52 – Die Anwerbung

 

Am späten Mittwoch Nachmittag – Roy und Arabella nahmen nur wenige Meilen entfernt gerade ihre Hochzeitsgäste in Empfang – apparierte ein Geheimauror des Amtes für Magische Sicherheit mit einem Hogwarts-Schüler im Ministerium und führte ihn ins Büro seines Chefs.

„Setzen Sie sich, Wilkinson“, befahl Anderson, während der Auror sich entfernte und die Tür des Büros hinter sich schloss. Vor Anderson lag der Brief, den Wilkinson am Samstag an die Ministerin geschickt hatte.

„Ihre Informationen sind hochinteressant“, begann Anderson das Verhör, „aber wäre es nicht näherliegend gewesen, zuerst Ihren Lehrer Mister Barclay zu informieren, von dem Sie ja wissen, dass er aus der Aurorenabteilung kommt, und der eine solche Information sicherlich weitergeleitet hätte?“

„Mit Verlaub, Sir“, erwiderte Wilkinson, der rot anlief, „Professor Barclay ist nicht zuständig, und außerdem, nun ja…“ Er zögerte.

„Ja?“, fragte Anderson forschend.

„Ich habe Zweifel an seiner Loyalität der Ministerin gegenüber. So richtig begeistert scheint er von ihrer Politik nicht zu sein. Zum Fall Potter hat er sich gar nicht geäußert, obwohl ich ihn im Unterricht mehrfach zur Sprache gebracht habe.“

„Interessant“, murmelte Anderson, „sehr interessant…“

Er sah Wilkinson einen Moment nachdenklich an, ohne dass dieser ihm hätte ansehen können, was hinter seiner Stirn vorging.

„Sie haben richtig gehandelt“, sagte er schließlich. „Barclay ist ein korrekter Kollege, aber er hat nicht das rechte Verständnis dafür, dass ungewöhnliche Zeiten ungewöhnliche Maßnahmen erfordern.“

Wilkinson atmete auf, aber Anderson verunsicherte ihn gleich wieder: „Wenn es Ihnen aber um die Zuständigkeit gegangen wäre, hätten Sie sich an mich wenden müssen, nicht an die Ministerin.“

Wilkinson errötete wieder.

„Entschuldigen Sie bitte, Sir. Ich dachte, es würde die Ministerin interessieren…“

Da er nicht so recht wusste, wie er fortfahren sollte, führte Anderson den Satz zu Ende:

„…wer ihre wirklich loyalen Anhänger in Hogwarts sind und wem sie zu Dank verpflichtet ist. Wollten Sie das sagen?“

„Sir, ich stelle mich uneigennützig in den Dienst der Sache und …“

„Schon gut, Wilkinson, es interessiert die Ministerin tatsächlich. Sie hat Ihren Brief persönlich gelesen und lässt Ihnen ausrichten, dass sie sich Ihren Namen merken wird.“

Wilkinson strahlte.

„Nun aber zur Sache. Erzählen Sie mir noch einmal in allen Einzelheiten, was Sie gesehen und gehört haben.“

Wilkinson erstattete ausführlich Bericht, wobei Anderson, der alles ganz genau wissen wollte, ihn mit häufigen Zwischenfragen unterbrach.

„Was war das für eine Karte“, fragte er zum Abschluss, „auf die MacAllister geschaut hat, bevor sie den Raum der Wünsche verließen?“

„Eine seltsame Karte, Sir. Sie schien mehrfach faltbar zu sein. Der Teil, den MacAllister aufgeschlagen hatte, schien einen Grundriss des siebten Stocks zu enthalten. Auf der Karte bewegte sich etwas, und anscheinend konnte man darauf sehen, wer sich wo befindet.“

„Und Sie sind ganz sicher, Wilkinson“, wechselte Anderson das Thema, „dass erwähnt wurde, dass sogar der kleine Potter den Patronuszauber beherrscht?“

„Hundertprozentig, Sir.“

„Wurde darüber gesprochen, von wem er ihn gelernt hat?“

„Nein, aber wenn ich eine Vermutung äußern dürfte: Ich nehme an, von MacAllister. Er gilt als hochbegabt.“

„Möglich“, bestätigte der Geheimdienstchef. „Wenn ich aber bedenke, wie versessen die Unbestechlichen darauf sind, Potter freizubekommen, dann frage ich mich, ob sie nicht selbst Teil von Potters Verschwörung sind und den Patronus vielleicht von ihm gelernt haben.“

„Glauben Sie?“, fragte Wilkinson aufgeregt.

