39 – Die Freundschaft der Malfoys

Am nächsten Tag um die Mittagszeit hörten die Potters vor ihrem Haus jemanden apparieren. Gleich darauf klingelte es, und Ginny öffnete. Vor ihr stand, gekleidet in eine äußerst vornehme Livree, ein Hauself, der sich tief vor ihr verneigte.

„Das Haus Malfoy entbietet dem edlen Hause Potter seinen Gruß und seine besten Wünsche“, sagte er geschraubt. „Mein Name ist Blubber. Die gnädigen Herrschaften haben mich beauftragt, den jungen Herrn Albus abzuholen und zum Manor zu geleiten.“

Ginny war einen Augenblick lang unsicher, ob sie nun in ähnlich geschwollener Sprache antworten müsse, meinte dann aber nur:

„Das ist ganz reizend, vielen Dank, Blubber, treten Sie doch bitte ein.“

Der Elf verbeugte sich und folgte ihr ins Wohnzimmer, in dem schon Albus mit seinem gepackten Koffer wartete. Er war ein wenig enttäuscht, denn eigentlich hatte er gehofft, Scorpius selbst würde ihn abholen.

Albus Potter“, stellte er sich vor. Da der Elf sich schon wieder verneigte, traute Albus sich nicht, ihm die Hand zu geben.

„Blubber“, erwiderte der Elf, „ich habe die Ehre, dem Hause Malfoy dienen zu dürfen. Darf ich fragen, ob der junge Herr reisefertig sind?“

„Äh, ja“, meinte Albus. Er überlegte einen Moment, wie er seine Frage höflich formulieren konnte, und meinte dann: „Ich weiß es sehr zu schätzen, dass Sie mich abholen, Blubber, aber warum macht Scorpius das nicht?“

„Ich fürchte, das ist nicht üblich, Sir“, antwortete der Elf mit leicht pikiertem Unterton. „Es entspräche nicht seinem Stand. Allerdings wartet der junge Gnädige Herr bereits in der Empfangshalle des Manors.“

„Ja, dann wollen wir ihn mal nicht unnötig warten lassen“, sagte Albus etwas ratlos, umarmte seine Eltern zum Abschied, und sagte dann zu dem Elfen, der seinen Koffer bereits per Schwebezauber angehoben hatte: „Wir können.“

„Darf ich fragen, ob der junge Herr lieber per Flohnetzwerk oder per Seit-an-Seit-Apparieren zu reisen wünschen?“

„Flohnetzwerk ist bequemer, finde ich…“

Abermals verneigte sich der Elf. „Sehr wohl. Gestatten der junge Herr bitte, dass ich vorauseile, um seine Ankunft zu melden.“

 

Als Albus in der großen Empfangshalle des Manors aus dem Kamin stieg, strahlte Scorpius ihm schon entgegen. Die beiden umarmten sich kurz, dann sagte Scorpius zu dem Hauselfen: „Es ist gut, Blubber, ich bringe unseren Gast selbst nach oben.“

Scorpius wollte den Koffer, der neben dem Elfen schwebte, an sich nehmen, sah sich aber durch dessen energisches Räuspern daran gehindert.

„Ich fürchte“, sagte Blubber mit unbewegter Miene, „der junge Gnädige Herr verkennen die Standeswidrigkeit eines solch beispiellosen Aktes. Teile der magischen Gemeinschaften könnten dies als durchaus skandalös erachten.“

„Na gut“, ächzte Scorpius resigniert, „dann nehmen Sie den Koffer und gehen uns voraus.“

Der Elf verneigte sich fast bis zum Boden. „Wie der junge Gnädige Herr wünschen.“

„Ihr habt noch Hauselfen?“, fragte Albus, als sie Blubber über eine prachtvolle Marmortreppe in die erste Etage folgten. „Ich dachte, meine Tante hätte die Elfen befreit.“

In der Tat war die Befreiung der Elfen, Hermines altes Herzensanliegen, ihre zweite Tat als Ministerin gewesen. Die erste war die Erstellung der Liste verbotener Ausdrücke.

„Sie hat den Zauber aufgehoben, der auf ihnen lag“, antwortete Scorpius, „aber die Elfen dienten uns weiter wie eh und je. Dann hat sie verfügt, dass sie bezahlt werden müssen. Als wir ihnen das mitteilten, dachte ich, gleich bricht der Elfenaufstand aus, so beleidigt waren sie. Sie fühlten sich entehrt. Wir mussten Stein und Bein schwören, dass nicht wir, sondern die Zaubereiministerin daran schuld war. Schließlich ließen sie sich doch dazu überreden, eine Bezahlung anzunehmen.“

„Nicht viel, nehme ich an?“, meinte Albus.

„So wenig, dass es mir peinlich wäre, dir die Summe zu nennen. Aber wir konnten nichts machen, mehr hätten sie nicht akzeptiert.“

„Dann hat sich praktisch nichts geändert?“, fragte Albus enttäuscht, denn er war sehr stolz darauf gewesen, der Neffe der Elfenbefreierin zu sein, als die Hermine im Tagespropheten gefeiert wurde.

