Tür öffnete sich, und Harry schlüpfte hinein. Am Ende der Treppe stand die Tür bereits offen.

„Guten Abend, Harry, was für eine Überraschung!“

McGonagall zeigte ein Schmunzeln, dass bei ihr ungefähr so viel zu bedeuten hatte wie bei anderen Menschen ein Freudentanz.

„Guten Abend, Professor McGonagall“, sagte Harry und grüßte kopfnickend auch das Portrait von Professor Dumbledore, der ihm lächelnd zuzwinkerte. „Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen, aber ich hatte keine Zeit, mich anzukündigen.“

„Sie kommen niemals ungelegen, Harry, nehmen Sie doch Platz! Wie geht es Ginny?“

„Sie ist sehr beunruhigt. Wir haben heute diesen Brief von Albus bekommen. Beunruhigend sind vor allem die letzten Absätze.“

Harry legte die Rolle auf den Tisch. McGonagall entrollte den Brief, überflog den ersten Teil und las das Ende mit besonderer Aufmerksamkeit. Ihre Miene verdüsterte sich.

„Tja“, sagte sie schließlich, indem sie Harry den Brief zurückreichte, „da kann sich eine Mutter in der Tat Sorgen machen.“

„Sie ist nicht die einzige. Auch die Ministerin ist besorgt, wenn auch aus anderen, teils entgegengesetzten Gründen.“

„Ach ja?“, fragte die Schulleiterin dünnlippig und sah Harry kritisch an.

„Ich bin inoffiziell hier und möchte mir ein persönliches Bild von der Lage in Hogwarts machen. Deshalb wollte ich mit Ihnen sprechen.“

Es wurde ein langes Gespräch. McGonagall schilderte zunächst die Ereignisse des Vortags und erwähnte auch den Streit, den sie beim Mittagessen mit Hermine gehabt hatte, und von dem Harry noch nichts wusste. Er war bestürzt zu hören, dass Hermine der Schulleiterin den Rücktritt nahegelegt hatte.

„Sie hat sich sehr verändert“, sagte McGonagall traurig. „Als sie Ministerin wurde, freute ich mich sehr darüber. Ich war überzeugt, dass es keine Bessere für dieses Amt geben könne. Gestern aber fiel mir es mir schwer, in ihr noch Spuren des idealistischen jungen Mädchens wiederzuerkennen, das ich einmal gekannt habe. Gewiss, es hat schon manchen gegeben, bei dem Idealismus in Fanatismus umschlug, aber bei ihr hätte ich damit nicht gerechnet. Sie war wie ein anderer Mensch.“

„Sie ist jetzt Ministerin und muss bisweilen energisch auftreten“, versuchte Harry sie zu verteidigen.

Harry“, sagte McGonagall mit leisem Tadel, „Sie dürfen Ihrer alten Lehrerin durchaus ein gewisses Unterscheidungsvermögen zutrauen. Dass sie energisch ist, stört mich überhaupt nicht, ich selbst bin es auch. Was mich stört ist, dass sie Meinungsverschiedenheiten mit Feindschaften verwechselt. Eine gewisse Öffnung gegenüber der Muggelwelt – nun, darüber kann man diskutieren. Aber wie soll eine Diskussion stattfinden, wenn sie jeden Andersdenkenden gleich als Todfeind betrachtet? In einem MacAllister, der durchaus stichhaltige Argumente vorgetragen hat, einen Todesser zu sehen, ist doch abenteuerlich und anachronistisch!“

Harry dachte daran, dass Roy und seine Freunde immerhin ein Attentat auf Hermine erwogen haben mussten, sagte aber nichts. Er fragte nur:

„Was für ein Mensch ist MacAllister, und warum ist er so gegen Hermine?“

„Er stammt aus schwierigen Verhältnissen. Nach Hogwarts zu kommen, war für ihn eine Erlösung, genau wie für Sie damals. In der Muggelwelt hätte er kaum Tritt fassen können. Hier hat er festen Boden unter den Füßen gefunden, genau wie Sie. Seine Opposition gegen das Ministerium rührt meines Erachtens daher, dass er fürchtet, diesen festen Boden wieder zu verlieren.“

„Ich verstehe. Und seine Freunde, die sogenannten ‚Unbestechlichen‘?“

„Lestrange opponiert gegen seinen Vater und idealisiert deshalb seine Großeltern, Malagan ist ein Querkopf, Macnair hasst die Regierung, weil sie seine Familie schikaniert“, – Harry errötete leicht –, „und Miss Wolfe ist mit allen befreundet. Das ist sein engster Kreis. Ganz ehrlich, Harry, ein Regime nach Art von Voldemort werden sie schon deshalb nicht anstreben, weil kein Mensch einen Staat errichtet, in dem er selbst nicht leben wollen würde.“

Sie kamen nun auf die Feindseligkeit zwischen den Gryffindors und den anderen Häusern einerseits, den Slytherins andererseits zu sprechen. McGonagall war – zutreffenderweise, wie Harry nun wusste – überzeugt, dass die Ministerin persönlich die Gryffindors aufgehetzt hatte, und bestätigte, dass Albus‚ Schilderung korrekt und nicht etwa übersensibel war. Die Stimmung war wirklich pogromartig gewesen, und die Gryffindors hatten den ganzen Tag über hartnäckig Reibereien anzuzetteln versucht.

Als Harry McGonagalls Büro verließ, war es bereits weit nach Mitternacht.

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