„Ein Auror glaubt nichts, junger Mann, er bewertet Indizien“, belehrte ihn Anderson. „Aber diese Indizien fügen sich zu einer Kette. Diese Arbeitsgemeinschaft angeblich zur Verteidigung gegen die dunklen Künste kam mir schon immer merkwürdig vor, und die Karte, die Sie gesehen haben, kann nur die Karte des Rumtreibers gewesen sein. Seit ich Potter kenne, und ich kenne ihn schon lange, hat er sie immer wie einen Talisman mit sich geführt, obwohl er sie längst nicht mehr brauchte. Wenn er dieses Heiligtum den Unbestechlichen oder auch nur seinem Sohn Albus anvertraut hat – warum Albus und nicht seinem erstgeborenen Sohn James? –, müssen sie mit ihm unter einer Decke stecken.“

„Sie meinen also, Potter war kein Einzeltäter?“

„Er behauptet es zu sein und hat plausibel gemacht, dass außer ihm keiner von seinen Plänen wusste. Wir konnten ihm nichts Gegenteiliges nachweisen. Trotzdem sagt mir mein Instinkt, dass ein so weitreichendes Unternehmen nicht von einem einzigen Mann geplant und durchgeführt worden sein kann, zumal seit seiner Verhaftung immer häufiger Hinweise auftauchen, dass eine weitverzweigte Verschwörung im Gange ist, die mit Potters Verhaftung erst so richtig in Schwung zu kommen scheint – eine Verschwörung zum Sturz, vielleicht sogar zur Ermordung der Ministerin.“

„Bei Merlins Bart“, flüsterte Wilkinson entsetzt.

„Diese Verschwörung beschränkt sich nicht auf Hogwarts, aber dort dürfte sich ein wichtiger Knoten dieses Netzes befinden. Sie verstehen, dass ich einen absolut loyalen und zuverlässigen Mann vor Ort brauche?“

„Selbstverständlich, Sir, und ich stehe Ihnen zur Verfügung.“

„Das wollte ich hören, Wilkinson. Hier, unterschreiben Sie dies hier.“

Anderson schob ihm einen Bogen Pergament hinüber. Es enthielt eine auf Wilkinsons Namen ausgestellte Selbstverpflichtung zum bedingungslosen Gehorsam gegenüber den Anweisungen des Amtes für Magische Sicherheit.

„Das geht aber sehr weit, Sir…“ murmelte Wilkinson betroffen.

„Es geht weit“, erwiderte Anderson gleichmütig, „aber nicht weiter als das, was Sie in Ihrem Brief versprochen haben. Nun müssen Sie zeigen, ob das nur Gerede war, oder ob Sie es ernst meinen.“

So am Portepee gepackt, konnte Wilkinson nicht anders. Er unterschrieb.

„Gut“, nahm Anderson die Erklärung zufrieden entgegen. „Kommen wir nun zu Ihrem Auftrag. Sie werden die Verdächtigen beschatten, wobei MacAllister die Zielperson Nummer eins ist.“

Wilkinson nickte heftig.

„Ich gehe davon aus“, fuhr Anderson fort, „dass er der Kopf der Verschwörung ist, soweit es Hogwarts betrifft. An und für sich würde das, was Sie mir berichtet haben, ohne Weiteres ausreichen, die Unbestechlichen, Victoire Weasley und James Potter zu verhaften. Da wir aber wissen, dass mindestens ein Dutzend Personen, wahrscheinlich aber mehr, an der Gefangenenbefreiung beteiligt sein sollen, müssen wir wissen, wer die anderen sind. Ihr Auftrag lautet, dies herauszufinden.“

„Jawoll!“

Anderson schmunzelte ob der strammen Antwort, wurde aber sogleich wieder ernst:

„Wir haben nun zwei Probleme: Sie haben in Ihrem Brief zutreffend darauf aufmerksam gemacht, dass eine wirksame Beschattung gerade bei konspirativen Treffen daran scheitert, dass die Zielpersonen den Caloratezauber verwenden. Auch abseits solcher Treffen dürfte ein Unsichtbarkeitszauber kaum ausreichen. Wenn Sie die Zielpersonen in der Großen Halle, im Slytherin-Gemeinschaftsraum oder wo auch immer belauschen, befinden Sie sich inmitten anderer Schüler. Es lässt sich kaum vermeiden, dass Sie mit irgendjemandem zusammenstoßen, und dann fliegt Ihre Tarnung auf. Diese Probleme sind aber im Prinzip lösbar: Sie werden die Zielpersonen als Animagus beschatten.“