„Zwei Dinge haben sich geändert“, erwiderte Scorpius, „nämlich erstens, dass wir sie endlich anständig einkleiden können, ohne dass sie uns verdächtigen, wir wollten sie loswerden. Das ist sehr gut, in Livree machen sie doch ganz anders was her als in den schmuddeligen Spültüchern, die sie vorher trugen. Und zweitens“, seufzte er, „können wir jetzt praktisch überhaupt nichts mehr selbst machen, sonst glauben sie, wir seien ihrer Dienste überdrüssig. Du hast es ja gesehen: Ich darf dich nicht abholen, darf deinen Koffer nicht tragen und so weiter.“

„Mach’s doch einfach trotzdem“, meinte Albus, „ich meine, ihr seid doch die Chefs hier?“

Scorpius lächelte süßsauer. „Mach das mal, wenn dein Hauself dir mit Selbstmord droht.“

Während sie miteinander sprachen, sah Albus sich neugierig um. Ein solches Haus hatte er noch nie von innen gesehen. Dass die Malfoys ihren Familiensitz ein Manor nannten, hätte ein Kontinentaleuropäer vermutlich als typisch britisches Understatement aufgefasst. Es war ein Schloss. Von den Marmorfußböden über die Holzvertäfelungen bis hin zu den kunstvoll geschnitzten Stuhlbeinen war alles edel und gediegen und roch nach sehr altem Geld.

„Lebst du eigentlich gerne hier?“, wollte Albus wissen.

Scorpius wusste, was Albus meinte, und lächelte.

„Sagen wir, ich kenne es nicht anders und habe mich daran gewöhnt, in einem Haus zu leben, in dem man sein Zimmer nur verlassen kann, wenn man wie aus dem Ei gepellt aussieht. In diesem Kasten kommt man gar nicht auf die Idee, es irgendwie anders zu machen, aber manchmal hätte ich es schon ganz gern etwas gemütlicher. Dass deine Eltern dir manchmal erlauben, im Schlafanzug am Frühstückstisch zu sitzen“, sagte er verzückt, „ist toll. Meinst du, ich darf das auch, wenn ich euch mal besuchen komme?“

Albus musste lachen. „Bestimmt!“

Sie betraten nun das für Albus bestimmte Zimmer, das in seiner Pracht, aber auch in seinem Rokoko-Stil den Räumen ähnelte, die Albus und Ginny in der ehemaligen Kammer des Schreckens für Hermine eingerichtet hatten.

„Wow!“, staunte Albus. „Hier könntet ihr einen König unterbringen!“

„Wir legen Wert darauf, dass unsere Gäste sich in unserem Hause als Könige fühlen“, antwortete Scorpius mit der ihm eigenen Grandezza, während Blubber Albus‘ Koffer öffnete und mit einem bloßen Wink seiner Hand seine Kleidungsstücke wohlgeordnet im Kleiderschrank verschwinden ließ.

Dann verbeugte der Elf sich vor Albus und sagte: „Die Familie empfängt den jungen Herrn in zehn Minuten im großen Salon.“

„Und danach gibt es Mittagessen“, fügte Scorpius hinzu, nachdem Blubber den Raum verlassen hatte.

 

Am nächsten Vormittag gingen Albus und Scorpius in eine eigens für Zauberübungen vorgesehene Halle des Schlosses, denn Albus hatte seinem Freund versprochen, ihm die Zauber beizubringen, die er mit den Unbestechlichen in den DA-Stunden geübt hatte. Im Manor konnte Scorpius das auch als Minderjähriger gefahrlos tun, das Schloss war vor den Aufspürzaubern des Ministeriums geschützt.

„Du hast meine Leute schwer beeindruckt“, sagte Scorpius beiläufig, als sie durch die schier endlosen Korridore des Manors gingen.

„Ach ja?“ Albus war sich des vorzüglichen Eindrucks, den er bei Erwachsenen hinterließ, immer noch nicht so recht bewusst.

„Ja. Mein Großvater meinte, ich hätte eine sehr glückliche Hand bei der Auswahl meiner Freunde.“ Er grinste zufrieden.

„Ja, ich hatte auch zeitweise das Gefühl, dass sie mich ab und zu beobachteten.“

„Ab und zu?“ Scorpius grinste wieder. „Sie haben dich die ganze Zeit beobachtet. Unter anderem deshalb bist du eingeladen worden. Sie wollten dich unter die Lupe nehmen, um sicherzugehen, dass ich mit dem Richtigen befreundet bin.“

„Mit dem Richtigen?“ Albus blieb stehen und starrte ihn entgeistert an. „Ich meine, wer wäre denn der Falsche? Und wieso kümmern sich deine Eltern und Großeltern darum? Es ist doch deine Sache, mit wem du befreundet bist.“

