51 – Ein Ende und ein Anfang

 

Am folgenden Dienstag war Roy in seinem Glück so milde gestimmt, dass er nicht einmal das Bedürfnis verspürte, seine Muggelkundelehrerin zu triezen – nur einmal, als sie von Hubschraubern schwärmte, warf er ein sarkastisches „Versuchen Sie mal, mit den Dingern Quidditch zu spielen“ ein, für seine Verhältnisse ein ungewöhnlich sanfter Spott. Ansonsten nahmen er und Arabella von Richardsons Unterricht nicht allzu viel Notiz. Sie turtelten leise und unauffällig miteinander, und sofern Richardson es überhaupt bemerkte, ließ sie sie gewähren. Alles war ihr lieber, als wenn Roy sich am Unterricht beteiligte.

„Weißt du eigentlich, dass ich dich sehr liebe?“, flüsterte er in Arabellas Ohr.

Sie grinste vergnügt und flüsterte zurück: „Du hast mir keine Chance gelassen, es zu ignorieren, mein Bär.“

Er hielt unter der Bank ihre Hand und sah nicht ohne Stolz auf den zierlichen smaragdbesetzten goldenen Ring, den er ihr gestern zu ihrem siebzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Er hatte ihn fast seine ganzen Ersparnisse aus vier Jahren Ferienjobs gekostet, aber das war ihm egal – für Arabella musste es Gold sein!

Ihre Freunde, mit denen sie sonst zusammen ihre Geburtstage zu feiern pflegten, hatten nur verständnisvoll gelächelt, als Arabella ihnen eröffnete, dass sie diesmal den Abend mit Roy allein verbringen wollte. Roy hatte die Hauselfen gebeten, ein Dinner für sie beide in den Raum der Wünsche zu zaubern, und die hilfreichen Elfen hatten ganze Arbeit geleistet: Der Raum der Wünsche war ganz in romantisches Licht getaucht, und die Speisen wären eines erstklassigen Gourmet-Tempels würdig gewesen. Die beiden blieben die ganze Nacht dort.

Die Welt konnte so schön sein, dass man sogar Richardson ertragen konnte. Im Grunde, dachte Roy, meint sie es auf ihre Weise ja auch nur gut.

Das Glück fand ein jähes Ende.

Als es klopfte, McGonagall in der Tür des Klassenzimmers erschien und ihn behutsam und mit ernster Miene bat, „Mister MacAllister, würden Sie bitte einmal kommen?“, wusste er, was geschehen war.

„Komm bitte mit“, flüsterte er seiner Freundin zu. Unter den betroffenen Blicken ihrer Mitschüler verließen die beiden den Klassenraum. McGonagall wartete, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatten. Roy hielt sich an Arabellas Hand fest.

„Ich habe heute über unsere Muggelpost-Kontaktstelle einen Brief von einem gewissen Pater Matthew erhalten. Roy, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Mutter vorgestern Abend verstorben ist.“

Roy antwortete zunächst nicht, er starrte der Schulleiterin nur ins Gesicht. Es war nicht wirklich ein Schock, er hatte es kommen sehen und Pater Matthew gebeten, hin und wieder nach seiner Mutter zu sehen, damit es jemanden gab, mit dem sie reden konnte, solange sie noch am Leben war. Trotzdem hatte McGonagalls Mitteilung etwas unfassbar Endgültiges.

„Danke“, sagte er schließlich. „Dann sollte ich jetzt wohl nach London fahren?“

McGonagall nickte. „Der Pater bittet Sie, in sein Kloster zu kommen, er hat, Ihr Einverständnis voraussetzend, die Überführung des Leichnams dorthin veranlasst und bietet Ihnen an, Ihre Mutter auf dem Klosterfriedhof beisetzen zu lassen.“ Sie reichte Roy den Brief.

„Wie lange geben Sie mir frei?“

„Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie sie brauchen.“

„Darf ich Arabella mitnehmen?“

McGonagall zögerte kurz und sagte dann zu Arabella: „Sie sind eine gute Schülerin, Miss Wolfe, ein paar Tage Unterrichtsausfall werden sie wohl verkraften. Also ja.“

„Ich kümmere mich darum, dass unsere Freunde für uns mitschreiben und uns die Unterrichtsmaterialien mitbringen“, antwortete Arabella.