Wilkinson runzelte die Stirn. „Ja, aber Sir, die werden doch bestimmt misstrauisch, wenn ihnen eine Katze, ein Hund oder auch nur eine Maus auf den Fersen bleibt.“

„An solche Tiere hatte ich in der Tat auch nicht gedacht. Sie müssen sich in ein kleineres, unauffälligeres Tier verwandeln.“

„Unauffälliger als eine Maus?“, fragte Wilkinson zweifelnd.

„Eine Stubenfliege.“

„Igitt! Muss das sein?“

„Haben Sie einen besseren Vorschlag?“

„Äh, nein, aber… es ist nicht nur unappetitlich, sondern auch gefährlich. Jede Fliegenklatsche kann mir den Garaus machen.“

„Sie sollten sich auch hüten, Ihren Zielpersonen auf die Nerven zu gehen, Ihr Auftrag lautet ja gerade, sie unbemerkt zu belauschen. Im Übrigen hat Harry Potter schon mehr als einen Auror als Fliege losgeschickt, und sie sind alle zurückgekommen, falls Sie das beruhigt. Ungefährlich ist es natürlich nicht, aber Sie haben sich hoffentlich nicht eingebildet, Agententätigkeit sei ungefährlich, oder?“

„Gewiss nicht, aber…“

„Und Sie haben in Ihrem Brief von sich aus geschrieben, dass Sie bereit sind, jede Gefahr auf sich zu nehmen. Niemand hat Sie gezwungen, uns das zu versprechen, aber die Ministerin vertraut auf ihr Wort, und sagt, dass sie sehr froh ist, dass es Menschen wie Sie gibt.“

Für Wilkinson war es eine innere Kaiserparade. Sein Idol, die Sonne an seinem Firmament, Zaubereiministerin Hermine Granger-Weasley höchstselbst hatte nicht nur seine Existenz zur Kenntnis genommen und seinen Brief gelesen, sie zählte auf ihn, sie vertraute auf ihn persönlich!

„Hat sie das wirklich gesagt?“

So etwas konnte man nicht oft genug bestätigt bekommen!

„Gewiss. Aber wenn Sie möchten, können Sie es auch gerne von ihr selbst hören.“

Nun rutschte ihm doch das Herz in die Hose.

„Sie meinen, die Ministerin würde mich empfangen? Ehrlich?“

Anderson schmunzelte. „Ehrlich. Sie legt sogar Wert darauf und hat mich nur gebeten, Ihnen vorher auf den Zahn zu fühlen. Da Sie Ihre Prüfung bestanden haben, steht einer Audienz nichts im Wege. Kommen Sie!“

Anderson führte ihn ins Vorzimmer der Ministerin. Es war schon fast halb sieben, aber Percy Weasley war immer noch auf seinem Posten.

„Können wir?“, fragte Anderson.

Percy nickte. „Nur zu, Sie werden erwartet!“

Anderson klopfte, und auf Hermines „Herein“ hin ließ er Wilkinson, der kaum zu atmen wagte, den Vortritt.

Hermine kam ihm entgegen, drückte ihm lange die Hand, sah ihm tief in die Augen und lächelte.

„Schön, dass Sie da sind, und schade, dass wir nicht schon bei meinem Besuch in Hogwarts miteinander sprechen konnten, aber Sie haben ja selbst erlebt, dass ich damals alle Hände voll zu tun hatte.“

Wilkinson wusste gar nicht, was er sagen sollte, so hinreißend fand er sie. Wie schön sie ist!