„In Kreisen wie unseren ist das ein bisschen anders“, erwiderte Scorpius. „Du fragst, wer der Falsche gewesen wäre. Der Falsche wäre zum Beispiel einer gewesen, der die Pracht und den Luxus hier mit Missgunst oder Gier betrachtet hätte. Das hast du nicht getan, du hast dich nur neugierig und interessiert umgesehen, weil du ein solches Haus wie unseres wahrscheinlich noch nie gesehen hast. Weißt du, wir sind ja nun einmal ziemlich reich, aber wie alle anderen Menschen wollen auch wir echte Freunde haben, also niemanden, der uns wegen unseres Geldes mag, aber auch niemanden, der deswegen Komplexe hat, neidisch ist und uns insgeheim hasst.“

„Das verstehe ich“, meinte Albus. „Und wer wäre noch der Falsche gewesen?“

„Jemand, der einen labilen, unkalkulierbaren Charakter hat. Auf uns können sich unsere Freunde immer verlassen, und zwar ein Leben lang. Das heißt aber, dass wir umgekehrt ebenfalls Freunde haben möchten, auf die wir uns verlassen können, und auch das ein Leben lang. Und da Kinder nicht unbedingt die Menschenkenntnis haben, das zu beurteilen – obwohl der Zauberer-Hochadel seine Kinder von klein auf dazu erzieht, sich Menschen genau anzusehen –, machen die Erwachsenen sich ein eigenes Bild von unseren Freunden.“

„Dann waren die Gespräche gestern so eine Art Prüfung?“

„So etwas Ähnliches“, sagte Scorpius, „und du hast sie mit Bravour bestanden.“

„Und wenn ich durchgefallen wäre?“

„Ich wusste, dass du nicht durchfallen würdest“, erwiderte Scorpius gelassen.

„Ja, aber nur einmal angenommen“, bohrte Albus nach. „Wärst du dann nicht mehr mein Freund?“

Nun war es Scorpius, der stehenblieb und Albus ins Gesicht sah. „Das glaubst du jetzt nicht wirklich, oder?“

„Na ja“, meinte Albus etwas verunsichert, „du sagst ja selber, dass bei euch alles ein bisschen anders ist, also woher soll ich es wissen?“

„Ich verstehe. Also, du wärst dann immer noch mein Freund, aber eben nur mein Freund. So aber darfst du dich als Freund des Hauses Malfoy betrachten.“

„Und was heißt das?“

„Das heißt, dass die Familie Malfoy unsere Freundschaft unterstützt und dich nie im Stich lassen wird, wenn du ihre Hilfe brauchst, und wir umgekehrt darauf vertrauen, dass du es auch nicht tun würdest.“

„Wie sollte ich euch denn helfen?“, fragte Albus fast ein wenig belustigt. „Ihr habt doch alles, was man haben kann, nicht nur Geld…“

„Im Laufe eines ganzen Lebens ergeben sich genug Gelegenheiten, verlass dich drauf.“

„Könnte eigentlich jemand wie Roy auch in dieser Weise euer Freund sein?“ Die Frage kam Albus spontan in den Sinn.

„Hm, das wäre schwieriger.“

„Weil er muggelstämmig ist?“

„Er ist ein Slytherin, da kann er sich seine Muggelstämmigkeit sozusagen leisten“, meinte Scorpius. „Ich werde auch nie vergessen, wie er sich gleich am ersten Tag für mich eingesetzt hat, bei dieser Schlammblut-Geschichte…“

„O je“, warf Albus ein, „gleich apparieren die Ministeriumsleute!“

„Nicht bei uns“, grinste Scorpius, „das Manor ist vor dem Tabuzauber des Ministeriums durch den gleichen Gegenzauber geschützt wie Hogwarts und das Ministerium selbst. Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, also ich hoffe sehr, dass ich mich irgendwann einmal bei MacAllister revanchieren kann. Er ist genau einer, der mein Freund sein könnte, aber kaum als Freund der Familie akzeptiert würde, so wie du.“

„Warum?“

„Weil sie instinktiv spüren würden, dass er nicht zu uns passt. Er ist so anders, so eigensinnig, dass er für die Familie unkalkulierbar wäre. Respektieren würden sie ihn bestimmt – wer respektiert ihn nicht? –, und sie geben auch zu, dass er für Slytherin wichtig ist, gerade weil er so eigensinnig ist. Aber er ist eben… nun ja, eben anders.“

„Wenn er das aber nicht wäre…“

„…könnte er ein Freund der Familie durchaus sein, es würde jedenfalls nicht an seiner Herkunft scheitern. Allerdings könnte er auch dann kein Mitglied der Familie werden, das heißt, er könnte zum Beispiel nicht meine Schwester heiraten, während du das sehr wohl könntest.“

„Meine Güte“, stöhnte Albus, „ist das kompliziert bei euch! Warum macht ihr euch das Leben nicht ein bisschen leichter?“

„Weil wir nicht seit achthundert Jahren zu den führenden Zaubererfamilien des Landes gehören würden, wenn wir es uns leichter machten.“

Ein Gedanke zu „39 – Die Freundschaft der Malfoys

  1. Da ist eine große Lücke. Man erwartet eigentlich eine große Erzählung über das Dinner mit Scorpios Eltern und Großeltern. Schade. Vielleicht kann da noch etwas ergänzt werden.

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