„Falls ich noch etwas für Sie tun kann, Roy…“ Roy schüttelte den Kopf. „Falls doch, wenden Sie sich einfach jederzeit an mich. Sie finden mich in meinem Büro.“

Als sie beiden die Hand schüttelte, raunte sie Arabella zu: „Passen Sie gut auf ihn auf, ich verlasse mich auf Sie.“ Dann drehte sie sich um und kehrte zu ihrem Büro zurück. Die Schulglocke verkündete das Ende der Unterrichtsstunde.

Ihre Mitschüler kamen aus dem Klassenraum. Sie hatten schon geahnt, was passiert war. Als Roy es bestätigte, umarmte ihn Julian.

„Das tut mir so furchtbar leid für dich, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“

„Weiß ich auch nicht“, erwiderte Roy leise, „es ist einfach gut, dass du da bist.“

Nun traten auch die anderen Sechstklässler der Slytherins und Ravenclaws zu ihm und sprachen ihm ihr Beileid aus, sogar Richardson kondolierte. Als letzte kam Patricia. In Ihren Augen standen Tränen, aber sie wirkte auch ein wenig befangen und verunsichert. Erst als Arabella ihr fast unmerklich zunickte, traute sie sich, Roy in den Arm zu nehmen.

„Danke“, sagte er tonlos, und dann laut zu den Anderen, die immer noch um ihn herumstanden: „Macht, dass ihr in euren Unterricht kommt. In ein paar Tagen bin ich wieder da.“

Arabella nahm noch kurz Julian zur Seite und bat ihn, für die Unterrichtsaufzeichnungen zu sorgen und den Patronusunterricht für James und Victoire nicht zu vergessen.

Als die Anderen gegangen waren und sie mit Roy wieder allein im Schulkorridor stand, sagte sie nur: „Gehen wir.“

Schweigend schlugen sie den Weg zu den Slytherin-Räumen ein. Kurz bevor sie den Gemeinschaftsraum erreichten, blieb Roy stehen und blickte trübsinnig zu Boden:

„Sie war meine einzige Verwandte, jedenfalls die einzige, von der ich weiß. Ich habe keine Familie mehr, überhaupt keine Blutsverwandten.“

Arabella legte ihre Arme um seinen Hals, streichelte sein Haar und meinte trocken:

„Das lässt sich ändern.“

Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, wovon sie sprach, dann zog er sie noch enger an sich und flüsterte:

„Aber nur mit dir. Keine Andere darf und wird die Mutter meiner Kinder werden.“

„Kein Anderer der Vater meiner Kinder“, flüsterte sie zurück.

Ihr Körper fühlte sich so gut an…

„Mein Gott, wie pietätlos!“, sagte er schließlich. „Gerade ist meine Mutter gestorben, und wir denken hier ans Kindermachen!“

„Das ist nicht pietätlos, mein Bärchen. Das ist das Leben, das sich gegen den Tod auflehnt.“ Sie schwiegen eine Weile, dann flüsterte sie: „Mit dem Tod deiner Mutter ist etwas zu Ende gegangen. Du wirst einen neuen Anfang setzen.“

Sie löste sich sanft aus der Umarmung und lächelte. „Aber nicht sofort.“

 

Das alte Klostergemäuer, das mit seinen Bögen und Kreuzgewölben von innen ein wenig an Hogwarts erinnerte, und die Benediktinermönche in ihrem schwarzen Habit wirkten auf Arabella weitaus weniger fremdartig, als sie befürchtet hatte. Im Grunde, fand sie, passten sie und Roy in ihren schwarzen Hogwarts-Umhängen sogar recht gut hierher. Die Welt der Kirche und die magische Welt hatten offenbar Einiges gemeinsam: den ernsten Stil, die Verwurzelung in uralten Traditionen, die souveräne Verachtung einer Muggelwelt, die sich umso freier fühlt, je schneller die Moden wechseln, sich umso aufgeklärter dünkt, je mehr sie von der Manipulation des Menschen und je weniger sie vom Menschen selbst versteht, und die umso mehr Zukunft zu haben glaubt, je weniger sie ihre eigene Vergangenheit achtet.