„Äh… ja natürlich“, stotterte er, „der Tag war sehr turbulent, ich selbst bin bei der Auseinandersetzung mit MacAllister verletzt worden.“

„Ach, Sie waren das?“, strahlte sie. „Dann freut es mich umso mehr, dass ich endlich die Gelegenheit habe, Ihnen von Herzen zu danken!“

Während Wilkinson dahinschmolz, wandte sie sich kurz an Anderson und fragte geschäftsmäßig: „Die Herren sind sich so weit einig geworden?“

„Im Prinzip ja, es sind nur noch Details seines Auftrags zu klären.“

„Gut, dann lassen Sie uns jetzt bitte allein, ich schicke ihn nachher wieder zu Ihnen rüber.“

Anderson verließ den Raum. Hermine bat Wilkinson, der sein Glück kaum fassen konnte, mit einer Geste, auf dem Sofa der Sitzecke Platz zu nehmen, und setzte sich neben ihn.

„Frau Ministerin…“

„Nicht doch! Hermine!“

Wilkinson lief vor Aufregung rot an. „Hermine, es ist mir eine große Ehre…“

„Die Ehre ist ganz auf meiner Seite“, erwiderte Hermine liebenswürdig, als sie merkte, dass er kein Wort mehr herausbrachte. „Und ich habe in letzter Zeit nur selten die Ehre, jemanden kennenzulernen, der nicht nur loyal, sondern auch mutig und tatkräftig ist.“

Er war Wachs in ihren Händen, und sie begann nach Kräften zu kneten. Sie seufzte.

„Es gibt fast niemanden, auf den ich mich verlassen kann, hier im Ministerium sind es unter Hunderten von Mitarbeitern nur zwei, Sie haben sie eben kenngelernt: Anderson und meinen Schwager Percy Weasley. Alle anderen – vom Abteilungsleiter abwärts – spinnen Fäden, um mich zu Fall zu bringen. Nicht offen, natürlich, heimlich. Der Verrat lauert überall, und am Schlimmsten ist es in meinem persönlichen Umfeld. Mein bester Freund – jedenfalls hielt ich ihn dafür – versucht, gegen mich zu putschen, mein Mann fällt mir in den Rücken, meine Tochter weigert sich, mich zu unterstützen, mein Neffe Albus hat die Seiten gewechselt und ist jetzt bei diesen sogenannten“ – Ekel schwang in Ihrer Stimme – „‚Unbestechlichen‘, und was seinen Bruder James und meine Nichte Victoire angeht, so hat Ihr Brief mir die Augen geöffnet. Rupert, ich stehe ganz allein.“

Den letzten Satz hatte sie leise und mit einem angedeuteten Zittern in der Stimme gesprochen.

Rupert warf sich in die Brust. „Hermine, auf mich können Sie sich immer verlassen! Ich schwöre es Ihnen!“

Hermine schenkte ihm ein dankbares Lächeln.

„Ich weiß, Rupert. Jetzt, wo ich Sie kennengelernt habe, bin ich sicher, dass Sie den Verrätern keine Chance lassen werden, soweit es von Ihnen abhängt. Sie wissen aber, dass Sie sich in große Gefahr begeben?“, fragte sie besorgt.

„Das ist mir klar, und es ist mir gleich!“, rief Wilkinson stolz, und er meinte es so. Für Hermine würde er sich auch den Fliegenklatschen aussetzen. „Für Sie tue ich alles! Niemand darf Ihnen ein Haar krümmen, niemand darf Ihre historische Mission sabotieren! Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht!“

„Ich bin stolz darauf, von Menschen wie Ihnen unterstützt zu werden“, lobte ihn die Ministerin, woraufhin Wilkinson wieder rot anlief. „Sie sagen es ganz richtig: Es ist eine historische Mission, und Sie spielen darin trotz Ihrer Jugend eine wichtige Rolle. Wie wichtig, sehen Sie daran, dass Anderson persönlich Ihr Führungsoffizier sein wird. Sie werden jeden seiner Befehle befolgen, als ob er von mir selbst käme, und ich werde ihn anweisen, mich über Alles, was Sie tun, auf dem Laufenden zu halten.“

„Ich werde Sie nicht enttäuschen, Hermine!“

„Ich weiß, und es ist beruhigend, das zu wissen“, sagte sie lächelnd. Sie stand auf und gab ihm damit zu verstehen, dass die Audienz beendet war. „Dann muss ich Sie jetzt wieder Ihrem Führungsoffizier übergeben. Viel Glück!“

Sie reichten einander die Hände, wobei Wilkinson sich tief verbeugte. Ganz in dem erhebenden Bewusstsein, als edler Ritter in schimmernder Rüstung für seine Königin in die Schlacht zu ziehen, schwebte er zur Tür hinaus.

Hermine grinste.

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