Arabella, die reinblütige Hexe, hatte sich immer schwergetan zu begreifen, warum ein Zauberer wie Roy sich ausgerechnet zum Christentum, und dann noch in dessen kompromisslosester Form, hingezogen hatte fühlen und einen Priester als Vaterersatz hatte wählen können. Er hatte es ihr zwar zu erklären versucht, trotzdem war sie nie den Verdacht losgeworden, er habe wohl einfach keine andere Wahl gehabt. Als sie nun aber selbst an seiner Seite durch die Gänge des uralten Klostergebäudes ging, verstand sie, wie gut dies zu ihm – und nicht nur zu ihm – passte. Sie selbst, Roy und diese Mönche – sie alle waren lebendes Mittelalter, Verkörperungen nicht etwa der Rückständigkeit, sondern der Dauer.

Eines Tages, dachte sie, wenn all diese Grangers und Wildfellows mitsamt ihren größenwahnsinnigen Plänen nur noch ein schauriges Gerücht aus ferner Vergangenheit sein werden, wird Hogwarts immer noch stehen, wird der Sprechende Hut immer noch seines Amtes walten, und werden diese Mönche immer noch nach ihren jahrtausendealten Regeln leben. Hermine hat keine Chance. Sie hat unglaublich viel gelesen, und doch weiß sie buchstäblich nichts!

Sie dachte es mit Genugtuung.

Pater Matthew führte sie in einen Seitenraum der Klosterkapelle, in dem der Leichnam von Pamela MacAllister aufgebahrt war. Auf Ihrer Brust lag der ewige Blumenstrauß, den Roy ihr zu Weihnachten geschenkt hatte.

„Danke, Pater.“

Roy sah lange ins Gesicht seiner toten Mutter, dann küsste er sie.

„Haben Sie noch mit ihr sprechen können?“, fragte er den Priester.

„Ja“, sagte Matthew, „sie hat sich schwere Vorwürfe gemacht, Ihnen keine gute Mutter gewesen zu sein.“

Roy atmete durch. Bezwing dich, du bist ein Slytherin.

„Ich habe ihr doch gesagt, dass sie sich keine Vorwürfe zu machen braucht. Ich hoffe, Sie auch?“

„Ich habe ihr gesagt, dass sie Alles getan hat, was in ihrer Macht stand. Ich habe ihr gesagt, dass Sie es wissen, und dass auch unser Herr es weiß.“

Bezwing dich, du bist ein Slytherin!

„Haben Sie ihr die Sakramente gespendet?“

„Selbstverständlich. – Ich weiß, dass man es Ihnen sagen kann, ohne dass Sie es als billigen Trostspruch auffassen: Ohne der Entscheidung Gottes vorgreifen zu wollen, bin ich überzeugt, dass sie es dort, wo sie jetzt ist, besser hat als hier.“

Bezwing dich, du bist ein Slytherin!!!

„Wann findet die Beerdigung statt?“

„Sobald ich die Totenmesse gelesen habe – und dann, wann immer Sie wünschen. Möchten Sie noch Angehörige einladen?“

„Wir haben keine Angehörigen.“

„Das Letzte, was sie zu mir gesagt hat, und damit wahrscheinlich das Letzte, was sie überhaupt gesagt hat, war, dass Sie froh ist, dass Sie das richtige Mädchen gefunden haben, und dass sie noch gerne Ihre Braut kennenlernen würde…“

Bezwing dich, du bist ein Slytherin!!!!

„Arrie, nimm bitte ihr Hand!“

Arabella nahm die kalte rechte Hand der Toten, beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte: „Danke. Danke für ihn.“

„Schließen Sie bitte den Sarg, Pater.“ Während er sprach, starrte Roy geradeaus, wie in Trance. „Lesen Sie die Totenmesse, dann beerdigen wir sie möglichst nah bei Pater Patrick. Und danke, dass Sie den Klosterfriedhof zur Verfügung stellen, ich weiß schon, dass es nicht üblich ist. Ach ja, und ich wäre Ihren Brüdern dankbar, wenn sie an der Beerdigung teilnehmen würden. Danach werden Arabella und ich nach London zurückkehren, um in der Wohnung meiner Mutter zu übernachten. Wir kommen morgen wieder, ich nehme an, dass es Formalitäten zu erledigen gibt?“

„In der Tat“, sagte Matthew. „Und ich schlage vor, dass Sie gleich hier bei uns übernachten.“

„Pater“, sagte Roy, immer noch in eine imaginäre Ferne starrend, „ich möchte Arabella heute Nacht bei mir haben, und ich möchte Ihr Gewissen nicht damit belasten, uns als unverheiratetem Paar…“

„Machen Sie sich um mein Gewissen mal keine Gedanken, Roy“, unterbrach ihn der Priester, „ich habe nicht das Gefühl, dass Sie heute der Sünde frönen werden. Selbstverständlich haben wir ein Zimmer für Sie beide.“

Während der Totenmesse und während der Beisetzung, an der in der Tat alle Mönche des Klosters teilnahmen, hielt Roy sich noch an Arabellas Hand und an seinem Mantra „Bezwing dich, du bist ein Slytherin!“, fest.

Als er endlich mit ihr allein war, bezwang er sich nicht mehr.

 

Am nächsten Morgen saßen sie bei Matthew im Büro.

„Da Sie minderjährig sind und keine Angehörigen haben, Roy, wird ein Amtsvormund für Sie bestellt werden müssen…“

„Darf ich mir den aussuchen?“, fragte Roy dazwischen.

„Sie können es nicht allein entscheiden“, antwortete der Priester. „Aber im Allgemeinen berücksichtigen die Behörden den Wunsch des Mündels.“

„Dann möchte ich, dass Sie es sind.“

Der Priester lächelte. „Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, es ist mir eine große Ehre. Schreiben Sie einen formlosen Brief ans Amt, eventuell wird man Sie noch einmal persönlich befragen, aber wahrscheinlich sogar darauf verzichten. Geistliche sind bei den Behörden gern gesehene Vormünder. Gibt es sonst noch etwas, was ich für Sie tun kann?“

„Ja, Pater“, antwortete Arabella für ihn, „wir wollen heiraten.“

Sie hatten es in der Nacht besprochen.

„Das weiß ich“, antwortete Pater Matthew lächelnd. „Wann soll es denn so weit sein?“

„Heute.“

Dem Pater fiel die Kinnlade herunter. „Heute?“

Dann schmunzelte er. „Sie können es wohl überhaupt nicht erwarten, was?“

Arabella lief rosa an, sagte aber mit fester Stimme: „Darum geht es nicht. Wir beide planen mit unseren Freunden ein wichtiges und notwendiges, aber sehr gefährliches Unternehmen, und zwar sehr bald. Falls einem von uns dabei etwas zustößt, möchte ich nicht nur seine Freundin gewesen sein.“

Der Pater wurde ernst. „Ich verstehe. Nun, da Sie, Arabella, keine Katholikin und nicht einmal Christin sind, müssen wir Dispens einholen…“

„Müssen wir nicht. Sie werden mich taufen!“

Zum zweiten Mal war Matthew verblüfft. Roy grinste. Er liebte die Art, wie Arabella Dinge in die Hand nahm. Seit sie ein Paar waren, war von ihrer früheren Schüchternheit und Unsicherheit kaum noch etwas übrig.

„Arabella, ich werde Ihnen die Taufe selbstverständlich nicht verweigern, wenn Sie sie verlangen, aber bedenken Sie: Die Kirche ist nicht irgendein Verein, und die Taufe ist kein Mittel zum Zweck…“

„Das ist mir vollkommen klar“, entgegnete Arabella.

„Ja aber… wissen Sie denn irgendetwas über unseren Glauben?“

„O ja“, sagte Arabella. „Ich weiß, dass es Roys Glaube ist. Und ich weiß, dass es der Glaube von Pater Patrick war, der diesen wundervollen Menschen herangezogen hat. Glauben heißt nicht Wissen, sondern Vertrauen. Sie werden nie beweisen können, dass Ihr Glaube wahr ist. Aber ich habe jeden Grund, darauf zu vertrauen, dass er etwas Gutes und, weil etwas Unwahres nicht gut sein kann, auch wahr ist.“

„Für eine Hexe sind Sie der Kirche gegenüber erstaunlich vorurteilsfrei.“

Arabella grinste. „Sagen wir, ich bin nicht nachtragend.“

Alle drei lachten.

„Nun gut“, meinte der Priester, „es ist zwar ungewöhnlich, aber nicht unmöglich, Taufe, Erstkommunion und Firmung an einem einzigen Tag stattfinden zu lassen. Ich müsste mich in meiner Katechese natürlich aufs Allernötigste beschränken…“ Er seufzte. „Eigentlich sollte es so nicht sein, aber ich verstehe die Dringlichkeit, die die Eheschließung für Sie hat. Also machen wir Nägel mit Köpfen: Heute um 6 Uhr abends findet der Traugottesdienst statt. Ich fürchte nur, dass wir hier keine geeigneten Räume für Ihre Feier haben, und Sie möchten doch sicher feiern?“

„Sicher, aber in Hogwarts gibt es Räume genug, und ein Festmahl auf die Beine zu stellen, sollte dort auch nicht schwierig sein“, antwortete Roy.

„Und wie viele Gäste dürfen wir zur Messe erwarten?“

Roy und Arabella sahen sich an.

„Die Unbestechlichen – vier“, sagte er.

„Meine Mutter – hoffentlich kommt sie – und meine Großeltern“, fügte Arabella hinzu. „Sieben“.

Ginny.“

McGonagall“, ergänzte sie abschließend. „Neun Personen, Pater.“

„Dafür sollte unsere Kapelle groß genug sein“, schmunzelte Matthew. „Aber schaffen die denn alle neun bis heute Abend die Anreise? Und können Sie sie rechtzeitig benachrichtigen?“

„Kein Problem“, grinste nun Roy und zog seinen Zauberstab.

„Expecto Patronum!“

Der Pater staunte nicht schlecht, als ein großer Bär aus silbernem Licht aus dem Zauberstab sprang, Roys Botschaft an McGonagall, Ginny und die Unbestechlichen entgegennahm und sogleich verschwand. Arabella schickte ihre Wölfin zu ihrer Mutter und Ihren Großeltern.

„Erstaunlich“, murmelte Pater Matthew, „wirklich erstaunlich.“

„Eigentlich dürften wir Ihnen das gar nicht zeigen – aus Geheimhaltungsgründen“, sagte Roy.

„Und warum tun sie es trotzdem?“

„Weil man es Ihnen nicht glauben würde. Wenn Sie morgen öffentlich verkünden, dass es Zauberei gibt…“

„…wird in allen Zeitungen stehen, dass ich ein mittelalterliches Fossil und ein starrsinniger, rückständiger alter Narr bin, und mein Bischof wird sich in Talkshows winden und sich dafür entschuldigen, dass es mich überhaupt gibt. Ich verstehe.“ Matthew lächelte. „Gut, ich werde nun einige Vorbereitungen treffen. Wir sehen uns wieder in einer Stunde zur Katechese für Miss Wolfe.“

 

Roy und Arabella gingen Hand in Hand über den Klosterfriedhof. Die Gräber von Patrick und Roys Mutter, nur zwei Parzellen voneinander entfernt, fielen durch die beiden ewigen Blumensträuße, die dem kalten Januarwetter trotzten, besonders ins Auge. Roy legte seinen Arm um Arabellas Schulter.

„Dir darf einfach nichts passieren, hörst du?“, flüsterte er ihr zu. „Ich könnte es nicht mehr ertragen, ohne dich zu leben.“

„Glaubst du vielleicht, ich könnte ohne dich leben? Im Gegensatz zu dir weiß ich schon sehr lange, dass wir füreinander bestimmt sind. Ich hatte nur Angst, du würdest es womöglich nie begreifen!“

„Ich wusste es im Grunde auch, ich wollte es nur nicht wahrhaben. Wahrscheinlich habe ich mit Patricia nur deshalb geliebäugelt, weil sie mir viel weniger bedeutet: Ich mag sie, aber gebraucht, wie ich dich brauche, hätte ich sie nicht.“

 

Gegen halb sechs apparierten die Gäste kurz nacheinander unter den verblüfften Blicken der Mönche, denen das Schauspiel eines aus dem Nichts auftauchenden Menschen naturgemäß fremd war. Als Letzte, als wolle sie noch einmal ihren Protest zu Protokoll geben, apparierte Arabellas Mutter, die sich dann aber doch einen Ruck gab und ihren künftigen Schwiegersohn umarmte.

Da bis zur Messe noch ein wenig Zeit war, ließ Pater Matthew als Abt es sich nicht nehmen, die Gäste durch das kleine, aber geschichtsträchtige Kloster zu führen, wobei er ein bisschen wie ein stolzer Schlossherr wirkte. Als sie wieder vor der Kapelle standen, nahm er McGonagall beiseite.

„Sagen Sie, Frau Professor“, fragte er respektvoll, „da ich mit Hexen sonst nie zu tun habe, dürfte ich Sie etwas fragen?“

„Bitte.“

„Roy hat mir gesagt, er würde nie Schwarze Magie treiben, und vor weißer müsse ich mich nicht fürchten. Ich glaube es ihm, weil auch Pater Patrick sich für ihn verbürgt hat. Nur – was genau ist eigentlich der Unterschied?“

„Im Grunde“, erläuterte McGonagall „ist der Ausdruck ‚Weiße Magie‘ irreführend, ein Verlegenheitsbegriff, der nur als Gegenstück zur Schwarzen Magie einen Sinn ergibt. Magie als solche ist moralisch neutral, eine menschliche Fähigkeit, die man angeborenerweise hat oder nicht hat, ungefähr so, wie man Intelligenz hat, die man ja auch zum Guten ge- oder zum Bösen missbrauchen kann. ‚Schwarze Magie‘ ist eine Form von Magie, bei der der Magier seine Macht durch den direkten Appell an die Mächte des Bösen vervielfacht. Eine sehr verführerische Art, Magie zu treiben, eben weil man kurzfristig besonders mächtig wird, aber auch eine Droge, die abhängig machen kann. Wer ihr verfällt, verliert seine Seele über kurz oder lang an das Böse.“

„Kommt das oft vor?“, fragte Matthew mit einem gewissen Schauder.

„Nicht oft“, versetzte McGonagall, „denn in Hogwarts lehren wir diese Art Magie nicht, nur die Verteidigung dagegen. Aber ja, es kommt vor, und leider hat es einige unserer besten und begabtesten Schüler getroffen, die in der Lage waren, sich diese Fähigkeiten selbst anzueignen. Hohe Begabung bei instabiler Seele ist ein explosives Gemisch.“

McGonagall sah, dass der Abt einen nachdenklichen Blick auf Roy warf, der allerdings, glücklich mit seiner Braut turtelnd, alles andere als instabil wirkte.

„Sie haben einen guten Blick für Menschen, Pater. Ja, unser Mister MacAllister ist einer, der leicht auf den falschen Weg hätte geraten können. Er ist einer, der trotz seiner inneren Stärke viel Halt braucht. Ich bin froh, dass er ihn gefunden hat.“

 

Es wurde eine bewegende Hochzeit. Sogar Arabellas Mutter schluchzte mit ihrer eigenen Mutter um die Wette, als Roy und Arabella einander das Jawort gaben und einander die Ringe – ein Geschenk von Arabellas Großeltern – ansteckten.

Die Hexen und Zauberer in ihren schwarzen, scharlachroten und slytheringrünen Umhängen – nur der von Arabella war schneeweiß gezaubert worden –, die allesamt noch nie in ihrem Leben eine Kirche betreten hatten, wirkten in dieser Umgebung pittoresk, aber bei weitem nicht so exzentrisch, wie es in irgendeiner Londoner Straße der Fall gewesen wäre.

Als Roy und Arabella sich nicht nur von Matthew, sondern von allen siebenundzwanzig Mönchen verabschiedet hatten und die ganze Hochzeitsgesellschaft disapparieren sollte, trat Ginny noch einmal auf beide zu.

„Ich möchte mich auch verabschieden.“

„Kommst du nicht mit?“, fragte Roy verwirrt.

Ginny schüttelte den Kopf.

„Wir sollten das Ministerium nicht mit der Nase darauf stoßen, dass zwischen uns eine Verbindung besteht. Aber die Familie Potter hat ein Geschenk für euch. Albus?“, wandte sie sich an ihren Sohn.

Albus zog eine Wasseruhr aus seinem Umhang.

„Die Uhr“, erläuterte er, „ist natürlich nicht das Geschenk, die habe ich aus deinem Labor. Das Geschenk ist das, was darauf gespeichert ist. Es ist… also…“ Er druckste ein wenig und wurde rot. „Mama, sag du es ihnen, ich genier‘ mich.“

Ginny lachte. „Schon gut, in deinem Alter darf man sich bei so etwas genieren und sollte es vielleicht sogar. Also, ihr braucht ein Zimmer für die Hochzeitsnacht, und dies hier ist der Schlüssel zu dem Versteck, dass wir eigentlich für Hermine eingerichtet hatten.“

„Zur Kammer des Schreckens?“, fragte Roy, den Harry als einzigen eingeweiht hatte.

„Zur ehemaligen Kammer des Schreckens“, korrigierte Ginny ihn sanft, „die nun aber eine Luxussuite ist – perfekt für eine Hochzeitsnacht! Albus hat den Zugangscode in Parsel auf die Wasseruhr gesprochen.“

Die Brautleute umarmten Ginny und Albus.

„Danke“, meinte Roy, „jetzt ist es wirklich eine perfekte Hochzeit!“

In Hogwarts wartete eine weitere Überraschung auf sie. Als sie verdutzt feststellten, dass sie nicht etwa im Geheimraum der Unbestechlichen, sondern im Nebenraum der Eingangshalle appariert waren, schmunzelte McGonagall ihnen zu:

„Ich habe die Appariersperre für diesen Raum aufgehoben, damit Sie es nicht so weit haben. Ihre Mitschüler wissen noch nicht, warum das Abendessen auf halb acht verschoben wurde und ein Festmahl sein wird. Ich habe mir erlaubt, nicht nur für Sie eine Feier auszurichten, sondern die ganze Schule mitfeiern zu lassen. Lassen Sie mir bitte zwei Minuten Vorsprung, damit ich Sie ankündigen kann.“ Sprach’s und eilte beschwingt hinaus.

Roy, Arabella und ihre Gäste folgten bis vor den Eingang der Großen Halle und lauschten McGonagalls kurzer Rede:

„Liebe Schüler, liebe Lehrer, Sie fragen sich, was es heute zu feiern gibt. Nun, es ist etwas, das in Hogwarts nur sehr selten geschieht, weil man nach magischem Recht mindestens siebzehn dazu sein muss und Hogwarts-Schüler sich normalerweise bis nach ihren UTZ-Prüfungen damit Zeit lassen.“ Sie machte eine Kunstpause. „Da der Magische Staat Eheschließungen vor Muggel-Institutionen aber anerkennt, freue ich mich, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass zwei Ihrer Mitschüler heute in einem Kloster bei London geheiratet haben.“

Sie ließ ihre Zuhörer noch einen Moment in ihrer Neugier zappeln und fügte dann hinzu: „Nämlich Roy MacAllister und Arabella Wolfe. Mr. und Mrs. MacAllister, wenn Sie bitte eintreten würden?“

Die Begeisterung tobte nicht überall so ungeteilt wie bei den Slytherins, aber selbst die Gryffindors – die selbstredend ihre Witze darüber rissen, dass ausgerechnet zwei Slytherins bei den Muggeln geheiratet hatten –, brachten es nicht fertig, sich nicht zu freuen, insbesondere ihre Mädchen fanden das Ereignis ungeheuer romantisch.

Die Feier dauerte bis zur von McGonagall festgelegten Sperrstunde um Mitternacht.

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